Einen längeren Bericht bzw eine Würdigung (Nachruf) schreibt die FAU-Lich für die nächste DA-Kulturseite (#181).Die Beerdigung findet am 29. März um 11 Uhr auf den Andreas-Friedhof (Konrad-Wolf-Straße 33) in Berlin statt. FAU-Lich |
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Interview mit dem Zeitzeugen Kurt Wafner
Kurt Wafner ist Jahrgang 1918. Schon früh kam er über sein Elternhaus mit anarchistischem Gedankengut in Kontakt. Er wurde mit 14 Jahren Mitglied in einer der FAUD nahestehenden libertären Jugendgruppe, der freien Arbeiterjugend. Nach der Machtergreifung organisierte er einen Schülerstreik mit und wurde der Schule verwiesen, so daß er nicht in der Lage war, seinen Wünschen gemäß Ingenieur zu werden.
1938 wurde der überzeugte Pazifist zum Arbeits- und später Wehrdienst einberufen. Nachdem er mit viel Glück durch den Krieg gekommen war, lebte er als Publizist und Journalist in Ostberlin.
Das Interview in dieser Ausgabe beschäftigt sich mit den Ereignissen in der Spätzeit der Weimarer Republik und dem Leben und Überleben unter der Nazidiktatur.
In der nächsten direkten aktion berichtet Kurt Wafner dann über seine Zeit als Soldat der deutschen Wehrmacht.
Interview mit Kurt Wafner
Tanz mit dem Teufel
M & M
? Wie bist du zu der anarchosyndikalistischen Bewegung gekommen ?
K.W. Ich bin über meinen Onkel Bernhard mit Anarchisten und anarchistischer Literatur in Berührung gekommen. Ernst Friedrichs Pazifismus hat mich stark beeinflußt und auch Schriftsteller wie Traven, Zola, Gorkij…, das waren meine Vorbilder. Mit 13 Jahren bin ich dann zum ersten Mal zu einem Treffen der Anarchistischen Vereinigung Weißensee mitgegangen.
? Was war das für eine Gruppe ?
K.W. Die anarchistische Vereinigung gab es in verschiedenen Berliner Bezirken. Viele Genossen waren auch gleichzeitig in der FAUD organisiert. Die Gruppe in Weißensee bestand etwa aus 25 – 30 Personen. Die Männer brachten dann ihre Frauen mit, es war damals nicht so üblich wie heute, daß die Frauen festintegrierte Gruppenmitglieder waren, es gab da sehr verschiedene Vorstellungen.
? Aus was für Menschen bestand die Gruppe ?
K.W. Die meisten waren sehr unterschiedliche Charaktere. Ich erinnere mich an einen Genossen, wir nannten ihn Fluner, der konsequenter Vegetarier war, mit langen Haaren, Bart bis zur Brust… . Es gab auch recht bürgerliche Genossen mit Schlips und Kragen und so.
Was ich jetzt gesagt habe, trifft auch auf die FAUD zu, es gab sehr unterschiedliche Lebensweisen und Charaktere. Nicht so wie bei den Kommunisten mit ihrem proletarischen Gehabe, bei den Anarchisten gab es das auch, aber eben auch Andere.
? Gab es Konflikte zwischen Proleten und „Intellektuellen“ ?
K.W. Nein, Spannungen gab es eher nach den verschiedenen Weltanschauungen. Ob man Waffen für den politischen Kampf benutzen sollte oder nicht. Starke Spannungen gab es auch um Erich Mühsam. Von ihm war aus der Zeit der Münchener Räterepublik bekannt, daß er durchaus bereit war, mit Kommunisten zusammenzuarbeiten, wenn es zweckdienlich erschien. Andere, besonders der spätere Verräter Herbert Wehner, waren entschieden dagegen.
? Wie sah die politische Arbeit der Anarchistischen Vereinigung aus ?
K.W. Es wurden viele kulturelle Dinge unternommen, um das Weltbild des Menschen zu vertiefen, z.B. Theaterbesuche, Literaturlesungen, Museumsbesuche. Aber auch politische Aktionen, wie Plakatieren, anarchistische Vorträge zu Theorie und Tagespolitik und Hofkolonnen, die bei den Menschen für den Wahlboykott und andere Ziele warben. Es gab auch Gedenkfeiern zu Sacco und Vancetti oder dem Haymarket… .
? Gab es eine politische Verfolgung von Staatsseite ?
K.W. Die anarchistische Vereinigung oder die FAUD waren in der Weimarer Republik nicht verboten, wurden aber von der Polizei seit Ende der zwanziger Jahre kritisch verfolgt. Plakatieren war gefährlich und des öfteren wurden Redner oder Hofkolonnen verhaftet, weil sie zu radikal agitiert hatten. Auch die Zeitung der FAUD, der „Syndikalist“, wurde öfters verboten.
