Beitrag Sammelband: Anarchistische Scheidewege Zum Verhältnis von Anarchismus und Antisemitismus

Mein Beitrag im Sammelband (erschienen März 2025):

Anarchismus und Antisemitismus

1.
Als ich angefragt wurde einen Beitrag zu einem Buch unter dem Arbeitstitel „Anarchismus und Antisemitismus“ zu schreiben, war ich hin und her gerissen.
Zum einen ist das Thema interessant, und vor allem sehr wichtig.
Zum anderen bin ich nicht der Typ, der „wissenschaftlich“ schreibt.
In sofern fällt dieser Beitrag jetzt ein wenig aus dem Rahmen dieses Buches.
Ich hoffe, dass der Platz, den mein Text beansprucht, nicht verschwendet ist.

2.
Meine „erste“ Begegnung1 mit Antisemitismus in der anarchistischen / anarchosyndikalistischen Bewegung war 1993.
Ich war in Barcelona und habe die „Exposición Internacional del Anarquismo“ besucht. Dort habe ich nicht nur zahlreiche Anarchistinnen getroffen, über die ich nur wenige Tage zuvor noch etwas gelesen hatte2, sondern auch zahlreiche „junge“ Anarchistinnen aus ganz Europa und Kanada.
Ich schloss mich einer kleinen multinationalen Gruppe an.
Dort lernte ich eine junge Anarchistin kennen. Sie war nicht nur Kanadierin, sondern auch Jüdin. Mit anderen zusammen zogen wir nachts um die Häuser und besuchten die anarchistischen Bars der Stadt. In einer der letzten Kneipen erzählte ein Anarchist aus Großbritannien, der als Jobvermittler beim Arbeitsamt arbeitete, dass er selbst ja nix gegen Juden habe, er aber nachvollziehen könne, dass viele Menschen etwas gegen die reichen „Geldjuden“ hätten.
Immerhin sei das schon auffällig,…. –
In meiner Erinnerung haben sie und ich uns kurz angeblickt. Irgendwie war klar, dass wir mit einem Betrunkenen nicht anfangen werden zu diskutieren.
Wir sind stattdessen gegangen.
Diese Begegnung ist mir besonders deutlich in Erinnerung geblieben.

3.
Meine nächsten Begegnungen mit Antisemitismus innerhalb der anarchistischen Bewegung, waren nicht nur von „außen“.
Vielmehr war ich oft genug selbst das Problem.
In der zweiten Hälfte der 1990er Jahre fiel es mir noch sehr leicht vom „Apartheidstaat Israel“ zu reden.
Zum Glück hatte ich Genossinnen in meinem Umfeld, die Zeit und Geduld aufbrachten, um mir zu erklären was und warum das, was ich so alles von mir gab, Teil der antisemitischen Erzählung ist. In die selbe Zeit fallen die Gewerkschaftsproteste gegen internationale (meist US-amerikanische) Finanzinvestoren.
Die Gewerkschaften haben dabei häufig das Bild der alles vereinnahmenden Krake oder der alles auffressenden Heuschrecke verwendet.
Innerhalb der Gewerkschaften gab es aber auch Menschen, die sich gegen diese beiden (und noch ein paar andere) Erzählungen gestemmt haben.
Insgesamt hatte ich also das Glück, dass antisemitischen Erzählungen offen und öffentlich widersprochen wurde.
So hatte ich die Chance mich mit den antisemitischen Bildern und Erzählungen, die ich in meinem Leben, ohne es zu wollen, erlernt hatte, auseinander zu setzten.
Dieser Prozess ist sicher noch nicht abgeschlossen.

