TVStud-Streik: Ist das die Einigung, die wir wollen?

Woher kommt das maue Einigungspapier, das zwischen verdi, GEW, Hochschulen und Berliner Senat erarbeitet wurde?

TVStud-Streik: Ist das die Einigung, die wir wollen?

Aktive der FAU tragen die von verdi und GEW geführte Tarifauseinandersetzung mit

Diese Woche stimmen die Mitglieder von verdi und GEW darüber ab, ob sie das Einigungspapierzwischen Hochschulleitungen und Tarifkommission (und Senat) akzeptieren und damit den Arbeitskampf beenden. Es ist wichtig, dass darüber abgestimmt wird, aber es ist auch eine Zumutung: Jetzt sollen die studentischen Beschäftigten selber zustimmen, dass es okay ist, dass sie, wenn sie ein Tutorium geben, nur halb so viel dafür verdienen wie ein*e WiMi, die*der ein Tutorium hält. Zugleich ist das Einigungspapier auch ein Erfolg unserer Streiks. Die Gefühle sind gemischt. Entsprechend schwierig fällt es, ein Urteil über die Kampagne und die Abstimmung zu fällen.

Die Zumutung kommt vom Verhandeln

Wenn man als Gewerkschaft Tarifverhandlungen zu einer Einigung führen will, hat man eigentlich nur zwei Optionen: Zugeständnisse in Verhandlungen oder Druck, also tanzen oder boxen. Und leider hatten viele in der Kampagne bis zuletzt nicht daran geglaubt, dass wir genug Druck aufbauen könnten, um mehr als das zu erreichen, worüber wir nun abstimmen sollen.

Der Zweifel an der eigenen Stärke hatte die verdi/GEW-Gremien Ende 2016 dazu bewogen, ohne Kündigung des TV Stud in Tarifverhandlungen zu starten. Wegen der dadurch weiterlaufenden tariflichen „Friedenspflicht“ musste das ganze Jahr 2017 über ohne die Möglichkeit zu Streiks verhandelt werden – der nächste mögliche Kündigungstermin war der 1.1.2018. Obwohl bereits im Frühling 2017 klar wurde, dass die Arbeitgeber*innen niemals kampflos einer Einigung oberhalb von 12 Euro plus Dynamisierung zustimmen würden, hofften die Verhandlungsführer von GEW und verdi, durch weitgehende Zugeständnisse in den Verhandlungen einen Abschluss herbeizuführen. So sprang die Weihnachtsgeld-Wiedereinführung im Sommer 2017 über die Klinge und der Einstieg jenseits der 13 Euro im Herbst. Im Frühling 2018 – noch bevor die Haupt-Streikphase begann – verabschiedeten sich die Verhandler*innen von der Forderung nach einer soliden und zügigen Dynamisierung. In den 2018er Sommersemester-Streiks war also nicht mehr viel von den 2017er Forderungen übrig, um das sich noch kämpfen ließ.

Der Zweifel an der eigenen Stärke und das Setzen auf Verhandlungen durch die Gewerkschaften sind kein historischer Zufall, sondern fest im gesellschaftlichen Gefüge der Bundesrepublik Deutschland verankert. Die sogenannte „Sozialpartnerschaft“ zwischen Gewerkschaften und Arbeitgeber*innen wurde sowohl nach dem Ersten als auch nach dem Zweiten Weltkrieg von der Politik stark forciert, um den Wiederaufbau nicht durch Arbeitskämpfe in Gefahr zu bringen. Gefördert wurde diese politische Entwicklung vor allem durch die inhaltliche Schnittmenge zwischen sozialdemokratischen Ansätzen und christlicher Soziallehre, wonach die Arbeitgeber*innen in der Pflicht sind, den Forderungen der Arbeitenden entgegen zu kommen und so das Schreckensgespenst des Klassenkampfes zu befrieden.

Über lange Sicht betrachtet befinden wir uns heutzutage in einem Kreislauf, in dem die Gewerkschaften dank der Sozialpartnerschaft immer schwächer werden und sich deshalb immer mehr auf die Sozialpartnerschaft – in Form von Verhandlungen und Interventionen der Politik – verlassen als auf die eigene Kampfkraft. Insbesondere in Zeiten, wo eine allgemeine Spar- und Kürzungspolitik von der Politik mitgetragen wird, lässt sich in Verhandlungen mit Arbeitgeber*innen immer weniger für die Gewerkschaftsmitglieder herausholen.