?Du bist dann in eine andere Gruppe eingetreten ?
K.W. Ja, zusätzlich, denn die Leute in der anarchistischen Vereinigung waren alle viel älter als ich. Ich war 1932 erst 14 Jahre alt. Ich war ganz froh, daß mich nach einem Vortrag zwei junge Leute fragten, ob ich nicht Interesse hätte, zur „Freien Arbeiter Jugend“ (FAJ) zu kommen. Freie Arbeiterjugend, schwarzer Wimpel mit roter Schrift, ich war begeistert. Die FAJ war aus der SAJD hervorgegangen und erhielt von der FAUD jede erdenkliche Unterstützung. Die Gruppe bestand aus circa 25 Personen, wir trafen uns einmal in der Woche in einem Jugendheim, und am Wochenende gingen wir auf Fahrt. Das war einer der wichtigsten Bestandteile unseres Gruppenlebens, auf Fahrt zu gehen und all das zu machen, was man aus freiheitlichem Drang heraus tun wollte. Dann gab es auch Vorträge von Erich Mühsam zum Beispiel, was für mich eine sehr wichtige Begegnung war. Er sprach über die Räterepublik, freie Liebe und so fort. Er sprach immer sehr leidenschaftlich und es war schon ein Vergnügen, ihm bloß zuzuhören.
! Heute wirft man ihm ja oft Sexismus vor !
K.W. Das zweite Mal, als ich ihn sprechen hörte, sprach er über die freie Liebe und Sexualität, und das war für mich sehr einprägsam, daß er sehr viel Hochachtung vor der Frau forderte von einem Mann, daß er also das genaue Gegenteil von Sexismus meinte.
Er hatte ja auch viele sexuelle Kontakte, habt ihr seine Tagebücher gelesen, das war mehr, als damals bekannt war.
Ich erinnere mich, gerade die Genossinnen damals fanden das nicht besonders gut, freie Liebe ja, aber man darf‘ s nicht übertreiben. Es gab da ja verschiedene Stufen der Sexualreformen und der freien Liebe. Freie Liebe hieß zunächst nur eine partnerschaftliche Beziehung zu jemandem eingehen ohne staatliche oder kirchliche Einmischung. Eine andere Meinung sagte, daß man sexuelle Bindungen jederzeit wechseln sollte, könnte und wollte, je nachdem.
Mühsams Standpunkt war: Wenn man mit einem Partner glücklich ist, sollte man mit ihm zusammensein. Der Mensch war für ihn aber polygam veranlagt, Männer mehr als Frauen, dann sollte man sich keine Beschränkungen auferlegen. Daran muß eine bestehende Partnerschaft nicht unbedingt kaputtgehen, wenn jeder den anderen akzeptiert und jeder tun kann, was sein Leben verschönt, das sei wirkliche Freiheit. Er meinte, jeder Zwang sei verderblich und wenn sich zwei Menschen ganz doll lieben, dann bleiben sie auch zusammen und wenden sich nicht anderen zu. Er hat immer sehr stark gegen die bürgerliche Moral, die Kirche und den Staat gewettert.
Es muß auch gesagt werden, daß Erich Mühsam sehr stark gegen den Feminismus war, er meinte, daß sich Frauen nicht im Arbeitsprozeß aufreiben sollten die Kindererziehung sei eine schöne und wichtige Aufgabe.
Würde man heute Frauen sagen, was Mühsam dachte, würden sie sagen: „Ich will doch nicht am Herd stehen und Kinder kriegen, ich will auch was aus mir machen !“
!Heute hat man oft den Eindruck, daß die FAUD damals sehr viel straffer organisiert und auch militanter war, als es die FAU heute ist!
K.W. Also grundsätzlich muß gesagt werden, daß innerhalb der anarchistischen Bewegung eine Vielzahl von Meinungen herrschte. Es hat auch mal einer gesagt, jeder Anarchist habe seine eigene Meinung, das war natürlich überspitzt gesagt. Aber damals gab es schon verschiedene Gruppen wie der pazifistische Kreis um Ernst Friedrich oder aber Anarchosyndikalisten wie Rudolf Rocker oder Erich Mühsam, die sich nicht Pazifisten, sondern Antimilitaristen nannten. Sie meinten, daß man eine revolutionäre Erhebung auch mit Waffengewalt durchführen müsse. Die FAUD war sich in dieser Frage nicht einig, auch in unserer Jugendgruppe gab es mitunter Diskussionen.
? Wurde auch in der Weimarer Zeit gegen die Nazis gearbeitet, gab es da Zusammenstöße oder lief es mehr auf Propagandaebene ?