4.
Der Massenmord der islamistischen Hamas an über 1.000 Israelis am 7. Oktober 2023 war eine Zäsur.
Mich haben die verschiedenen „roten“ Gruppen nicht überrascht, die das Massaker und die Entführung von über 200 Menschen als „legitimen Widerstand“ verklärt haben.
Aufgrund ihres marxistischen/leninistischen Antiimperialismus hatte ich von diesen Gruppen nichts anderes erwartet.
Überrascht haben mich queere, feministische und vor allem anarchistische/anarchosyndikalistische Gruppen/Organisationen und Menschen, die in ein ähnliches Horn bliesen.
Seit dem Angriff der Hamas und ihrer Verbündeten haben antisemitische Angriffe in der BRD (Europa/weltweit) zugenommen.
Im Schnitt haben sie sich im Vergleich zum Vorjahreszeitraum verdoppelt.3
Hat mich schon das Schweigen vieler Gruppen verunsichert, so hat mich so manche Äußerung wirklich erschüttert.
Das Schweigen, auch meiner eigenen Organisation, konnte ich mir eine Zeit lang noch damit erklären, dass die Leute erst einmal intern diskutieren müssen.
Schließlich ist das Thema Israel/Palästina ein „heißes Eisen“ und komplex.
Aber je länger das Schweigen dauerte und die Angriffe auf Juden und Jüdinnen weltweit weiter gingen, desto mehr wurde mir das Versagen (auch das eigene) bewusst.
Gegen das eigene Versagen kann man ja zum Glück etwas unternehmen.
Also fing ich an, nach anarchistischen Verlautbarungen zu suchen, die meiner Haltung einen Ausdruck verleihen konnten.
Ich schlug diese meinem Syndikat vor und bat darum, dass wir diese auf unserer Homepage veröffentlichen sollten.
Leider wurde das von einer kleinen Gruppe ohne Begründung und vor allem ohne Diskussion abgelehnt.
Und das war dann auch der Punkt, wo ich fast den Boden unter meinen Füßen verloren habe.
Im eigenen Syndikat, aber auch darüber hinaus gab es Anarchist:innen, die sich nicht dazu bereit fanden, den sich neu bahnbrechenden und aktionistischen Antisemitismus in Deutschland zu verurteilen.
Stattdessen kamen immer wieder andere Ausreden und jede Menge „was ist mit,…“
Getoppt wurde alles durch Schuldzuweisungen, à la „die Juden sind selbst schuld!“3.1
Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass es schnell gehen kann, dass man antisemitische Erzählungen wiederkäut.
Entscheidend ist die Bereitschaft, wenn man schon darauf aufmerksam gemacht wird, sich damit auseinander zu setzten.
Denn einerseits hat man ja vielleicht etwas zu sagen.
Und andererseits ist man ja vielleicht auch kein überzeugter Antisemit.
Aus dieser Gemengelage ergibt sich meiner Meinung nach die Pflicht, sich im Zweifel noch einmal hin zu setzten und zu überlegen wie man das, was man vielleicht eigentlich sagen wollte, so mitteilen kann, dass es eben nicht anschlussfähig an antisemitische Erzählungen ist oder gar selbst eine antisemitische Erzählung wiederholt.
Stattdessen beobachtete ich eine Verhärtung der angeblich „pro“-palästinensischen Positionen und die komplette Abwehr jeglicher Kritik, egal aus welcher Richtung diese kommt.
Stattdessen beruft man sich zusehends auf „antizionistische“ Juden und bringt diese in Stellung gegen die als „Zionisten“ markierten Kritiker:innen.4