Die Gewerkschaften müssen ihre Mitglieder also mit immer weniger vertrösten, als was diese ursprünglich gefordert haben. Dadurch verbessert sich nicht gerade der gewerkschaftliche Organisationsgrad, was die Gewerkschaften wiederum an ihrer Kampfkraft zweifeln lässt. Somit erscheinen Verhandlungen plus politischer Druck für die Gewerkschaften wiederum aussichtsreicher als Streiks.

Das ist eine recht schematische Darstellung, aber die Effekte der sozialpartnerschaftlichen Verhandlungslogik traten auch bei der TV Stud Kampagne immer wieder deutlich hervor. Die Arbeitgeber*innen setzen sich selbstverständlich nur mit den Gewerkschaften an einen Tisch, wenn letztere auch etwas anzubieten haben, insbesondere die Befriedung des Arbeitskampfes und die Dämpfung der Erwartungen von den Streikenden in Bezug auf den Abschluss. So werden die Verhandler*innen mitunter zum Anwalt der Arbeitgeber*innenseite, damit sie am Verhandlungstisch sitzen bleiben können. Mitglieder der TV Stud Tarifkommission haben davon berichtet, wie sie am eigenen Leib gespürt haben, dass ihre Kompromissbereitschaft im Verhandlungsraum enorm viel höher war als außerhalb. Und die Hauptamtlichen haben die studentischen Mitglieder der Tarifkommission bereits im Februar gedrängt, „Erwartungsmanagement“ an der Basis zu betreiben. Ihre Angst war, der Abschluss könne dadurch gefährdet sein, dass in der Basis weiterhin die Forderung von 14 Euro Stundenlohn weit verbreitet war, während in den Verhandlungen von Gewerkschaftsseite nur noch von 12,50 Euro die Rede war.

Dabei ist es wichtig, sich vor Augen zu führen, dass die Verhandler*innen in ihrem eigenen Bewusstsein nicht als Anwälte der Arbeitgeber*innen auftreten, sondern das Gefühl haben, dass sie aufgrund ihres Einblicks in die Verhandlungen die Situation „realistischer“ einschätzen können. Die Grenzen zwischen Bildung und Einbildung sind hier fließend, was es auch so schwierig für die Verhandler*innen macht, nicht unbewusst als Anwälte der Arbeitgeber*innen aufzutreten. So mag es zum Beispiel eine realistische Einschätzung sein, dass die Fachhochschulen aus dem Tarifvertrag ausgestiegen wären, wenn die Kampagne gegenüber TU, FU und HU noch höhere Löhne durchgesetzt hätte, wie jetzt zum Teil von den Befürworter*innen des Einigungspapiers angeführt wird. Gleichzeitig war es – um ein anderes Beispiel anzuführen – unrealistisch, Mitte April darauf zu hoffen, dass die Hochschulen bessere Angebote vorlegen würden. Diese Fehleinschätzung ist der Hinhaltetaktik der Hochschulen voll auf den Leim gegangen und hat die Kampagne um mindestens zwei kostbare Streikwochen und viel Drive gebracht.

Das Vertrauen in die Verhandlungen hat die Kampagne nicht nur einiges von ihren Forderungen einbüßen lassen, sondern auch viel kostbare Zeit geraubt und gleichzeitig Misstrauen an der Basis erzeugt. So wurden wichtige Beschlüsse zentraler Streikversammlungen zum Streik verschleppt, ohne dass diese gezielt hintertrieben wurden: Es fehlte aufgrund der Verhandlungen schlicht die Zeit. (Wobei allerdings die roten Linien der Streikversammlungen für ein Einigungspapier von der Tarifkommission schlicht missachtet wurden.) Es ist in der Tarifkommission nie zu einer Diskussion darüber gekommen, ob die Streikwirkung in der Warnstreikwoche im Mai ausreichend sei für einen Erzwingungsstreik. Der Grund ist, dass man in der Tarifkommission vielmehr damit beschäftigt war, den Arbeitgeber*innen einen Gegenvorschlag zu ihrem letzten Angebot zu schicken, der weitere Zugeständnisse von Gewerkschaftsseite beinhaltete. (Zum Beispiel 12,30 Euro als Einstiegsstundenlohn anstatt 12,50 Euro.) Für die Basis wiederum musste es sich so darstellen, als ob die Tarifkommission gezielt die Beschlüsse der Streikversammlungen missachtete.