K.W. Nein, es gab auch schon Zusammenstöße. Hauptsächlich fanden die Auseinandersetzungen am Ende der Weimarer Republik allerdings zwischen Kommunisten und SA- Trupps statt.
Also, direkte Zusammenstöße mit Anarchisten habe ich nicht miterlebt, viele Genossen der FAUD meinten ja auch, daß unser Kampfmittel der Streik und nicht der Gummiknüppel sei. Natürlich waren bei 1. Mai- Demonstrationen, als es Prügeleien zwischen Nazis und den anderen gab, wo dann die Polizei mit Gummiknüppel dazwischenging, auch Anarchisten beteiligt. Es gab auch die „Schwarzen Scharen“; Anarchisten, die sich uniformierten, was ja eigentlich unüblich war, mit Koppel, Schulterriemen und schwarzem Hemd. Allerdings waren sie mehr im Rheinland und Westfalen verbreitet, als Schutztruppe gegen Nazis und SA.
Ich kann mich erinnern, daß Erich Mühsam im November ’32 schon sehr stark über die drohende Gefahr des Nationalsozialismus gewettert hat, als er wieder einmal in unserer Gruppe war. Es war also damals schon sehr deutlich spürbar, daß bald ein Schwung nach rechts stattfindet.
?Es wird oft gesagt, daß die Nazi- Bewegung schon langsam wieder am Abschwellen war, als sie an die Macht gekommen ist, und andere Gruppen, z.B. das Großkapital, Hitler erst zur Macht verholfen haben. War das damals wirklich so spürbar, oder kam der Gedanke erst im nachhinein ?
K.W. Nein, das war eigentlich nicht so spürbar. Wir haben uns damals diese Fragen auch nicht so gestellt. Was uns damals schon abschreckte, waren die Theorien Hitlers und der Nazis, die auch schon bekannt waren. In „Mein Kampf“ hat er ja auch ganz klar dargelegt, wie er sich eine zukünftige Gesellschaft vorstellt, nämlich ohne Juden, daß die Deutschen ein „Volk ohne Raum“ seien und den Osten mit wenig Volk, aber mehr Raum urbar machen und kolonisieren sollten. Die Nazis haben doch ein wenig den Nerv der Deutschen für sich vereinnahmt. Also diesen schon immer vorhandenen Antisemitismus, das Nationalgefühl, den Militarismus, die Überheblichkeit und den Hang zum Untertanengeist. Auf der einen Seite nach untern treten und nach oben bücken.
Viele Freunde, Bekannte, auch Genossen oder Leute aus der KPD, die vorher noch gegen Hitler eingestellt waren, waren nach der Machtübernahme plötzlich ganz scheu, wenn man ihnen begegnete. Wenn man sie darauf angesprochen hat, sagten sie dann: „Na, ja, nun wollen wir erst mal warten, so schlimm wie immer geschildert, scheint Hitler ja nicht zu sein, und die Arbeitslosigkeit wird beseitigt, und es ist sauber und mit den Juden, das wird sich wieder geben, usw.“
Uns hat dann sehr verwundert, daß plötzlich Hakenkreuzfahnen aus Fenstern hingen, wo früher rote hingen.
? Wieviel Spielraum hatte man eigentlich nach der Machtübernahme, war das sofort spürbar oder konnte man noch einige Wochen oder Monate halbwegs ungestört weiterarbeiten ?
K.W. Man konnte noch ein paar Wochen weiterarbeiten, aber es war natürlich spürbar, daß irgendetwas kommen müsse. Nachdem uns in unserem Treffpunkt, dem Jugendheim, gekündigt wurde, haben wir uns zuerst einmal in privaten Wohnungen weitergetroffen, auch in unserer Wohnung. Ich habe die Karl- Marx- Schule besucht, eine Reformschule, und wollte dort mein Abitur machen. Aber unser sozialdemokratischer und jüdischer Direktor wurde abgesetzt und ich nahm an einem Schülerstreik teil und wurde relegiert.
Nach dem Reichstagsbrand wurden viele Leute, auch Erich Mühsam, die auf der Liste standen, abgeholt und zum Teil geschlagen. SA- Leute haben Arbeiter aus ihren Wohnungen geholt, zum Teil ihre früheren Genossen aus dem Rotfrontkämpferbund, und jetzt waren die einen bei den Nazis. Ein Genosse hatte einen Prozeß zusammen mit anderen Anarchisten und mußte 2 Jahre ins Emsländer Moor.
Wir haben uns dann öfter auf Fahrt getroffen, denn in der Natur fühlten wir uns sicherer. Wir versuchten auch, die Bücher, die in der „Gilde freiheitlicher Bücherfreunde“ lagerten, in Sicherheit zu bringen. Die kamen dann in unseren Keller. Am 10. Mai sind dann Bücherberge in Flammen aufgegangen, da hatten wir den richtigen Riecher. Aber zuerst war eine Zusammenkunft noch möglich.
