WasserWeg Unterbacher See/Elbsee (Düsseldorf) – Station 2: Anarchie am See
„Hach, Waldemar, hier möcht‘ ich wohnen“ rief Anne Kutschke 1920 ihrem Mann bei einem Ausflug in den Eller Wald zu. Der war ebenfalls begeistert und so besetzte eine kleine Gruppe Düsseldorfer Anarchisten 1921 ein kleines Stück scheinbar unfruchtbaren Ödlandes in unmittelbarer Nähe des Unterbacher Sees und nannte es „Freie Erde“.
In der Zeit nach dem 1. Weltkrieg erfreuten sich die „Anarcho-Syndikalisten“ in Düsseldorf einer großen Beliebtheit. Sie forderten eine Abkehr vom Kapitalismus und mehr Selbstbestimmung für die Arbeiterklasse. Für sich selbst wollten sie andere Lebensformen verwirklichen.
Die Gruppe baute ein Steinhaus und einige Hütten und wohnte dort mit mehreren Familien. Freunde und namhafte Künstler pilgerten dort hin und sie wurden fast zu einer Touristenattraktion.
Da das Gelände abgelegen und zudem an der Grenze zwischen Düsseldorf und Erkrath lag, fühlte sich kein Amt zuständig und sie blieben von den Behörden unbehelligt.
Doch ganz so einfach und konfliktfrei war das anarchische Leben doch nicht, sie zerstritten sich und die meisten zogen schon ein Jahr später wieder aus. Nur die Familie Kutschke lebte weiter dort. Auch in der Nazizeit nach 1933 blieben sie erstaunlicherweise unbehelligt, obwohl in der Nähe einige SA-Leute wohnten. So konnte die Familie in den letzten Kriegstagen sogar noch eine Jüdin dort verstecken.
1972, nachdem die letzte Bewohnerin verstorben war, wurde das Haus abgerissen.
Die Rheinische Post hat am 24.08.18 einen interessanten Artikel mit weiteren Informationen über die Siedlung Freie Erde veröffentlicht.
Bekannte Künstler unterstützten die Aktion:Erinnerungen an die „Freie Erde“
Hilden Erkrath 1921 versuchte eine Gruppe von Anarchisten ihren Traum von einer antikapitalistischen Welt zu verwirklichen.
Mehr Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und eine Abkehr vom Militarismus. Das sind zentrale Thesen von Gustav Landauer. Er forderte die Übernahme der Macht durch die Arbeiterklasse und eine Auflösung des Eigentums von Grund und Boden. Klingt radikal, war es auch. „Anarcho-Syndikalismus“ nannte man diese Strömung, die sich nach dem Ersten Weltkrieg einer wachsenden Anhängerschaft erfreute. Auch hier gab es viele Sympathisanten.
Der Zusammenschluss aller Syndikalisten zählte um 1920 im Großraum Düsseldorf bis zu 18.000 Anhänger. Eine Gruppe einfacher Düsseldorfer Arbeiter, ihre Familien und Freunde, nahmen die Thesen von Landauer jedenfalls wortwörtlich – und besetzten 1921 ein kleines Stück scheinbar unfruchtbares Ödland, um dort ihre Vorstellung von Leben umzusetzen.
Die „Hildener Banden“ lagen in unmittelbarer Nähe des heutigen Unterbacher Sees. Nach Gustav Pieper (1882) wurden „Wiesen, welche eingebannt, das heißt von Wald oder von Buschwerk eingeschlossen waren“, „Banden“ oder „Bend“ genannt.