Aus: “Schwarzer Faden” Nr. 51, 4/1994
„Außen abgekühlt, doch voller Glut im Inneren“
„Was mich und meine Zeit damals angeht, so ist mir dort etwas vermittelt worden, das mich für mein ganzes weiteres Leben prägte. Durch die Jahre vor ’36 war ich gewissermaßen, zum Unterschied aller, die erst 1936 oder später kamen, in die Ereignisse hineingewachsen. Den Putsch erlebte ich nicht als ‚Ausländer‘. Meine Genossen waren Spanier. Ihr Anliegen war meines und ihr Kampf war meiner, ihre Siege, ihre Niederlagen erlitt ich wie sie und ihre Begeisterung für die Sache der sozialen Revolution teilte ich mit ihnen. Ja, wir hatten jene Tage herbeigesehnt, wir hatten uns vorbereitet und gesiegt. Wir haben die Betriebe in Gang gesetzt, die Verwaltung übernommen und dabei die Mehrheit der Bevölkerung auf unserer Seite gehabt. Als wir dann in den Krieg ziehen mußten, taten wir es mit der gleichen Selbstverständlichkeit und mit gleichem Elan. Unsere Motivation war klar und wurzelte im Bewußtsein, etwas ‚Historisches‘ in Gang gebracht zu haben. Dies zu erleben war für mich das erstrebenswerteste , begeisterndste überhaupt. Und dieses Gefühl, das mich damals beseelte, dieser ganze Komplex freudiger Erschütterungen, voller Siegesgewißheit hat sich bis heute erhalten. Außen abgekühlt, doch voller Glut im Inneren.“[1]
Diese Zeilen schrieb Karl Brauner, der am 20.Juli diesen Jahres in Leipzig starb. Er war vermutlich der letzte deutsche Zeitzeuge, der den Beginn des Spanischen Bürgerkriegs auf den Barrikaden in Barcelona erlebte. Spanien war für Karl Brauner nicht in erster Linie ein Emigrationsland, sondern eher die Erfüllung einer langgehegten „Sehnsucht in die Ferne“. Diese Sehnsucht war erst einmal ganz unpolitischer Natur und angeregt von den Erzählungen des Vaters seines „Kumpels“ Fuchs, der zur See gefahren war und von dessen Geschichten die beiden Jungen nicht genug hören konnten. Den Ausschlag für Karl Brauners ‚Emigration‘ gaben schließlich die sogenannten „Chinesen“ in seinem Betrieb. So wurden die hochqualifizierten Facharbeiter der graphischen Industrie in Leipzig genannt, die für viel Geld in Shanghai gearbeitet hatten und mit diesen Erfahrungen im Betrieb auftrumpften.
Karl Brauner machte eine vierjährige Lehre als Lithograph. Ein Beruf, der künstlerische Begabung und viel Geduld erforderte. Beides Eigenschaften, die er besaß. Im Gegensatz zu den meisten seiner Altersgenossen war er während der Weltwirtschaftskrise nicht arbeitslos. Weil er für einen „Führungsposten“ in seinem Betrieb vorgesehen war, besuchte er Kurse bei der staatlichen Kunstakademie für graphische und schöne Künste in Leipzig.
Durch seine Freundin Irma Götze, die er 1932 kennenlernte, kam Karl Brauner in die Kreise der illegalen FAUD in Leipzig, deren Zentrum die Familie Götze war. Das ‚Familienoberhaupt‘ Anna Götze war eine außergewöhnliche Frau. Ihre drei Kinder, Ferdinand (Nante), Waldemar und Irma hatte sie vor dem Ersten Weltkrieg ‚unehelich‘ geboren. Dennoch schaffte sie es, allen drei Kindern eine Berufsausbildung zu ermöglichen. Was dem 19jährigen Karl Brauner aber am meisten imponierte und nach seinen Erzählungen für damalige Verhältnisse vollkommen ungewöhnlich war, war, daß Anna Götze mit ihm und seiner Freundin Irma offen über Sexualität redete. So war es selbstverständlich, daß er bei seiner Freundin übernachten konnte.
Anna Götze wurde im Ersten Weltkrieg Mitglied des Spartakusbunds und schloß sich dann der FAUD an. Im Widerstand gegen die Nazis hatte sie eine herausragende Rolle. Ihr ältester Sohn Ferdinand war Anfang der 20er Jahre einer der Aktivisten in der anarchistischen Jugend in Leipzig und später einer der führenden Funktionäre der FAUD in Sachsen. Im Dezember 1933 übernahm er die Leitung der illegalen Geschäftskommission (GK) der FAUD. [2] Seine Schwester Irma war Mitglied der anarchistischen Jugend. Der Bruder Waldemar war Mitglied der KPD, was zu heftigen Auseinandersetzungen mit seinem Bruder führte, aber beide nicht daran hinderte, in der illegalen Arbeit miteinander zu kooperieren.
Karl Brauner half bei der Herstellung der illegalen FAUD-Zeitung ‚Soziale Revolution‘, die er auf fotographischem Wege verkleinerte. Dieselbe Tätigkeit übte er für die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD-O) aus, deren Mitglied er nach der Machtergreifung wurde. Zusammen mit seiner Freundin Irma war er in der sogenannten ‚Leipziger Meute‘. In dieser illegalen Jugendgruppe hatten sich ehemalige Mitglieder der Gewerkschaftsjugend des Druckgewerbes und der Freien Jugend nach der ‚Machtergreifung‘ in loser Form zusammengeschlossen. Sie trafen sich zu sonntäglichen Wanderungen und zu politischen Diskussionen; meist im Hause der Familie Götze.