? Wie habt ihr auf die Machtergreifung der Nazis reagiert ?
K.W. Unsere Haupttätigkeit in den ersten Monaten bestand darin, Berichte von den Inhaftierten zu sammeln. Von Erich Mühsam und anderen, und zu überlegen, wie können wir helfen ? Die älteren sammelten Geldspenden und Material, wir jüngeren riefen dazu auf. Ansonsten haben wir versucht, in unserem Umfeld, in der Schule oder Werkstatt auf die Nazigreuel hinzuweisen und zu agitieren. Wir wußten von den Greueln und Schrecken der Nazis schon sehr früh, z.B. Von Zensl Mühsam, die berichtete, wie schrecklich ihm mitgespielt wurde.
Die Anarchistische Vereinigung Weißensee löste sich Ende 1934 auf, und ich verlor die meisten Genossen aus den Augen. Viele sind weggezogen oder in die „innere Emigration“ gegangen. Einige beteiligten sich an illegalen Flugblatt- und Antifa- Aktionen. Einige Berliner Anarcho- Syndikalisten nahmen auch in Spanien am Kampf gegen den Faschismus teil. Mir persönlich ist nicht bekannt, daß ein Genosse auf die Seite der Nazis übergelaufen wäre, im Gegensatz zu den Kommunisten, wo das ja öfter vorgekommen ist.
Ich würde mich aber nicht als Widerstandskämpfer bezeichnen, im Vergleich zu der Gruppe Baum oder den Geschwistern Scholl vielleicht.
? Was war in der Zeit danach ?
K.W. Wir kamen immer noch in unserer Wohnung zusammen, als ein Nazi- Funktionär in unser Haus einzog. Ich begrüßte den, wie ich es gewohnt war, mit „Guten Tag“, statt mit „Heil Hitler“. Der hat mich dann bei der Ortsgruppe angeschwärzt, und die haben mich dann zusammengedonnert, wie ich denn dazu käme, nicht den Deutschen Gruß anzuwenden vor so einem hohen Würdenträger und ob man mir das in der HJ nicht beigebracht hätte. Dann habe ich gesagt, nö, der Hitlerjugend gehöre ich gar nicht an. „Warum bist denn du deutscher Junge nicht in der HJ ?“, haben sie mich dann gefragt, und ich habe dann gemacht, daß ich da wegkomme. Zum Glück war ich schon zu alt, um noch in die Pflicht- HJ zu müssen.
? Konntet Ihr euch danach noch treffen ?
K.W. Wir haben uns danach nur noch auf Fahrt getroffen. Es war zwar nicht gern gesehen, wenn junge Leute außerhalb der HJ nicht im Gleichschritt die Straße entlang liefen, aber viele Wirte waren noch nicht auf Parteilinie umgeschwenkt. Einmal saßen wir in der Kneipe und dann kamen noch ein paar junge Leute in die Kneipe rein. Jungen und Mädchen, auch so mit der Klampfe in der Hand, einer hatte sogar noch ein Akkordeon dabei. Dann beschnupperten wir uns erst mal, und es stellte sich heraus, daß es Leute von der ehemaligen Fichte- Jugend waren. Fichte war eine Sportorganisation, die von der KPD betreut wurde, da gab es Wandern, Schwimmen und Tennis und so. Von diesem Moment an schlossen wir uns zusammen und waren eine gemeinsame Gruppe.
Da es immer gefährlicher wurde, ohne Legitimation auf Wanderschaft zu gehen, beschlossen wir, in eine legale Organisation einzutreten: Den Verband der märkischen Wanderer. Das war eine große Organisation von Heimatforschern, die waren aufgeschlossen gegenüber allen Leuten, die da eintreten wollten, und bildeten so eine Art Auffangbecken für linke, antifaschistisch orientierte Gruppen. Wir hatten unseren Ausweis und waren ungefährdet. Dann sind wir noch in den Heimatbund der kleindeutschen Kleingärner eingetreten. Da haben wir dann antifaschistische Arbeit geleistet, wie wir sie verstanden haben.
Dort waren viele jüngere Leute aus der HJ und dem BDM, wir haben mit denen geredet und versucht, die zu beeinflussen. Wir haben eine Volkstanz- und eine Laienspielgruppe gegründet. Ich habe mich um das Laienspiel gekümmert, weil das mit Literatur zu tun hatte, mein Steckenpferd von jeher. Die Nazifunktionäre haben dann gesagt: „Jawoll, schön, daß du mitmachst, macht‘ mal, ein richtiger deutscher Junge.“ Die kamen dann gleich mit einer Literaturliste, alles Nazistücke: Blut und Boden, Wehrmacht Wehrpflicht, Volk ohne Raum, rassische Sauberkeit. Ich habe dann gesagt, zu humorlos, zu viele Personen, langweilig und anderes. Stattdessen haben wir dann andere „deutsche Stücke“ aufgeführt, Gerhard Hauptmann und Kleist. Für uns war es schon ein großer Erfolg, wenn wir bei einem großen Abend der Kleingärtner Gedichte von Brecht oder Klabund aufführen konnten, ohne daß sie jemand erkannt hat, was ja auch gefährlich geworden wäre.
