DA: Revolution oder Re-Evolution? – Der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ entpuppt sich als typische Diktatur lateinamerikanischen Stils

Revolution oder Re-Evolution? – Der „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ entpuppt sich als typische Diktatur lateinamerikanischen Stils

Hugo Chavez erklärte im Rahmen seiner neuerlichen Vereidigung als Staatspräsident am 10. Januar die Wiederverstaatlichung der nationalen Telefongesellschaft sowie der Stromindustrie. Außerdem erklärte er seine Absicht, die staatliche Kontrolle über das venezolanische Öl auszuweiten. Ohne Zweifel war dies alles Ausdruck politischer Veränderungen. Diese Entwicklung betrifft nicht nur Venezuela, sondern auch lateinamerikanische Staaten. Ungeachtet der Erklärungen von Chavez, und seinesgleichen über den Beginn eines „Sozialismus im 21. Jahrhundert“, verteidigen alle diese Regierungen das staatliche und private Eigentum der Produktionsmitel und lassen in „ihren“ Staaten die traditionellen militärischen und polizeilichen Repressionsinstrumente unangetastet.

Wachstumsrate und Revolution

Im vergangenen Jahr ist der private Sektor um 10,3 Prozent gewachsen, während der öffentliche Sektor nur um die Hälfte dessen zugenommen hat. Im gleichen Zeitraum hat die verarbeitende Industrie nur minimal zugelegt, und die offizielle Arbeitslosenrate liegt bei etwa zehn Prozent. Das Hauptwachstum fand im Finanzsektor Venezuelas statt. Die Financial Times bemerkte: „Nicht nur private Banken setzen auf die Revolution.“ Viele der erlassenen Gesetze sind weniger radikal, als Regierung oder Opposition behaupten. Das Fischfang-Gesetz besagt zum Beispiel, daß die industriellen Flotten erst sechs Meilen von der Küste entfernt ihre Netze auswerfen dürfen. Das Petroleum-Gesetz sieht höhere Abgaben bei der Öl-Förderung vor und schreibt bei Joint-Venture-Unternehmungen eine staatliche Mehrheit vor. „Ein Angriff auf das Eigentum“, schimpft Pedro Carmona vom Unternehmerverband Fedecamaras über das „Ley de tierras“, die Agrarreform. Bei näherem Hinsehen entpuppt es sich als Bluff. „Unsere Landwirtschaft findet im Hafen statt“, so Eduardo Terra, fast alle Lebensmittel werden importiert und es keine Bauern- oder Landlosenbewegung. Für den Präsident der deutsch-venezolanischen Handelskammer und Direktor der Banco de Crédito, German Garcia-Velutini ist das ley de tierras „Populismus“. Das Gesetz sieht die Konfiszierung nicht genutzter Äcker und die Übergabe an Bauern vor, aber die Begünstigten erhalten keine Besitztitel. Damit sollen Verpfändung und Verkauf verhindert werden. Aber auch Kredite werden verhindert, denn  so Garcia-Velutini  „ohne Bürgschaft kein Geld“.

