Der Schweizer Frauenstreik vom 14. Juni 1991

Wann

15/01/2019    
19:00 - 22:00

Wo

FAUD-Lokal
Volmerswertherstr.6, Düsseldorf, NRW, 40221, Europa

Veranstaltungstyp

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Dieses Jahr versuchen auch in der BRD Frauen zu einem landesweiten feministischen Streik auf zu rufen (siehe unter anderen den Artikel-> auf der Seite der FAUD). Die Gruppe Arbeiterfilm zeigt aus diesem Anlaß eine Dokumentation der Schweizerische Arbeiterbildungszentrale, des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds und der Projektstelle für Videoanimation Zürich über den Frauenstreik vom 14. Juni 1991. Und einen Beitrag zum Frauenstreik in Spanien im März 2018. So oder so: Der Aufstand galt dem Patriarchat

Christiane Brunner hatte an der Organisation des Frauenstreiks wesentlichen Anteil (SozArch F 5032-Fb-0630)
Christiane Brunner hatte an der Organisation des Frauenstreiks wesentlichen Anteil (SozArch F 5032-Fb-0630)

Unter dem Motto „Wenn Frau will, steht alles still“ legten am 14. Juni 1991 eine halbe Million Frauen in der Schweiz die Arbeit nieder. Es war dies in der Schweizer Geschichte die Streikaktion mit der grössten Beteiligung; am Landesstreik vom November 1918 hatten sich rund 250’000 Personen beteiligt. Aus Anlass des zehnjährigen Jubiläums der Verankerung des Gleichberechtigungsartikels in der Bundesverfassung hatte der Schweizerische Gewerkschaftsbund zum Protest gegen die zögerliche Umsetzung des Verfassungsartikels und anhaltende Ungleichheiten in zahlreichen Bereichen von Gesellschaft, Wirtschaft und Politik aufgerufen. Die meisten Frauenorganisationen des Landes schlossen sich diesem Aufruf an, lediglich der Bund Schweizerischer Frauenvereine scherte aus. Im ganzen Land beteiligten sich am 14. Juni Frauen an vielfältigen Streikaktionen und tauchten Strassen und Plätze in ein Meer von Lila. In Bern wurde mit Trillerpfeifen der abgesperrte Bundesplatz gestürmt, auf dem sich politische Prominenz zu einer Feier der 700-jährigen Eidgenossenschaft versammelt hatte.Die Idee zum Frauenstreik stammte von einigen Uhrenarbeiterinnen im Vallée de Joux, die sich über die nach wie vor ungleichen Löhne in ihrer Branche empörten. Mit Christiane Brunner fanden die lokalen SMUV-Gewerkschafterinnen eine einflussreiche Verbündete, die sowohl in der Frauenbewegung als auch in den Gewerkschaften gut verankert war. Im Oktober 1990 beschloss der SGB-Kongress auf Antrag der SMUV-Frauen die Durchführung eines landesweiten Frauenstreiks am zehnten Jahrestag der Annahme des Gleichstellungsartikels. Der Streiktag konnte sich an ausländischen Vorbildern orientieren: Am 26. August 1970, ein Jahr, bevor den Schweizer Frauen das Stimm- und Wahlrecht zugestanden wurde, hatte anlässlich des 50-jährigen Jahrestages der Einführung des Frauenwahlrechts in den Vereinigten Staaten ein „Women’s Strike for Equality“ stattgefunden. Dieser konzentrierte sich hauptsächlich auf New York, aber auch in anderen Teilen das Landes fanden Aktionen statt, an denen sich insgesamt etwa 20’000 Frauen beteiligten. Eindrücklicher war dann der isländische Frauenstreik vom 24. Oktober 1975, an dem rund 90 Prozent der weiblichen Bevölkerung für einen Tag die Arbeit niederlegten.Anlass des Streiktages in Island war das von der UNO ausgerufene internationale Jahr der Frau. Im selben Jahr wurde in der Schweiz eine eidgenössische Volksinitiative „Gleiche Rechte für Mann und Frau“ lanciert, die dann im Dezember 1976 eingereicht wurde und unter anderem gleiche Rechte und Pflichten in der Familie sowie gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit forderte. Die eidgenössischen Räte empfahlen 1980 die Initiative zur Ablehnung, stellten ihr aber einen Gegenvorschlag gegenüber, der die Forderungen der Initiative in abgeschwächter Form aufnahm und etwa einen einklagbaren Anspruch auf gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit vorsah. Im Unterschied zur Initiative verzichtete er aber auf eine Übergangsfrist von fünf Jahren bis zur Umsetzung dieser Anliegen. Kurz nach der Schlussabstimmung in den Räten zogen die Initiantinnen ihr Begehren zugunsten des Gegenvorschlags zurück – das doppelte Ja war damals noch nicht möglich. Am 14. Juni 1981 hiessen rund 60 Prozent der Stimmenden den neuen Gleichstellungsartikel gut. Als weiterer wichtiger Fortschritt nahmen am 22. September 1985 knapp 55 Prozent der Stimmenden das revidierte Eherecht an. Vom damals aufstrebenden SVP-Nationalrat Christoph Blocher als Widerspruch zur biblischen Ordnung bekämpft, beendete das neue Recht die Unterordnung der Frau unter den Mann, der als „Familienoberhaupt“ etwa über die Berufstätigkeit seiner Frau bestimmen konnte, und machte die Ehe zu einer Institution gleichberechtigter PartnerInnen. Trotz dieser Erfolge blieben mannigfaltige Diskriminierungen bestehen, insbesondere auch im Bereich der Lohngleichheit. Auch der Frauenstreik von 1991 führte nicht zu einer raschen Behebung dieses Missstandes. Nichtsdestotrotz waren seine Folgen aber beträchtlich: Mitte der 90er Jahre passierte das Gleichstellungsgesetz die eidgenössischen Räte. Es stellte verbindliche Regeln für die Umsetzung des Gleichstellungsartikels auf und enthielt auch ein Verbot der sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. Im Klima der damaligen Deregulierungseuphorie war dies ein bemerkenswerter Fortschritt. Und 2004 fand nach drei erfolglosen Anläufen die Vorlage für eine Mutterschaftsversicherung eine Volksmehrheit, womit ein Verfassungsartikel aus dem Jahre 1945 endlich umgesetzt wurde.Noch unmittelbarer zeigten sich die Wirkungen des Frauenstreiks bei der Bundesratsersatzwahl im März 1993. Die Nichtwahl der offiziellen SP-Kandidatin Christiane Brunner wurde von Tausenden auf dem Bundesplatz versammelten Frauen mit lautstarker Empörung zur Kenntnis genommen. Die breite Protestbewegung, die sich in den folgenden Tagen entfaltete, wurde nicht zuletzt durch die Netzwerke ermöglicht, die sich bei der Organisation des Frauenstreiks gebildet hatten. Sie trug wesentlich dazu bei, dass im Unterschied zur Nichtwahl von Liliane Uchtenhagen zehn Jahre zuvor die bürgerliche Strategie zur Verhinderung einer SP-Bundesrätin nicht aufging und eine Woche später Ruth Dreifuss gewählt wurde. Der sogenannte „Brunner-Effekt“, der in den folgenden Jahren die Schweizer Politik mitprägte, war damit ebenfalls eine indirekte Folge des Frauenstreiks. Schliesslich hatte der Schweizer Frauenstreik auch eine grenzüberschreitende Ausstrahlung. Nach seinem Vorbild wurde in Deutschland der Weltfrauentag 1994 zu einem „FrauenStreikTag“ erhoben, der von über hundert regionalen Komitees organisiert wurde und an dem sich mehr als eine Million Frauen beteiligten. Es fanden Frauenbetriebsversammlungen und vereinzelt sogar Warnstreiks statt, anders als drei Jahre zuvor in der Schweiz hielten sich Gewerkschaften und etablierte Frauenorganisationen aber stark zurück.Zwei Jahrzehnte nach dem Frauenstreik fand im Juni 2011 der zweite nationale Frauenaktions- und Streiktag statt. Die von rund 50 Organisationen, darunter zum ersten Mal dem Bäuerinnen- und Landfrauenverband, unterstützten Aktionen hatten bei weitem nicht die Mobilisierungskraft des Frauenstreiks von 1991, erinnerten aber daran, dass manche seiner Anliegen, insbesondere im Bereich der Lohngleichheit, immer noch nicht erfüllt sind.
1. Juni 2016 Christian Koller