? Wie lange ging das gut ?
K.W. Von 1935 – 38. Wir kamen ’38 noch zusammen, aber es wurde dann einer nach dem anderen eingezogen. Es war ja bereits Wehrpflicht und ich erinnere mich, wir haben dann immer einen Abschiedsabend veranstaltet. Das war sehr traurig, wir hatten so ein Lied, „Nie, nie wollen wir Waffen tragen, nie ziehen wir in den Krieg“. Das war ziemlich deplaziert, wenn man wußte, der Betreffende wird morgen mit der Waffe in der Hand über den Exerzierplatz gescheucht. Dann waren wir sehr wenige und kamen nur noch familiär zusammen. Paul Lerm, der Leiter der Volkstanzgruppe, war außerdem noch in einer Widerstandsorganisation, den roten Sportlern, und ist verhaftet worden. Er mußte dann zwei Jahre ins Emsländer Moor. Ich persönlich kam 1939 in den Arbeitsdienst und die Verbindung existierte nur noch mit wenigen Leuten.
Wie bist du zurWehrmacht gekommen ?
K.W. Nachdem ich die gleichgeschaltete Schule verlassen mußte (direkte aktion Nr. 112), schlug ich mich zunächst mit allerlei Gelegenheitsarbeiten durch, da ich mir nicht vorstellen konnte, meinen Traumberuf, Redakteur oder in einem Verlag zu arbeiten, unter der herrschenden Herrenmenschen- Ideologie auszuüben. Einer aus unserer Jugendgruppe brachte mich dann als Physiklaborant in seinem Betrieb bei Siemens- Plania unter. Ich büffelte Mathematik und bestand die Aufnahmeprüfung an der Ingenieurschule. Im April 1939 hätte ich anfangen können, aber da hatte man mich schon in Marsch gesetzt, zum Arbeitsdienst nach Sodargen an der litauischen Grenze. Auf meine Proteste bekam ich nur zu hören, das halbe Jahr müssen sie abreißen, danach können sie immer noch studieren. Aber das war blauer Dunst.
? Wie war das beim Arbeitsdienst ?
K.W. An die Schinderei auf der Baustelle konnte man sich gewöhnen, aber die ständigen, machtlüsternen Versuche der Ausbilder, meine menschliche Würde zu verletzen, waren schwer zu ertragen. Dazu das Exerzieren, die gebrüllten Befehle: Auf ! – Hinlegen ! Marsch, Marsch ! Die gemeinsten Beschimpfungen, Staub, Dreck und die körperlichen Torturen, das alles griff meine körperliche Substanz an.
Im Sommer 1939 wurde zusätzlich noch eine Ausbildung am Gewehr vorgenommen, hier sah ich meine Chance. Aufgrund meiner Sehschwäche in Folge einer Hornhautentzündung wurde ich vom Dienst mit der Waffe befreit.
Wir hörten noch am 1. September 1939 Hitlers Kriegsgeschrei im Radio an und dann kam der Abmarschbefehl. Wir waren als Baukompanie Soldaten geworden. So marschierte auch ich nach Polen. Die Vertreibung der Jüdinnen und Juden und die Mißhandlungen durch die SS- Herrenmenschen haben mich mit Scham und Entsetzen erfüllt. Aber dann die Untaten der sowjetischen Waffenbrüder, von denen ich eine mit ansah, Flugzeuge aus dem Arbeiterstaat, die Bomben auf polnische Arbeiter und Arbeiterinnen abwarfen. Als die Schlacht geschlagen war, traten wir Eroberer den Heimweg an, mit Marschmusik zog unsere Kompanie im südostpreußischen Johannisburg ein. Am Straßenrand eine jubelnde Menge. Junge Mädchen umarmten und küßten uns, steckten uns Sträuße an die Mützen. Da schwoll so manchem Helden der Kamm, und es war für ihn ein gelungener Auftakt zu späteren Eroberungen, vielleicht in der sonnigen Krim oder dem eisigen Kaukasus ?
? Wie war die Motivation der Soldaten ?