Weil er nach der Zerschlagung der Leipziger KPD-O mit seiner Verhaftung rechnete, reiste Karl Brauner im Oktober 1934 legal nach Barcelona. In seiner Begleitung war die zehnjährige Annemarie Götze, die Tochter von Ferdinand und Elli Götze. Letztere lebte schon einige Zeit in Barcelona. In Barcelona erwarb Karl Brauner zunächst einmal ein Fahrrad und reiste ein halbes Jahr durch Spanien, um Land und Sprache kennenzulernen. Seinen Lebensunterhalt erwarb er durch selbst gemalte Postkarten. Durch Vermittlung des deutschen Anarchosyndikalisten Helmut Rüdiger, der schon seit 1932 in Barcelona lebte, erhielt er eine Arbeit in einem Druckereibetrieb. Dank seiner guten Ausbildung konnte er dort eine Offsetabteilung mit Reprobetrieb einrichteten. Sein Chef war ein ehemaliger Anarchist, der zusammen mit Rüdiger die Herausgabe eines anarchistischen Lexikons plante. Gegenüber Rüdiger schilderte Karl Brauner seinen Chef als einen „sehr guten Mann“, der sich „ernsthaft“ um ihn sorge und ihm „völlige Freiheit“ lasse. [3]
Anfang 1935 lebten circa 20 deutsche Anarchosyndikalisten in Barcelona, die sich in der Gruppe Deutsche Anarcho-Syndikalisten (DAS) zusammengeschlossen hatten. Karl Brauner war nicht Mitglied der DAS. Da er aber mit Elli Götze und Rudolf Michaelis zusammen wohnte, fertigte er für die von der DAS herausgegebene Zeitschrift ‚Die Internationale‘ Zeichnungen an: von Erich Mühsam und Marinus van der Lubbe und eine Zeichnung des brennenden Reichstags.
„Dieser Karl ist ein völlig ungeformter junger Mann“, schrieb Rüdiger an seine Frau Dora. „Scheinbar guter Kerl, hat etwas von einem Bären an sich. Seine Bibliothek ist die eines deutschen Jungkommunisten, von unseren Ideen hat er sicher keine Ahnung, auch noch nichts von diesem Bereich gelesen.“ [4] Diese Charakterisierung Rüdigers bedarf jedoch einer Relativierung. Karl Brauners ‚Lehrer‘ in Barcelona war das Ehepaar Ewald und Ella König, die der KPD-O angehörten und auf der Rambla eine Buchhandlung betrieben. Dort wurden nach Ladenschluß politische Diskussionen geführt. Im Jahre 1935 wurden in diesem Kreis intensiv die Bücher ‚Faschismus an der Macht‘ des linkssozialistischen Theoretikers Fritz Sternberg und die ‚Massenpsychologie des Faschismus‘ von Wilhelm Reich diskutiert. Rückblickend bezeichnete Karl Brauner diesen Diskussionszirkel als seine „Universität“. „Heftig“ angeregt wurde er durch die Bücher Reichs. „Das ging so weit, daß ich glaubte, die DAS Gruppe auch noch mit Reich überzeugen zu können. Bei Helmut Rüdiger hatte die Art ‚Besessenheit‘ meinerseits zumindest dazu geführt, ihn zu überzeugen, daß der Marxist Reich lesenswert war.“ [5]
Rüdiger fand die „Massenpsychologie“, „trotzdem sie in vieler Hinsicht den stärksten Widerspruch erregt, doch in vielem richtig“ [6] und verfaßte über das Buch eine Rezension in der anarchistischen Zeitschrift ‚Revista Bianca‘. Im vergangenen Jahr wurde diese Rezension, auf die Wilhelm Reich im Jahre 1936 antwortete, Gegenstand eines Aufsatzes von Richard Cleminson in der englischen Zeitschrift ‚Anarchist Studies‘[7] „The reception of radical ideas on sex isplaced in the context of anarchism`s ability to embrace new ideas, which placed it ahead intellectually of its conterparts on the left.“ Diese Interpretation entbehrt nicht einer gewissen Ironie, weil die Rezension Rüdigers erst auf Einfluß von Marxisten zustande kam.
Im Jahre 1935 kamen auch Ferdinand und Irma Götze nach Barcelona. Ihr Bruder Waldemar war in die Sowjetunion gegangen, wo er vermutlich während der Säuberungen ermordet worden ist. Anna Götze wurde 1937 verhaftet, zu einer mehrjährigen Zuchthausstrafe verurteilt und erst im April 1945 von der Roten Armee im KZ Ravensbrück befreit.
Karl Brauner war in Barcelona aber nicht nur mit deutschen Emigranten und Gesinnungsgenossen zusammen, sondern in die spanische Bewegung integriert. Rückblickend schrieb er über die ersten Jahre in Spanien: „Ich war jung, politisch sehr interessiert, und ausgestattet mit viel Wissen in Beruf und Technik. Außerdem besaß ich die Fähigkeit einer schnellen Anpassung, dann lag mir die spanische Mentalität, ich achtete sie, ich liebte sie, sie kam meinem Wesen entgegen. So nahm es denn kein Wunder, daß ich mich organisierte, mich engagierte und feste Freundschaften schloß. (…) Politisch war ich erst Mitglied der CNT-Gewerkschaft, dann nach und nach, erschlossen sich mir die internen Angelegenheiten. Man sah in mir den Genossen, nicht den Deutschen, den Ausländer. Kurz – ich war der ihre.“ [8]
Karl Brauner war in die Aufstandsvorbereitungen der CNT miteinbezogen. In Horta, einem kleinem Ort in der Nähe Barcelonas, waren in einer Scheune Waffen und Sprengstoffe gelagert worden. Zusammen mit einem Oberschlesier, vermutlich Bernhard Pacha, der schon mehrere Jahre in Barcelona lebte, war er mitverantwortlich für die Pflege der Waffen und Sprengstoffe, die kurz vor dem Aufstand am 19.Juli 1936 an die Mitglieder der CNT ausgegeben wurden. In der Nacht zum 19.Juli, dem Beginn des Aufstands in Barcelona, war Karl Brauner beim Aufbau der Barrikaden in seinem Wohnviertel beteiligt.
