aus dem Archiv: i2002 – Zur inhaltlichen Bestimmung der Konferenz

i2002 – „Unser Leben ist der Mord durch Arbeit.“ ­ der Kampf für ein besseres Leben muß global werden!

Das Thema Globalisierung ist aus kapitalistischer Sicht vielfältig präsent. Unsere Aufgabe ist es, die Globalisierung der Betroffenen zu organisieren, uns selbst gemeinsam zu organisieren. Die medienwirksamen Inszenierungen der Globalisierungsgegner haben gezeigt, daß der kapitalistische Weg nicht unwidersprochen bleibt. Die Aufgabe selbstorganisierter Gewerkschaften ist es, neben den „Eventprotesten“ zu zeigen, daß sich überall Widerstand regt und diesen Widerstand dort voran zu treiben und zu organisieren, wo wir leben und arbeiten. Wir sind die Betroffenen der Globalisierung und können auch deren Akteure werden – in unserem Sinne. Wenn sich unser Schicksal in dieser Welt ändern soll, müssen wir es selbst in die Hand nehmen. Nur zusammen haben wir die Stärke, unsere Lebensbedingungen nicht nur zu verteidigen sondern sie grundlegend zu verändern.

Als vor drei Jahren die erste Internationale Solidaritätskonferenz (i99) in San Francisco stattfand, ging es dort, neben vielfältigen Formen von Erfahrungsaustausch zwischen den ArbeiterInnen, auch um die Konferenz der Welthandelsorganisation (WTO) in Seattle. Die Proteste gegen das Treffen der WTO in Seattle gelten heute als Auftakt der sogenannten „Antiglobalisierungsbewegung“.

In den folgenden drei Jahren hat sich viel getan. Während sich die Konturen einer veränderten globalen Ordnung von Wirtschaft und Politik immer deutlicher abzeichnen, machen sich die davon Betroffenen in immer größerer Anzahl wütend Luft.

In diese Wut mischen sich verschiedene Untertöne. Die Furcht vor den Konsequenzen der „Globalisierung der Ausbeutung“ führt bei manchen dazu, Forderungen an „ihre“ Wirtschaft und „ihren“ Staat zu stellen, daß man sie vor dieser Globalisierung schützen solle. Dabei übersehen sie, daß es aus den veränderten globalen Koordinaten kein Zurück in die trügerische Idylle vermeintlich guter alter Zeiten der Ausbeutung in nationalstaatlichem Rahmen geben wird. Für uns besteht kein Grund, in dieses Konzert einzufallen. Wir sollten vielmehr die neue Situation als Chance begreifen, unsere eigenen Kämpfe weltweit zu vernetzen und das Verständnis davon weiter zu entwickeln, daß wir WELTWEIT EINER Klasse angehören. Es ist dabei vielleicht hilfreich, sich an die Zeit zu erinnern, als unsere Bewegung aus der Mitte dieser Klasse entstand. Wir zogen als andalusische Tagelöhner in die Industrieregionen Kataloniens, aus den Westprovinzen Polens zu den Bergwerken und Hochöfen des deutschen Ruhrgebiets, wir verließen Italien, um in den Schlachthöfe am Rio de la Plata zu arbeiten. Auf der Suche nach einem Einkommen, einem besseren Leben, nach mehr Freiheit, auf der Flucht vor den Repressalien der Bosse und ihrer Polizei, war unsere Klasse immer mobil und im wahrsten Sinne des Wortes global. Im Handgepäck schmuggelten wir häufig unsere Ideen von einer anderen Welt ohne Ausbeutung und staatliche Unterdrückung über Ländergrenzen und Kontinente. Und natürlich unsere Erfahrungen aus den Kämpfen. Erfahrungen, die auf diese Weise weitergetragen wurden, die zirkulierten, sich neuen Situation anpaßten, sich ausbreiteten.

Zu Beginn des neuen Jahrhunderts sind immer noch oder schon wieder Millionen von Menschen rund um den Globus in Bewegung und auf der Suche nach einem Einkommen und einem besseren Leben. Die Zahl derer, die am eigenen Leibe erfahren, daß das kapitalistische Wohlstandsversprechen nicht mehr ist, als eine buntgetünchte Fassade, hinter der immer mehr von unserem Leben unter zunehmend schlechteren Bedingungen verschlungen wird, steigt in den letzten Jahren wieder stetig an.

Das Ende der garantierten Arbeit

Die menschliche Arbeit ist eine Ware, die zunehmend an jedem Ort der Welt in gewünschter Qualität und Preis eingekauft werden kann. Ob multinationale Konzerne ihre Produktionsstätten qür über den Globus verteilen oder die Menschen der Arbeit auf der Suche nach einem Einkommen hinterher wandern – der vom Kapital gewünschte Effekt ist der gleiche. Arbeit so flexibel und kostengünstig, wie es zur maximalen Profiterhöhung notwendig ist, zur Verfügung zu stellen. Für das Kapital gilt die Regel, daß es immer einen Ort auf der Welt gibt, an dem eine bestimmte Arbeit billiger verwertet werden kann.