Öl, Globalisierung,  Antiimperialismus & Indigenas

Venezuela verkauft weiterhin 95 Prozent seines Öls auf dem Weltmarkt (80 Prozent gehen allein in die USA) und nur fünf Prozent werden zu günstigen Preisen über Projekte wie Petrocaribe oder die Verträge mit linken Kommunalverwaltungen in Mittelamerika abgegeben. Die Chávez-Regierung braucht die Globalisierung, damit sie Verträge mit den großen Ölkonzernen wie ChevronTexaco, ABB, Teikoku und Statoil, abschließen kann. Trotz seiner anti-kapitalistischen Rhetorik hat Chávez den Öl- und Gaskonzernen riesige Gebiete in Venezuela überlassen, z.B. die Platforma Deltan, große Ölfelder an der Küste von Venezuela. Es gibt zahlreiche andere Beispiele wie die Unterzeichnung von Verträgen mit Royal/Dutch Shell, um Erdgas in Marshal Sucre im Wert von $2,7 Milliarden zu fördern, oder das „American Port“-Projekt mit mehreren Großkonzernen um Kohle im Wert von $60 Millionen in Zulia herzustellen. Momentan sind US-venezolanische Geschäfte ungefähr $29 Milliarden wert, was Venezuela zum drittgrößten Handelspartner der Vereinigten Staaten in Lateinamerika macht. Trotz ihrer anti-imperialistischen Rhetorik lieferte die Chávez-Regierung den USA während des US-Angriffs auf den Irak weiterhin Öl. 2003, das Jahr des zweiten Irak-Krieges, war das staatliche Ölunternehmen, die PDVSA, der zweitgrößte Lieferant von Erdöl an die USA. Etwa 47 Millionen Barrel Öl im Wert von $333 Millionen erreichten die USA, was ungefähr 13% der gesamten Ausfuhr von Venezuela in diesem Jahr ausmachte. Chávez weiß, dass er, so lange das Öl im Land weiter fließt, die Bevölkerung mit sozialen Projekten und revolutionären Parolen beruhigen kann. Obwohl die Armen einige kurzfristige Verbesserungen in den Bereichen Gesundheit und Erziehung erlebt haben, gibt es bisher keine echten Änderungen der sozialen Strukturen des Landes, sondern nur neue Etiketten und neue Farben. Im September 2000 hat Cavez zusammen mit elf anderen südamerikanischen Regierungen die IIRSA (1) unterzeichnet. Dieses wenig bekannte, aber massive Infrastrukturprojekt wird wie der Plan Puebla Panama in Zentralamerika „Entwicklungskorridore“ einrichten. Diese „Entwicklungskorridore“ werden den Interessen der zerstörerischen Öl-, Gas- und Bergbauindustrien dienen, indem sie Autobahnen, Wasserdämme, Gas- und Ölpipelines bauen sowie dazu die Militärbasen, um so auf dem gesamten südamerikanischen Kontinent die Ausbeutung zu erleichtern. Nach dem IIRSA-Treffen in Venezuela im Juni 2003 erkläre Chavez den Zweck der IIRSA-Projekte in seiner eigenen Fernsehsendung „Alo Presidente“ (2) als „das Propagieren produktiver kommerzieller Methoden, die ein anhaltendes Wachstum garantieren sowie anhaltendes Wachstum und Nachhaltigkeit für die gesamte Region“. Chavez verkündete in dieser Sendung auch die Gründung der PetroAmerica, die wie alle anderen großen Ölprojekte in Südamerika massive Umweltzerstörung und menschliches Leid verursacht. Als am 31. März 2004 Tausende Indigenas zusammen mit StudentInnen gegen die Gasförderung und für die Anerkennung indigenen Landes demonstrierten konnten die DemonstrantInnen bedauerlicherweise Chavez nicht sprechen. Dieser war gerade durch einen Besuch des früheren Fußballspielers Maradona abgelenkt.