Die Teilnahme am Aufstand in Barcelona war für die deutschen Antifaschisten nicht nur ein Akt der Solidarität mit ihren spanischen Genossen, sondern sie waren konfrontiert mit ihrem direkten Feind: deutschen Mitgliedern der NSDAP-Auslandsorganisation (NSDAP-AO), die auf Seiten der Militärs in die Kämpfe eingriffen. Vom Deutschen Club in der Calle Lauria, der, wie sich herausstellen sollte, ein getarntes Büro der NSDAP-AO war, hielten sie mit einem Maschinengewehr die Straße unter Feuer. Eine Gruppe der DAS war am Sturm auf den ‚Deutschen Club‘ beteiligt. Sie erbeuteten dabei das Maschinengewehr und eine Reihe anderer Waffen. Zu dieser Aktion schrieb der daran beteiligte Rudolf Michaelis:
„Ich erinnere mich noch genau des einzigen zerstörerischen Aktes. Im Versammlungsraum des Deutschen Clubs hing ein Hitlerbild. Ich ergriff es und schleuderte es zum Fenster hinaus; es zerschellte auf der Straße unter dem Beifall der Menge, die unsere Aktion verfolgt hatte. Der Inhalt der Schreibtische und Karteischränke wurde auf dem Lastwagen verstaut, der uns hierher geführt hatte. „Warum wird dieser Mist nicht verbrannt?“ fragte man mich. „Weil unter diesen Dokumenten die Mitgliederkartei der Nazis enthalten ist und sich weitere Beweisstücke befinden, die über das Netz der Naziorganisation in ganz Spanien Aufschluß geben“ war die lakonische Antwort. Und so war es in der Tat. Wir legten am 19.Juli 1936 eine starke Auslandsorganisation der Nazis in Spanien lahm.“ [9]
Die Gruppe DAS fand aber nicht nur Dokumente der NSDAP-AO, sondern bei der Hausdurchsuchung wurden von dem DAS-Mitglied Willi Winkelmann und Karl Brauner auch deutsche Blanco-Pässe in Besitz genommen, die sich später noch als äußerst nützlich erweisen sollten.
Die Gruppe DAS durchsuchte in den nächsten Tagen weitere deutsche Einrichtungen und Firmen in Barcelona. Nach dem Bericht des deutschen Generalkonsuls in Barcelona vom 24.Juli 1936 wurden folgende durchsucht: das Büro und das Stadtheim der Deutschen Arbeitsfront, die Büros der Orts- und Landesgruppe der NSDAP, der Deutschen Krankenkasse, des Deutschen Akademischen Auslandsdienstes, der Schiffahrtsgesellschaft Baquera, Kusche y Martin, die Wohnung der Braut des Landesgruppenleiters der NSDAP, die Evangelische Kirche und die deutsche Schule. Es war aber nicht so, – wie der Generalkonsul schrieb – daß unter „Führung deutscher Juden und Kommunisten ganz planlos deutsche Einrichtungen, deutsche Firmen und Häuser durchsucht, zerstört und geplündert“ [10] wurden, sondern die Gruppe DAS hatte bei diesen Untersuchungen systematisch Dokumente zusammen getragen, aus denen hervorging, daß die NSDAP-AO ganz Spanien mit einem Netz von Parteizellen und Unterorganisationen wie z.B. der DAF überzogen hatte, in engster Zusammenarbeit mit spanischen Faschisten stand, politischen Druck ausübte auf die in Spanien lebenden Deutschen und Einfluß nahm auf die Politik und Wirtschaft des Landes. [11]
Von der CNT, die zu diesem Zeitpunkt faktisch die Macht in Barcelona hatte, wurde der DAS die Kontrolle über alle deutschsprachigen Ausländer in Barcelona übertragen. Dies beinhaltete die Militär-, Post- Hafen- und Eisenbahnkontrolle, sowie das Recht, Hausdurchsuchungen bei deutschsprachigen Ausländern vorzunehmen, die im Verdacht standen, mit den Nationalsozialisten zu sympathisieren. Nach Berichten des deutschen Generalkonsuls wurden bis November mindestens 60 Wohnungen von der DAS durchsucht. Gegenstände von geflüchteten Nationalsozialisten wurden von der DAS beschlagnahmt und revolutionären Komitees und den Milizen übergeben. Das Haus des deutschen Vertreters der Firma Merck wurde von der Gruppe DAS als Wohnheim beschlagnahmt. [12] Bei der Firma Merck war einer der wichtigsten NS-Funktionäre in Spanien, der Landesgruppenleiter Anton Leistert, als Prokurist eingestellt. Die von der DAS beschlagnahmten Dokumente wurden Anfang 1937 in dem sogenannten ‚Schwarz-Rotbuch. Dokumente über den Hitlerimperialismus‘ veröffentlicht. [13]
Karl Brauner war an diesen Aktivitäten nicht mehr beteiligt. Schon wenige Tage nach dem Aufstand brach er am 24. Juli mit der Columna Durruti an die Aragonfront auf. Von seinem Chef, der nun als Angestellter in seiner Firma weiterarbeitete, war er mit einer Fotoausrüstung ausgestattet worden. Er war zunächst mit katalanischen Genossen zusammen und wechselte dann zur Grupo Internacional der Columna Durruti, in der vor allem Franzosen und Deutsche kämpften.