K.W. Es gab auch beim Militär keine einheitliche Linie. Die Alternative zum Militärdienst war ’35/ 36 noch Gefängnis, 1939 war das schon viel strenger. Da gab es schon Todesstrafe oder eine Drangsalierung, der man nicht standhalten konnte. Dieses Heldentum habe ich persönlich und viele andere nicht an den Tag gelegt. Meine Devise war, wenn schon Soldat, dann ein schlechter.
Die Motivation der meisten war auch als Soldat deutsch: Wir sind keine Nazis, Hitler hat Mist gemacht und den Krieg hätte es nicht geben müssen. Aber wenn schon Krieg, dann wollen wir alle so tun, um zu gewinnen, sonst geht es uns noch viel schlechter. Dazu kommt der Gehorsam. Man kann drei Gruppen in der Wehrmacht unterscheiden:
· Überzeugte Nazis aus HJ oder Ordensschulen. Es gab damals „richtige germanische“ Ordensschulen. Die wollten den Krieg für Hitler und das deutsche Volk gewinnen.
· Die breite Masse der Soldaten, die sagten, wir machen mit, weil wir keine andere Wahl haben.
· Diejenigen, die von Anfang an versuchten, Widerstand zu leisten. Wie wir mit kleinen Schritten oder die, die desertierten, und zum Teil zu den Partisanen übergelaufen sind.
? Wie war Dein Werdegang als Soldat ?
K.W. Als ich aus Polen zurückkam, wurde ich zum Wehrdienst gemustert und trotz meines Augenleidens k.v. (kriegsverwendungsfähig; d.V.) geschrieben. Ich kam zu einer Artillerieeinheit nach Frankfurt/ Oder. Die Rekrutenausbildung war noch schärfer als der Drill beim Arbeitsdienst: Exerzierdienst bis zum Umfallen, systematisches Brechen des Selbstbewußtseins, das stupide Gewehrgriff- Klopfen, Stechschritt und die mit beinahe wissenschaftlicher Akribie durchgeführte Einweisung in die Funktion der Geschütze.
Meine Devise war natürlich Distanz halten, zu nichts melden. Nach den Schießübungen wurde ich erneut zum Augenarzt geschickt, und infolge dessen wurde der Vermerk k.v. in meinem Soldbuch durch g.v.H. (garnisionsverwendungsfähig Heimat; d.V.) ersetzt, und ich kam in den Innendienst. Eigentlich hätte es mich froh stimmen sollen, aber ich wußte, so manch einer meiner Kameraden hätte nur zu gern eine kleine „Macke“ gehabt. Ich glaube, die meisten beneideten uns, aber die Zackigen ließen uns spüren, daß wir für die „Drückeberger“ waren.
März ’41 kam ich dann zur Bewachung französischer Kriegsgefangener nach Berlin, von wo ich in Folge des Überfalls auf die Sowjetunion nach Rußland gelangte. Die eroberten Ostgebiete galten auch als „Heimat“, so daß ich mich nicht erfolgreich widersetzen konnte.
Auf dem Marsch nach Rußland machte ich die Bekanntschaft von Rudi Kuhn. Wir lagen auf einer sommerlichen Wiese und unterhielten uns: „Diktaturen schüren den Krieg“, wagte ich zu sagen, man konnte sich ja nie vor Spitzeln sicher sein. „Kannst Du dir eine Gesellschaft ganz ohne Staat vorstellen“, fragte er. Da wurde ich hellhörig: „Wie Bakunin sie beschrieb, oder Kropotkin…?“. Da wurde er hellhörig: „…oder die anarchistischen Gewerkschaftler der FAUD ?“ Wir frischten gemeinsame Erinnerung an Versammlungen und Vorträge auf, und von dem Moment an haben wir zusammengehalten. Rudi Kuhn war Schneider und in der FAUD aktiv gewesen.
Auf dem weiteren Vormarsch habe ich dann in einer zerschossenen Bibliothek Arno Erlecke kennengelernt. Ich stand gerade vor den Regalen und betrachtete die Bücher, als Arno mit einem Buch von Rosa Luxemburg neben mir stand: „Das sollte man gelesen haben“, sagte er leise. Arno war in der KPD gewesen und seiner Weltsanschauung treu geblieben, er brachte dann auch den vierten Mann mit. Willy, war ebenfalls in der KPD gewesen und hatte einige Monate in einem der ersten Kz‘ s verbracht. Er war Maurer und hatte sich mit dem Polier, einem Nazi angelegt. Wir vier sind dann die nächsten zwei Jahre zusammengeblieben.
? Wie wart Ihr eingesetzt, wie habt Ihr als Gruppe zusammengehalten ?