“ In Haan gibt es noch heute die Straße „Am Bandenfeld“, in Hilden „Am Banden“, in Solingen die Bandesmühle. Gaby und Peter Schulenberg haben für die Festschrift „60 Jahre Unterbacher See“ die Geschehnisse von damals zusammengefasst. Den Namen „Freie Erde“ hatte Waldemar Kutschke ersonnen, einer der führenden Landbesetzer. Sie bauten zunächst eine Rasenhütte, legten einen Garten an und verkauften Fotos an neugierige Besucher. Waldemar Kutschke arbeitete im Reisholzer Press- und Walzwerk und war einer der wenigen aus der Gruppe, die einer Arbeit nachgingen. Die Besetzer scheuten sich nicht, in Zeitungsannoncen um Geld- und Sachspenden zu bitten. Bekannte Künstler wie Gustav Gründgens, das Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses oder Gerd Wollheim (Junges Rheinland) unterstützten die wilden Siedler. Die „Freie Erde“ wurde zum Ausflugsziel tausender Familien, neugieriger Sympathisanten und Treffpunkt der Anarcho-Syndikalisten der gesamten rheinisch-bergischen Region. Die Eigentümer, Großgrundbesitzer Richartz und die staatliche Forstverwaltung, verlangten die Räumung durch die Polizei. Da sich die Behörden nicht über eine Zuständigkeit einigen konnten – das Stück Land lag auf der Grenze von Düsseldorf, Hilden und Erkrath – blieben die Siedler weitgehend unbehelligt. Ab Herbst 1921 wurde die „Freie Erde“ zunächst amtlich geduldet. 1922 gründeten die Bewohner einen Verein (Produktive Genossenschaft Freie Erde) und unterschrieben (dank guter Beziehung zu einem hohen Regierungsbeamten) einen Pachtvertrag auf 99 Jahre. Dann kam es zu Streitigkeiten innerhalb der Gruppe. Kein Wunder: Alle Siedler (20 bis 25 Personen) wohnten in einem einzigen Haus. Gestritten wurde über anarchistische Ideale und Lebensweisen, über „freie Liebe“, über „Partnerwechsel“ oder „Nudismus“. 1923 gingen die Gründer auseinander. Nur das Ehepaar Anna und Waldemar Kutschke blieb mit seinen drei Kindern auf der „Freien Erde“ wohnen. Die Nationalsozialisten ließen sie unbehelligt. Die „Freie Erde“ war einfach zu abgelegen.Waldemar und Anne Kutschke gaben Juden Asyl, sie blieben bis zum Kriegsende unentdeckt. Anna Kutschke starb 1968, ihr Mann zwei Jahre später, Tochter Josefine zog in die heutige Siedlung Freiheit in Vennhausen.
Es gab zuvor noch einmal einen kurzen Moment, in dem der freie Geist Einzug hielt: 1969 wurde in dem Haus der antiautoritäre Kindergarten „Kinder des Olymps“ eröffnet, aber dieses Experiment hielt sich nur ein Jahr lang. Den Augenblick des Abrisses 1972 beschrieb Josefine Müller wie folgt: „Der Bagger hat ein Loch ausgehoben, worin das Haus beerdigt wurde.“ Nur der Kamin wollte einfach nicht fallen. Die „Freie Erde“ blieb eben unbeugsam – bis zum Schluss.
Eine weit ausführlichere Aufarbeitung des anarchistischen Wohnbauprojekts wurde 1998 im Rahmen einer Ausstellung im Bahnhof Eller geboten. Georg Beck hat sich diesem Kapitel der Zeitgeschichte angenommen und in einem Katalog seine Recherchen zusammengetragen. Eine große Hilfe waren ihm neben dem Schriftverkehr die Aufzeichnungen von Josefine Müller, der Tochter von Waldemar Kutschke.
3.2 Anarcho-SyndikalistInnen und die Siedlung ‘Freie Erde’ 1921-23
Am 6. Juli 1921 besetzen rund 25 AnarchistInnen und Anarcho-SyndikalistInnen, durchweg ArbeiterInnen und Arbeitslose, ein Gelände des staatlichen Forstes im Bezirk der Bürgermeisterei Erkrath, angrenzend zu Hilden, Erkrath, Benrath und Düsseldorf – die sogenannten ‘Hildener Banden’. Alle Mitglieder gehören ausnahmslos der ‘Freien Arbeiter Union Deutschlands’ (FAUD [S] [271]) an [272].
