2. Die Düsseldorfer Fliesenleger

Quelle: Wuppertaler Widerstand

Die Düsseldorfer Fliesenleger waren schon vor dem 1. Weltkrieg mehrheitlich in
der »Freien Vereinigung« organisiert. Die Organisation war 1901 unter maßgeblicher Initiative Carl Windhoffs gegründet worden.(35) In der Agitationskommission Rheinland, die 1904 etabliert wurde, waren drei von sieben Mitgliedern
Fliesenleger.(36) Auf Reichsebene waren 1906 achthundert Fliesenleger in der
Freien Vereinigung organisiert.(37) Der Kampf derFliesenlegerorganisation war
vor dem 1. Weltkrieg stark auf die Verkürzung der Arbeitszeit gerichtet:
Undnichtdamitistunsere Aufgabeerfüllt, daß wir unseren Stundenlohn um 5 oder 10
Pf. in jedem Jahr erhöhen, im übrigen aber stumpfsinnige Arbeitstiere bleiben, nein
als Menschen müssen wiruns höhere Ziele stecken. Wir müssen bestrebt sein,
teilzunehmen an allen Errungenschaften der Kultur, und müssen verstehen lernen,
das Leben im edlen Sinne zu genießen. Kunst und Wissen soll nicht ein Privileg
bleiben für eine kleine, besitzende Minderheit sondern die Arbeiterschaft muß daran
ihre Rechte geltend machen, und ihren Teil davon beanspruchen. Und wird ihr dies
dauernd vorenthalten, muß sie es sich erkämpfen. Um aber die Schönheiten der
Kunst zu genießen und sich Wissen aneignen zu können bedürfen wir der Muße.
Wer 10-12 Stunden täglich arbeitet, wird nicht mehr die Kraft und den Trieb in sich
fühlen, sich geistig weiter zu bilden, und evtl. das nachzuholen, was der Klassenstaat mit seiner Jugend an ihm versäumt hat. Drum ist eine der Hauptpflichten
unserer Organisation die Verkürzung der Arbeitszeit.(38)
Die Arbeitszeit der Düsseldorfer betrug vor dem Kriege 8 1/2 Stunden, damit
dürften sie eine Ausnahme gebildet haben innerhalb der gesamten Arbeiterschaft.(39) Die Fliesenleger waren von jeher gegen langfristige Tarifverträge
eingetreten. In der Revolutionsphase 1918/19 setzten sie einen Tarifvertrag mit
24-ständiger Kündigungsfrist durch, auf Grund desssen sie von der Inflation
weniger betroffen waren, als die anderen Arbeiterschichten.(40)
Da die Löhne der Fliesenleger in Düsseldorf 30% höher lagen als in benachbarten Städten, wurden auf Düsseldorfer Baustellen häufig auswärtige Firmen
angestellt. Die syndikalistischen Fliesenleger regten daher 1924 die Gründung einer
Interessengemeinschaft aller organisierten Fliesenleger in Rheinland-Westfalen an,
der sich fast alle Fliesenleger des Rhein-Ruhr-Gebietes anschlossen. In
Düsseldorfbestand eine solche Interessengemeinschaft schon seit 1921.(41)
Auf einer Konferenz 1925 wurde folgendes Regulativ für die Interessengemeinschaft verabschiedet, das deutlich die Handschrift Carl Windhoffs trug:
1. Die Fliesenleger des rheinländisch-westfälischen Industriebereichs schließen sich
zu einer wirtschaftlichen Interessengemeinschaft föderativ zusammen unter Ausschaltring aller Parteipolitik.
2. Die organisatorische Selbständigkeit und Selbstverwaltung der einzelnen Orts-
gruppen bleibt bestehen.
3. Jedem einzelnen Fliesenleger muß volle Organisationsfreiheit gewährt werden,
das heißt, jeder Kollege schließt sich an diejenige Organisation an, die ihm
seiner Überzeugung gemäß am besten zusagt.
4. Der Zweck der Interessengemeinschaft ist: Die Hebung der sozialen und wirtschaftlichen Lage der Fliesenleger.
5. Dies soll erreicht werden:
a) durch Errichtung von Arbeitsnachweisen in jedem Ort und für den
ganzen Industriebezirk und Regelung des Lehrlingswesens.
b) durch Ausschaltung unlauterer Elemente (Lohndrücker, Streikbrecher,
Zwischenmeister) unter Anwendung geeigneter Maßnahmen und ständiger gegenseitiger Information.
c) durch Erziehung der Kollegen in allen Orten zur weitgehenden
Solidarität (gegenseitige Hilfe)
d) durch Anwendung wirtschaftlicher Kampfmittel, wie Streiks, Boykotts,
passive Resistenz und so weiter.
e) durch Haftbarmachung der einzelnen Unternehmer für die durch ihre
Schuld verursachten Lohnausfälle bei Streiks und Sperren.