K.W. Unsere Einheit war zur Bewachung der russischen Kriegsgefangenen in Minsk eingesetzt. Rudi und ich hatten Innendienst, aber die anderen beiden waren direkt zur Bewachung der Gefangenen eingesetzt. Wir haben versucht, uns so menschlich wie möglich zu verhalten, mal was zuzustecken. Wir haben da auch in der Gruppe viel darüber diskutiert, wie verhält man sich bei einem Fluchtversuch. Denn die Mannschaften, denen die Gefangenen entkamen, wurden, falls diese wieder zurückgebracht wurden, zur Erschießung eingeteilt. Schlimm war es, als die Partisanen kamen, einmal weil da zur Kampfeinheit ausgesiebt wurde und andererseits, weil fast täglich Gefangene flohen. Willy hat eine Gruppe Gefangener entkommen lassen und wurde nun zur Hinrichtung eingeteilt. Das war für ihn ganz furchtbar, was kann ich bloß tun, hat er gesagt und sich dann sinnlos betrunken, in der Annahme, dann zurückgestellt zu werden, Aber er ist von der Feldgendarmerie abgeholt worden, und wir haben ihn nie wieder gesehen.
Über weltanschauliche Fragen haben wir kaum diskutiert, ob Anarchismus oder Diktatur, das war im Moment ganz unwichtig. Die waren Kommunisten, wir Anarchisten, wir haben nur gedacht, wie können wir helfen. Ein Mensch, der den gleichen Feind wie ich hat, ist erst mal mein Partner.
? Wie sind die anderen Landser damit klargekommen, an so einer Erschießung teilzunehmen ?
K.W. Es gab so eine Art stillschweigende Übereinkunft, über diese Dinge nicht zu sprechen. Man schweigt und verdrängt. Es ist wieder so ein Fall, in der Theorie ist alles glatt, aber in der Praxis ist die Situation: er oder ich. Ich bin glücklicherweise in diese Situation nicht gekommen.
Schlimm war es mitanzusehen, wie sich die eigenen Kameraden beim Transport der Kriegsgefangenen ins Lager mitunter aufgeführt haben. Die Gefangenen kamen am Güterbahnhof in der eisigen Kälte ’41/ 42 an, bis zu -40 Grad Celsius. Viele waren schon erfroren oder konnten nicht mehr laufen. Die paar, die noch laufen konnten, mußten 7 Kilometer durch die ganze Stadt. Wer nicht mehr konnte, wurde sofort per Genickschuß ermordet. Die Straßen waren voller Leichen. Daran waren auch viele Hilfstruppen beteiligt, Ukrainer, Letten, Weißrussen. Die haben Hitler zunächst als Befreier von den Bolschewisten gesehen, aber ihren Irrtum schnell erkannt. Da gab es allerdings auch überzeugte Nazis, die wollten der SS beweisen, wie „gut“ sie sind.
? Wie weit war das Wissen über die Greueltaten in der Armee verbreitet ?
K.W. Offiziell durfte nichts verlauten. Es gab auch Briefkontrollen und harte Strafen. Die meisten Landser haben aber von sich aus geschwiegen, untereinander und zu Hause, die Familie sollte vom Krieg nichts mitbekommen.
Von Erschießungen und der systematischen Vernichtung der Kriegsgefangenen durch Kälte, Hunger und Krankheiten wußten alle im Lager und auch an der Front. Da gab es ganz andere Verbrechen als im Hinterland, die Frontbereinigung zum Beispiel, bei der die Dörfer verbrannt und die Menschen erschossen wurden. Unsinnig ist auch der Gedanke, die Wehrmacht sei ein sauberer Haufen, SS und Polizeitruppen hätten die Verbrechen begangen. Die Gefangenenerschießungen, der Massenmord durch Hunger und Kälte, das war die Wehrmacht. Die Judenmassaker in der Zitadelle von Kowno/ Kaunas, in Dünaburg. All das war auch denen bekannt, die nicht unmittelbar beteiligt waren. Genauso wie jeder, der denken konnte, wußte, daß es Kz‘ s gab und die Judenvernichtung.
Unsere Gruppe, wir haben versucht, das Schweigen zu durchbrechen und auch zuhause von den Verbrechen berichtet.
Es war uns auch wichtig, Kontakt zur russischen Bevölkerung zu bekommen. Ich hatte dann auch Freundschaften, offiziell war das ja verboten, „Verbrüderung mit den Eroberten“. Aber man konnte das tarnen, man hatte halt ein Mädchen und das wurde dann stillschweigend akzeptiert. Sexuelle Bedürfnisse waren ja nun mal da bei den Landsern, und Bordelle gab es nicht genug. Wir jungen Männer, hatten sowieso das Interesse mit einer Frau zusammenzukommen. Ich hatte im Verlauf dieser zwei Jahre auch russische Mädchen, und es war mir wichtig, auch Kontakt zu deren Familien zu bekommen und zu sehen, wie sie leben.
