Nachruf auf Rolf Pohle († 07.02.2004)

Rolf Pohle ist am 7. Februar in Athen im Alter von 62 Jahren gestorben.
Sein Leben war politisch. Dadurch hat er viel Unmenschlichkeit erfahren: Zum einen global durch den Imperialismus, zum andern persönlich durch die deutsche Justiz.

Er selbst hatte Jura studiert und kam aus einer Juristenfamilie. Nachdem er Vorstand des zunächst FDP-nahen Liberalen Studentenbundes, dann Vorsitzender der Studentenvertretung der Universität München gewesen war, gründete er die Rechtshilfe der Außerparlamentarischen Opposition.

Die APO hatte sich in Studierendenkreisen als Antwort auf die Große Koalition aus CDU/CSU und SPD gebildet.

Zu dieser Zeit arbeitete Rolf Pohle bereits als Rechtsreferendar und beobachtete sowohl den willkürlichen Umgang der Polizei mit den Demonstranten als auch die rechtliche Ohnmacht der Verhafteten während der Studentenproteste.

Die Rechtshilfe nahm während der Osterdemonstrationen 1968 ihre Arbeit in dem Einzimmerappartement Rolf Pohles auf. In ganz Deutschland gab es Proteste nach dem Attentat auf Rudi Dutschke am Gründonnerstag in Berlin. Verantwortlich für dieses Attentat war die Bildzeitung durch ihre Hetzkampagnen. Deswegen sollte die Auslieferung der Bildzeitung für den Karsamstag verhindert werden.

In München besetzte man das Haupttor der Bildzeitungsauslieferung. Hinter dem verschlossenen Tor war bereits die Polizei und fotografierte die Ereignisse draußen, während man dort begann, Pflastersteine, Latten und Baumaterial von einer nahegelegenen Baustelle heranzutragen und vor das Tor zu legen. Als die Polizei mit Wasserwerfern angefahren kam, wurden spontan Ketten gebildet, um den Barrikadenbau voranzubringen. Die Ausfahrt wurde durch die Polizei geräumt, indem die Demonstranten zurückgetrieben wurden. In der Nacht kam es zu etwa siebzig Festnahmen, während die Polizei verkündete, sie habe selbst einige Ausgaben der Bildzeitung über die Dächer ausgeliefert.

Die Auslieferung der Karsamstagsausgabe konnte nicht verhindert werden. Am Ostermontag gab es den alljährlichen Ostermarsch für Demokratie und Abrüstung. Diesmal war die Beteiligung viel höher als in den Vorjahren. Auf dem Viktualienmarkt hat auch Rolf Pohle vor Zehntausenden gesprochen und eine Erklärung zum Dutschke-Attentat verlesen. Hier wurde dann beschlossen, am Abend die Auslieferung der Bildzeitung tatsächlich zu verhindern. Pohle hatte Bedenken, weil es bereits am Freitag zu Massenverhaftungen gekommen war und die meisten Demonstranten nicht wußten, wie sie sich verhalten sollten oder daß sie das Recht haben, bereits bei der Festnahme einen Anwalt zu verlangen. Deswegen wurde die Rechtshilfe eingerichtet, so daß während der Demonstrationen Anwälte bereit standen, ein Mandat zu übernehmen.

Die Ostermontags-Demonstration wurde von der Gesamtbevölkerung getragen: Sie bestand zu je einem Drittel aus Studenten, Lehrlingen und Arbeitern. Das wurmte Polizei und Politiker. Doch trotz des großen Widerstands wurde die Bildzeitung mit aller Polizeigewalt ausgeliefert. Das Resultat war: zahlreiche Verletzte, ca. hundertfünfzig Festnahmen und zwei Tote, ein Student und ein polizeikritischer Pressefotograf. Sie waren nicht die ersten auf einer Demonstration Getöteten: Bereits im Vorjahr war bei Protesten gegen den Schahbesuch am 2. Juni in Berlin ein Theologiestudent grundlos von einem Polizisten erschossen worden.