Mitte September 1936 wurde die Grupo Internacional bei den Kämpfen um die Ortschaft Sietamo eingesetzt, die nach schweren Verlusten erobert wurde. [14] Karl Brauner wurde durch einen Brustschuß schwer verletzt und zu seinem Bedauern gingen dabei auch die zahlreichen Fotos verloren, die er bis dahin geschossen hatte.
Nach einem Lazarettaufenthalt entschloß er sich im November wieder an die Front zu gehen. Erneut schloß er sich der Grupo Internacional an, der zu diesem Zeitpunkt circa 100 Deutsche angehörten, und die ihr Quartier in Velilla de Ebro hatte. An der Aragonfront kam es im Winter und Frühjahr 1936/37 selten zu kriegerischen Auseinandersetzungen mit den Franco-Truppen. Umso heftiger waren die Diskussionen um die von der Regierung geplante Militarisierung der Milizen. Der überwiegende Teil der Grupo Internacional akzeptierte die Militarisierung, allerdings mit gewichtigen Einschränkungen: Keine Grußpflicht, Gleiche Löhnung, Presse- und Diskussionsfreiheit und die Schaffung von Soldatenräten.[15]
Zusammen mit Ernst Galanty war Karl Brauner an den Formulierungen dieser Forderungen beteiligt. Galanty, der die illegale KPD-O in Leipzig geleitet hatte und den Karl Brauner dort unter seinem illegalen Namen, aber nicht persönlich, gekannt hatte, war im Oktober 1936 von Antwerpen nach Barcelona gekommen. Er war zu diesem Zeitpunkt noch Marxist, ging aber bewußt zu einer anarchistischen Einheit. „Für einen, der aus der deutschen Arbeiterbewegung kommt“, schrieb er in seinem ersten Bericht an die KPD-O Genossen, „stellt die CNT-FAI die wesentlichste und interessanteste Erscheinung dar.“ [16] Mit Karl Brauner verband ihn bald eine enge Freundschaft.
Im Zuge der Militarisierung wurde die Grupo Internacional umbenannt in Compagnia Internacional, die der 26. Division (der ehemaligen Columna Durruti) des spanischen Volksheers angehörte und ihr Quartier in dem Dorf Pina de Ebro hatte. Mit dieser Reorganisierung waren die Debatten in der Kompanie aber nicht zu Ende, sondern gewannen erst an Schärfe. Mit Rudolf Michaelis, dem politischen Delegierten der Compagnia Internacional, der die Soldatenräte ablehnte, hatte eine Gruppe um Galanty, Brauner und die Schweizer Paul und Clara Thalmann scharfe Auseinandersetzungen, die schließlich dazu führten, daß sich diese im März 1939 von der Kompanie trennten. [17]
Zurück in Barcelona schlossen sich Karl Brauner und Ernst Galanty und mit ihnen das DAS-Mitglied Paul Heiberg im April 1937 dem sogenannten Todesbataillon (Bataillon de la Muerte) an. Das Todesbataillon, das von dem anarchistischen Wirtschaftsminister Santillan ins Leben gerufen worden war, unterstand der katalanischen Regierung und galt als eine der bestausgebildeten anarchistischen Einheiten. Die Ausbildung fand in einem Schloß in der Nähe Barcelonas statt. Im Juni 1937 wurde das Todesbataillon bei der republikanischen Offensive an der Aragonfront eingesetzt. Das Todesbataillon erhielt den Befehl anzugreifen, obwohl den 900 Männern nur 150 Gewehre zur Verfügung standen. [18] Die Waffen sollten während des Gefechts erbeutet werden. Solche Befehle wurden von der kommunistisch dominierten Armeeführung gegeben, um die anarchistischen Einheiten zu verheizen. Wegen Befehlsverweigerung wurde ein Kommandant zum Tode verurteilt, Karl Brauner, Ernst Galanty und Paul Heiberg zu zwanzig Jahren Zwangsarbeit verurteilt.
„Natürlich sind wir keine Gefängniswärter, sondern simple ‚Insassen'“ ! schrieb Karl Brauner an seinen Freund Kurt Lehmann. „Manches Mal erinnere ich mich jener Gespräche damals, während unseres gemeinsamen Frontlebens in Velilla oder Pina. Meine Fresse, wie kann der Schein uns täuschen und verdammt alles, was damals scheinbar fest stand, trudelte lustig mit. Ja, damals…“ [19]
Die drei Gefangenen wurden in der Festung Cartena inhaftiert. Zunächst gelang Karl Brauner und Ernst Galanty und später auch Paul Heiberg die Flucht. Ernst Galanty, dessen ursprünglicher Name Isi (-dor) Klappholz war, verließ mit einem von Karl Brauner präparierten Paß auf seinen neuen Namen Spanien und ging von dort nach Norwegen. Karl Brauner lebte weiter in Barcelona, wurde aber im Juli 1938 erneut verhaftet und fast bis zum Ende des Bürgerkriegs in einer Kaserne in Barcelona inhaftiert. In dieser bösen Zeit wurde er von einem ehemaligen Genossen in der Grupo Internacional, dem Bochumer Kommunisten Robert Schreiber, der inzwischen zum Hauptmann der Interbrigaden avanciert war, unterstützt.