5.
Aber wie kommt es, dass auch einige Anarchist:innen einerseits antisemitische Erzählungen wiederkäuen und anderseits nicht willens oder auch nur in der Lage sind in diesem Punkt Kritik anzunehmen?
Ich bin leider nicht in der Situation, um eine ausgereifte Theorie zu dieser Frage zu konstruieren. Aber ich denke, dass es an mehreren Faktoren liegt.
Zum einen wähnen sich Anarchist:innen grundsätzlich auf der „richtigen Seite“.
Unter diesem Gesichtspunkt, können sie sich keine Fehler eingestehen.
Dann haben einige von ihnen sicher auch ein sehr einfaches Konzept von Unterdrückern auf der einen Seite und Unterdrückten auf der anderen Seite.
In diesem einfachen Bild sind Juden/Jüd:innen die Unterdrücker und die Palästinenser die Unterdrückten5.
Und nicht nur das – als Opfer des NS-Faschismus werden sie in ihrer Rolle als Unterdrücker mit den Nazis und ihren Methoden gleichgesetzt.
Als Anarchist:innen sind sie natürlich auch „gegen den Staat“.
Dabei vergessen sie, dass Anarchist:innen gegen die Idee des Staates insgesamt sind, und, schon seit Peter Kropotkin wissen, dass der Staat eine ganze Reihe von gesellschaftlichen (sozialen/kulturellen) Aufgaben an sich gerissen hat.
Zusammen mit der Erkenntnis, dass der Staat kein Ding ist, das man zerschlagen kann sondern ein gesellschaftliches Verhältnis zwischen den Menschen6, ist eigentlich klar, dass Anarchist:innen nur dann „den Staat“ abschaffen können, wenn sie vorher schon die Keimzelle für ein neues Verhältnis gelegt haben.
Und das im globalen Maßstab.
Durch dieses „Vergessen“ fällt es ihnen leicht, die Vernichtung Israels (free palestine-from the river to the sea)7/8 zu fordern.
Und da sind wir auch schon wieder beim nächsten Problem:
Wann immer man versucht mit ihnen über Antisemitismus hier(!) und jetzt zu reden, gehen sie über zum Israel-Palästina-Konflikt.
Sie können Juden und Jüdinnen nur noch als Zionisten oder Antizionisten sehen.
Egal wo auf der Welt sie leben und egal was sie dort machen oder wie alt sie sind.
Nicht unwichtig scheint mir auch die, den Kritiker:innen unterstellte „Staatsnähe“ zu sein.
Mit ihrem Bekenntnis zum „palästinensischen Volk“ treten sie in Opposition zur deutschen Staatsräson.
So kann man sich ohne großes persönliches Risiko noch einmal rebellisch fühlen und gegen „die da oben“ aufbegehren.
Ein Argument, das ich immer wieder gehört habe, war, dass die Anarchist:innen „auf der ganzen Welt“ für das „palästinensische Volk“ wären.
Und dass nur in Deutschland Anarchist:innen Antideutsche (das meint „zionistische“) Positionen übernommen hätten.
So als ob die Mehrheit automatisch recht hätte oder Deutschland nicht der Staat wäre, der den Holocaust organisiert und weltweit antisemitische Gruppen und Organisationen unterstützte.
Vielleicht spielt auch die Art und Weise, wie die Palästinenser9 gegen Israel kämpfen, eine Rolle.
So herrscht angesichts der eigenen Ohnmacht vielleicht eine klammheimliche Freude darüber, dass es Gruppen gibt, welche den vermeidlich übermächtigen Feind10 mit der Waffe in der Hand gegenüber treten11..
Zu guterletzt scheint es mir auch so, dass einige Anarchist:innen von Rassismus und Antisemitismus falsche Vorstellungen haben.
Der grundlegende Unterschied zwischen beiden Konzepten scheint nicht allen klar zu sein. Deshalb erscheint es ihnen wie ein einzelnes Phänomen.

6.
Bei einigen Anarchist:innen habe ich jede Hoffnung aufgegeben, dass sie noch einmal ihren Antisemitismus überdenken.
Bei allen anderen bleibt nur die Hoffnung12.
Was es zuallererst braucht, ist die Bereitschaft Kritik anzunehmen und sich ernsthaft damit auseinanderzusetzten.
Aber das reicht nicht aus.
Es braucht auch den Willen, zu akzeptieren, dass wir als Bewegung weit davon entfernt sind realpolitische Macht entfalten zu können.
Eben weil das so ist, werden „wir“ auch nicht den Israel-Palästina-Konflikt lösen.
Darum geht es auch nicht.
Es geht um Antisemitismus hier und jetzt.
Dabei ist es besonders wichtig den Antisemitismus in den eigenen Reihen zu thematisieren.
Wenn wir dies tun, dann können wir klar gegen jeden Antisemitismus13 Stellung beziehen und uns schützend14 neben Juden und Jüd:innen stellen.
Entgegen der Behauptung derjenigen, welche die antisemitischen Erzählungen weiter verbreiten, werden wir dabei auf zahlreiche neue Verbündete treffen.
In erster Linie Menschen, die Erfahrungen mit islamistischen Gruppen und Regimen machen mussten.
Der Widerstand gegen den Antisemitismus, so wie er sich seit dem siebten Oktober 2023 Bahn gebrochen hat, nimmt weltweit zu.
Er ist multiethnisch und vor allem von Frauen getragen.
Diese Begegnungen werden nicht einfach sein. Aber sie werden sehr fruchtbar sein insbesondere wenn wir allesamt gemeinsam von den jeweiligen Erfahrungen lernen wollen.