Die Folgen dieser weltweiten Entwicklung sind uns wohlbekannt. In den Industrienationen werden die ArbeiterInnen immer mehr aus garantierten Arbeitsverhältnissen gedrängt und, unterstützt durch den Abbau sozialer Sicherungssysteme, in entgarantisierte Arbeitsverhältnisse gezwungen. Zeitarbeit, Scheinselbständigkeit, befristete Arbeitsverträge, gefolgt von Subunternehmen, Heimarbeit, Familienmithilfe und Saisonarbeit nehmen rapide zu. Begleitet wird dies von einer ideologischen Offensive, mit der uns eingeredet werden soll, wir seien unsere eigenen „Arbeitskraftsunternehmer“ und hätten deshalb keine Ansprüche an die Gesellschaft zu stellen.

Dort wo viele glaubten, die Arbeitskraft ließe sich nicht mehr stärker ausbeuten, in den Maquiladoras und den Freihandelszonen Lateinamerikas und Asiens, wird die Produktion vermehrt durch Heimarbeit in den informellen Sektor verlagert. Textilfabriken werden geschlossen, die Nähmaschinen an die Arbeiterinnen verkauft, und diese nähen nun die gleichen Kleidungsstücke wie zuvor, nur tragen nun sie selbst das Risiko.

Dort, wo den Menschen oft nur noch der nackte Kampf ums Überleben bleibt, sind sie gezwungen, sich jeder Form von Ausbeutung zu unterwerfen. In weltweiten Wanderbewegungen verlassen sie die Regionen, die ihnen keine Überlebenschance mehr bieten und finden sich anderswo rechtlos als Hausangestellte, Erntehelfer, Bauarbeiter, Prostituierte, Rosen- und ZigarettenverkäuferInnen, als illegale ArbeiterInnen im informellen Sektor wieder. Daß sie dabei oft in eine starke Konkurrenz zu den legalen ArbeiterInnen treten, ist ein vom Kapital gewünschter Effekt. Illegalität, Spaltung, Konkurrenz und Rassismus sollen Solidarisierungen verhindern und zur flexiblen Ausbeutung beitragen.

Ziel unserer Konferenz ist es, einen Grundstein für eine Gegenmacht zu legen

Mit dem weltweiten Angriff auf unsere Klasse, wächst auch der Druck auf die in syndikalistischen oder unionistischen Organisationen vereinten ArbeiterInnen. Das drückt sich in einer deutlich gestiegenen Zahl von Kämpfen aus, die wir in vielen Regionen der Welt in den letzten Jahren geführt haben. Dabei hat sich gezeigt, daß unser primäres Kampfmittel, die Direkte Aktion in ihren verschiedenen Formen, in aller Regel wesentlich effektiver ist, als die devoten Verhandlungsrituale der klassischen Gewerkschaften. Einige dieser Kämpfe wurden durch ArbeiterInnen aus anderen Regionen (propagandistisch) unterstützt und konnten so gelegentlich ein noch wirksameres Bedrohungspotential gegenüber den oft multinationalen Firmenleitungen entfalten.

Wir möchten mit der Internationalen Solidaritätskonferenz i2002 einen Austausch über die unterschiedlichen Formen der Entgarantierung organisieren: Welche (Abwehr-) Kämpfe führen wir, welche Erfahrungen haben wir in diesen Kämpfen gesammelt? Welche Fehler haben wir gemacht? Welche Strategien haben wir entwickelt? Wie gehen wir mit der rassistisch motivierten Spaltung der ArbeiterInnen um? Wie können wir unsere Kämpfe globalisieren und uns gegenseitig unterstützen?

Gemeinsam Strategien und Taktiken des Kampfes über direkte Aktionen entwickeln, heißt nicht nur, daß wir unmittelbar dort, wo wir uns befinden, unsere Bedingungen beeinflussen können. Vielmehr können wir damit auch Beispiele und Hoffnung für andere geben. Mit einem Austausch und einer solidarischen Unterstützung untereinander können wir unseren Vorstellungen von einer freien Gesellschaft ohne Ausbeutung und Unterdrückung eine neue Dynamik geben. Eine libertäre Umwälzung ist mehr denn je notwendig, wenn wir nicht in der kapitalistischen Barbarei versinken wollen. In diesem Sinne wollen wir uns austauschen und inspirieren!

Die i2002-Vorbereitungsgruppe im April 2002.

[ssba]