Materialien zum Thema im Schweizerischen Sozialarchiv:

Archiv:

  • Ar 1.117.15 SP Frauen Schweiz: Zentrale Frauenkommission (ZFK): Akten Jan.-Okt. 1992
  • Ar 29.92.22 Schweizerischer Verband für Frauenrechte: Handakten Ursula Nakamura-Stoecklin 1981-1992
  • Ar 39.55.3 Schweizerischer Verband des Personals öffentlicher Dienste: Akten der Nationalen VPOD Frauenkommission 1984-1991
  • Ar 55 OFRA Schweiz
  • Ar 90 Frauen macht Politik FraP!
  • Ar 152.10.10 Nachlass Hedi Lang: Biographisches
  • Ar 476.10.5/2 Gewerkschaftsbund des Kantons Zürich: Akten Frauenkommission, Frauenkonferenz, Frauenstelle 1988-1995
  • Ar 586 Antimilitaristische Frauengruppe Basel/Frauengruppe SAFT
  • Ar SMUV 03E-0021 Gewerkschaft Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen: Pressespiegel: Frauenstreiktag Juni 1991
  • Ar SMUV 03E-0050 Gewerkschaft Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen: Pressespiegel: Frauenstreiktag Juni 1993, 1994, 1995
  • Ar SMUV 06B-0004 Gewerkschaft Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen: Frauenstreik: Auswertung; Aussprachen Bundesrat; Aktionen; Stellungnahme CNG; Reaktionen Arbeitgeber; Persönliche Briefe an C. Brunner; Medienberichte; Erhebung BIGA; Solidaritätsbriefe CFDT, IGM; Gutachten Streikrecht; Fotos
  • Ar SMUV 06B-0005 Gewerkschaft Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen: Frauenstreik: Aktionen der Sektionen; Fotos
  • Ar VHTL 09A-0042 Gewerkschaft Verkauf Handel Transport Lebensmittel: Wir vom Verkauf: Wenn Frau will, steht alles still. 14. Juni 1991. Landesweiter Frauenstreik 1991