Die Früchte unserer Streiks

Das, was sich in den 2018er Sommersemester-Streiks noch erreichen ließ, nachdem die Verhandlungen schon zu weitreichenden Zugeständnissen der Kampagne geführt hatten, wurde einzig und allein durch die Streiks erreicht. Mehrere Male hatten die Hochschulen der Tarifkommission mitgeteilt, dass sie ihr letztes, aber wirklich ihr allerletztes Angebot vorgelegt hätten – das erste Mal bereits im Dezember 2017. Später teilten sie der Tarifkommission mit, dass sie bei einzelnen Punkten noch nachbessern könnten, dass aber ein Einstiegsstundenlohn höher als 12,13 Euro vom Haushalt her absolut ausgeschlossen sei. Mehrmals sagten sie der Tarifkommission in den Verhandlungen, dass sie eine Ankopplung an die Lohnentwicklung der anderen Hochschulbeschäftigten (TV-L-Ankopplung) nicht einmal diskutieren würden, dass das völlig außer Frage stehen würde. In all diesen zentralen Punkten haben die studentischen Beschäftigten sie schließlich dazu bringen können, sich zu bewegen – aber immer nur durch Streiks!

Dass verdi und GEW in ihrer Pressemitteilung über das Einigungspapier das Verdienst insbesondere bei der Intervention von Steffen Krach, dem Staatssekretär für Wissenschaft in Berlin, sehen, ist ein unbeabsichtigter Schlag ins Gesicht der Streikenden. Diese Zuschreibung rührt vor allem von der oben beschriebenen Verhandlungslogik. In dieser ist es nur konsequent, das Einigungspapier als ein Resultat von politischer Intervention zu sehen. Dabei wird aber vergessen, dass die Berliner Politik sich zuvor seit 2015 hinter dem Argument versteckt hat, sie könne aufgrund der Tarifautonomie keinen Einfluss auf die Tarifverhandlungen nehmen. Erst nach zweieinhalb Wochen Streik und direkten Aktionen wie bei der Langen Nacht der Wissenschaft oder wie der Audimax-Besetzung an der TU, war dieses Argument auf einmal hinfällig und Krach lud zum „Vermittlungsgespräch“.

Die Streiks und die direkten Aktionen waren also absolut erfolgreich. Die Schmerzgrenzen der Arbeitgeber*innen konnten immer wieder durch die Streiks verschoben werden. Die Politik wurde dazu gebracht, sich nicht nur zum Streik zu positionieren, sondern auch Druck auf die Hochschulen auszuüben. Daran sehen wir, dass deutlich mehr möglich gewesen wäre, wenn man auf die Kraft der Basis vertraut hätte. Das zeigt sich auch nicht zuletzt dadurch, dass nach 39 Streiktagen immer noch neue Leute und Bereiche zum Streik dazugestoßen sind. Der Schaden war für die Hochschulen hoch genug, gemessen an dem Volumen, über das verhandelt wurde.

Diese Kampagne ist aber auch deshalb ein Erfolg, weil sie es ansatzweise geschafft hat, den oben genannten Kreislauf zwischen Verhandlungen und Zweifel an der eigenen Stärke in Frage zu stellen. Doch das war ein harter Kampf. Im Frühjahr 2018 betätigten sich die Hauptamtlichen selber sehr eifrig im Erwartungsmanagement, indem sie bei jeder Gelegenheit Zweifel an der Stärke der Streiks säten, ohne jedoch die Streikzahlen vorliegen zu haben. (Auch hier wieder: Die Grundlage für diese Zweifel waren nicht böser Wille, sondern Zweifel an der eigenen Stärke aufgrund der beschriebenen Verhandlungslogik.) Diese Zahlen erhielt die Tarifkommission erst vollständig im April. Und dass wir jetzt zuletzt einen Quasi-Erzwingungsstreik von vier Wochen hingelegt haben, schien in der Semesterpause völlig unrealistisch, als die Kampagnenbasis noch darum kämpfen musste, drei statt zweier Streiktage am Stück zu bekommen, weil die Gewerkschaften rechtliche Bedenken anführten, ob drei Tage am Stück überhaupt noch ein Warnstreik seien. Die Streiks waren also nur durch den Druck der Kampagnenbasis möglich, gegen welche die Gewerkschaften verdi und GEW natürlich nicht in den offenen Konflikt gehen konnten. Dieser Druck wurde auch von einigen Mitgliedern der Tarifkommission mitgetragen. Hier muss sich die Basis aber auch selbst an die Nase fassen, dass sie den Druck auf die Gewerkschaften verdi und GEW sowie die Tarifkommission nach den Entscheidungen der zentralen Streikversammlungen nicht aufrecht erhalten oder erhöht hat.

Ja, und was jetzt?