„Lider Maximo“ mit zweifelhaften Einstellungen

Chavez‘ Regierung nimmt immer stärker einen diktatorischen Charakter an. So hat er beispielsweise ein Ermächtigungsgesetz eingeführt mit dem er auf dem Verordnungswege regieren kann. Im Hintergrund steht dabei die enorme soziale Kluft zwischen Arm und Reich, die die venezolanische Gesellschaft nach wie vor charakterisiert. Für Kritiker, ist es schwierig, an seiner Seite zu bleiben. Er nimmt keine Ratschläge entgegen, hört nicht zu, umgibt sich mit Opportunisten, geben seine Freunde hinter vorgehaltener Hand zu. „Er ist Militär und hat einen Dickschädel“, erklären sie. Statt zu überzeugen, fordert er Gehorsam. Er läßt die zivile Gesellschaft nicht an der Macht teilhaben sondern zentralisiert Entscheidungen in seiner Hand. Kein Dialog mit den Bürgern, sondern stundenlange Monologe, übertragen vom staatlichen Fernsehen, jeden Sonntag. Das Militär hat seinen beträchtlichen Einfluss behalten und die Zahl der Militärs und Ex-Militärs, die Regierungsämter bekleiden, hat unter Chávez sogar zugenommen. Alle strategischen Posten wurden mit Militärs besetzt, Minister, Geheimdienste, Staatsbetriebe, Botschafter, Gouverneure. Momentan besteht das Chávez-Regime aus einem Zusammenschluss von KommunistInnen und anderen Linken mit konservativen Militärs, Rechten und OpportunistInnen (3) . Und die bedienen sich wie eh und je aus allen Töpfen. Dabei hatte Chávez seinem Wahlvolk eine Kampfansage an die Korruption versprochen. Chávez will nach seinen Taten, nicht nach seinen Reden beurteilt werden. Das ist sinnvoll, denn er redet viel. Trotz aller Angriffe auf „Neoliberalismus“ und „Imperialismus“ hat er keine klare Ideologie (4), zu seinen Freunden zählen nicht nur Fidel Castro sondern auch die argentinischen „Carapintadas“, jene ultrarechten Militärs, die die Amnestiegesetze mit Säbelrasseln erzwungen haben. Chavez bekräftigte auch bei mehr als einer Gelegenheit seine Freundschaft mit dem Iran oder Weißrussland. Es scheint so als handelte er frei nach der Devise der „Feind meines Feindes ist mein Freund“. Chávez hat 2006 Weißrussland besucht und mehrere Verträge mit der Regierung dort abgeschlossen. Er erklärte, Lukaschenko sei sein Freund und kein Diktator. In Weißrussland sind Verurteilungen wegen „Verleumdung des Präsidenten“ beinahe an der Tagesordnung und viele Opositionelle kommen unter ungeklärten Umständen ums Leben oder verschwinden. Während eines Besuches des Iran am 29. Juli 2006 erklärte Hugo Chavéz: „Israel verübt an den Libanesen die selben Handlungen, wie sie Hitler an den Juden verübt hat …“ (im Gespräch mit Al-Dschasira). Iran und Venezuela seien „Brüder“ und Venezuela werde „unter welchen Umständen auch immer“ stets an der Seite Teherans stehen.(5) Auch wenn die jüdische Gemeinde in Venezuela im Moment nicht akut durch Progrome bedroht ist, so erweckt Chavez doch den Eindruck Kenner und auch Anhänger antijüdischer Verwschörungstheorien zu sein. Denn seine Äußerungen zu „den Juden“ im Iran waren nicht die einzigen Ausfälle. In einer Ansprache am Heiligabend 2005 erklärte zum Beispiel: „Die Welt hat genug für alle, doch eine Minderheit, die Nachkommen derer, die Christus kreuzigten, dieselben, die Bolivar verjagten und ihn auf ihre Art in Santa Maria kreuzigten (…), haben sich die Reichtümer der Welt zueigen gemacht. Eine Minderheit hat das Gold des Planeten an sich gerissen, das Silber, die Bodenschätze, das Wasser, das schöne Land, das Öl.“

Die Circulos Bolivarianos und Autonomie

Die abnehmende Autonomie und die zunehmende Abhängigkeit der Politik von Chávez könnte bedeuten, dass, sollte Chávez aus irgendeinem Grund seines Amtes enthoben oder nicht wieder gewählt werden, die „bolivianische Revolution“, d.h. die Verbesserungen, die im Land stattgefunden haben, leicht rückgängig gemacht oder zerstört werden könnten. Von einem Menschen so abhängig zu sein, macht den sozialen und politischen Fortschritt schwach und prekär und läuft auf das Risiko hinaus, eine Diktatur entstehen zu lassen. Als Chávez an die Macht kam, betonte er die Wichtigkeit der Macht von unten. Die Gründung von zahlreichen Circulos Bolivarianos in den Barrios, bestätigte diese Aussage und wurde anfangs wegen ihres libertären Charakters von der Mehrheit der libertären Bewegung als fortschrittlich begrüßt. Es schien tatsächlich, als ob eine Revolution von unten stattfände. Aber im Laufe der Zeit mischte sich die Regierung immer öfter in die Angelegenheiten der Circulos ein und versuchte, sie in chavistische Wahlwerbungsgruppen umzuwandeln. Das Risiko besteht, dass die Gruppen wie in Kuba zu Circulos de Defensa de la Revolución (6) werden, die Castro zu Bespitzelung und Kontrolle der Bevölkerung verwendet.

Die Gewerkschaftsbewgung in Venezuela

Obwohl die anarchistische Bewegung ständig wächst und ein zunehmendes Interesse an den anarchosyndikalistischen Ideen fest zu stellen ist, gibt es wegen der fehlenden syndikalistischen Traditionen kaum Anarcho-SyndikalistInnen in Venezuela. Die Gewerkschaftsbewegung ist relativ jung. Die CTV (7) wurde erst 1958 von gegründet Die CTV wird im Stil der großen europäischen und US-Gewerkschaften hierarchisch geführt, mit geringer oder keiner Beteiligung der Arbeiterschaft. Chávez versuchte 1999 eine Alternative, die FBT (8) aufzubauen, mit der er die CTV infiltrieren und die Organisation unter seine Kontrolle bekommen wollte. Sein Versuch ist gescheitert. Folglich wurde 2001 die UNT (9) gegründet. 2002 besetzten Mitglieder der UNT neun ungenutzte Fabriken. Dieses Ereignis, dass sich erst einmal positiv anhört, kann leider nicht mit den Fabrikbesetzungen in Argentinien verglichen werden, weil die Besetzer nichts gemacht haben, ohne vorher die Regierung um Erlaubnis zu bitten, auch wenn dies bedeutete Wochen lang untätig herumzusitzen. Anstatt sich selber zu organisieren, zogen sie es vor, von der Regierung Krümel zu erbetteln.

