„GRANATROTE FLUT“ UND G.A.S.

„GRANATROTE FLUT“ UND G.A.S.

Mit Beginn der aktuellen Wirtschaftskrise entstanden weltweit neue soziale Bewegungen. Zahlreiche anarchistische Prinzipien wurden spontan und oft auch ohne Wissen um die lange Tradition anarchistischer und syndikalistischer Bewegungen „neu erfunden“ und angewandt. Zwei dieser neuen Bewegungen sind die Marea Granate und die Grupo de Acción Sindical (G.A.S.). Interessanterweise halten sich diese nicht mehr an nationale oder geographische Grenzen. Stattdessen breiten sie sich weltweit aus. Dabei verstehen sie einerseits ihre Migration als erzwungen und andererseits wollen sie mit anderen gemeinsam gegen die Auswirkungen der Krise kämpfen, ohne Rücksicht auf die sogenannte „Herkunft“. Dies darf aber nicht so verstanden werden, dass es ihnen nur um kosmetische Veränderungen ginge. In ihrem Manifest schreiben sie unter anderem: „Wir rufen zur Analyse auf und verurteilen die zerstörerischen Folgen des aktuellen Wirtschaftssystems. Einerseits durch die Identifizierung der Ursachen, die uns dazu brachten unsere Heimatorte, unsere Familien und unsere Freunde zu verlassen. Andererseits durch das Hervorheben der schwierigen Lebensbedingungen der Migranten und Migrantinnen. Wir sind uns bewusst, dass wir keinen isolierten Kampf führen, und dass die Ursachen, die dazu geführt haben, Spanien zu verlassen anderen Ländern auch nicht fremd sind. Deswegen wollen wir Brücken zu lokalen Gruppen um uns herum bauen. Darüber hinaus gibt es andere Einwanderer- und Einwanderinnen-Gruppen in unseren Gastländern, mit denen wir zusammenarbeiten, um ein gegenseitiges Support-Netzwerk für Neuankömmlinge zu schaffen.“Für die Direkte Aktion sprachen Frank Tenkterer von der FAU Düsseldorf und Rita von der FAU Duisburg mit Nuria und Manel von den Gruppen Marea Granate NRW und G.A.S. NRW. (Redaktion Hintergrund)

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Frank: Was ist Marea Granate? Wo kommt ihr her, und was ist die Basis eures Zusammenschlusses?

Nuria: Wir sind die Kinder der Krise. Ursprünglich haben wir in Spanien gegen die Krise gekämpft. Wir waren Teil der Bewegung 15M, die 2011 erstmals öffentlich aufgetreten ist. Damals haben wir gegen die Privatisierung des Gesundheitssystems, den Sozialabbau, die Wohnungsnot, die Ausweitung der prekären Arbeitsverhältnisse, die Arbeitslosigkeit und vieles mehr gekämpft. Allerdings zwang uns die Krise – und zwingt uns noch immer – ins Ausland zu gehen und dort nach Arbeit zu suchen. In diesem Sinne sind wir nicht gegangen, sondern rausgeworfen worden aus Spanien. Allerdings wollen wir den Widerstand gegen die Zerstörung des Sozialsystems und die permanenten Angriffe des Kapitals nicht aufgeben, nur weil wir dazu gezwungen wurden auszuwandern. Als Aktivist*innen tun wir uns auch weiterhin zusammen. Dabei bauen wir auf unseren Erfahrungen in Spanien auf. Die Basis unseres Zusammenschlusses ist die „Paella-Versammlung“. Marea Granate heißt übrigens „granatapfelrot“ und ist die Farbe unserer Reisepässe.

 

Frank: Gibt es Marea Granate nur in Deutschland?

Nuria: Als Marea Granate sind wir sozusagen der globale Arm der Bewegung 15M im Exil. Es existieren Gruppen auf fast allen Kontinenten, neben Europa vor allem in den Amerikas (Nord, Mittel und Süd) und in Australien. Einmal im Monat haben wir eine weltweite Vollversammlung im Internet, wo wir alles besprechen und uns über die aktuellen Entwicklungen in Spanien austauschen. Natürlich tauschen wir uns auch über die Situation in den jeweiligen Ländern aus, in denen wir im Exil leben müssen.

 

Frank: Wie organisiert ihr euch? Und wer kann bei euch mitmachen?

Neben der schon erwähnten „Paella-Versammlung“, zu der wir immer zum zweiten Sonntag im Monat in das FAUD-Lokal V6 in Düsseldorf einladen, organisieren wir uns vor allem über das Web und soziale Medien. Neben der Möglichkeit, unsere Homepage zu besuchen, kann man uns auf Twitter folgen oder via Facebook Kontakt mit uns aufnehmen. Untereinander nutzen wir Whatsapp und oft telefonieren wir auch ganz klassisch miteinander. Die Basis unserer Organisation ist aber die Versammlung. Dort besprechen wir alles, planen unsere Aktivitäten und integrieren neue Aktivist*innen.

Mitmachen darf bei uns eigentlich jede/r, der/die unsere Ziele teilt und unsere Art der Organisation akzeptiert. Du musst also keine Spanierin sein um bei uns mitmachen zu können. Allerdings ist unsere Verkehrssprache Spanisch.

 

Frank: Was sind eure Ziele? Und was sind eure konkreten Aktivitäten?

Nuria: Wir haben vier Ziele formuliert, die wir durchsetzen wollen:

Rückkehr zu einem Wahlrecht auf dem Stand von vor 2011. Das aktuelle Wahlrecht führt dazu, dass nur knapp 3 Prozent der im Exil lebenden Spanier*innen überhaupt an den Wahlen in Spanien teilnehmen. Seit der Krise sind viele Kritiker*innen der Regierung und speziell der konservativen ins Exil gegangen. Durch das neue Wahlrecht, das es schwieriger macht sich an den Wahlen zu beteiligen, werden zehntausende Stimmen erst gar nicht abgegeben und die Wahlen so ganz legal gefälscht.Gleicher und kostenloser Zugang zum Gesundheitssystem für alle. Nicht nur für Spanier*innen, sondern tatsächlich für alle. Nach einer sogenannten Gesundheitsreform ist es aktuell so, das Spanier*innen, die länger als drei Monate im Ausland sind, nicht mehr in Spanien versichert sind.Abschaffung der prekären Arbeitsverhältnisse. Es muss Schluss sein mit schlecht bezahlten und unsicheren Arbeitsverhältnissen. Arbeit auf ein paar Monate oder ein Jahr zu befristen oder nur noch über Sklavenhändler zu erhalten ist ein unannehmbarer Zustand, gegen den wir uns richten.Für die tatsächliche, bedingungslose innereuropäische Freizügigkeit. Bisher kann sich nur das Kapital in Europa wirklich frei bewegen. Uns, die wir nichts außer uns selbst haben, wird diese Freiheit faktisch verwehrt. Aber als Europäer*innen müssen wir das uneingeschränkte Recht haben, uns überall in Europa vollkommen frei bewegen zu können.

Diese vier Ziele wollen wir aber nicht nur in Bezug auf Spanien durchsetzen. Vielmehr wollen wir diese auch dort durchsetzen, wo wir gezwungenermaßen leben müssen. Und wir wollen das nicht nur für uns – sondern für alle! Für Marea Granate NRW macht es keinen Unterschied ob jemand aus Afrika, Asien oder Europa gekommen ist. Wir denken, dass es niemandem zuzumuten ist, unter prekären Bedingungen zu arbeiten, von politischer Mitwirkung ausgeschlossen zu sein, keinen oder nur einen auf Basis des Einkommens beschränkten Zugang zum Gesundheitssystem zu haben oder sich in Europa nicht frei bewegen zu dürfen.

Neben einer Kundgebung im Mai vor dem Spanischen Konsulat, die leider wegen einer Unwetterwarnung kurzfristig ausfallen musste, entwickeln sich unsere Aktivitäten vor allem um das Online-Büro, das oficina precaria. Mit der Kundgebung wollten wir eigentlich gegen das neue „Sicherheitsgesetz“ demonstrieren. Mittlerweile ist es in Kraft und es gibt schon erste Opfer des Gesetzes. Uns erinnert diese Politik stark an das Frankistische Regime, das nach 40 Jahren wieder immer offener zu Tage tritt. Im Oktober werden wir anfangen, weitere Aktivitäten zu entwickeln. Unter anderem wollen wir eine Soli-Party organisieren. Wir brauchen natürlich Geld für Veranstaltungen und Publikationen. Mit der Party wollen wir aber auch auf uns aufmerksam machen und uns in Düsseldorf bekannt machen.

 

Frank: Du sprichst von Wahlrecht und politischer Mitwirkung. Ist Marea Granate so etwas wie eine neue Partei?

Nuria: Nein – Wie schon gesagt sind wir ein Teil der 15M Bewegung, der Indignados (der Empörten). Das bedeutet, dass wir wie Millionen andere Spanier*innen jedes Vertrauen in die Parteien und Politiker*innen verloren haben. Trotzdem haben wir aber eine politische Meinung. Diese drückt sich in unseren Zielen aus. Wir glauben aber nicht, dass wir diese als Partei durchsetzen könnten. Stattdessen müssen wir als reale soziale Bewegung, die sich selbst organisiert, die politische Kaste dazu zwingen, unsere Ziele umzusetzen.

 

Frank: Zurück zu euren Aktivitäten. Was ist das Online-Büro? Und welche Aktivitäten entwickeln sich daraus?

Nuria: Das oficina precaria ist unser Online-Büro, das heißt wir bieten den Menschen die Möglichkeit, sich mit all ihren Problemen und Fragen via E-Mail oder „privater Nachricht“ über Facebook bei uns zu melden. Bei vielen Problem können wir selbst helfen. Bei Problemen mit der Arbeit leiten wir die Leute an die FAU Düsseldorf weiter. Diese berät und unterstützt die Arbeiter*innen bei ihren Problemen. Ende Oktober laden wir ins FAUD-Lokal V6 zu einer Versammlung ein. Ziel ist es, eine Grupo de Acción Syndical zu gründen. Wir laden dazu extra Kolleg*innen der G.A.S. aus Berlin ein, die kurz vorher auf einem Treffen mit G.A.S. Paris gewesen sein werden. Die FAU Düsseldorf hat uns hier schon Unterstützung zugesagt. Wenn G.A.S. in Düsseldorf aktiv und handlungsfähig werden soll, dann werden wir nicht darum herumkommen, etwas über die Arbeitsgesetze in Deutschland zu lernen. Die FAU Düsseldorf wird im Winter also Seminare zum kollektiven und individuellen Arbeitsrecht organisieren und auch ein Organizing-Seminar. Die Seminare sind natürlich nicht nur für G.A.S., sondern für alle Interessierten offen. G.A.S.-Gruppen entstehen gerade weltweit. Dieser Prozess wird nötig, da wir den ständigen Angriffen von oben einen Klassenkampf von unten entgegenstellen müssen. Die Paella-Versammlungen und G.A.S. sind die zwei Seiten der Münze unseres Widerstandes.

 

Rita: Manel, du bist Aktivist bei G.A.S. Kannst du uns noch etwas genauer erklären was G.A.S. ist?