Düsseldorf, das ist heute weitgehend unbekannt, war eine Hochburg der anarcho-syndikalistischen Bewegung. Die FAUD hatte hier zeitweise bis zu 20.000 Mitglieder, und zwar “überwiegend Metall und Stahlarbeiter, Bauarbeiter und Fliesenleger, und sogar einzelne (kaufmännische und technische) Angestellte ”.[273] In Düsseldorf wurde auch – von 1921 bis 1923 – die einzige anarcho-syndikalistische Tageszeitung herausgegeben, die den programmatischen Titel trug: ‘Die Schöpfung – sozialrevolutionäres Organ für ein sozialistisches Neuland’. Arbeitskämpfe von in der FAUD organisierten ArbeiterInnen – wie zum Beispiel die Auseinandersetzungen um die 5-Tage-Woche, die 1929 gewonnen wurden – liefen nicht selten militant ab: StreikbrecherInnen wurden konsequent am Betreten des bestreikten Betriebes gehindert, revolutionäre Fliesenleger schlugen die bereits verlegten Fliesen nachts wieder ab [274]. Die AnarchistInnen lehnten bürgerliche Normen ab und propagierten Ideen vom direkten “Austreten aus dem Kapitalismus ”[275]. Neue Lebens- und Produktionsformen sollten sofort ausprobiert und Weltveränderung nicht erst im historisch richtigen Augenblick betrieben werden . “In Berlin propagierte Gustav Landauer, einer der Mitbegründer des ersten Konsumvereins dort, den Ausstieg aus der profitorientierten Kapitalwirtschaft. In seinem Geiste eine Gemeinschaft zu gründen, bedeutete, zu versuchen, gemeinsam zu produzieren, zu leben und unabhängig zu sein .”[276] Die BesetzerInnen der ‘Hildener Banden’ waren ganz offensichtlich von Landauers sozialrevolutionären Ideen inspiriert. [277]
Die BesetzerInnen des Grundstücks in den ‘Hildener Banden’ bauen zunächst eine Rasenhütte – “ein geräumiger Unterstand aus Rasenbollen ”[278], roden ein Stück Land für den Gartenbau und verkaufen Fotos an neugierige Besucher. SprecherInnen der Gruppe, die von der Polizei mißtrauisch beobachtet und für KommunistInnen gehalten werden, sind die Eheleute Anna und Waldemar Kutschke. Letzterer ist außerdem im Reisholzer ‘Preß- und Walzwerk’ beschäftigt und damit einer der wenigen in der Gruppe, der einer Arbeit nachgeht. Kutschke hält den Kontakt zur ‘Arbeiterbörse’ der FAUD, die wie alle Gewerkschaften Schwierigkeiten hat, Kontakt zur arbeitslosen Bevölkerung aufzunehmen [279].
“Im August 1921 wurde das Fundament für das erste Steinhaus gelegt – es sollte entgegen der ursprünglichen Planung, das einzige werden, das von dieser Gruppe fertiggestellt werden konnte.”[280] Spätere Nachbarhäuser stammen nicht mehr von ihr.
Die SiedlerInnen leben von dem Einkommen Waldemar Kutschkes und Sachspenden örtlicher FAUD-Mitglieder. Obwohl die Besetzung auch innerhalb der FAUD sehr umstritten ist [281], erfahren die SiedlerInnen zunächst dennoch Unterstützung durch GenossInnen : “So wurde das Fundament und die Grundmauern [des Hauses] aus einer ‘Wagenladung Steinen’ errichtet, die (…) von den syndikalistischen Bauarbeitern der Firma ‘Haniel und Lueg kostenlos zur Verfügung gestellt’ wurden ”[282].
Weitere Solidarität finden die SiedlerInnen im anarcho-syndikalistischen Sängerverein ‘Freie Sänger 04’, der auf dem Gelände der ‘Freien Erde’ ein Solidaritätskonzert gibt, oder auch bei namhaften Künstlern wie zum Beispiel Gustav Gründgens, dem Ensemble des Düsseldorfer Schauspielhauses, Gerd Wollheim – Mitglied der KünstlerInnengruppe ‘Junges Rheinland’ – oder auch Dr. Erwin Quedenfeld, dem Vorsitzenden des Düsseldorfer “Monistenbundes” [283].
Schon bald wird die Siedlung Ausflugsziel tausender Düsseldorfer Familien, neugieriger SympathisantInnen, sowie Treffpunkt von Anarcho-SyndikalistInnen der gesamten rheinisch-bergischen Region. [284]
Immer wieder sehen sich die SiedlerInnen heftigen Angriffen durch die Polizei ausgesetzt. Die Eigentümerin des Grundstücks, die staatliche Forstverwaltung und der Großgrundbesitzer Richartz, dem das anliegende Gelände gehört, drängen unaufhörlich auf die polizeiliche Räumung. Doch die SiedlerInnen wehren sich rigoros. Die Formen ihres Widerstandes werden in der Literatur unterschiedlich dargestellt. In manchen Quellen wird behauptet, daß sie sich mit Waffengewalt und ‘Molotov-Cocktails’ verteidigt hätten – in anderen ist lediglich von ‘Fäusten’ und einer ‘Mistgabel’ die Rede. [285]
Ab dem Herbst 1921 wird die ‘Freie Erde’ zunächst amtlich geduldet. Schließlich unterschreiben die BewohnerInnen 1922, unter anderem wegen ihrer guten Beziehungen zu einem hohen Regierungsbeamten und unter Maßgabe der Gründung eines eingetragenen Vereins (die ‘Produktive Genossenschaft Freie Erde e.V.’), einen 99-jährigen Pachtvertrag.
Die Erfolge der ‘Freien Erde’ liegen vor allem in der Schaffung von kostenlosem Wohnraum und Selbstversorgung für einige GenossInnen und ihre Kinder. Außerdem wird hier ein Treffpunkt für FreundInnen und MitstreiterInnen geschaffen.
