Willi Boretti (* 1906 – † 1969)

Willi Boretti mit seinem Sohn Giordano_berlin

Willi Boretti (1906–1969),
aus Adlershof, Gemeinschaftsstraße 30
Der Schriftsetzer und spätere technische Zeichner Willi Boretti war von 1921 bis 1923 in der kommunistischen Jugend in Baumschulenweg organisiert, bevor er sich den Anarchisten anschloss. 1926 wurde er Mitglied der FAUD, Ortsverein Adlershof. 1928 war er Leiter der Hauptstelle der Anarchistischen Jugend und in den Folgejahren Teilnehmer an Konferenzen der Berliner „Provinzial-Arbeiterbörse“. Nachdem die Adlershofer Gruppe aus der Syndikalistischen Bewegung ausgetreten war (s.o.), verließ Boretti wenig später den Ortsverein. Im August 1936 erhielt Willi Boretti Besuch von einem schwedischen Staatsangehörigen und früheren Jungsozialisten namens Rudolf Berner, einer Ferienbekanntschaft von 1928/29. Berner gab vor, auf dem Weg in die Tschechoslowakei und Österreich zu sein. Im März 1937 tauchte Berner, vermutlich aus dem vom Bürgerkrieg umkämpften Spanien kommend, wieder in Berlin auf und versuchte mit Hilfe von Boretti, Kontakte zu alten Mitgliedern der anarchistischen Föderation zu knüpfen. Eines der Ziele war dabei laut Borettis Sohn Giordano, anarchistische Gesinnungsgenossen aus Skandinavien durch das Deutsche Reich nach Spanien zu schleusen. Bereits am 3. Mai 1937 wurde Willi Boretti von der Gestapo verhaftet. Wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens unter erschwerenden Umständen“ verurteilte das Berliner Kammergericht am 9. Februar 1938 Rudolf Ludwig zu drei Jahren und Friedrich Dettmer zu zwei sowie Willi Boretti zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus. Willi Boretti galt nach seiner Haft als „wehrunwürdig“ und war während des Krieges als Betriebsingenieur bei Mannesmann in Adlershof tätig. Er hatte freundschaftlichen Kontakt zu Fremdarbeitern und hielt auch während des Krieges Verbindung zu anarchistischen Gesinnungsgenossen. Ein Treffpunkt war eine Buchhandlung in Berlin-Lichtenberg in der Nähe des S-Bahnhofes Ostkreuz. Gegen Ende des Krieges wurde er zur „Organisation Todt“ zwangsverpflichtet. Im Rahmen der so genannten Ardennenoffensive eingesetzt, geriet er schließlich für einige Monate in amerikanische Kriegsgefangenschaft. (Nach dem Krieg trat er 1946 zwar der SED bei, wurde aber bereits Anfang der 50er Jahre politisch kaltgestellt und schließlich aus der Partei ausgeschlossen. Er musste daraufhin auch einen beruflichen Abstieg erleben und verstarb im Jahre 1969.)

Willi Boretti erinnert sich 1945:
„Die Arbeiterbewegung hatte aus der Spaltung der 1. Internationale (der sozialdemokratischen Parteien im Ersten Weltkrieg, d. Verf.) nicht gelernt. Da alle sog. Arbeiterorganisationen im Geist der Rechthaberei und Unduldsamkeit durchdrungen waren, schloss ich mich keiner Partei an, sondern sah meine Aufgabe in der Versöhnung und Problemlösung. Meinen Fähigkeiten entsprechend hielt ich Vorträge bei allen Parteien, Gruppen und Gewerkschaften, die sozialistischen Zielen zustrebten. Ich übersetzte aus fremden Sprachen, besuchte Kongresse im In- und Ausland. Als Mitglied verschiedener Hilfsorganisationen setzte ich meine kleinen materiellen Mittel ein, um auch auf diesem Gebiet die
Völkergemeinschaft praktisch zu demonstrieren. 1933 zeigte sich dann, dass alle Arbeit infolge der Starrköpfigkeit der beiden großen marxistischen Arbeiterparteien umsonst (gewesen) war. Wir hatten uns umsonst in Thüringen mit den Nazis 1923 herumgeschlagen, hatten in allen Jahren vergeblich versucht, den Bauern auf unsere Seite zu ziehen in Mecklenburg. Ich wurde im Sommer 1933 eines
der ersten Opfer des Faschismus in meinem Ort, verraten durch einen Genossen der KPD, der mit wehenden Fahnen ins andere Lager hinüberschwenkte. Nach 4 Monaten ließ man mich wieder frei.
Nun kam die Zeit der geistigen Vorbereitung auf die Zeit nach der Naziherrschaft; denn dass diese eines Tages fallen müsste, war für ich nur logisch.“

aus der Anklageschrift vom Oktober 1937

Quelle: www.gdw-berlin.de

[ssba]