f) durch moralische und wo notwendig auch materielle gegenseitige Unterstützung bei Lohnbewegungen und Streiks
g) durch Einwirkungen auf die Unternehmer und Plattenfabriken zwecks
Lieferung nur guten Materials
h) durch gegenseitige Belehrung, Abhaltung von Vorträgen, Stellung und
Austausch von Rednern, Lieferung geeigneter Flugblätter,
Broschüren,Bücher und Zeitungen.
i) durch Herausgabe eines periodisch (etwa 14-tägig) erscheinenden
Mitteilungsblattes.(42)
Die Unternehmer schlossen sich nach der Bildung der Interessengemeinschaft
enger zusammen und versuchten 1926 nach der Kündigung des Tarifvertrages
folgende Bedingungen durchzusetzen:
1. Abschluß eines einheitlichen Bezirktarifes für das Rheinland und Lohnverhandlungen nur mit der Spitzenorganisation des Unternehmerverbundes.
2. Lohnabbau von 30-40% und Abbau von Zulagen für Nachtarbeit,
Sonntagsarbeit und auswärtige Arbeiten.
3. Abbau der Ferien.(43)
Die rheinländischen Fliesenleger traten in den Abwehrstreik und konnten
durchsetzen, daß nur örtliche Tarife vereinbart wurden. Die Düsseldorfer
Fliesenleger streikten 7 Wochen und es gelang ihnen als einzigem Verband,
den Lohnabbau abzuwehren.(44) Von den rund 120 Düsseldorfer Fliesenlegern
waren rund 90 syndikalistisch organisiert. Fliesenlegergruppen hatte die FAUD
ebenfalls in Essen, Mönchengladbach und Krefeld.(45)
Die Interessengemeinsdchaft wurde energisch und in vielen Fällen auch durch denunziatorische Angriffe auf Carl Windhoff von der Gewerkschaftsbürokratie
bekämpft. Um wieder Einfluß auf die Fliesenleger zu gewinnen, zahlten sie in
Düsseldorf 45.-Mark pro Woche Streikunterstützung, in Elberfeld-Barmen und
Köln hingegen nur zwischen 12.- bis 23.-Mark.(46)
Der solidarische Geist der Düsseldorfer kam besonders zum Ausdruck, als
sie mit der beginnenden Arbeitslosigkeit 1929/30 einen Tarifvertrag
durchsetzten, der die Fünftage-Woche und die abwechselnde Beschäftigung der
Erwerbslosen vorsah. Weil der Tarifvertag von den Unternehmern nicht
eingehalten wurde, streikten sie noch im Herbst 1932 sieben Wochen.(47)
Die Stundenlöhne der Fliesenleger waren im Vergleich zum Durchschnitt
extrem hoch.(48)
1925: Durchschnittslohn 65,9 Mark; Fliesenleger 150 Mark
1928: Durchschnittslohn 109,2 Mark; Fliesenleger 180 Mark
Bei den Zahlen muß noch berücksichtigt werden, daß die Fliesenleger im Akkord
arbeiteten und dadurch die Löhne noch höher waren.(49) In Streiks wandten die
Düsseldorfer Fliesenleger verschärft die »direkte Aktion« an. Wurden Streikbrecher auf den Baustellen eingesetzt, kam es entweder vor Ort zu direkten
Konfrontationen oder nachts wurden die Fliesen abgeschlagen.
Wir hatten immer so einen kleinen Fäustel dabei, den mußte man immer am
Schnittpunkt von vier Fliesen treffen, dann waren mit einem Schlag gleich vier
kaputt.(50)
Die Anwendung solcher Kampfformen setzte natürlich ein unbedingtes
Vertrauen in der Berufsgruppe voraus. Dies wurde durch folgende
Bedingungen ermöglicht:
1. Die Fliesenleger hatten einen Arbeitsnachweis und bestimmten
dadurch über Einstellung und Entlassungen.(51)
2. Die Fliesenleger mußten für die Ausbildung ihrer Lehrlinge (meist eigene
Kinder) selbst aufkommen, wodurch sie eine doppelte Kontrolle ausübten,
nämlich zum einen über die Einstellung der zukünftigen Gesellen, und
zum anderen über die Anzahl und über die Gesinnung.(52)
3. Die Düsseldorfer Fliesenleger entfalteten eigene kulturelle Aktivitäten.
Am 1. Mai unternahmen sie zusammen mit ihren Familien, die Kinder
wurden an diesem Tag nicht in die Schule geschickt, gemeinsame Ausflüge und Feiern. Ein Fliesenleger erinnerte sich an einen Maiausflug, wo
Erwachsene und Kinder schwarze Fähnchen mit weißem zerbrochenen
Gewehr trugen.(53)
4. Das Fliesenlegen setzt eine hohe Geschicklichkeit voraus, die nicht für
jeden erlernbar ist; durch das besondere Ausbildungssystem war
gesichert,daß die zukünftigen Gesellen den Arbeitsanforderungen
entsprachen. Die Fliesenleger waren nach Lohn und Bewußtsein, die
»Elite« der Bauarbeiter.

[ssba]