Manel: Die „Grupo de Acción Sindical“ (Gewerkschaftliche Aktionsgruppe) 15M-G.A.S. ist eine Arbeitsgruppe der spanischen 15M-Bewegung (die Empörten), deren Aufgabe darin besteht, Arbeiter*innen zu helfen, sich an ihrem Arbeitsplatz zu organisieren.

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Rita: Was sind eure Ziele?

Manel: Eines unserer ersten Ziele ist es, die Einwander*innen zu unterstützen, um letztendlich ihre Integration in das deutschen Arbeitssystem und die Gesellschaft zu erreichen. Eigentlich spielen wir eine wichtige Bindungsrolle. Wir versuchen, nicht einfach als Service-Büro zu arbeiten. Wir wollen, dass die kämpfenden Beschäftigten die konkrete Form der angewandten Aktion für jede Auseinandersetzung selbst wählen und dass der Arbeitskampf mit unserer Hilfe selbstverwaltet stattfindet. Wir arbeiten grundsätzlich mit Arbeiter*innen-Gruppen. Individuelle Fälle leiten wir an eine andere Gruppe weiter, nämlich an das oficina precaria von Marea Granate. In der Praxis sieht es aber so aus, dass wir zur Zeit keinen kollektiven Fall haben (wir sind eine gerade neu entstandene Gruppe) und darum sind alle Mitglieder der G.A.S. momentan bei individuellen Fällen des oficina precaria voll involviert.

 

Rita: Wie organisiert ihr euch?

Manel: Alle wesentlichen Entscheidungen werden in Vollversammlungen getroffen. Funktionsträger*innen sind weisungsgebunden und können keine Beschlüsse fassen. Die Ämter sollen rotieren und sind natürlich unbezahlt. Wir haben keine Hierarchie und wir lehnen diese ab. Unsere Tätigkeiten basieren auf der Grundlage von Solidarität und gegenseitiger Unterstützung. Wir stehen keiner politischen Partei nahe. Wir sind unabhängig von anderen politischen und gewerkschaftlichen Organisationen. Das heißt nicht, dass unsere Leute nicht Mitglieder anderer Organisationen sein dürfen.

 

Rita: Wo kommt ihr her?

Manel: Die Gruppe gewerkschaftliche Aktion (G.A.S.) Nordrhein Westfalen kommt aus der Bewegung „15M Berlin“ und sie hat das Ziel, die ausgewanderten Arbeiter*innen zu unterstützen, um gemeinsam ihre Interessen an ihren Arbeitsplätzen zu vertreten und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dabei haben wir nicht nur die Unterstützung vieler deutschen Arbeiter*innen, sondern auch von deutschen Gewerkschaften. Wir kämpfen gegen Lohn-Dumping, Ausbeutung und Diskriminierung. In NRW bekommen wir gerade sehr viel Hilfe beim Aufbau durch die FAU.

 

Rita: Wer kann bei euch mitmachen?

Manel: Hauptsächlich arbeiten wir mit Migrant*innen, die Spanisch sprechen können, weil Spanisch unsere Verkehrssprache ist. Natürlich sind wir offen für alle Einwander*innen. Die meisten von uns können auch Englisch und wir werden uns sehr freuen, wenn Leute aus der ganzen Welt bei uns mitmachen wollen.

 

Rita: Wo gibt es G.A.S.?

Manel: In Moment nur in Deutschland. Es gibt aktuell drei aktive Gruppen: Berlin, Hamburg und NRW (Treffpunkt Düsseldorf). Außerdem gibt es Aktivist*innen in anderen Orten in Deutschland und Europa (z. B. Straßburg, Frankreich), die Interesse haben.

 

Rita: Was sind eure konkreten Aktivitäten in NRW?

Manel: Die neue Gruppe in NRW ist immer noch zu klein und wir haben uns bis jetzt nur mit individuellen Fällen beschäftigt. Darüber hinaus setzen wir unsere Kräfte in die Verbreitung der Gruppe, um uns sichtbarer zu machen und neue Mitstreiter*innen zu gewinnen.

 

Frank: Noch mal zurück zu Marea Granate. Nuria, du hast jetzt schon mehrfach die „Paella-Versammlung“ erwähnt. Was hat es damit auf sich?

Nuria: Unsere Treffen finden am Mittagstisch statt. Auf deutsch sagt man glaub ich „Ohne Mampf kein Kampf“. So ist es bei uns auch. Weil viele von uns Valencianos sind, also aus Valencia stammen, dem Ursprung der Paella, gibt es eben eine Paella. Wären wir aus Navarra, wäre es wohl eine Tortilla-Versammlung. Beim gemeinsamen Essen lernen wir uns gegenseitig kennen. Wir diskutieren nicht nur politisch, sondern tauschen uns über alle Aspekte unseres Lebens aus. Durch das Essen wird das Treffen auch weniger „formell“ und so nehmen auch ganze Familien an der Versammlung teil. Essen integriert. Vielleicht kann man es ein wenig mit dem sozialrevolutionären Abendbrot der FAU Düsseldorf vergleichen?

 

Frank: Ja, vielleicht kann man das. Gibt es noch etwas, was ihr unbedingt sagen wollt, was wir aber bisher noch nicht gefragt haben?

Nuria: Ja sicher (lacht). Wir wollen uns bei der FAU Düsseldorf und der FAU Duisburg für ihre selbstlose und herzliche Unterstützung bedanken. Und dann möchten wir natürlich alle Freund*innen des Widerstands, die ähnliche Ziele haben wie wir, einladen mit uns gemeinsam zu kämpfen. Uns geht es um gleiche Arbeit, gleiche Rechte und gleiche Möglichkeiten für alle Menschen. Egal aus welchem Land der Welt sie kommen. Wir sind überzeugt, dass wir das nur gemeinsam schaffen und dass wir dies nur auf den neuen Wegen schaffen können, die seit dem Ausbruch der Krise weltweit entstanden sind.Manel: Genau, wir möchten alle Interessierten herzlich einladen zu unseren Treffen zu kommen. Dabei spielt es keine Rolle ob ihr uns nur mal kennen lernen wollt, einen individuellen Fall habt, bei der G.A.S. mitmachen wollt oder Lust habt mit uns zusammen irgendeine Veranstaltung zu organisieren. Und vielleicht kommt ihr ja aus einer Stadt wo es bisher weder eine Gruppe der Marea Granate noch eine der G.A.S. gibt, dann helfen wir euch gerne beim Aufbau einer Gruppe und der Organisation von ersten Veranstaltungen.

Frank und Rita: Wir bedanken uns für das Interview.

MEHR ALS NUR ANTI-FASCHISMUS

Des letzten Rätsels Lösung: Schwarze Schar

Obwohl die Gründung der „Schwarzen Schar“ eine direkte Reaktion vorwiegend junger Mitglieder der Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) und der Syndikalistischen-Anarchistischen Jugend Deutschlands (SAJD) auf das Erstarken der faschistischen Bewegung in Deutschland war, so hat sie sich nie einzig und allein als antifaschistischen Kampfbund verstanden. Vielmehr wollte sie dem zahlenmäßigen Niedergang der anarcho-syndikalistischen Bewegung entgegenwirken und die Isolation der Bewegung aufheben.

Im Oktober 1929 kommt es im heutigen Racibórz zur ersten Gründung einer Schwarzen Schar. Entgegen allen Gepflogenheiten der FAUD tragen ihre Mitglieder Einheitskleidung: „Zu ihrer Uniform gehören schwarze Bluse, schwarze Baskenmütze, Koppel und Schulterriemen. Das anarchistische Symbol der Gegnerschaft gegen Rechtsordnung und Staatsgewalt, die Darstellung eines zerbrochenen Gewehrs, findet sich auf den Koppelschlössern sowie auf den Mützenkokarden der ‘Schwarzen Schar’.”

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Noch im Laufe desselben Jahres gründen sich in weiteren Orten in Oberschlesien (Beuthen, Rosenberg, Katscher, Gleiwitz und Bobrek-Karf) Schwarze Scharen. Im Sommer 1930 entsteht dann auch eine Schar in Berlin und ab 1931 folgten weitere Gruppen in anderen Orten der Republik (Wuppertal, Kassel, Suhl und Darmstadt). Denn Übergriffe der Nazis, aber auch Anfeindungen der KPD, machten es immer häufiger nötig, Veranstaltungen der FAUD zu schützen. Letztere kritisierte die „Schwarzen Scharen“ zwar ob ihrer Uniformierung und ihres gewalttätigen Auftretens, griff aber immer wieder auf die jungen GenossInnen zurück.

Die Gesamtstärke der Organisation kann leider nicht mehr genau festgestellt werden. Bis zur Machtübergabe an die Nazis lässt sich ihre Mitgliederzahl aber mit 250 bis 500 AktivistInnen veranschlagen. Um die Basis der anarcho-syndikalistischen Bewegung wieder zu vergrößern, gingen diese Gewerkschaftsmitglieder neue Wege in der Agitation. Einerseits scheuten sie sich nicht, offensiv aufzutreten (Musikzüge, motorisierte Demonstrationszüge, Theatergruppen usw.). Andererseits gingen sie mit ihren Agitationstouren speziell in die Kleinstädte und das umliegende Land. Ziel ihrer Agitation waren dort vor allem das Landproletariat und die Kleinbauern. Auch wenn sie ihrem selbstgesteckten Ziel nicht gerecht wurden, die FAUD wieder für die Masse der ArbeiterInnen attraktiv zu machen, so blieb ihre Agitationstätigkeit doch nicht ohne Wirkung.

Die Wuppertaler Gruppe der „Schwarzen Schar“ besaß mehrere Revolver und einen Karabiner. Um im Kampf gegen den Faschismus erfolgreich zu sein, gingen sie breite Bündnisse ein. So bildeten die Wuppertaler mit der „Sozialistischen Arbeiter-Partei Deutschlands“ (SAPD), der „Kommunistischen Partei-Opposition“ (KPO) und den „Partisanen“ eine überparteiliche „Kampfgemeinschaft gegen Faschismus und Reaktion“.

Bekanntlich ist es den „Schwarzen Scharen“ nicht gelungen, die Nazi-Diktatur zu verhindern. Trotzdem leisteten nicht wenige Mitglieder in Deutschland bis zum Untergang des 1000-jährigen Reiches Widerstand. Andere gingen ins Exil und waren an der Gruppe „Deutsche Anarchosyndikalisten im Ausland“ (DAS) beteiligt. Dazu gehören neben vielen anderen die ehemaligen Mitglieder der „Schwarzen Schar“ Johannes Noll, Paul Brunn, Karl Liereck und Ernst Petri (Berlin), Willy Paul und Fritz Schröder (Kassel), Gustav Doster und Helmut Thomas (Darmstadt) sowie Fritz Benner, Arnold Engels und Helmut Kirschey (Wuppertal).