Die Opposition….

…..besteht auf der einen Seite aus Neoliberalen, Großgrundbesitzern und Rechten und auf der anderen Seite aus SozialistInnen, KommunistInnen und AnarchistInnen, welche sich feindlich gegenüberstehen, was die politische Lage weiter verkompliziert. Die libertäre Bewegung in Venezuela hat sich über die Frage gespalten, ob sie der Chávez-Regierung ihre Unterstützung gewähren sollen oder nicht. Trotz der Tatsache, dass die Kritikpunkte der AnarchistInnen an Chávez ganz andere sind als die der rechten Opposition, werden erstere unter anderem von den sogenannten „anarcho-chavistas“ (Pro-Chávez-AnarchistInnen) beschuldigt, dass sie in die Hände der rechten Opposition spielen oder sogar die Rechten unterstützen würden. Die „anarcho-chavistas“ behaupten, dass die AnarchistInnen10 keine wahren AnarchistInnen seien, weil sie gegen eine „revolutionäre“ Regierung agieren würden. Nach der Meinung der „anarcho-chavistas“ ist die Chávez-Regierung das geringere Übel und das es nicht der richtige Zeitpunkt sei, die Chávez-Regierung zu kritisieren. Sie haben Angst davor, mit den Reaktionären in einen Topf geworfen zu werden, da Chávez alle, die seine Regierung kritisieren, regelmäßig als Konterrevolutionäre bezeichnet. Die Position der AnarchistInnen wurde in El Libertario (Nr. 44) auf den Punkt gebracht: „Wir setzen auf soziale Bewegungen, die die Dynamik für unabhängige Aktion und Organisation aufbauen und die auf der breitesten Teilnahme auf allen Ebenen basieren, was den Aufbau verschiedener Arten direkter Aktionen und Selbstverwaltung ermöglichen wird, jenseits staatlicher Kontrolle oder anderer Instanzen der Unterdrückung. Dies ist die einzige Art und Weise, Freiräume, Gleichheit und Solidarität zu verbinden, aus denen die Zukunft hervorgehen wird, für die wir kämpfen. Unsere Position kann zusammengefaßt werden mit den Worten von John Holloway: „Die Welt verändern, ohne die Macht zu übernehmen“.

Die Zukunft

Obwohl die Entwicklung einer unabhängigen sozialen Bewegung durch das Sich-Verlassen auf die Chávez Regierung nicht gerade gefördert wird, wächst eine solche doch langsam heran, besonders in den Bereichen Feminismus, Indigenenrechte und Umweltschutz, drei Bereiche, die von der Regierung vernachlässigt werden. Die linke Opposition wächst, da immer mehr Linke enttäuscht werden durch die Oberflächlichkeit und durch die Richtung, die die „Bolivarianische Revolution“ anscheinend genommen hat. Das Interesse am Anarcho-Syndikalismus als Alternative wächst, ob es in naher Zukunft zu großen Entwicklungen kommen wird darf bezweifelt werden. Vielmehr steht zu Befürchten das uns die Veränderungen in Venezuela immer mehr an den Wirtschaftsnationalismus und militärischen Populismus eines Juan Peron in Argentinien erinner werden.

AutorInnen: Catkawin (FdAIFA) & Nik Toparkdas ist Rudolf Mühland

siehe auch: el libertario (Venezuela)

1 Integration der Regionalen Südamerikanischen Infrastruktur
2 Folge 155
3 Ein Phänomen das nur als „Chavismus“ bezeichnet werden kann
4 Außer der Ideologie aller paternalistischer Revolutions“führer“, die an der Macht bleiben zu wollen.
5 Siehe auch das Kapitel: Öl, Globalisierung & Antiimperialismus in deisem Artikel
6 Kreisen zur Verteidigung der Revolution
7 Confederación de Trabajadores de Venezuela – Konföderation von Venezolanischen ArbeiterInnen
8 Fuerzas Bolivarianas de Trabajadores – Bolivianische Kräfte der ArbeiterInnen
9 Union National de Trabajadores – Nationale ArbeiterInnen Union