 

Anmerkungen:

1 Das war zumindest die erste bei der es mir auffiel. Ansonsten hatte ich schon bei Emme Goldman und Peter Kropotkin darüber gelesen. Später las ich dann auch Texte von Erich Mühsam, Rudolf Rocker u.v.a.m. die Antisemitismus zum Thema hatten. Antisemitismus und das verhalten von Anarchist:innen wird also schon seit mehr als 100 Jahren von Anarchist:innen beschrieben.

2 Kurz zuvor hatte ich ein Buch über die spanische Revolution gelesen. In Barcelona traf ich nun auf die Anarchosyndikalist:innen die 1936 als junge Arbeiter:innen aktiv an der Revolution teilgenommen hatten.

3 So gab es 2023 insgesamt:
4.782 antisemitische Vorfälle – gegen die 90.478 Juden/Jüdinnen in den deutschen Gemeinden und Landesverbänden
1.926 antimuslimische Vorfälle, die sich auf rund 5.500.000 Millionen Menschen aller muslimischen Glaubensrichtungen verteilten und
1.233 antiziganistische Vorfälle, die sich auf 70.000 bis 150.000 Roma und Sinti verteilten

Bezogen auf jeweils 100.000 Personen der betroffenen Personengruppe kam es zu
5285,26 antisemitischen Vorfällen,
1233,0 antiziganistischen Vorfällen,
35,02 antimuslimischen Vorfällen.

(https://www.deutsche-islam-konferenz.de/DE/DatenFakten/daten-fakten_node.html)
(https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1232/umfrage/anzahl-der-juden-in-deutschland-seit-dem-jahr-2003/)
(https://mediendienst-integration.de/gruppen/sinti-roma.html und https://www.bundesromaverband.de/wp-content/uploads/2024/08/PM-Roma-in-Deutschland-Zahlen-und-Fakten.pdf und https://www.antidiskriminierungsstelle.de/DE/ueber-diskriminierung/was-ist-diskriminierung/_docs/faq-uebersicht/_functions/sinti_und_roma.html)

Pressemitteilung – Antimuslimische Übergriffe und Diskriminierung in Deutschland 2023: Mehr als fünf antimuslimische Vorfälle pro Tag


https://report-antisemitism.de/documents/25-06-24_RIAS_Bund_Jahresbericht_2023.pdf

MIA veröffentlicht 2. Jahresbericht zu antiziganistischen Vorfällen in Deutschland. Die Vorfallzahl hat sich im Vergleich zum Vorjahr beinahe verdoppelt

3.1 Dabei viel mir auf das „die Juden“ und der Staat Israel gleichgesetzt werden. Und das man sich eines weiteren Tricks bedient: „die Juden“ werden in „Zionist:innen“ und „Antizionist:innen“ aufgeteilt. Die antizionistischen Juden und Jüd:innen sind „die guten“ alle anderen sind ganz unabhängig vom alter und sonstigem persönlicher Aktivität verantwortlich für die Unterdrückung „der Palästinenser“ (die verkürzt als homogenes Volk phantasiert werden). Dabei spielt es dann auch keine Rolle wo auf der Welt sie leben. Da „zionistische“ Juden und Jüdinnen „das böse“ repräsentieren (Zionist:innen sind in ihren Augen Nazis), ist Widerstand gegen sie nicht nur gerechtfertigt, sondern geradezu eine moralische Pflicht. So soll unter anderem die herbei phantasierte „german gulit“ überwunden werden. Wurde 1933 noch „Deutsche! Wehrt euch! Kauft nicht bei(m) Juden! – Die Juden sind unser Unglück! – Meidet jüdische Ärzte! – Geht nicht zu jüdischen Rechtsanwälten!“ gerufen und plakatiert, so kommt schon seit ein paar Jahren die Boycott, Divestment and Sanctions(dt. Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen, abgekürzt BDS) als neue antisemitische internationale daher. Oder auch die These das „das was der israelische Staat seit 75 Jahren den Palästinensern antut, ist unmenschlich, das führt zu solchen Geschwüren wie der Hamas“ oder noch etwas deutlicher: „die Hamas ist nicht so beliebt, da von Israel mitgegründet und wahrscheinlich immer noch unterwandert“ (zwei Originalzitate aus einer Diskussion die ich via Messanger geführt habe).