FAUD CON GAS …oder wie die „Granatrote Flut“ an Düsseldorfs Ufer schlug

Seit Sommer 2015
bietet die FAU Düsseldorf zusammen mit der Grupo de Acción Sindical NRW eine
kostenlose gewerkschaftliche Erstberatung an. Die meisten spanischsprechenden
Arbeiter*innen, die seitdem zu uns gekommen sind, haben den Weg über das Oficina
Precaria
 von Marea Granate NRW genommen. Die Probleme der Kolleg*innen
sind bisher sehr ähnlich – wenn es auch einige Ausreißer gegeben hat, die wir
nur an Rechtsanwält*innen weiterleiten konnten. Fast immer geht es um
Unregelmäßigkeiten mit dem Lohn, Fragen zum Urlaub, zu Arbeitszeiten und
natürlich auch immer wieder um Kündigungen. Zwei Konflikte möchten wir euch
etwas näher vorstellen, da sie unserer Meinung nach nicht nur exemplarisch
sind, sondern auch über reine Abwehrkämpfe hinausgehen.

GAS_NRW.jpgMARIA UND DAS HOTEL

Maria hat eine Berufsausbildung in Spanien gemacht, in der
Tourismusbranche. Im März 2015 fing sie als Putzfrau in einem Hotel in der
Düsseldorfer Altstadt an. Noch in der vertraglichen Probezeit von sechs Monaten
wurde sie aufgrund eines Arbeitsunfalls entlassen. Als sie zu uns kam, hatte
sie natürlich erst einmal eine ganze Reihe von Fragen, zum Beispiel, ob es in
Deutschland üblich ist, dass Arbeiter*innen Arbeitsunfälle selbst bei der
Berufsgenossenschaft melden müssen. Doch die wichtigste Frage:

Was tun?

Wir haben ihr dann die grundsätzlichen rechtlichen Rahmenbedingungen
erklärt und, nachdem sie sich dazu entschlossen hatte, ihr auch geholfen beim
Arbeitsgericht zu klagen. Die Bosse hielten es nicht für nötig zum Gütetermin
zu erscheinen. Uns war es recht, bekam Maria so doch einen vollstreckbaren
Titel in Form eines Versäumnisurteils. Das bedeutet, dass sie ihre Forderungen durch einen Gerichtsvollzieher pfänden lassen kann. Damit war die Frage „Was tun?“ noch
lange nicht beantwortet. Also haben wir uns danach noch einmal getroffen und
gemeinsam überlegt, was wir noch tun könnten. Das Ergebnis unseres gemeinsamen
Nachdenkens war:

Eine Demo für unsere Würde

Bei dieser Demo ging es nicht darum, vor einer juristischen
Entscheidung Druck auf die Bosse auszuüben. Juristisch war der Fisch gegessen –
nein, es ging Maria und uns einzig und alleine darum, zu zeigen, dass wir als
Arbeiter*innen uns die Frechheiten der Bosse in Düsseldorf nicht länger
widerspruchslos gefallen lassen. Marias Aufruf, sie bei der Behauptung ihrer
Würde als Arbeiterin zu unterstützen, kamen gut 20 Menschen nach. Neben
Mitgliedern der FAU Düsseldorf kamen vor allem Unterstützer*innen aus den
Reihen von Marea Granate NRW, GAS NRW und der FAU Duisburg, die uns von Anfang
an tatkräftig unterstützt hat. Am Samstag, den 5. März versammelten wir uns
direkt am Hotel. Knapp zwei Stunden riefen wir zusammen Slogans in unseren
verschiedenen Muttersprachen:

Spanisch: No hay pan – para
tanto chorizo

Französisch: Qui sème la
misère, récolte la colère

Englisch: an injury to
one – an injury to all

An dieser Stelle müssen wir uns auch bei den zahlreichen
Menschen bedanken, die uns spontan ihr Interesse und ihre Solidarität bekundet
haben. Ganz besonders bedanken wir uns bei dem Bäcker der es sich nicht nehmen
ließ, seine Pause dafür zu nutzen, uns mit einem neuen Slogan zu versorgen:
„Helau! Helau! Hier arbeitet man für lau!“. Besonderes Erstaunen erregte die Tatsache,
dass wir „den ganzen Aufriss“ (was ganz offensichtlich positiv gemeint war) für
eine einzige Kollegin veranstalteten. Die Aktion zeigte noch am gleichen Abend
eine unerwartete Wirkung: beide Hotelchefs meldeten sich reuig aus dem Urlaub
mit der Ansage, alles schnellstens richtigstellen zu wollen (Was sie dann
erwartungsgemäß nicht taten).

KHADIJA UND DIE
REINIGUNGSFIRMA

Khadija ist ausgebildete Altenpflegerin. Ohne
Deutschkenntnisse bekommt sie in diesem Bereich keine Arbeit. Also hat sie erst
einmal angefangen zu putzen. Als sie krank wurde, wurde sie entlassen.
Allerdings war ihre Probezeit schon vorbei, eine Kündigung also nicht einfach
so möglich. Auch sie entschloss sich, mit unserer Hilfe zum Arbeitsgericht zu
gehen. Sie hat zum einen gegen ihre Entlassung geklagt und zum anderen
ausstehende Löhne eingeklagt. Gegen das Versäumnisurteil wegen der Kündigung
hat der Boss Berufung eingelegt. In dieser Sache werden wir ihn also noch
einmal zum Arbeitsgericht müssen. Aber auch Khadija wollte von Anfang an mehr
als nur ihr juristisches Recht.

Und jetzt kommt Ihr ins Spiel:

Achtet auf Ankündigungen, denn ab Mai werden wir je nach
Bedarf kurzfristig zu mindestens einer Kundgebung aufrufen. Schaut auf
… unsere Homepage fau-duesseldorf.org
… und unseren Blog vsechs.blogsport.eu
… oder folgt uns auf Twitter: twitter.com/faudsseldorf

Eines ist
klar: This is not the end – only the beginning.

F.T. und
B.R., FAU Düsseldorf

FAUD-Bus nach Brüssel

 | @ljoscha

Start: 14.12.01, 5.00 Uhr, am Düsseldorfer Hauptbanhof (Busbahnhof Worringerstr.) Zurück: 15.12.01, 21.00 Uhr (genauer Ort wird im Bus bekannt gegeben!)

Das Ticket kostet erst einmal maximal 40 DM. Sollte es noch billiger werden, dann wird entweder das “zuviel” gezahlte Geld zurück bezahlt oder, nach dem willen aller an an eine bestimmte Organisation, Gruppe, einem Projekt etc überwiesen.

Bringt Isomatten und Schlafsäcke mit! Wir bemühen uns um kostenlose Pennplätzen für alle! Weiter lesen „FAUD-Bus nach Brüssel“

Unruhe im König-Reich

Arbeitskampf der FAU München

 | Rudolf Mühland

Kampagnenlogo der FAU als Wimpelkette bei der Kundgebung vor dem Lenbachhaus, 23.3.21 – Foto: FAU München (CC BY-SA 3.0 DE)

Das Königreich hat mehrere Provinzen, einen Reichsverweser und einen König mit eigener Burg in Köln. Seine Untertan:innen unterteilen sich grob in zwei Gruppen: Einerseits die Provinzverweser und der niedere Adel und andererseits das gemeine Volk. Nachdem das Land durch einen schweren Fluch getroffen war, litt das gemeine Volk besonders hart. Und so begab es sich, dass sich in einer Provinz eine Schar zum Ritter:innen-Orden der schwarzroten Katze auf den Weg machte, um diesen um Unterstützung anzufragen…

Hintergrund

Walther König ist eine Buchhandelskette und ein Verlag mit Sitz in Köln. Buchhandlung und Verlag sind auf Buchtitel aus dem Bereich Kunst, Architektur, Design, Photographie, Film und Mode spezialisiert. Die rund 45 Filialen, die es in Europa gibt (u. a. in Düsseldorf, Bonn, Essen, Münster, Berlin, Dresden, Frankfurt a. M., Hamburg, Nürnberg, Stuttgart, Amsterdam, Brüssel, London, Mailand, Paris und Wien), sind überwiegend in Museen oder in direkter Nähe zu Museen zu finden.

Schon im Dezember 2020 wandten sich die studentischen Beschäftigten der Münchner Filialen der Buchhandelskette Walther König mit einer zentralen Frage an die Freie Arbeiter:innen Union (FAU): „Ist es legal, dass wir während des Lockdowns Minusstunden anhäufen, die wir anschließend alle abarbeiten müssen?“ Da es sich bei den studentischen Beschäftigten allesamt um sogenannte „Werkstudenten“ handelt, werden für diese keine Beiträge in die Arbeitslosenversicherung abgeführt (1). Praktisch bedeutet dies, dass die studentischen Beschäftigten während der Pandemie nicht zur Kurzarbeit angemeldet werden konnten. Eigentlich hätte nun die Firma Walther König die Löhne in voller Höhe weiter zahlen müssen. Stattdessen wurden schon während des ersten Lockdown der ohnehin niedrige Lohn von 9,85€ um 40 Prozent reduziert.

Auf die Forderungen reagierte die Firmenleitung mit Härte: So wurden nicht einmal die gekürzten Februargehälter überwiesen und kurz darauf sämtlichen Werkstudent:innen in München gekündigt!

Damit aber nicht nicht genug. Rund die Hälfte des dann noch ausgezahlten Lohnes betrachtete der König als Vorschuss, der später abgearbeitet werden sollte. Dies ist natürlich der plumpe Versuch einerseits auf die Unwissenheit der Beschäftigten und anderseits auf ihre Untätigkeit zu setzten. In Wahrheit handelt es sich hierbei nämlich um den sogenannten „Annahmeverzug“. Was bedeutet das? Annahmeverzug entsteht immer dann, wenn Arbeiter:innen ihre Arbeitskraft, wie im Vertrag ausgemacht, anbieten, der Boss, diese aber nicht annimmt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Bosse von sich aus entscheiden, die Leute nicht arbeiten zu lassen, oder ob im Rahmen einer Pandemie bestimmte Tätigkeiten schlicht untersagt sind. Letzteres fällt unter das sogenannte „Betriebsrisiko“ – und das liegt nun mal beim Boss!

Der Konflikt

Nicht genug damit, dass König versucht, sein Betriebsrisiko auf die studentischen Arbeiter:innen abzuwälzen. Die FAU fand im Gespräch mit den Kolleg:innen schnell heraus, dass es weitere Missstände gibt. Augenscheinlich wurde den Kolleg:innen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ebenso vorenthalten, wie der bezahlte Urlaub. In beiden Fällen haben sie „Minusstunden“ geschoben, die sie später abarbeiten mussten. Beide Vorwürfe werden naturgemäß bestritten. Einerseits sollen die Löhne im Krankheitsfall regulär gezahlt worden sein, andererseits sei der Urlaub durch „Abgeltung“ gewährt worden. Mittlerweile häufen sich bundesweit die Berichte von (ehemaligen) Arbeiter:innen, welche die Mitteilung der Münchner Kolleg:innen bestätigen. Demnach wurde ihnen günstigstenfalls zugestanden, im Falle von Krankheit oder Urlaub ihre Schichten untereinander zu tauschen. Und das alles bei einem Lohn, der nur 50 bzw. 30 Cent über dem gesetzlichen Mindestlohn (2) liegt, und Arbeitsverträgen, die in der Regel auf ein Jahr befristet sind – was „kalte Entlassungen“ (3) sehr einfach erscheinen lässt.