Archiv Bild + Ton (Bestände, in denen sich audiovisuelle Dokumente zum Frauenstreik befinden):

  • F 1021 Gewerkschafter und Gewerkschafterinnen erzählen – UNIA Oral History Projekt
  • F 5030 Gewerkschaft Verkauf Handel Transport Lebensmittel (VHTL)
  • F 5031 Gewerkschaft Bau und Industrie (GBI)
  • F 5032 Schweizerischer Metall- und Uhrenarbeiterverband (SMUV) – Gewerkschaft Industrie, Gewerbe, Dienstleistungen
  • F 5039 Gewerkschaft Textil, Chemie, Papier (GTCP)
  • F 5069 comedia Zürich
  • F 7000 Sammelbestand Fotografie
  • F 7001 Sammelbestand Druck
  • F 7003 Sammelbestand Objekt
  • F 9013-005 „Der Aufstand gilt dem Patriarchat“: Frauenstreik, 14. Juni 1991. Zürich 2010

Sachdokumentation:

Bibliothek:

  • 93794 Der Frauenstreik in den Medien = Lo sciopero delle donne nei mass media = La grève des femmes dans les mass media. Hg. Medienfrauen der SJU und des SSM. Bern 1992.

  • 95654 Haas, Esther et al. (Hg.): Der Brunner-Effekt. Zürich 1993.

  • 132792 Hetzer, Vita Alix: Männeruni – Frauenfragen! Die Auseinandersetzungen um die Gleichstellung an zwei Hochschulen. Zürich 2015.

  • CD 1 Kaa, Vera: Rien ne va plus: Wenn die Frau will, dann steht alles still = Bras croisés le pays perd pied. Bern 1991.

  • 93750 Schöpf, Elfie: Frauenstreik: Ein Anfang…: Hintergrund, Porträts, Interviews. Bern 1992.

  • 130444 Schulz, Kristina et al.: Frauenbewegung – Die Schweiz seit 1968: Analysen, Dokumente, Archive. Baden 2014.

  • 92915 Wicki, Maja (Hg.): Wenn Frauen wollen, kommt alles ins Rollen: Der Frauenstreiktag vom 14. Juni 1991. Zürich 1991.

Ausblick auf den nächsten Film:

Re: Der große Frauenstreik – Junge Spanierinnen machen Politik (2018)

„Unser Land ist immer noch sehr machistisch, es gibt viel Gewalt gegen Frauen, die Hausarbeit machen sie ganz allein, sie verdienen weniger Geld und werden bei Kürzungen als erstes entlassen. Wir wollen diese alten Rollenmuster nicht mehr bedienen“, sagt Carlota. Dazu gehört auch der Kampf gegen eine Verschärfung des Abtreibungsrechts, für die Selbstbestimmung über den eigenen Körper. Es ist nicht leicht für die jungen Frauen, sich im konservativen, katholischen Spanien Gehör zu verschaffen und einen modernen Lebensstil durchzusetzen. „Vor allem weil man die Krise genutzt hat, um die Freiheiten und Rechte der Frauen zu beschneiden“, sagt der Soziologe Ernesto Garcia. Doch gerade jetzt sei der Feminismus die lebendigste und zukunftsträchtigste Bewegung in Spanien. Der Film begleitet Sara und Carlota bei ihrem feministischen Engagement und der Organisation des Streiks bis hin zum 8. März. Werden sie durchhalten, können sie es tatsächlich schaffen, Frauen aller Generationen für den Streik zu gewinnen – auch wenn diese damit vielleicht ihren kostbaren Arbeitsplatz aufs Spiel setzen? Gelingt es ihnen, ein nachhaltiges Signal an die konservative Politik zu senden, dass die jungen Frauen ein selbstbestimmtes, modernes Leben wollen? Welche Visionen haben die Spanierinnen der Generation „Jugend ohne Zukunft“? (Text: arte)

Deutsche Erstausstrahlung: Mi 11.04.2018 arte
[ssba]