Die Entscheidung der Tarifkommission, das Einigungspapier in dieser Situation anzunehmen und zur Abstimmung zu stellen, hat ihre Gründe, die auch in ihrer Tarifinfo an die Gewerkschaftsmitglieder aufgeführt wurden. Gegenargumente sind dort ebenfalls aufgelistet, um eine möglichst informierte Abstimmung zu ermöglichen. Unnötigerweise hat die Tarifkommission den letzten Streik ohne Streikversammlung ausgesetzt. Vor so einer weitreichenden strategischen Entscheidung wäre eine Rückkopplung mit den Streikenden wirklich wichtig und absolut machbar gewesen (auch beim 1986er Streik hat man das übrigens so gemacht). So hat die Tarifkommission (im Übrigen ganz und gar nicht einstimmig) quasi vollendete Tatsachen geschaffen; denn in der Prüfungsphase den unterbrochenen Streik wieder aufzunehmen, wird schwieriger, als wenn der Streik fortgesetzt worden wäre. Zumal Presse und Politik schon vollmundig das Ende der Tarifauseinandersetzung verkündet haben. Diese Aussetzung ist wieder durch die genannte Verhandlungslogik zu erklären: Eine Mehrheit in der Tarifkommission fürchtete, die Arbeitgeber*innen vor den Kopf zu stoßen mit einer Weiterführung des Streiks nach der Annahme des Einigungspapiers. Lieber schickte sie die Gewerkschaftsmitglieder wieder zur Arbeit.

Daraus kann man verschiedene Konsequenzen ziehen: Man kann entweder für das Einigungspapier stimmen und sagen, lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach; oder man kann sagen, wer nicht wagt, der nicht gewinnt. Wichtig ist in jedem Falle, dass alle Streikenden und Aktiven der Kampagne ihre Schlüsse aus den Geschehnissen ziehen, damit wir im (Arbeits-)Kampf um eine bessere Gesellschaft und gegen Prekarisierung nicht dieselben Fehler wiederholen. Die Lehren sind allemal klar: Wenn wir uns zusammentun und unsere Sache selber in die Hand nehmen, können wir etwas erreichen. Wir können uns dabei nicht auf andere verlassen, weder auf die Politik, noch auf gewählte Verhandler*innen. Erstere haben auch Eigeninteressen, die mit den Interessen von Streikenden langfristig in den Konflikt geraten. Vor allem linksorientierte Parteien in der Regierung üben bei lange andauernden Arbeitskämpfe auch Druck auf die Streikenden aus, weil ein solcher Arbeitskampf ein schlechtes Bild auf ihre Regierungsarbeit wirft. So war Steffen Krach per WhatsApp in ständigem Kontakt mit dem GEW-Verhandlungsführer, der im Übrigen selber Mitglied der Linkspartei ist, und schickte uns Signale, dass wir uns schon bewegen müssten, wenn er uns weiter unterstützen solle. Auch aus der Linkspartei bekamen wir bereits im Mai Signale, dass unser Rückhalt in der Politik bröckeln würde, sollten wir uns weiterhin eskalativ verhalten.

Die Verhandler*innen, gewählt oder nicht, können wiederum noch so idealistisch sein, sie werden im Zweifelsfall in die Mühlen ihrer Rolle geraten. Oder sie sind bereits in das Sozialpartnerschaftssystem verstrickt, wie wir es kürzlich wieder im Arbeitskampf der Beschäftigten der Vivantes Service Gesellschaft beobachten durften. Dort sitzt die betreuende verdi-Hauptamtliche auch im Aufsichtsrat der Vivantes Kliniken.

Damit wir in zukünftigen Arbeitskämpfen nicht wieder in die Situation geraten, der Gegenseite mit Zugeständnissen hinterher zu laufen, damit wir uns nicht mehr Verhandler*innen als Stellvertreter*innen wählen müssen, die dann glauben, die Situation realistischer einschätzen zu können, damit nicht ständig unsere eigenen Beschlüsse verschleppt oder ignoriert werden …

… organisiert euch basisgewerkschaftlich! Kommt zur FAU! Hier gibt es keine Stellvertreter*innen, die an eurer Stelle entscheiden. Die Basis ist die Gewerkschaft und umgekehrt. Wir nehmen unsere Sache gemeinsam selber in die Hand!

Ihr seid nicht überzeugt? Kommt am 12.7. um 18:00 zur Veranstaltung „Der Staub legt sich“ im FAU-Lokal, wo wir in angenehmem Klima über die Kampagne reflektieren und diskutieren wollen.

[ssba]