Es lebe die Republik!

Als gute „Republikaner:in-nen“ (4) entschlossen sich die Kolleg:innen, sich in der FAU zu organisieren und dem König und seinem Reichsverweser (5) eine Liste mit Forderungen zukommen zu lassen:

  • Nachzahlung der Löhne, die wegen Krankheit nicht ausgezahlt wurden
  • Nachzahlung der Löhne, die wegen Urlaub nicht ausgezahlt wurden
  • Nachzahlung der Löhne, die wegen des Lockdowns nicht gezahlt wurden bzw. Streichung der illegitimen Minusstunden
  • Lohnerhöhung auf mindestens 11 € / Stunde
  • Einführung von Feiertags-, Nacht-, und Wochenendzuschlägen
  • Verlängerung sämtlicher befristeter Arbeitsverträge. (6)

Auf diese berechtigten Forderungen reagierte die Firmenleitung mit aller Härte: So wurden laut einer Pressemitteilung der FAU München nicht einmal die gekürzten Februargehälter überwiesen und kurz darauf sämtlichen Werkstudent:innen in München gekündigt! Auch diese Punkte werden schlussendlich vor dem Kadi landen.

Kundgebung vor dem Lehnbachhaus – Foto: FAU München (CC BY-SA 3.0 DE)

Und im Dorf….

In Düsseldorf (7) unterhält der König gleich drei Filialen: In der Kunsthalle und der Kunstsammlung NRW (K20), beide am Grabbeplatz, sowie im K21 Ständehaus auf der Ständehausstraße 1. Nachdem die FAU bundesweit Kontakte zu ehemaligen und aktuell beim König Beschäftigten geknüpft hat, gehen wir davon aus, dass die Situation an allen Standort sehr ähnlich ist. Wenn dem so ist, dann werden auch hier die Werkstudent:innen in schöner Regelmäßigkeit um ihre verbrieften Arbeitsrechte gebracht. Rechte, die einzig und allein Mindeststandards setzen! Schlimmer noch als das, wiegt aber die Tatsache, dass sie mit solchen Taktiken ganz konkret sowohl um ihren kargen Lohn als auch um ihre Lebenszeit gebracht werden.
Zu dem Zeitpunkt da wir diesen Artikel schreiben, dürfen wir noch nichts über unsere lokalen Bemühungen verraten. Wir holen dies schnellstmöglich nach. Bis dahin verweisen wir auf die Homepage der FAU München (fau-m.de) und darauf, dass die FAU Düsseldorf die Werkstudent:innen, die sich unter #NotMyKönig zusammengeschlossen haben, im Kampf für ihre Arbeitsrechte und ihre Würde tatkräftig unterstützt. Gleichzeitig sind wir in engem Kontakt mit den Syndikaten in NRW, um alle Arbeiter:innen, die sich gegen das System „König“ zur Wehr setzen wollen, schnell und effektiv zu unterstützen. Mit allen Mitteln die nötig sein werden, um diesen Kampf zu gewinnen.

Übrigens

Ihr könnt auch aktiv werden! Auf unserer Homepage 
(duesseldorf.fau.org) findet ihr einen Musterprotestbrief, den ihr gerne per Briefpost, E-Mail oder Kommentar in den sozialen Medien (u. a. bei Instagram und Facebook) dem König und seinem Reichsverweser zukommen lassen könnt. Darüber hinaus hat sich eine Initiative gegründet, die schon erste Onlinekonferenzen mit dem programmatischen Titel „Wie Künstler:innen mit Gewerkschaften zusammenarbeiten können“ abgehalten haben. Einen Kontakt stellt die FAU gerne her.

(1) „Werkstudentenprivileg“ – es entfallen außerdem die Beiträge zur Pflege- und Krankenversicherung.
(2) 2020 lag der gesetzliche Mindestlohn bei 9,35€. Seit 01.01.2021 liegt er bei 9,50 € und steigt ab 01. Juli 2021 auf 9,60 € die Stunde
(3) „Kalte Entlassung“ bedeutet in diesem Fall einfach der Verzicht darauf den Arbeitsvertrag zu verlängern und/oder einen neuen Arbeitsvertrag ab zu schließen.
(4) Diese Bezeichnung ist nur der Metapher des Kampfes „König vs. Republik“, also Willkür vs. Arbeitsrecht geschuldet und kein politisches Bekenntnis.
(5) Franz König, der Sohn von Firmengründer Walther König, übernahm die Geschäfte 2014. WK kümmert sich seither nur noch um das Antiquariat. Geschäftsführer ist Udo Milz.
(6) Unvollständige Liste aller Forderungen.
(7) Heimat des Autors

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

„Gewerkschaft braucht Versammlungsfreiheit“ – Ein subjektiver Demo-Bericht

| Regionalkoordination West – Orga

FAU bei der Demo gegen das Versammlungsgesetz NRW in Düsseldorf. Foto: Herbert Sauerwein

Am 26. Juni 2021 fand in Düsseldorf eine als „Großdemonstration“ angekündigte Versammlung gegen das geplante neue Versammlungsgesetz für Nordrhein-Westfalen (NRW) statt. Ursprünglich sollte diese am DGB-Haus (Nähe Hauptbahnhof) starten. Wenige Tage vorher wurde die Auftaktveranstaltung von den Organisator*innen allerdings auf die Rheinwiesen in Oberkassel (gegenüber der Altstadt) verlegt. Es zeichnete sich nämlich ab, dass mehr Leute kommen würden als ursprünglich erwartet…

Trotz der massiven und dominierenden Beteiligung autoritärer Gruppen und Organisationen waren auch zahlreiche Syndikate der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter*innen Union (FAU) an diesem Tag mit dabei. Sehr kurzfristig hatten wir angefangen, für einen eigenen „anarchistischen und syndikalistischen“ Block zu mobilisieren. Außerdem musste geklärt werden, wo sich unser Block in der Demonstration einreihen sollte. Es gab eigentlich nur zwei Möglichkeiten: entweder direkt hinter dem „Nationalismus ist keine Alternative (NIKA)“-Block (vorderes Drittel der Demo) oder ganz am Ende der Demo. Freundlicherweise konnten wir uns direkt hinter dem NIKA-Block einreihen. Mit uns zusammen liefen noch einige Anarcho-Kommunist*innen der Plattform, Mitglieder der Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen (FdA) und zahlreiche weitere Anarchist*innen, die mit ihren Bezugsgruppen gekommen waren. Die Mitglieder der FAU waren deutlich erkennbar. Zum einen an den FAU-Fahnen (die es nicht nur im klassischen schwarz-rot gibt, sondern auch in schwarz-lila und seit Neuestem auch schwarz-grün), zum anderen an den gelben Streikwesten mit Aufdruck „FAU – Gewerkschaft in Aktion“. Zusammen mit den anderen Anarchist*innen war dies sicherlich eine der größten anarchistischen/syndikalistischen Beteiligungen an einer Demonstration in NRW seit langer Zeit. Dies belegen auch die Reaktionen von einigen Teil-nehmer*innen, die uns immer wieder sagten, dass sie „einen solch großen Block der FAU in Düsseldorf noch nie gesehen“ hätten.

Weiter lesen „„Gewerkschaft braucht Versammlungsfreiheit“ – Ein subjektiver Demo-Bericht“

„Bei Stress mit dem Chef nicht alleine zu sein, ist unbezahlbar“ – Interview mit der FAU Düsseldorf

 | Interview: Eva Lasting

Die FAU Düsseldorf ist ein lokales Syndikat der Freien Arbeiter*innen-Union (FAU). Als Nachfolgerin der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) hält die Düsseldorfer Basisgewerkschaft an den Prinzipien des Anarcho-Syndikalismus nicht nur in der Theorie fest. Wie sieht also die gewerkschaftliche Praxis der FAU-D aus? Und welche Rolle spielen dabei die Betriebsgruppen? Über Strukturen, Aktivitäten und Herausforderungen der kämpferischen Basisgewerkschaft hat Eva Lasting mit den Mitgliedern der FAU-D gesprochen. (GWR-Red.)
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Beitrag Sammelband: Anarchistische Scheidewege Zum Verhältnis von Anarchismus und Antisemitismus

Mein Beitrag im Sammelband (erschienen März 2025):

Anarchismus und Antisemitismus

1.
Als ich angefragt wurde einen Beitrag zu einem Buch unter dem Arbeitstitel „Anarchismus und Antisemitismus“ zu schreiben, war ich hin und her gerissen.
Zum einen ist das Thema interessant, und vor allem sehr wichtig.
Zum anderen bin ich nicht der Typ, der „wissenschaftlich“ schreibt.
In sofern fällt dieser Beitrag jetzt ein wenig aus dem Rahmen dieses Buches.
Ich hoffe, dass der Platz, den mein Text beansprucht, nicht verschwendet ist.

2.
Meine „erste“ Begegnung1 mit Antisemitismus in der anarchistischen / anarchosyndikalistischen Bewegung war 1993.
Ich war in Barcelona und habe die „Exposición Internacional del Anarquismo“ besucht. Dort habe ich nicht nur zahlreiche Anarchistinnen getroffen, über die ich nur wenige Tage zuvor noch etwas gelesen hatte2, sondern auch zahlreiche „junge“ Anarchistinnen aus ganz Europa und Kanada.
Ich schloss mich einer kleinen multinationalen Gruppe an.
Dort lernte ich eine junge Anarchistin kennen. Sie war nicht nur Kanadierin, sondern auch Jüdin. Mit anderen zusammen zogen wir nachts um die Häuser und besuchten die anarchistischen Bars der Stadt. In einer der letzten Kneipen erzählte ein Anarchist aus Großbritannien, der als Jobvermittler beim Arbeitsamt arbeitete, dass er selbst ja nix gegen Juden habe, er aber nachvollziehen könne, dass viele Menschen etwas gegen die reichen „Geldjuden“ hätten.
Immerhin sei das schon auffällig,…. –
In meiner Erinnerung haben sie und ich uns kurz angeblickt. Irgendwie war klar, dass wir mit einem Betrunkenen nicht anfangen werden zu diskutieren.
Wir sind stattdessen gegangen.
Diese Begegnung ist mir besonders deutlich in Erinnerung geblieben.

3.
Meine nächsten Begegnungen mit Antisemitismus innerhalb der anarchistischen Bewegung, waren nicht nur von „außen“.
Vielmehr war ich oft genug selbst das Problem.
In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre fiel es mir noch sehr leicht vom „Apartheidstaat Israel“ zu reden.
Zum Glück hatte ich Genossinnen in meinem Umfeld, die Zeit und Geduld aufbrachten, um mir zu erklären was und warum das, was ich so alles von mir gab, Teil der antisemitischen Erzählung ist. In die selbe Zeit fallen die Gewerkschaftsproteste gegen internationale (meist US-amerikanische) Finanzinvestoren.
Die Gewerkschaften haben dabei häufig das Bild der alles vereinnahmenden Krake oder der alles auffressenden Heuschrecke verwendet.
Innerhalb der Gewerkschaften gab es aber auch Menschen, die sich gegen diese beiden (und noch ein paar andere) Erzählungen gestemmt haben.
Insgesamt hatte ich also das Glück, dass antisemitischen Erzählungen offen und öffentlich widersprochen wurde.
So hatte ich die Chance mich mit den antisemitischen Bildern und Erzählungen, die ich in meinem Leben, ohne es zu wollen, erlernt hatte, auseinander zu setzten.
Dieser Prozess ist sicher noch nicht abgeschlossen.