Nach der Eroberung Barcelonas am 25. Januar 1939 durch Franco-Truppen fand sich Karl Brauner in dem eine halbe Millionen Menschen umfassenden Flüchtlingsstrom wieder, der sich in Richtung französische Grenze bewegte. Dort wurde er in dem Lager Argelès – sur – Mer interniert. Das Lager war nichts anderes als eine mit Stacheldraht umzäunte und von französischen Kolonialtruppen scharf bewachte Sandfläche am Strand. Die Verhältnisse waren lebensbedrohend, und erst nach Parlamentsdebatten am 10.März besserte sich die Lage ein wenig.
Mit dem Berliner ‚Vagabunden-Dichter‘ und Anarchosyndikalisten Helmut Klose, der nach den Mai-Tagen in Barcelona von der kommunistischen Geheimpolizei als ‚Konterrevolutionär‘ verhaftet worden war und bis Dezember 1938 in spanischen Gefängnissen gesessen hatte, teilte sich Brauner ein Loch im Sand, das ihnen als Schutz vor dem kalten Wind diente. Zu ihrem Freundeskreis zählten noch Frank Hartmud Beriet und Egon Illfeld. Beriet, ein Rechtsanwalt aus Chemnitz, war Offizier im Ersten Weltkrieg und danach Mitglied der Freikorps. In den zwanziger Jahren schloß er sich jedoch der Liga für Menschenrechte an und machte sich einen Namen als Verteidiger von Antifaschisten. Ihm wurde die Zulassung als Anwalt von den Nazis entzogen und im Oktober 1933 emigrierte er nach Spanien. Wegen seiner militärischen Kenntnisse avancierte er während des Bürgerkriegs bis zum Divisionskommandanten im Range eines Oberst. Beriet, der auch in Konflikt mit den Kommunisten geraten war, kämpfte deshalb in einer spanischen Einheit und nicht bei den Interbrigaden. Egon Illfeld war ursprünglich Kommunist gewesen und saß zu Beginn des Bürgerkriegs in einem spanischen Gefängnis. Unmittelbar nach der Revolution schloß er sich der Gruppe DAS an. Nach den Mai-Tagen in Barcelona wurde auch er verhaftet und bis April 1938 inhaftiert.
Im April 1939 wurden die ausländischen Spanienkämpfer aus den Lagern Argelès und St.-Cyprien in das Lager Gurs in den Pyrenäen verlegt. Dort kam es sofort zu scharfen Konflikten zwischen der Lagerleitung, in der die Kommunisten die Mehrheit hatten, und einer großen Gruppe von Spanienkämpfern, die sich deren Diktat nicht unterwerfen wollten. Über 100 von insgesamt 600 deutschen Spanienkämpfern organisierten sich separat im deutschen Lager und nannten sich nach dem Namen ihres Quartiers 9.Kompanie. Von den 121 Mitgliedern der 9. Kompanie waren 41, die meist auf Seiten der Anarchisten bzw. der linkskommunistischen POUM gekämpft hatten, dem stalinistischen Terror in Spanien zum Opfer gefallen und dort inhaftiert gewesen. Beriet, Brauner, Klose und Illfeld gehörten zum sogenannten „Redaktionskomitee“, der inoffiziellen Leitung der 9.Kompanie. [20] Im Oktober 1939 wurde Karl Brauner aus dem Lager entlassen. Über sein weiteres Schicksal schrieb er seinem Freund Helmut Klose, der seit 1939 in England lebte, nach dem Kriege:
„Mein Lebensweg nach unserer Trennung gleicht dem Bilde einer Mondlandschaft. Alle Vorstellung, die wir Menschen von einer solchen haben können, verkörpern sich darin: Eiseskälte, sengende Hitze, pechschwarze Dunkelheit und blendende Helle, öde Wüste, schauerliche Grüfte, Zerrissenheit und Tod, Ekel und – trotz alledem Liebe, warme versöhnende Liebe! Noch steht mir jener sonnige Tag unseres damaligen Abschieds vor Augen, dann kam jene Katastrophe, jener Irrsinn, der die Welt aus den Angeln zu heben schien. Da begann sich der Mühlstein zu drehen. Ich arbeitete damals in der Fotografie des Lagers. Durch diese Tätigkeit gelang es mir zuweilen, in die Stadt, nach Pau zu kommen. Bald wurde Pau meine „Schlafstelle“. Es gelang mir vermittels meiner dort gewonnenen Bekannten, Arbeit zu bekommen. (…) Schon nach wenigen Tagen hättest Du mich als perfekten „Kohlenhändler“ hantieren sehen können. (…) Der Umgang mit den Zivilisten half mir in wenigen Wochen über die im Lager schier unüberwindlichen Klippen der französischen Sprache hinweg und so kam es, daß sich bald recht zarte Beziehungen zu einer kleinen Guten entwickelten. Bei meiner Gründlich- und Unbefangenheit in solchen Dingen, legten wir rasch unsere wenigen Habseligkeiten zusammen und teilten redlich das wenige Gute was uns das Leben zu bieten in der Lage war. Helmut, das war Sonnenschein.
Bald gab ich das Kohlengeschäft auf und trat als Fotograph an. Hier nun fanden Anlagen in mir Befriedigung, die das Ganze noch glücklicher gestalteten. – Da kam das Unheil über die Nacht. (…) Das zweite Mal war es mir vergönnt, eine Staatsmaschine in die Brüche gehen zu beobachten. Frank Beriet war die ganze Zeit bei mir in Pau, auch er war Kohlenschlepper. Noch ehe es zum vollständigen Zusammenbruch kam, sperrte man uns in ein Lager. Ich kam nach Gurs, Frank nach Bordeaux.