Trotz dieser Erfolge kommt es in der Folgezeit zu Streitigkeiten innerhalb der Gruppe. Viele der ursprünglichen Ziele werden nicht erreicht. So schaffen es die AnarchistInnen nicht, “weitere Genoss(inn)en für die Vergrößerung der Siedlung zu gewinnen, um mit mehr Land und Werkstätten und in engem Kontakt mit FAUD-Organisationen in den Düsseldorfer Betrieben eine Art ‘Arbeitslosenvermittlungsdienst’ aufzubauen. Auch die Belieferung der Genossen in der Stadt mit Gemüse gelang wegen der zu geringen Produktion nicht .”[286] Das hängt unter anderem damit zusammen, daß die Unterstützung von GenossInnen aus der Stadt im Laufe der Zeit immer geringer wird.
Aber es gibt noch ganz andere Gründe für Spannungen in der Gruppe: So wohnen die gesamten SiedlerInnen – immerhin 20 bis 25 Personen – in einem einzigen Haus. Auch über die Verwirklichung anarchistischer Ideale und Lebensweisen wird gestritten. Meinungsverschiedenheiten gibt es beispielsweise bei den Themen ‘freie Liebe’, ‘PartnerInnenwechsel’ oder ‘Nudismus’.
1923 spaltet sich die GründerInnengruppe der ‘Freien Erde’. Nur das Ehepaar Kutschke bleibt mit seinen drei Kindern auf der ‘Freien Erde’ wohnen. [287]
CARL UHRIG
geb. 10.08.1878 in Mönchengladbach
gest. ca. 1955 in La Vega, Dominikanische Republik
Durch unsere Nachforschungen über die Gruppe von Düsseldorf-Eller sind wir auf einen Carl Uhrig gestossen, der am 10. August 1878 in Mönchengladbach geboren wurde. Er wurde Buchhändlergehilfe und ist zwischen 1897 und 1898 für einige Monate in Düsseldorf-Eller angemeldet, danach meldete er sich wieder nach Mönchengladbach ab. Diese Angaben sind uns freundlicherweise aus dem Stadtarchiv der Landeshauptstadt Düsseldorf zur Verfügung gestellt worden. Wir sind davon ausgegangen, dass es sich dabei um unseren Carl handelt. Obwohl keine Anmeldung von ihm für die späteren Jahre in Düsseldorf registriert ist, können wir annehmen, dass er ein Teilnehmer jener kleinen Gruppe war, die Anfang der zwanziger Jahre in Düsseldorf-Eller sich bei der Siedlung „Freie Erde“ sozusagen durch Besetzung einnistete. Diese Siedlung war eine im Geiste Gustav Landauers 1921 gegründete Wohngemeinschaft, die auf der Suche nach einem Leben im Grünen und um nach freiheitlich-anarchistischen Prinzipen zu leben, ein Stück Land genommen hatte und durch den Eigenbau eines Hauses das Siedlungsprojekt als alternative Lebensform begonnen hatte. Einige Teilnehmer dieses Experiments haben darüber berichtet. Mit der Besetzung der Siedlung „Freie Erde“ durch die Gruppe „Kaverno di Zaratustra“, die um Gerhard Schöndelen, den sogennannten „Sexapostel“ sich formiert hatte, haben wir die bis jetzt einzige direkte Erwähnung einer solchen mit der Gruppe in Berlin gleichnahmigen Kommune. Diese Beziehung ist später durch das Auftauchen von Schriften Kavernidos in den Ido-Zeitungen bestätigt bzw. erweitert worden. Hier wird auch eine Frau namens Agnes erwähnt, welche aus Düsseldorf stammte und als die „Grosse Agnes“ in den Erinnerungen der Kommunekinder auftaucht; Jahre später war sie im Zusammenhang mit dem grossen Krach 1926 in Tourrettes dabei, als mehrere Mitglieder der Kommune, darunter Hannchen mit Kindern und Agnes selbst, die Gruppe gegen den Widerstand der Zurückbleibenden verliessen. 2007 berichtete uns ein ehemaliges Kind der Kommune, Kurt B. (1919) über seine Mutter Elisabeth, die 1923-24 zu dieser Gruppe gestossen ist (siehe Chronik der Familie Burkhardt). Sie waren dann auch bis 1929 mit der Kommune auf Korsika.
Es ist leider nicht viel, was wir über Carl Uhrig und seine Position in der Kommune wissen. Er hatte musikalische Ausbildung oder konnte zumindest Instrumente spielen. Er soll den Kindern Gesang und Geigeunterricht gegeben haben (wie Lotte Gloger und Kurt Burkhardt uns erzählt haben), sowohl in Berlin (bis 1926) wie später in Frankreich (bis 1929) und in der Dominikanischen Republik (bis 1933).
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