4.
Der Massenmord der islamistischen Hamas an über 1.000 Israelis am 7. Oktober 2023 war eine Zäsur.
Mich haben die verschiedenen „roten“ Gruppen nicht überrascht, die das Massaker und die Entführung von über 200 Menschen als „legitimen Widerstand“ verklärt haben.
Aufgrund ihres marxistischen/leninistischen Antiimperialismus hatte ich von diesen Gruppen nichts anderes erwartet.
Überrascht haben mich queere, feministische und vor allem anarchistische/anarchosyndikalistische Gruppen/Organisationen und Menschen, die in ein ähnliches Horn bliesen.
Seit dem Angriff der Hamas und ihrer Verbündeten haben antisemitische Angriffe in der BRD (Europa/weltweit) zugenommen.
Im Schnitt haben sie sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verdoppelt.3
Hat mich schon das Schweigen vieler Gruppen verunsichert, so hat mich so manche Äußerung wirklich erschüttert.
Das Schweigen, auch meiner eigenen Organisation, konnte ich mir eine Zeit lang noch damit erklären, dass die Leute erst einmal intern diskutieren müssen.
Schließlich ist das Thema Israel/Palästina ein „heißes Eisen“ und komplex.
Aber je länger das Schweigen dauerte und die Angriffe auf Juden und Jüdinnen weltweit weiter gingen, desto mehr wurde mir das Versagen (auch das eigene) bewusst.
Gegen das eigene Versagen kann man ja zum Glück etwas unternehmen.
Also fing ich an, nach anarchistischen Verlautbarungen zu suchen, die meiner Haltung einen Ausdruck verleihen konnten.
Ich schlug diese meinem Syndikat vor und bat darum, dass wir diese auf unserer Homepage veröffentlichen sollten.
Leider wurde das von einer kleinen Gruppe ohne Begründung und vor allem ohne Diskussion abgelehnt.
Und das war dann auch der Punkt, wo ich fast den Boden unter meinen Füßen verloren habe.
Im eigenen Syndikat, aber auch darüber hinaus gab es Anarchist:innen, die sich nicht dazu bereit fanden, den sich neu bahnbrechenden und aktionistischen Antisemitismus in Deutschland zu verurteilen.
Stattdessen kamen immer wieder andere Ausreden und jede Menge „was ist mit,…“
Getoppt wurde alles durch Schuldzuweisungen, à la „die Juden sind selbst schuld!“3.1
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es schnell gehen kann, dass man antisemitische Erzählungen wiederkäut.
Entscheidend ist die Bereitschaft, wenn man schon darauf aufmerksam gemacht wird, sich damit auseinander zu setzten.
Denn einerseits hat man ja vielleicht etwas zu sagen.
Und andererseits ist man ja vielleicht auch kein überzeugter Antisemit.
Aus dieser Gemengelage ergibt sich meiner Meinung nach die Pflicht, sich im Zweifel noch einmal hin zu setzten und zu überlegen wie man das, was man vielleicht eigentlich sagen wollte, so mitteilen kann, dass es eben nicht anschlussfähig an antisemitische Erzählungen ist oder gar selbst eine antisemitische Erzählung wiederholt.
Stattdessen beobachtete ich eine Verhärtung der angeblich „pro“-palästinensischen Positionen und die komplette Abwehr jeglicher Kritik, egal aus welcher Richtung diese kommt.
Stattdessen beruft man sich zusehends auf „antizionistische“ Juden und bringt diese in Stellung gegen die als „Zionisten“ markierten Kritiker:innen.4

5.
Aber wie kommt es, dass auch einige Anarchist:innen einerseits antisemitische Erzählungen wiederkäuen und anderseits nicht willens oder auch nur in der Lage sind in diesem Punkt Kritik anzunehmen?
Ich bin leider nicht in der Situation, um eine ausgereifte Theorie zu dieser Frage zu konstruieren. Aber ich denke, dass es an mehreren Faktoren liegt.
Zum einen wähnen sich Anarchist:innen grundsätzlich auf der „richtigen Seite“.
Unter diesem Gesichtspunkt, können sie sich keine Fehler eingestehen.
Dann haben einige von ihnen sicher auch ein sehr einfaches Konzept von Unterdrückern auf der einen Seite und Unterdrückten auf der anderen Seite.
In diesem einfachen Bild sind Juden/Jüd:innen die Unterdrücker und die Palästinenser die Unterdrückten5.
Und nicht nur das – als Opfer des NS-Faschismus werden sie in ihrer Rolle als Unterdrücker mit den Nazis und ihren Methoden gleichgesetzt.
Als Anarchist:innen sind sie natürlich auch „gegen den Staat“.
Dabei vergessen sie, dass Anarchist:innen gegen die Idee des Staates insgesamt sind, und, schon seit Peter Kropotkin wissen, dass der Staat eine ganze Reihe von gesellschaftlichen (sozialen/kulturellen) Aufgaben an sich gerissen hat.
Zusammen mit der Erkenntnis, dass der Staat kein Ding ist, das man zerschlagen kann sondern ein gesellschaftliches Verhältnis zwischen den Menschen6, ist eigentlich klar, dass Anarchist:innen nur dann „den Staat“ abschaffen können, wenn sie vorher schon die Keimzelle für ein neues Verhältnis gelegt haben.
Und das im globalen Maßstab.
Durch dieses „Vergessen“ fällt es ihnen leicht, die Vernichtung Israels (free palestine-from the river to the sea)7/8 zu fordern.
Und da sind wir auch schon wieder beim nächsten Problem:
Wann immer man versucht mit ihnen über Antisemitismus hier(!) und jetzt zu reden, gehen sie über zum Israel-Palästina-Konflikt.
Sie können Juden und Jüdinnen nur noch als Zionisten oder Antizionisten sehen.
Egal wo auf der Welt sie leben und egal was sie dort machen oder wie alt sie sind.
Nicht unwichtig scheint mir auch die, den Kritiker:innen unterstellte „Staatsnähe“ zu sein.
Mit ihrem Bekenntnis zum „palästinensischen Volk“ treten sie in Opposition zur deutschen Staatsräson.
So kann man sich ohne großes persönliches Risiko noch einmal rebellisch fühlen und gegen „die da oben“ aufbegehren.
Ein Argument, das ich immer wieder gehört habe, war, dass die Anarchist:innen „auf der ganzen Welt“ für das „palästinensische Volk“ wären.
Und dass nur in Deutschland Anarchist:innen Antideutsche (das meint „zionistische“) Positionen übernommen hätten.
So als ob die Mehrheit automatisch recht hätte oder Deutschland nicht der Staat wäre, der den Holocaust organisiert und weltweit antisemitische Gruppen und Organisationen unterstützte.
Vielleicht spielt auch die Art und Weise, wie die Palästinenser9 gegen Israel kämpfen, eine Rolle.
So herrscht angesichts der eigenen Ohnmacht vielleicht eine klammheimliche Freude darüber, dass es Gruppen gibt, welche den vermeidlich übermächtigen Feind10 mit der Waffe in der Hand gegenüber treten11..
Zu guterletzt scheint es mir auch so, dass einige Anarchist:innen von Rassismus und Antisemitismus falsche Vorstellungen haben.
Der grundlegende Unterschied zwischen beiden Konzepten scheint nicht allen klar zu sein. Deshalb erscheint es ihnen wie ein einzelnes Phänomen.

6.
Bei einigen Anarchist:innen habe ich jede Hoffnung aufgegeben, dass sie noch einmal ihren Antisemitismus überdenken.
Bei allen anderen bleibt nur die Hoffnung12.
Was es zuallererst braucht, ist die Bereitschaft Kritik anzunehmen und sich ernsthaft damit auseinanderzusetzten.
Aber das reicht nicht aus.
Es braucht auch den Willen, zu akzeptieren, dass wir als Bewegung weit davon entfernt sind realpolitische Macht entfalten zu können.
Eben weil das so ist, werden „wir“ auch nicht den Israel-Palästina-Konflikt lösen.
Darum geht es auch nicht.
Es geht um Antisemitismus hier und jetzt.
Dabei ist es besonders wichtig den Antisemitismus in den eigenen Reihen zu thematisieren.
Wenn wir dies tun, dann können wir klar gegen jeden Antisemitismus13 Stellung beziehen und uns schützend14 neben Juden und Jüd:innen stellen.
Entgegen der Behauptung derjenigen, welche die antisemitischen Erzählungen weiter verbreiten, werden wir dabei auf zahlreiche neue Verbündete treffen.
In erster Linie Menschen, die Erfahrungen mit islamistischen Gruppen und Regimen machen mussten.
Der Widerstand gegen den Antisemitismus, so wie er sich seit dem siebten Oktober 2023 Bahn gebrochen hat, nimmt weltweit zu.
Er ist multiethnisch und vor allem von Frauen getragen.
Diese Begegnungen werden nicht einfach sein. Aber sie werden sehr fruchtbar sein insbesondere wenn wir allesamt gemeinsam von den jeweiligen Erfahrungen lernen wollen.

 

Anmerkungen:

1 Das war zumindest die erste bei der es mir auffiel. Ansonsten hatte ich schon bei Emme Goldman und Peter Kropotkin darüber gelesen. Später las ich dann auch Texte von Erich Mühsam, Rudolf Rocker u.v.a.m. die Antisemitismus zum Thema hatten. Antisemitismus und das verhalten von Anarchist:innen wird also schon seit mehr als 100 Jahren von Anarchist:innen beschrieben.

2 Kurz zuvor hatte ich ein Buch über die spanische Revolution gelesen. In Barcelona traf ich nun auf die Anarchosyndikalist:innen die 1936 als junge Arbeiter:innen aktiv an der Revolution teilgenommen hatten.

3 So gab es 2023 insgesamt:
4.782 antisemitische Vorfälle – gegen die 90.478 Juden/Jüdinnen in den deutschen Gemeinden und Landesverbänden
1.926 antimuslimische Vorfälle, die sich auf rund 5.500.000 Millionen Menschen aller muslimischen Glaubensrichtungen verteilten und
1.233 antiziganistische Vorfälle, die sich auf 70.000 bis 150.000 Roma und Sinti verteilten

Bezogen auf jeweils 100.000 Personen der betroffenen Personengruppe kam es zu
5285,26 antisemitischen Vorfällen,
1233,0 antiziganistischen Vorfällen,
35,02 antimuslimischen Vorfällen.