Wegen Teilnahme an den Osterdemonstrationen kam es für Rolf Pohle und auch andere zu strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Der Vorwurf war, er habe Straßenbarrikaden mitgebaut. Die Beweise in diesem Verfahren waren sehr vage: Aufgrund eines Films des ZDF mit Bildern der Karfreitagsdemonstration sollte er überführt werden. Als der Film im Schwurgericht vorgeführt wurde, zeigte der Staatsanwalt auf eine dunkle und nicht zu erkennende Gestalt und sagte: „Hier sehen Sie den Angeklagten.“ Im Saal brach ein schallendes Gelächter aus, weil außer einem schwarzen Schatten nichts zu erkennen war.

Ein weiteres Beweismittel war eine Rede im Studentenparlament, in der Pohle das Verhalten der Demonstranten verteidigte. Obwohl ihm keinerlei Gewalttätigkeit vorgeworfen wurde, er selbst als Student physische Angriffe auf seine Gegner ablehnte, wurde er wegen schweren Landfriedensbruchs 1969 zu fünfzehn Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt, weil er mindestens einen Pflasterstein, eine Tonne und eine Latte vor das Tor des Buchgewerbehauses gelegt und sich am Sitzstreik beteiligt habe. Das war die Höchststrafe für ein derartiges Verfahren, mehr hätte dafür nicht verhängt werden können. Dieser Prozeß sollte dazu dienen, Pohle als Verteidiger zu diskreditieren. Der Redakteur und Jurist Ernst Müller-Meininger nannte in der Süddeutschen Zeitung das Urteil einen „Exzeß der Justiz zur rücksichtslosen Durchsetzung der Staatsraison“.

Daß durch das Vollziehen des hohen Strafmaßes ein unrealistisches Beispiel für spätere Verurteilungen in ähnlichen Fällen geschaffen worden wäre, war Grund für eine Amnestie: Die Staatsmacht sah selbst ein, daß sie nicht jeden demonstrierenden Studenten jahrelang wegsperren konnte. Doch wegen der nicht rechtskräftigen Verurteilung wurde Rolf Pohle die Teilnahme am zweiten Staatsexamen untersagt. Mit einer Klage mußte er sich einen weiteren Termin für die letzte Examensprüfung nach dem Referendariat erzwingen, fiel aber dann mit der knappsten Note durch.

Für etwa ein Jahr arbeitete er mit Freunden 1970/71 als Transportarbeiter bei der Oper. Zu dieser Zeit gab es keine Studentenbewegung mehr, sie war abgewürgt für die einen durch massenhafte Verfolgung durch Polizei und Justiz, für die anderen durch Amnestie oder Gründung einer linken Universität in Bremen, während Rolf Pohle vom Staatsschutz bedrängt und nicht nur diskret, sondern offen und provokativ beschattet wurde. Wenn er morgens das Haus verließ, riefen sie ihm „Guten Morgen, Herr Pohle!“ aus ihrem Wagen zu. Einmal gönnte er sich den Witz, sie als Taxifahrer anzusprechen: „Zum Goetheplatz, bitte!“

Doch ihn beengte und beängstigte diese Situation. Die Hetze ging weiter. Was auch immer sich an Verbrechen ereignete, gelangte die Linke gleich ins Visier der Ermittlungen. Während einer Heimfahrt mit dem Taxi sprangen Polizisten mit Maschinenpistolen unweit seines Hauses auf das Fahrzeug zu und zerrten Pohle und den Taxifahrer heraus, um sie an die Wand zu stellen und zu durchsuchen. Dies Provokation war kein Einzelfall, mehrmals wurde er verfolgt und festgenommen, bis er dann im Frühjahr 1971 untertauchte.

Nach einer Kindesentführung gab es abermals eine Hetzjagd nach ihm. An diesem Abend wollte er seine Mutter besuchen, doch vor der Haustüre standen Wagen des Geheimdienstes und der Polizei. Während er die Türe öffnete, sprangen die Beamten aus ihren Autos, nur war Pohle schneller und konnte die Tür hinter sich schließen. Statt in die Wohnung zu gehen, entschwand er im Dunkeln durch den Keller über Hintergärten in den weitverzweigten Englischen Garten. Am nächsten Morgen gab es die großen Schlagzeilen in den Zeitungen.