? Wie erklärst Du dir diese Unmenschlichkeit in der deutschen Wehrmacht ? Zum Großteil waren es ja ganz normale Menschen.
K.W. Ich kann mir das nur so erklären, daß bei dem deutschen Volk ein Haß auf Fremde und Andersartige schon immer vorhanden war. Und dann war natürlich der Gedanke, wehe, wenn wir den Krieg verlieren, was dann mit uns passiert. Da ist es besser, jetzt auszurotten, was noch auszurotten geht. Oft wurde mit Argumentation Wut geweckt, wie, ein Heckenschütze hat einen Soldaten erschossen. Es gab einen Befehl, für einen deutschen Soldaten 100 Einwohner zu ermorden. Auch das Bewußtsein, Macht zu haben, war ein wichtiger Faktor in der Wehrmacht.
Ein Argument ist sicher auch, daß der Krieg verroht, wir haben das dann umgekehrt erlebt, 1945 das Verhalten der Roten Armee in den eroberten Gebieten, Vergewaltigungen und so weiter.
? Wie lange warst du in Minsk, wie ging es weiter ?
K.W. Anfang ’43 wurde ich beauftragt, eine Theatergruppe zu organisieren, und bekam doch noch den ungeliebten Gefreitenwinkel. Seit Winter ‚ 43 griffen infolge der sich abzeichnenden militärischen Niederlage die Erschießungen der Gefangenen immer weiter um sich. Ich unternahm einen erneuten Vorstoß, untauglich zu werden, und wurde nun schließlich aufgrund meiner Sehschwäche a.v.H. (arbeitsverwendungsfähig heimat; d.V.) geschrieben.
Der Leiter des Physiklabors bei Siemens- Plania machte sich für mich stark und ich bekam eine u.k.- Stellung (unabkömmlich; d.V.) in Berlin. Während meines Aufenthaltes bei der Wehrmachtsentlassungseinheit stand plötzlich Herbert Teschow vor mir, einer der beiden jungen Männer, die mich 1931 angesprochen hatten, in die Freie Arbeiterjugend einzutreten.
Er war nun davon bedroht, noch an die Ostfront zu kommen und weihte mich in ein Vorhaben ein, das über Leben und Tod entscheiden sollte: Der Griff eines durchgerosteten Wäschekessels brach, und siedendes Wasser verbrühte Herberts Beine. Noch während er im Krankenhaus lag, wußte er nicht, ob man ihm den Unfall abnehmen würde, oder ob er wegen Selbstverstümmelung vors Kriegsgericht müßte. Wir verbrachten noch viele schöne Stunden zusammen.
Das Kriegsende habe ich hier in Berlin, in Hohenschönhausen erlebt. Ich saß im Keller und wartete auf die Befreier. Ich sage bewußt Befreier. Viele Historiker und Libertäre fragen, ob man Befreier sagen darf, aber für uns, die vom Nazireich Geschundenen, war es zu allererst ein Akt der Befreiung.
? Wie hast Du die Vergangenheitsbewältigung wahrgenommen ?
K.W. Ich war erschreckt, als ich feststellen mußte, daß viele Naziverbrecher wieder in Ruhm, Amt und Würde kamen, im Westen vor allem. Im Osten wurde auch vertuscht. Aber da war man schon näher an der Wahrheit, die führenden Nazis sind nicht wieder in ihre Sessel gekommen. Die kleinen Mitläufer kamen auch wieder in die Partei, die sollten sich bewähren.
? Wie hätte die Vergangenheitsbewältigung stattfinden sollen ?
K.W. Man hätte radikal mit der Nazivergangenheit aufräumen müssen, man hätte den Nazis keine Chance geben dürfen, sich wieder so hochzuarbeiten, damit dieser ganze Neonazismus nicht wieder so entstanden wäre. Man hätte Menschen wie Filbinger aus dem öffentlichen Bereich ausschalten müssen. Man hätte verhindern müssen, daß sich in der Bundesrepublik eine Gruppe von Menschen zwar nicht zum Faschismus bekennt, aber sagt, die Wehrmacht war ein sauberer Haufen.
Aus: „Direkte Aktion“, 19. Jg. (1995), Nr. 112/ 113.
Eine sehr lesenswerte Autobiographie Kurt Wafners ist im Jahre 2001 unter dem Titel „Ausgeschert aus Reih‘ und Glied. Mein Leben als Bücherfreund und Anarchist“ beim Verlag Edition AV erschienen.
Weitere Berichte von Kurt Wafner zum Widerstand gegen die NS- Herrschaft befinden sich in der „Schriftenreihe über den Widerstand in Berlin von 1933 bis 1934“, Hrsg.: Informationszentrum Berlin/ Gedenkstätte deutscher Widerstand
ersteres ist erhältlich über FAU-MAT