(https://www.deutsche-islam-konferenz.de/DE/DatenFakten/daten-fakten_node.html)
(https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1232/umfrage/anzahl-der-juden-in-deutschland-seit-dem-jahr-2003/)
(https://mediendienst-integration.de/gruppen/sinti-roma.html und https://www.bundesromaverband.de/wp-content/uploads/2024/08/PM-Roma-in-Deutschland-Zahlen-und-Fakten.pdf und https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ueber-diskriminierung/was-ist-diskriminierung/_docs/faq-uebersicht/_functions/sinti_und_roma.html)

Pressemitteilung – Antimuslimische Übergriffe und Diskriminierung in Deutschland 2023: Mehr als fünf antimuslimische Vorfälle pro Tag


https://report-antisemitism.de/documents/25-06-24_RIAS_Bund_Jahresbericht_2023.pdf

MIA veröffentlicht 2. Jahresbericht zu antiziganistischen Vorfällen in Deutschland. Die Vorfallzahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr beinahe verdoppelt

3.1 Dabei viel mir auf das „die Juden“ und der Staat Israel gleichgesetzt werden. Und das man sich eines weiteren Tricks bedient: „die Juden“ werden in „Zionist:innen“ und „Antizionist:innen“ aufgeteilt. Die antizionistischen Juden und Jüd:innen sind „die guten“ alle anderen sind ganz unabhängig vom alter und sonstigem persönlicher Aktivität verantwortlich für die Unterdrückung „der Palästinenser“ (die verkürzt als homogenes Volk phantasiert werden). Dabei spielt es dann auch keine Rolle wo auf der Welt sie leben. Da „zionistische“ Juden und Jüdinnen „das böse“ repräsentieren (Zionist:innen sind in ihren Augen Nazis), ist Widerstand gegen sie nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu eine moralische Pflicht. So soll unter anderem die herbei phantasierte „german gulit“ überwunden werden. Wurde 1933 noch „Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht bei(m) Juden! – Die Juden sind unser Unglück! – Meidet jüdische Ärzte! – Geht nicht zu jüdischen Rechtsanwälten!“ gerufen und plakatiert, so kommt schon seit ein paar Jahren die Boycott, Divestment and Sanctions(dt. Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen, abgekürzt BDS) als neue antisemitische internationale daher. Oder auch die These das „das was der israelische Staat seit 75 Jahren den Palästinensern antut, ist unmenschlich, das führt zu solchen Geschwüren wie der Hamas“ oder noch etwas deutlicher: „die Hamas ist nicht so beliebt, da von Israel mitgegründet und wahrscheinlich immer noch unterwandert“ (zwei Originalzitate aus einer Diskussion die ich via Messanger geführt habe).

4 Man meint damit zusehends nicht mehr nur Juden und Jüdinnen sondern auch nicht-Juden/innen. zusammen mit dem roten Dreieck der Hamas werden sie als Feinde und Ziele markiert. Auch der Vorwurf man sei „anti-deutsch“ in Kombination mit „antideutsche sind nicht links“ ist wieder in Mode gekommen. Wohlgemerkt: als Vorwurf, nicht als analytischer Begriff.

5 Das ganze wird angereichert durch verschiedene Thesen des Dekolonialismus, u.a. wissenschaftlichen Theorien die im linken Alltag zur (verküzten) Ideologie verkommen sind. Dabei werden zum teil die Ursprungsthesen so ihrem Kontext entrissen, das wahrscheinlich der eine oder die andere im Grab rotiert.

6 Für mehr, bitte bei Gustav Landauer nachlesen

7 Nichts anderes bedeutet diese Parole – nicht nur, aber ganz besonders dann wenn sie von der Hamas kommt. Die unkritische Übernahme dieser Parole sendet ein sehr gefährliches Signal an alle Juden/Jüdinnen weltweit.

8 Das sie damit auch gleichzeitig einen palästinensischen Staat fordern, und wie sehr das im Widerspruch zur anarchistischen Staatskritik steht, wird ihnen nicht bewußt. Einige bemühen sich diesen Widerspruch auf zu lösen und finden dabei allerlei „Argumente“ für eine Volksbefreiung, die allesamt aus der politischen Mottenkiste der 1970er Jahre stammen.

9 Die meisten Anarchisten beziehen sich lieber auf „die Palästinenser“ als auf die Hamas und die anderen islamistischen Terrorgruppen die Israel angegriffen und Menschen ohne Unterscheidung von Geschlecht, Nationalität, Religion oder Alter ermordet haben. Dabei wird ausgeblendet, das die Hamas zur Zeit die Mächtigste Gruppe im Gaza-Streifen ist. Es gibt keine Gruppe welche die Hamas auch nur ansatzweise Herausfordern könnte. Außerdem besteht die Hamas ja nicht nur aus ihrem militärischen Arm Sie regiert den Gaza-Streifen seit 2006 und bestimmt unter anderem die Lehrinhalte an allen Bildungseinrichtungen,…

10 Der im zweifel nicht nur alle Möglichen anderen Regierungen und viele verschiedenen Gruppen, sondern auch noch „die Medien“, „die Finanzen“, „die Banken“ usw. usf. beherrscht

11 Man möchte „heldenhaft“ ergänzen

12 Die stirbt ja bekanntlich zuletzt – auch wenn sie stirbt

13 Das meint sowohl die verschiedenen Formen als auch die unterschiedlichen Sender von antisemitischen Botschaften

14 Es reicht nicht sich selbst überschätzend „schützend“ vor Juden/Jüdinnen zu stellen. Vielmehr muss uns klar sein, das wir verbündete im Kampf gegen den Antisemitismus sein müssen.

 




Frederik Fuß (Hg.) – Anarchistische Scheidewege
Zum Verhältnis von Anarchismus und Antisemitismus

Sammelband | 196 Seiten | März 2025
ISBN 978-3-949036-16-3

Der 7. Oktober 2023 markiert eine Zäsur. Der größte Massenmord an Jüdinnen und Juden seit der Shoa geht in seiner Bedeutung und den Auswirkungen weit über Israel hinaus. Als Zäsur betrifft er nicht nur Jüdinnen und Juden, gleichwohl diese vorrangig unter dem weltweit grassierenden Antisemitismus leiden, er zwingt auch alle anderen sich in der Debatte zu verhalten, wenn nicht zu positionieren.
Das anarchistische Lager bildet hier keine Ausnahme und so divers der Anarchismus ist, so verschieden sind die Sichtweisen auf den 7. Oktober und seine Folgen. Tragischerweise geraten auch die erklärten KämpferInnen für die Freiheit immer wieder auf antisemitische Abwege, wobei dies keineswegs neu ist. Im historischen Anarchismus hat es sowohl Antisemitismus wie auch dessen entschlossene Bekämpfung gegeben.
Der Sammelband beleuchtet sowohl den historischen Anarchismus sowie aktuelle Debatten und versucht zu intervenieren, wo es nötig ist. Dabei gehen die Einschätzungen und Meinungen der Beiträge durchaus auseinander. So bleibt der Versuch bei einem viel diskutierten Thema den Dialog im libertären Lager nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern zu fördern.

Mit Beiträgen von:
Thorsten Bewernitz, Olaf Briese, Andreas Fischer, Frederik Fuß, Timo Gambke, Gerhard Hanloser, Kacper Konar, Rudolf Mühland, Jürgen Mümken, Sam Oht,
Werner Portmann, Maurice Schuhmann, Kristian Williams

Terz: Speerspitze der Bewegung? – Die GDL verfestigt den Trend für Berufstarifverträge

Speerspitze der Bewegung? – Die GDL verfestigt den Trend für Berufstarifverträge

Der Konflikt zwischen Deutscher Bahn und der „Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer“ (GDL) scheint mit der Einigung vom 13.01.08 beigelegt zu sein. Bis Ende Januar soll ein Tarifvertrag unterschrieben sein.

GDL

Der Vorläufer der GDL wurde 1867 gegründet. 1919 trat sie zum ersten mal unter dem Namen „Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer“ auf. Mit Berufung auf das Jahr 1867 reklamiert die GDL die älteste deutsche Gewerkschaft zu sein. Sie organisiert die überwiegende Mehrheit aller Lokomotivführer bei der Deutsche Bahn AG und den Privatbahnen. Seit 2002 können alle Berufsgruppen des Fahrpersonals Mitglied werden. Bis 2002 befand sich die GDL unter anderem mit der sozialdemokratischen Gewerkschaft Transnet in einer Tarifgemeinschaft.

Ende Mai 2007 waren von 19.611 Triebfahrzeugführern der Deutschen Bahn 15.500 (79 Prozent) in der GDL organisiert, von 11.844 Mitarbeitern im Zugbegleitdienst der DB 3900 (33 Prozent). Insgesamt 62 Prozent des Zugpersonals (19.450 von 31.455 Mitarbeitern) waren Mitte 2007 in der GDL organisiert. An der Spitze der GDL steht seit fast zwei Jahrzehnten Manfred Schell. Während andere sich mit Ende 20 noch in den Nachwehen der 68er-Bewegung austobten, trat Schell 1971 in die CDU[1] ein. Ein Jahr darauf wurde er Mitglied der CDA, der Sozialausschüsse der CDU. International ist die GDL der „Autonome Lokomotivführer-Gewerkschaften Europas“ (ALE) angeschlossen. Laut Selbstbeschreibung ist die ALE  „den europäischen Eisenbahnverkehrsunternehmen sowie den Politikern auf der EU-Ebene ein kompetenter Ansprechpartner und zuverlässiger Mitgestalter in arbeits- und sozialpolitischen Themen.“

Der Streik

Ausgelöst wurde der Streik der GDL unter anderem dadurch das das Einkommen der Lokführer 2005 um 7,22 % und 2006 um 9,77 % gefallen ist, die Wochenarbeitszeit auf 41 Stunden erhöht wurde, die Ruhezeiten unzureichend waren und die ununterbrochenen Fahrtzeiten zu lang. Dies alles waren Ergebnisse der Tarifeinheit, welche die GDL mit der Transnet und weiteren Gewerkschaften bis 2002 eingegangen war. Seit 2002 strebt die GDL nach einem eigenen Tarifabschluss. 2007 war es dann endlich soweit – die Streikkassen waren voll und der letzte Tarifabschluss der Transnet für die Fahrer nicht annehmbar. Typisch für Gewerkschaften in Deutschland, wurde der Streik nur als letztes Mittel begriffen. Der Schwerpunkt lag auf dem Wunsch nach „Verhandlungen“ und „Einigung“ mit dem Management. Die „Tarifeinheit“ ist für die sozialpartnerschaftlichen/reformistischen Gewerkschaften und die Arbeitgeber eine Art „heilige Kuh“, die nicht geschlachtet werden darf. Das zu verstehen, hilft zu verstehen warum der Vorstand der Bahn AG in Person von Hartmut Mehdorn vehement jeden Dialog zurück gewiesen hat. Nur diese permanente Zurückweisung führte dazu das die GDL bereit war sehr verhalten zum Mittel des Streiks zu greifen.

Eine weitere Deutsche Besonderheit ist das schielen auf eine „höhere Macht“. In diesem Fall waren dies die Arbeitsgerichte. Die Bahn AG bemühte sich immer wieder die angekündigten Streiks für „illegal“ erklären zu lassen. In Deutschland gibt es kein gesetzlich geregeltes Streikrecht. Vielmehr gibt es nur einen Passus in der Verfassung, welche die „Koalitionsfreiheit“[2] garantiert. Alles andere, das Recht eine Gewerkschaft zu bilden, einen Streik zu führen usw. wird von diesem Passus abgeleitet. Erstinstanzlich wurde so mancher Streik durch die Gerichte untersagt. Glücklicherweise wurden aber alle diese Urteile in der nächst höheren Instanz wieder auf gehoben. In diesem Sinne wurde das Streikrecht in Deutschland juristisch sogar etwas gestärkt.