Rolf Pohle hatte Angst, ihm würden Beweismittel der Entführung untergeschoben, oder er könnte bei einer weiteren Festnahme durch die Polizei erschossen werden. Seine Angst war nicht unbegründet, in jener Zeit wurden etliche nicht festgenommen, sondern erschossen. Dazu kam die ständige Diffamierung seiner Persönlichkeit und der Linken allgemein in der Öffentlichkeit durch die Presse.

Diese Erfahrungen machten ihm das Leben in der Legalität unerträglich. Er flüchtete in den Untergrund. Doch die Angst und die ständige Lebensgefahr blieben. Man muß sich ständig verbergen, sich von seinem sozialen Umfeld lösen, ständig die Kleider und die Wohnungen wechseln: Man ist isoliert. „Untergrund ist mindestens halber Knast, … halbe Isolationshaft.“

Für ihn war das kein Leben, was man jahrelang führen konnte. Bereits nach einigen Monaten wurde er in Ulm am 18. Dezember 1971 verhaftet. Nach dem Urteil von 1974 war er von Mai bis Oktober 1971 Mitglied bei der RAF. Ihm wurde vorgeworfen, Waffen beschafft zu haben. Der Prozeß dauerte fast sechs Monate. Er war der erste große RAF-Prozeß. Die Beweislage war schwierig, weil bei der Gegenüberstellung die Waffenhändler Ralf Pohle nicht kannten. Doch selbst ein vorsichtiger Gerichtsreporter berichtet tendenziös: „Zeugen erkennen Pohle nicht wieder!“ Durch die Stimmungsmache in den Medien stand der Prozeß bereits unter ungünstigen Bedingungen. Pohle wurde zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt. Die Isolationshaft setzte ihm furchtbar zu. Um eine Verbesserung der Haftbedingungen zu erreichen, trat er in Hungerstreik.

Fünf Tage vor der Berliner Senatswahl wird am 27. Februar 1975 der Spitzenkandidat der CDU, Peter Lorenz, von der Bewegung 2. Juni entführt. Als Bedingung für seine Freilassung wird die sofortige Haftentlassung von sechs ausgewählten Häftlingen, u.a. Rolf Pohle, verlangt. Für die Befreiung der Gefangenen stellte die Bewegung 2. Juni mehrere Bedingungen. Zum einen sollten sie auf dem Flug von Pfarrer Heinrich Albertz begleitet werden. Die Auswahl des Begleiters als Faustpfand war bewußt gewählt: Die Erschießung Benno Ohnesorgs durch einen Polizisten in Berlin am 2. Juni 1967 war genau in die Amtszeit Heinrich Albertz“ als Regierender Bürgermeister gefallen.

Zum andern sollte ihnen einhundertzwanzigtausend Mark mitgegeben werden. In diesem Punkt kam es zu Differenzen auf dem Frankfurter Flughafen. Rolf Pohle zählte das übergebene Lösegeld nach und bemerkte dabei, sie hatten weniger als gefordert und zugesagt erhalten. Er bestand auf der Erfüllung aller Bedingungen unter der Androhung: „Dann fliegen wir nicht!“ Weil er darauf bestand, daß die Forderungen der Bewegung 2. Juni eingehalten wurden, wurde ihm später ein weiterer Prozeß angehängt. Dort stellte sich heraus, daß ein Kriminalbeamter eigenmächtig die Summe gekürzt und zwanzigtausend Mark einbehalten hatte. Vor dem Abflug bekam jeder noch ein Ticket mit dem Aufdruck „Freiflug“.

Das Flugziel Jemen wurde erst am 3. März in der Luft bestimmt. Den Befreiten wurde im Jemen politisches Asyl angeboten. Nachdem Albertz am 4. März nach Deutschland zurückgekehrt war, nannte er im Fernsehen das Losungswort, und Peter Lorenz wurde daraufhin in einem Berliner Park freigelassen.