Schon nach 14 Tagen aber konnte ich mit eigenen Augen sehen, wie sich die bis dahin so übermächtige Garde Mobile versuchte in ein Nichts aufzulösen. Sie fraßen aus der Hand. In jener Panikstimmung unter den Häuptlingen ebenso wie unter der Bewachung, löste sich alles in Wohlgefallen auf. Fort, weg aus Frankreich! Und nun setzte eine wilde Jagd nach der Atlantikküste ein. Schiffe waren da, aber die meisten kamen nicht mit.
Kamen nicht mit… drei einfache Worte.
Was sich dabei abspielte, war aber bei weitem nicht so einfach. Die Deutschen kamen an der Küste entlang; Züge rollten nach dem Mittelmeer. Unter diesen Flüchtenden Frank, Irma Götze und ich zusammen, alle anderen Bekannten waren in alle Winde zerstoben, bewegten sich in die gleiche Richtung: nach dem Mittelmeer.
In Port Vendres, einem kleinen Hafen an der spanischen Grenze, setzten wir uns fest. Irma Götze traf ich im Moment vor Auflösung des Lagers Gurs durch Zufall. Wir hatten uns auseinandergelebt, ich fand keine Beziehung mehr, und wir beschlossen uns zu trennen. Das geschah nicht ohne Schmerzen. Frank blieb. Das Leben war anfangs kümmerlich. Ich bekam Arbeit bei einem Fotographen. Gute Zeiten. Bis die Polizei, erholt von dem Schrecken, die Arbeit wieder aufnahm. Damit war es mit der Ruhe vorbei.
Wir gingen nach Marseille.Nun kommt es dick. (…) Ich bekam Kontakt mit Seeleuten und der Transportarbeitergewerkschaft. Mit denen arbeite ich in der illegalen Judeneinschiffung. 1940 im Januar platzte der Laden. Ich ging hoch und hatte ‚Ruhe‘. Ein Jahr im Bau, ein Jahr Hunger und Verzweiflung. Die Schilderung dieses Jahres möchte ich Dir ersparen, aber ich glaube in Deiner ‚Ballade vom schlimmen Schiff‘ hast Du ähnliches geschildert.“ [21]
Durch deutsche Seeleute der Internationalen Transportarbeiter Föderation (ITF), mit denen er sich in Spanien befreundet hatte, war Karl Brauner in Kontakt mit der französischen Transportarbeitergewerkschaft gekommen. [22] Brauner war in Gurs von dem schon erwähnten Kurt Lehmann, der sich damals in Marseille aufhielt, unterstützt worden. So erhielt er eine Anlaufadresse in Marseille. Karl Brauners ‚Arbeit‘ bestand aus der Fälschung von Visa des uruguayischen Konsulats. Durch Denunziation kam die Polizei auf seine Spur.
„Die Zeit war um und ich lebte noch; mit 48 kg „Lebendgewicht“ sollte ich die nächste Hunger-Kur durchmachen.“ Karl Brauner wurde in das Internierungslager Les Milles eingeliefert. Dort trifft er auf den ITF-Seemann Harry Bahlke. Die beiden flohen aus dem Lager und tauchten in Marseille unter. Bei einer christlichen italienischen Sekte fanden sie Unterschlupf. Willy Joseph, einer ihrer Genossen aus Spanien, schrieb aus New York im Juli 1941 an Edo Fimmen, den Generalsekretär der ITF, daß er von den beiden „einen verzweifelten Brief aus Marseille“ erhalten habe.[23]
Durch die ITF erhielt Bahlke kurze Zeit später ein Visum für Mexico, wo er sich nach seiner Ankunft sofort darum bemühte mit Hilfe der ITF auch ein Visum für Karl Brauner zu beschaffen. Edo Fimmen, der zu diesem Zeitpunkt schwer krank in Mexico lebte, wurden von der mexikanischen Regierung fünf Visa zugesagt. Auf der von Bahlke vorgeschlagenen Liste stand auch Karl Brauner. Aber die eingereichte Liste bei der mexikanischen Regierung enthielt nicht mehr seinen Namen. Babette Gross, die Frau von Willy Münzenberg, war mit Fimmen und dessen Frau eng befreundet. Aufgrund dieser Beziehung kam nicht Karl Brauner, sondern ein Mitglied der Münzenberggruppe auf die Liste. [24]
Vermutlich wäre dieses Visum zu spät gekommen. Karl Brauner war zwischenzeitlich wieder verhaftet und interniert worden. „Das war zu viel. Mit 2 anderen beschlossen wir zu türmen. Es gelang. Wir passierten die Demarkationslinie. Bei Cha-lons sûr Saône ging die Sache schief. Wir waren leichtsinnig gewesen. Die Deutschen schnappten uns. Der Plan war, in Paris unterzutauchen. Paris war besetzt und die französische Polizei sabotierte die Maßnahmen der Deutschen. Für unseresgleichen bedeutete das eine Erleichterung. Der Plan war gut, die Ausführung mangelhaft.