Auswirkungen des Streiks:

Die Tatsache, das sich kleine Gewerkschaften aus den Tarifgemeinschaft mit den Einzelgewerkschaften des DGB[3] verabschieden, beunruhigt nicht nur den DGB. Dieser sieht in den ausscherenden Gewerkschaften Konkurrenten um die eigene Klientel. Außerdem verliert er so gegenüber den Bossen ein starkes Unterpfand, nämlich die Garantie in einem Betrieb für Ruhe und Ordnung sorgen zu können. Auch die Bosse beobachten diese Tendenz mit zunehmender Nervosität. Bisher gibt es nur wenige kleine Gewerkschaften wie zum Beispiel Cockpit für die Flugzeugpiloten, der Marburger Bund für die Krankenhausärzte oder Ufo für die Flugbegleiter die schon erfolgreich eigene Tarifverträge erkämpft haben. Die Bahn hat Angst davor, dass sich nach dem Muster dieser Gewerkschaften demnächst auch Fahrdienstleiter eigenständig organisieren oder die Mitarbeiter in den Ausbesserungswerken. Im Prinzip kann fast jede Beschäftigtengruppe der Bahn ihre Bedingungen diktieren, weil es ohne sie nicht ginge. Mit der GDL und ihrem eigenen Tarifvertrag droht ein Dammbruch. Und wieso sollte der auf die Bahn beschränkt bleiben?[4]

Das letzte Kapitel ist noch nicht geschrieben

Die anderen Gewerkschaften bei der Bahn hatten wohlweislich eine „Nachverhandlungsklausel“ in den Tarifvertrag aufgenommen. Sollte es einer anderen Gewerkschaft (eben der GDL) gelingen bessere Konditionen zu erlangen, so müsste der Tarifvertrag nachgebessert, sprich angepasst werden.

Keine 24 Stunden nach der verkündeten Einigung mit der GDL, droht Hartmut Mehdorn mit Fahrpreiserhöhungen und Personalabbau. Beides ist nicht neu und der GDL-Tarifvertrag ist nur der Vorwand zur Umsetzung seiner Pläne. Neben Transnet hat auch die GDBA[5] angekündigt den Stellenabbau nicht hin zu nehmen, „notfalls“ würde man auch streiken…..

Rudolf Mühland

KASTEN:

Einkommensvergleich von Lokführern

Beispiel 1
25 Jahre alt, keine Kinder, 2 Jahre Berufserfahrung

–    Deutschland: 1.438 bis 1.588 €
–    Frankreich: 2.770 €

Beispiel 2
40 Jahre alt, zwei Kinder, 17 Jahre Berufserfahrung

–    Deutschland: 1.778 bis 1.928 €
–    Frankreich: 2.770 €

jeweils Nettogehalt im Schnitt (einschl. Zulagen) 


[1] Christlich Demokratische Union Deutschlands (Konservative Partei)

[2] Artikel 9 Absatz 3

[3] Deutscher Gewerkschaftsbund (Sozialdemokratisch/Refomistisch)

[4] Und warum sollte dies auf reformistische Gewerkschaften beschränkt beleiben? Es beliebt zu hoffen das sich die Gewerkschaften radikalisieren und  langfristig den Weg in die FAU-IAA finden werden.

[5] Verkehrsgewerkschaft im Deutschen Beamtenbund

Terz: Mit dem Rad zur Revolution? – Bewegt sich der Arbeiter wieder? In Nordhausen probten FahrradwerkerInnen die Produktion ohne Chef.

Mit dem Rad zur Revolution? – Bewegt sich der Arbeiter wieder? In Nordhausen probten FahrradwerkerInnen die Produktion ohne Chef.

In dem kleinen Ort Nordhausen im Harz, kämpfen 125 ArbeiterInnen um ihren Job. Im Dezember 2005 wurde ihre Fabrik, „Bike Systems“ von dem Finanzinvestor Lone Star aufgekauft. Schon kurz darauf verkaufte Lone Star „Bike Systems“ für eine 25%ige Beteiligung an die „Mifa“1, dem größten Konkurrenten. Nachdem im Juni 2007 der Belegschaft mitgeteilt wurde, dass das Werk geschlossen werden soll, regte sich spontan Widerstand.2

Mit Hilfe einer „Dauerbetriebsversammlung“ wurde das Gelände im Dreischichtsystem besetzt. Von Anfang an bemühten sich die KollegInnen um Unterstützung aus Gewerkschaften und Parteien, jedoch ohne ihre Autonomie dabei aufzugeben. Nach über 100 Tagen „Werksbesetzung“ und Perspektivlosigkeit ließen sich die ArbeiterInnen durch KollegInnen des selbstverwalteten Betriebs „Cafe Libertad“ inspirieren. Sie erzählten den KollegInnen von vergangenen Zeiten und fernen Ländern: von der Besetzung der Uhrenfabrik LIP 1973 in Besançon (Frankreich) und von den Betriebsübernahmen in Argentinien seit 2001. Nach gründlicher Diskussion wurde beschlossen, eine Woche lang in Selbstverwaltung ein „Strike Bike“ zu produzieren3. Allerdings: Ziel dieses Plans war nicht die Übernahme des Betriebes durch die ArbeiterInnen. Vielmehr wollten sie so auf sich aufmerksam machen, um potentielle Investoren an zu locken.

Solidarität und Heuschrecken

Trotz eines extrem schmalen Zeitfensters von knapp 21 Tagen wurden mehr als die benötigten 1.500 Fahrräder bestellt und in Vorkasse bezahlt.4 Intensive Pressearbeit und das Bemühen internationaler Kontakte zu kämpferischen ArbeiterInnen auf der ganzen Welt führten dazu, dass binnen kurzem Bestellungen aus Deutschland, Europa, Nordamerika, Australien, Israel und Afrika bei der Belegschaft eintrafen. Diese direkte Hilfe imponierte nicht nur den KollegInnen in Nordhausen. Auch die NPD, die zwischenzeitlich versucht hatte, sich „des Themas anzunehmen“, entblödete sich nicht, trotzdem zu „nationaler Solidarität gegen die Heuschrecke“ aufzurufen. Ein Aufruf, der übrigens von der Belegschaft scharf zurückgewiesen wurde. Das Bild „Heuschrecke“, wurde leider nicht nur von der NPD gebraucht.
Auch die IG-Metall und so manch freier Journalist bemühte diese Metapher immer wieder. Der extra gegründete Verein „Bikes in Nordhausen e.V.“ machte in seinen Presserklärungen jedoch immer wieder deutlich, dass sie nicht zwischen „bösem ausländischen“ Kapital und „gutem“, weil „deutschem“ Kapital unterscheiden!

Die Rolle der Gewerkschaften

Zu Beginn des Konfliktes stand die IG-Metall beratend zur Seite und gab wichtige Tipps bezüglich der Legalisierung der „Werksbesetzung“. Die Gewerkschaftslinke hat ihrerseits über den Konflikt berichtet und sich bemüht, innerhalb des DGB Öffentlichkeit herzustellen. In dem Moment, als die KollegInnen etwas andere Wege einschlugen, zogen sich beide erst einmal zurück. Die IGM versuchte sogar, die ArbeiterInnen von dem Vorhaben, nur eine Woche selbstverwaltet und ohne Chef bei gleicher Bezahlung für alle zu arbeiten, abzubringen.
Erst nachdem die „Tagesthemen“ einen Bericht über die Werksbesetzung gesendet hatte, sprangen sie wieder auf den Zug auf. Allerdings bestellte die IG-Metall keine Fahrräder oder organisierte Solidarität. Vielmehr versuchte sie wieder verstärkt, Mitglieder zu werben. Unter anderem versprachen sie ein zinsloses Darlehen, „Übergangsgeld“ genannt. Anstatt dieses Darlehen möglichst schnell an die neuen Mitglieder auszuzahlen, wurden nur die Mitgliedsbeiträge abgebucht, Wimpel und IG-Metall-Girlanden und Fahnen aufgehängt.

Zukunft

Ein Investor wurde zwar gefunden, jedoch stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest, ob und zu welchen Bedingungen er „Bike Systems“ übernehmen würde. Darum wurde zeitgleich weiter über eine „Übergangsgesellschaft“ verhandelt. Zu guter Letzt spielen auch einige KollegInnen immer noch mit der Idee, eine Produktivgenossenschaft zu gründen.

Düsseldorf

Wenn ihr die Terz in den Händen haltet, werden die Fahrräder bereits produziert und verschickt sein. Verschiedene Gruppen, Organisationen und
Initiativen aus Düsseldorf haben „Strike-Bikes“ gekauft. So werden zum Beispiel Cable Street Beat Düsseldorf und die FAUD am 1.12.2007 im Hinterhof zwei Räder verlosen. Außerdem ist wohl auch noch eine „amerikanische Versteigerung“ angedacht. Achtet also auf Ankündigungen in der Terz und auf den Hompages der „üblichen Verdächtigen“.

NIK TOPARK, FAUD

Anmerkungen & Randspalte:

http://www.strike-bike.de
Kontakt zu den BesetzerInnen: fahrradwerk [at] gmx.de

1 Mitteldeutsche Fahrradwerke AG.
2 detaillierte Hintergrundinfos demnächst in einer extra Broschüre der Freien ArbeiterInnen Union.
3 die Terz berichtete (10/2007).
4 Die Kampagne hatte nur drei Wochen Zeit und fand außerhalb der Fahrradsaison statt.