Von Jemen führte Rolf Pohles Weg nach Griechenland. Nachdem er auf der Insel Mykonos von einem deutschen Touristen erkannt worden war, wurde er bald darauf von einem ganzen Agentenheer des Bundesnachrichtendienstes quer durch Griechenland gejagt. Einmal konnte er dem Agenten Mauss entkommen, bevor er im Juli 1976 in einem Athener Lokal festgenommen wurde. Die Bildzeitung titelte: Deutschlands gefährlichster Terrorist gefaßt.

Der griechische Staatsgerichtshof hatte über eine Auslieferung nach Deutschland zu entscheiden, weil nach griechischem Recht niemand ausgeliefert werden darf, wenn er in einem politischen Prozeß verurteilt werden soll. Weil Pohle wegen Mitgliedschaft in der RAF in München zuvor verurteilt und inhaftiert worden war, deshalb auch wieder gesucht wurde, handelte es sich eindeutig um ein einen politischen Fall, so daß am 20. August 1976 gegen eine Auslieferung entschieden wurde.

Die deutsche Regierung aber setzte Griechenland unter Druck, indem sie den Beitritt Griechenlands zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) für gefährdet erklärte, „wenn Athen sich nicht in den Kampf gegen den internationalen Terrorismus einreihe“. Die Antwort der griechischen Bevölkerung auf diese Erpressung fand sich auf Plakaten in den Straßen Athens: „Freiheit für Pohle!“ Doch trotz der starken Proteste in Athen gaben die griechischen Gerichte am 1. Oktober dem enormen Druck des mächtigen Westeuropa nach, revidierten ihr Urteil und beschlossen die Auslieferung.

In München wurde Rolf Pohle wegen räuberischer Erpressung ein weiterer Prozeß gemacht, eben weil er bei der Freilassung auf dem Flughafen Frankfurt auf der ausgemachten Geldsumme bestanden hatte. Dafür erhielt er zusätzlich dreieinhalb Jahre Gefängnis. Eine Verteidigung oder Revision lehnte Pohle ab. An ein gerechtes Verfahren glaubte er nicht mehr. Und er behielt recht: Selbst an ihre Zusicherung gegenüber der griechischen Regierung, ihn wie einen normalen Gefangenen zu behandeln, haben sich Gericht und Regierung nicht gehalten.

Nachdem er die gesamte Haftstrafe verbüßt hatte, wurde er im September 1982 aus dem Gefängnis in Kaisheim entlassen. Er hätte nun ein freier Mensch sein müssen, war es aber doch nicht, weil er immer noch verfolgt wurde. Einmal stürmten Sondereinheiten ein Lokal und führten ihn mit Maschinenpistolen an Schläfe und Bauch ab. Auf dem Revier wurde erklärt, man habe ihn mit Helmut Pohl verwechselt, weil auf dessen Fandungsplakaten Rolf Pohles Gesicht gedruckt war, obwohl es zwischen ihnen überhaupt keine äußerliche Ähnlichkeit gab. Solche Verwechslungen häuften sich.

Auf dem Münchner Flughafen wurde er immer noch als Terrorist in den Listen geführt und während einer Reise festgenommen. Daß er nach seiner Haft immer noch als Terrorist geführt wurde, galt für ganz Deutschland, für die ganze Welt. Damit bestand die Angst, festgenommen oder erschossen zu werden, weiter. Seit 1985 lebte und arbeitete er bis zu seiner schweren Erkrankung als Deutschlehrer, Übersetzer und Schriftsteller in Athen.

Ein Interview mit Rolf Pohle aus dem Jahr 1985 ist in griechischer Sprache 1999 in Athen und 2002 unter dem Titel „Mein Name ist Mensch“ beim Karin Kramer Verlag in Berlin erschienen. Die Zitate im vorliegenden Text sind, soweit nicht anders angegeben, diesem Buch entnommen.

Frank Bärmann

Anmerkung: Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe der Graswurzelrevolution veröffentlicht – die auch wegen der anderen Artikel empfehlenswert ist.

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