Also, man greift mich, erkennt mich und ab ging’s nach Deutschland. Wieder einfache Worte. Mit Grauen noch gedenke ich jener Stunden bei der Gestapo in Cha-lons, in Leipzig begann das Theater von neuem. Auch das ging vorüber. Während der Verurteilung in Dresden tauchte Irma auf. Man hatte sie einige Monate früher in Paris gefangen und auf Grund derselben Affäre, die im Jahre 33-34 stattfand, zu 2 Jahren Zuchthaus verurteilt. Ich bekam 2 1/2 Jahre.“
Hinsichtlich dieses Urteils hatte Karl großes ‚Glück‘ im Unglück. Denn er wurde nur wegen Aktivitäten in der Leipziger ‚Meute‘ und der illegalen Arbeit für die FAUD verurteilt. [25] Wenn die Gestapo nur geahnt hätte, daß er an den Aktionen gegen deutsche Einrichtungen in Barcelona beteiligt gewesen war, hätte dies sein Todesurteil bedeutet, wie im Fall des Essener Spanienkämpfers Erich Mambrey. [26]
Karl Brauner kam nach seiner Verurteilung in das Zuchthaus Waldheim. „Hier scheint aber das ’schlimme Schiff ein Waisenknabe gewesen zu sein“, schrieb er an Helmut Klose. Es waren die 2 1/2 letzten Jahre des Hitlerregimes. Das sagt alles. Die Auswirkungen all der „Unruhe und Haftzeiten begannen sich an meiner physischen Konstitution auszuwirken. Eines Tages, aufgrund einer Reihenuntersuchung der ‚Wehrmacht‘, stellte man fest, daß ich Lungen TBC hatte. Das war so ungefähr der mächtigste Schlag, den ich je erhalten habe. 3 Tage hatte ich damit zu tun. 3 Tage währender Kampf zwischen Vernunft und Verzweiflung. Dann siegte mein ungebrochener Lebenswille, und das war meine Rettung. Die Nazis hatten mit Kranken nur Last. Deshalb weg mit ihnen. Wir TBC Kranken lagen in einem für diese Zwecke geeigneten, aus dem Mittelalter stammenden, Zellenhause. 120 Mann Besatzung, jede Woche starben davon 25 bis 30. Durch Zugänge blieb diese Zahl immer auf ungefähr gleicher Höhe. Durch glückliche Umstände, vor allem durch mein Malertalent kam ich dann noch ein Jahr nach Schlesien. Dort war es erträglich. Im Januar ’45 befreiten mich die vordringenden Russen. 14 Tage wären mir noch an der Verbüßung der Strafe geblieben. Ich war frei aber krank, noch nicht gebrochen!“
Karl Brauners „Malertalent“ war in allen Knästen seine Lebensversicherung. Ob in Marseille, in Leipzig oder in Waldheim, überall fertigte er aus Fotographien Vorlagen, Zeichnungen für die Wärter oder Kapos an. Dafür erhielt er zusätzliche Lebensmittel, und in Waldheim setzte sich ein Wärter dafür ein, daß er in das Zuchthaus für Lungenkranke in Glatz / Schlesien kam.
Nach dem Zusammenbruch des Nazi-Regimes ging Karl Brauner zurück nach Leipzig. „Hier habe ich mir nun in einem graphischen Betrieb eine Meisterstellung erarbeitet und finde so relative Befriedigung“ schrieb er an Klose. „Von unseren gemeinsamen Freunden traf ich am 1.Mai, inmitten eines großen Menschentrubels, Paul Heiberg. Paul lebt seit ’45 in Leipzig und wir treffen uns zufällig. Er wußte, daß ich meine Zelte hier aufgeschlagen hatte, ich aber konnte es von ihm nicht mal ahnen. Ich weiß nicht, was ich davon denken soll.“
Paul Heiberg hatte sich nach dem Kriege von seiner anarchistischen Vergangenheit distanziert. Briefe von seinen ehemaligen Genossen in Schweden beantwortete er mit der Zusendung von offiziellen Materialien der SED. Mehrere Gründe mögen dafür entscheidend gewesen sein. Ende 1944 desertierte er als Soldat in Wuppertal und wurde dort von der kommunistischen Familie des späteren Innenministers der DDR, Fritz Dickel, versteckt. Bei der Leipziger Volkszeitung erhielt er nach dem Kriege eine leitende Stellung. Als Anarchist hätte er im Osten Deutschlands wieder zu den ‚Verlierern‘ gehört. Heiberg war kein Einzelfall. Fast alle ehemaligen Leipziger FAUD-Mitglieder, so auch Anna und Irma Götze traten der SED bei. Ihre FAUD-Mitgliedschaft wurde ihnen später als Parteizugehörigkeit (für Sonderzahlungen zusätzlich zur Rente, Anm. SF-Red.) angerechnet. Nicht zuletzt hat die Verbundenheit und Solidarität mit den kommunistischen Leidensgenossinnen in den Zuchthäusern und KZ’s eine Rolle gespielt und die Tatsache, daß viele von ihnen von der Roten Armee befreit wurden und sie aus diesem Grunde eine Dankesschuld gegenüber der Sowjetunion empfanden. Als antifaschistische Widerstandskämpfer wurden sie in der DDR im Unterschied zur BRD geehrt. Auch Rudolf Michaelis und Willi Winkelmann entschlossen sich trotz ihrer Erfahrungen in Spanien bewußt für ein Leben in der DDR. So war z.B. Michaelis der Meinung, daß in der DDR konsequenter mit dem Nationalsozialismus abgerechnet wurde.
Auch Karl Brauner war dieser Meinung. Trotz aller „Phraseologie“ war er überzeugt, daß in der DDR ein Stück weit der Sozialismus verwirklicht worden sei, obwohl er dort zunächst politisch im Abseits stand und seine Erfahrungen aus Spanien ein Tabu waren. Er war weder als antifaschistischer Widerstandskämpfer anerkannt, noch Mitglied der SED. Erst auf Drängen der ehemaligen FAUD-Genossen Richard Thiede und Paul Heiberg wurde er 1969 aktives Mitglied der SED und später der PDS. Die Wiedervereinigung war für ihn kein Grund zur politischen Freude, obwohl er sich Anfang 1990 den lang ersehnten Wunsch erfüllen konnte, endlich noch einmal nach Spanien reisen zu können. „Spanien“ war und blieb nicht nur bei Karl Brauner die große Passion seines Lebens, auch wenn sie 50 Jahre fast ausschließlich ‚privat‘ gelebt wurde. „Außen abgekühlt, doch voller Glut im Inneren.“
Anmerkungen:
[1] Karl Brauner an Dieter Nelles, 8. 5. 1991.