DA: Da rennt der Schweiß: Die brasilianische COB befindet sich im Konflikt mit einem Sportbekleidungshersteller

Da rennt der Schweiß: Die brasilianische COB befindet sich im Konflikt mit einem Sportbekleidungshersteller

Die globale Textil- und Bekleidungsindustrie ist berüchtigt für ihre Arbeitsbedingungen. Die Sparte für Sportbekleidung ist da keine Ausnahme. Bereits 1998 organisierte die Clean-Clothes-Campaign ein internationales Tribunal gegen die (Sport-)Bekleidungsindustrie, in der 80% der Belegschaften Frauen sind, denen oft selbst der unzureichende Mindestlohn vorenthalten wird. Diverse Konzerne wurden damals exemplarisch wegen andauernder Arbeitsrechtsverletzungen, der Unterdrückung von Gewerkschaften, schlechter Arbeitsbedingungen, unzureichender Löhne und sexueller Belästigungen von Frauen verurteilt.
Auch zehn Jahre später, anlässlich der Euro 2008 und der Olympischen Spiele, berichtete die Kampagne „Fair Play“ über „Hungerlöhne und menschenverachtende Arbeitsbedingungen“ sowie über gewerkschaftsfeindliches Verhalten in der Branche. Letzteres drücke sich laut „Fair Play“ nicht nur in Entlassungen aktiver ArbeiterInnen aus, sondern auch in Form von „Verhaftung oder sogar Gewalt“. In dieser Zeit hat sich die Zusammensetzung der Beschäftigten nicht verändert. Weiterhin sind 80% der ArbeiterInnen Frauen. Auch die von diversen Konzernen eingeführten „Verhaltenskodizes“ haben die Arbeitsbedingungen nicht verbessert. Mit der Fußball-WM der Frauen gibt es dieses Jahr erneut einen Anlass, über die Zustände in der Sportbekleidungsindustrie zu sprechen. So organisiert etwa die christliche Initiative „Romero“ bundesweit Veranstaltungen über den dortigen „Arbeitsalltag und Arbeitsrechtsverletzungen“. Ihre zentrale Forderung dabei: ein „existenzsichernder Lohn für die Näherinnen in den Produktionsländern!“ Auch die anarchosyndikalistische IAA befasst sich derzeit mit dieser Branche. Denn Ende März diesen Jahres wurde Icaro Poletto, Mitglied der brasilianischen Sektion (COB-IAA), bei FF Mercantil entlassen, wo u.a. Trikots, Kleidung und Zubehör für die Marken Lotto und Finta hergestellt werden. Poletto hatte zuvor begonnen, sich mit seinen KollegInnen gegen die schlechten Arbeitsbedingungen (hohe Arbeitszeiten, starke Hitze, Lösungsmitteldämpfe und niedriges Gehalt) zu wehren. Seiner ihn unterstützenden Gewerkschaft wurde letztlich sogar mit „Pistoleros“ gedroht, jenen Todesschwadronen, die in Lateinamerika eine traurige Tradition haben und bekannt dafür sind, aktive ArbeiterInnen zu ermorden. Die COB hat darauf mit einem globalen Boykottaufruf gegen die beiden Marken Lotto und Finta reagiert. Wenn ihr diesen Kampf unterstützen wollt, könnt ihr euch an der E-Mail-Kampagne der ZSP beteiligen (siehe www.lotto.zsp.net.pl). Ihr könnt euch auch an den Fußballverein Borussia Mönchengladbach wenden, der Lotto zu seinen Sponsoren zählt.
Rudolf Mühland

DA: Zeitung gegen Ausbeutung – Des letzten Rätsels Lösung: Direkte Aktion

Zeitung gegen Ausbeutung – Des letzten Rätsels Lösung: Direkte Aktion

„Setz’ drei AnarchistInnen zusammen und sie fangen an, eine Zeitung herauszugeben …“ Die Ereignisse, die zur Geburt der „Direkten Aktion“ (DA) führten, sind vielschichtig und aufs Engste mit der internationalen Entwicklung des Anarcho-Syndikalismus verbunden. Im März 1977 nahmen über 25.000 Menschen an einer Versammlung der CNT in San Sebastian d. l. Reyes teil. Die CNT und damit der Anarcho-Syndikalismus waren wie Phönix aus der Asche zurückgekehrt. In Deutschland meinte der Kommunistische Bund (KB), diesen Phönix schon früh bekämpfen zu müssen, bevor aus diesem Küken ein stolzer Vogel werden würde. Im Juni 1977 erschien in ihrer Zeitung „Arbeiterkampf“ (heute „Analyse und Kritik“) eine Abrechnung mit dem Anarcho-Syndikalismus. Nur einen Monat später, im Juli 1977, folgte die Antwort des „Komitees Freies Spanien“ in einer Sondernummer der „Iberien-Nachrichten“. Die Beteiligten hatten nach eigenen Angaben „Blut geleckt“ und wollten eine klar anarcho-syndikalistische Zeitung herausbringen.

Die Nummer 1 der „DA“ wurde im November 1977 als lokales Blatt der I-FAU Hamburg herausgegeben. Das Jahr 1977 hatte bis dahin schon die Entführung von Hans-Martin Schleyer (damals Arbeitgeberpräsident, früher Nazi-Funktionär) durch die RAF, die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ und den Tod von vier RAF-Gefangenen in Stammheim und Stadelheim gesehen. Auf Seite eins der ersten Ausgabe war dann auch ein Transparent zu sehen, das bei der Beerdigung von Ensslin, Raspe und Baader zu sehen war. Darauf stand: „Gegen Morde im Knast! Aber auch: Gegen Flugzeugentführungen!“
Ab Juni 1978 ist die in Hamburg geborene „DA“ die offizielle Zeitung der FAU-IAA. Von Anfang an war sie einerseits ein Mitgliederblatt, das den Zusammenhalt der Syndikate und Gruppen untereinander fördern, und andererseits ein Agitationsblatt, das die Ideen und die Praxis des Anarcho-Syndikalismus bekannt machen sollte. Dem ursprünglichen Selbstverständnis nach wollte die „DA“ keine anarchistischen Theorien oder Philosophien ausbreiten, sondern stattdessen ein klassenkämpferisches und libertäres Gewerkschaftsverständnis propagieren.
Dem eigenen syndikalistischen Anspruch entsprechend, wonach die FAU und damit auch ihr offizielles Organ immer eine „Schule des Proletariats“ ist – die es den Mitgliedern ermöglichen soll, möglichst alles zu erlernen, was zur Herstellung einer regelmäßig erscheinenden Zeitung notwendig ist –, wurden von den Kongressen alle Bestrebungen abgelehnt, bezahlte Stellen für die „DA“ einzurichten. Gleichzeitig gab und gibt es einen stetigen Prozess der „Professionalisierung“. Im Sommer 1989 wurde die Produktion von DIN A4 auf Zeitungsformat umgestellt. Das führte zu einer Verdreifachung der Auflage bei gleichzeitiger Reduzierung des Verkaufspreises! In der Folgezeit wurde die Auflage weiter deutlich erhöht und in die damalige DDR gebracht. Dort war das Bedürfnis nach anti-staatlichen Sozialismusvorstellungen sehr groß und die „DA“ fand einen für ihre Verhältnisse reißenden Absatz. In den Jahren danach wurde versucht, die Auflage dauerhaft auf 10.000 Exemplare zu erhöhen … was jedoch leider nicht gelang.
Neben dem „laufenden Geschäft“ hat die „DA“ immer wieder Sonderausgaben herausgebracht. Zum Beispiel zur „National-Bolschewistischen Konterrevolution“ (1994), zu „20 Jahre EZLN“ (2003) oder auch zur Agenda 2010 (im Jahr 2004).
Wir können mit Gelassenheit und Neugier auf die Zukunft der „DA“ schauen!

Rudolf Mühland

DA: Mehr als nur Streik und Aussperrung – Des letzten Rätsels Lösung: Arbeitskampf. Die kollektive Auseinandersetzung hat viele Facetten

Mehr als nur Streik und Aussperrung – Des letzten Rätsels Lösung: Arbeitskampf. Die kollektive Auseinandersetzung hat viele Facetten

In Deutschland wird der Arbeitskampf traditionell als Tarifauseinandersetzung gedacht. In diesem Rahmen treten die gewerkschaftlichen Vertreter des Arbeitskampfes einerseits extrem verbalradikal auf, indem sie zum Beispiel behaupten, nicht unter bestimmte Forderungen zu gehen, oder dadurch dass sie mit „französischen Zuständen“ drohen. Andererseits wird selbst der klassische Streik, das „Rausgehen“ bis zum letzten Moment hinausgezögert und wenn möglich gar ganz vermieden. Das Ganze ist der Ideologie geschuldet, wonach ein offener Arbeitskampf nur die „ultima ratio“ und eben nicht das naheliegendste Mittel der Arbeiterschaft wäre. Auf der anderen Seite können auch die Bosse und ihre Verbände einen Arbeitskampf führen. In den „heißen Phasen“ ist ihr gerichtlich anerkanntes Instrument die sogenannte Aussperrung.

Jenseits von Verhandlung, Schlichtung, Streik und Aussperrung gibt es jedoch zahlreiche weitere Methoden des Arbeitskampfes. So verstehen sich die Bosse sehr gut darauf, das Kampfterrain kurzerhand zu verlegen: raus aus dem Betrieb, hinein in die Gerichte. Oftmals hagelt es förmlich Klagen vor den verschiedensten Gerichten und auch einstweilige Verfügungen mit den wahnwitzigsten Inhalten sind ihr Begehr. Den kämpfenden Belegschaften und ihren Organisationen soll und wird so nur allzu oft eine langwierige und kräftezehrende Spiegelfechterei vor angeblich neutralen Gerichten und auf Grundlage ebensolcher Gesetze aufgezwungen. Weitere Mittel, um klassische Arbeitskampfmaßnahmen der ArbeiterInnen zu sabotieren, sind zum Beispiel die Befristung von Verträgen, mit der Gefahr, dass diese vor, während oder nach einem Arbeitskampf einfach nicht verlängert werden, oder auch die Gestaltung des Dienstplanes und die (Nicht-)Zuweisung von Schichten.

Zum Glück ist die Arbeiterschaft aber nicht machtlos. So können sowohl die in Gewerkschaften organisierten als auch die sog. unorganisierten Beschäftigten auf einen weit größeren Fundus an Maßnahmen zurückgreifen, als gemeinhin angenommen wird. Einige dieser Maßnahmen sind so spektakulär, dass sie es bis in die Mainstream-Medien schaffen. Dazu gehört zum Beispiel das sog. „Bossnapping“, das wir aus Frankreich kennen. Andere Maßnahmen scheinen weniger spektakulär, sind in Zeiten sich verschärfender Auseinandersetzungen aber vielleicht insgesamt richtungsweisend. In diese Kategorie fallen zum Beispiel eine Reihe von Betriebsbesetzungen, die es in den letzten Jahren wieder verstärkt in Europa und sogar Deutschland gegeben hat. Betriebsbesetzungen verhindern zum Beispiel den Einsatz von Streikbrechern, und sie bieten sogar die Perspektive einer selbstorganisierten Produktion. Kämpferische Gewerkschaften setzen auch schon mal auf Boykott. „Dienst nach Vorschrift“ und „Bummeln“ sind ebenfalls Taktiken sowohl des alltäglichen betrieblichen Guerillakampfes als auch im „heißen Arbeitskampf“. All diese Maßnahmen werden besonders dann ergriffen, einzeln oder in Kombination, wenn ein offener Streik nur wenig Aussichten auf Erfolg hat. So kann das gezielte Bummeln, kollektiv angewendet, einen erheblichen Druck auf den Boss ausüben, ohne dass er dabei Einzelnen etwas vorwerfen könnte.

In den 1980/90er Jahren rieten die „glücklichen Arbeitslosen“ ihren lohnarbeitenden KollegInnen in einer Broschüre, dass sie „Lieber krank feiern als gesund schuften“ sollten. Leider wurde dieser Rat in Deutschland wohl noch nie kollektiv und systematisch eingesetzt. Nicht nur, dass die Gewerkschaft damit von der Zahlung des Streikgeldes befreit wäre, da ja der Boss im Krankheitsfall die Löhne weiterzahlen muss; damit entstehen dem Boss sogar zusätzliche Kosten, da er ja für die Zeit neue Leute als Vertretung einstellen muss.

In diesem Sinne: „Wenn sie nur so tun als würden sie uns bezahlen, tun wir nur so als würden wir arbeiten!“

Rudolf Mühland