[2] Zum Widerstand der FAUD vgl. zusammenfassend Wolfgang Haug: „Eine Flamme erlischt“. Die Freie Arbeiter Union Deutschlands (Anarchosyndikalisten), in: IWK, 25. Jg. (1989), Heft 3, S. 359 -378.
[3] Helmut Rüdiger an Dora Rüdiger, 22.7. 1935, in: HSG, Nachlaß Rüdiger.
[4] Ebenda, 12. 8. 1935.
[5] Karl Brauner an Dieter Nelles, 24. 7. 1993.
[6] Helmut Rüdiger an Dora Rüdiger, 22.7. 1935
[7] Richard Cleminson: First Steps towards MassSex-EconomyTherapy? Wilhelm Reich and the Spanish Revolution, Anarchist Studies, Nr.l (1993), S. 25-37.
[8] Karl Brauner an Ulrich Linse, 4. 2. 1991.
[9] Rudolf Michaelis, Es geschah 1936 in Barcelona, in: Berliner Zeitung (Ost), 17.7.1966, S.3.
[10] Schreiben des Generalkonsuls vom 24.7. 1936 an das AA, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes, Bonn (PAAA), Pol.. in. 32, Bd.2.
[11] Vgl. Protokoll über die Tätigkeit der DAS-Gruppe im Monat Juli-August, IISG, Archiv Rocker, Nr.550g; Historial del Grupo DAS de Barcelona, ebenda, Archiv FAI, Film 3, Bl. 404-407.
[12] Vgl. Schreiben des Generalkonsuls vom 3. 11. und 6.11. 1936 an das AA, in: PAAA, Polin. 51, Bd. 21.
[13] Gruppe DAS (Hg.), Schwarz-Rotbuch. Dokumente über den Hitlerimperialismus. Barcelona 1937. Das Schwarz-Rotbuch existiert nur noch in wenigen Exemplaren. 1937 erschien auch eine spanische Ausgabe. Die geplante französische und englische Ausgaben kamen wahrscheinlich nicht mehr zustande.
[14] Vgl. zu diesen Kämpfen und zur Spanischen Revolution im allgemeinen Abel Paz: Durruti. Leben und Tode des spanischen Anarchisten, Hamburg 1994
[15] Vgl. Resolution der deutschen Genossen der Grupo Internacional, in: Soziale Revolution, Nr. 2., 11.1.1937.
[16] 12.Bericht aus Spanien von Ende Dezember 1936, darin die Vorschläge Galantys und Brauners bezüglich der Soldatenräte, Arbeyderrölsens Arkiv Kopenhagen, Nachlaß Korbmacher, kästen 4.
[17] Zu den Auseinandersetzungen vgl. Clara und Paul Thalmann „Revolution für die Freiheit“, Grafenau, S. und die Dokumente in Hans-Jürgen Degen / Helmut Ahrens (Hrsg.). „Wir sind es leid, die Ketten zu tragen…“ Antifaschisten im Spanischen Bürgerkrieg, Berlin, S. 165ff.
[18] Vgl. den Brief des Milicianos Patrick Hill an die FAI, 10. 7. 1937, HSG, Archiv FAI-Exterior, Film 80.
[19] Karl Brauner an Kurt Lehmann, Modern Records Centre Warwick (MRC), ITF-Papers, 159/3/C/b/24.
[20] Vgl. ausführlich Dieter Nelles: Die Unabhängige Antifaschistische Gruppe 9. Kompanie im Lager Gurs, in: Helga Grebing / Christi Wickert (Hg.): Das „andere Deutschland“ im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Beiträge zur politischen Überwindung der nationalsozialistischen Diktatur im Exil und im Dritten Reich, Essen 1994, S.56-85.
[21] Karl Brauner an Helmut Klose, o.D. (1946/47)
[22] Zu dieser bislang nicht erforschten Gruppe des deutschen Arbeiterwiderstands vgl. Hermann Knüfken: Über den Widerstand der Internationalen Transportarbeiter Föderation gegen den Nationalsozialismus und Vorschläge zum Wiederaufbau der Gewerkschaften in Deutschland – zwei Dokumente 1944/ 45, eingeleitet von Dieter Nelles, in: 1999, Zeitschrift für Sozialgeschichte des 20. und 21. Jahrhunderts, 7. Jg., H.3, S. 64 – 87.
[23] Willi Joseph an Edo Fimmen, 17. 7.1941, MRC 159/3/C/a/121.
[24] Vgl. Harry Bahlke an Hans Jahn, 7. 5.1942, ebenda, 159/3/C/a/lll.
[25] Vgl. Anklageschrift und Urteil des Oberlandesgerichts Dresden, in: Bundesarchiv Dahlwitz Hoppegarten ZC 6578.
[26] Vgl. Dieter Nelles: Willi Winkelmann: ‚Der Rote Konsul von Barcelona‘. Ein Name und dessen Konsequenzen, in: Tatort Duisburg 1933-1945, Bd II, hg. von Rudolf Tappe und Manfred Tietz, Essen 1994, S. 513 – 520.
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