4 Man meint damit zusehends nicht mehr nur Juden und Jüdinnen sondern auch nicht-Juden/innen. zusammen mit dem roten Dreieck der Hamas werden sie als Feinde und Ziele markiert. Auch der Vorwurf man sei „anti-deutsch“ in Kombination mit „antideutsche sind nicht links“ ist wieder in Mode gekommen. Wohlgemerkt: als Vorwurf, nicht als analytischer Begriff.

5 Das ganze wird angereichert durch verschiedene Thesen des Dekolonialismus, u.a. wissenschaftlichen Theorien die im linken Alltag zur (verküzten) Ideologie verkommen sind. Dabei werden zum teil die Ursprungsthesen so ihrem Kontext entrissen, das wahrscheinlich der eine oder die andere im Grab rotiert.

6 Für mehr, bitte bei Gustav Landauer nachlesen

7 Nichts anderes bedeutet diese Parole – nicht nur, aber ganz besonders dann wenn sie von der Hamas kommt. Die unkritische Übernahme dieser Parole sendet ein sehr gefährliches Signal an alle Juden/Jüdinnen weltweit.

8 Das sie damit auch gleichzeitig einen palästinensischen Staat fordern, und wie sehr das im Widerspruch zur anarchistischen Staatskritik steht, wird ihnen nicht bewußt. Einige bemühen sich diesen Widerspruch auf zu lösen und finden dabei allerlei „Argumente“ für eine Volksbefreiung, die allesamt aus der politischen Mottenkiste der 1970er Jahre stammen.

9 Die meisten Anarchisten beziehen sich lieber auf „die Palästinenser“ als auf die Hamas und die anderen islamistischen Terrorgruppen die Israel angegriffen und Menschen ohne Unterscheidung von Geschlecht, Nationalität, Religion oder Alter ermordet haben. Dabei wird ausgeblendet, das die Hamas zur Zeit die Mächtigste Gruppe im Gaza-Streifen ist. Es gibt keine Gruppe welche die Hamas auch nur ansatzweise Herausfordern könnte. Außerdem besteht die Hamas ja nicht nur aus ihrem militärischen Arm Sie regiert den Gaza-Streifen seit 2006 und bestimmt unter anderem die Lehrinhalte an allen Bildungseinrichtungen,…

10 Der im zweifel nicht nur alle Möglichen anderen Regierungen und viele verschiedenen Gruppen, sondern auch noch „die Medien“, „die Finanzen“, „die Banken“ usw. usf. beherrscht

11 Man möchte „heldenhaft“ ergänzen

12 Die stirbt ja bekanntlich zuletzt – auch wenn sie stirbt

13 Das meint sowohl die verschiedenen Formen als auch die unterschiedlichen Sender von antisemitischen Botschaften

14 Es reicht nicht sich selbst überschätzend „schützend“ vor Juden/Jüdinnen zu stellen. Vielmehr muss uns klar sein, das wir verbündete im Kampf gegen den Antisemitismus sein müssen.

 




Frederik Fuß (Hg.) – Anarchistische Scheidewege
Zum Verhältnis von Anarchismus und Antisemitismus

Sammelband | 196 Seiten | März 2025
ISBN 978-3-949036-16-3

Der 7. Oktober 2023 markiert eine Zäsur. Der größte Massenmord an Jüdinnen und Juden seit der Shoa geht in seiner Bedeutung und den Auswirkungen weit über Israel hinaus. Als Zäsur betrifft er nicht nur Jüdinnen und Juden, gleichwohl diese vorrangig unter dem weltweit grassierenden Antisemitismus leiden, er zwingt auch alle anderen sich in der Debatte zu verhalten, wenn nicht zu positionieren.
Das anarchistische Lager bildet hier keine Ausnahme und so divers der Anarchismus ist, so verschieden sind die Sichtweisen auf den 7. Oktober und seine Folgen. Tragischerweise geraten auch die erklärten KämpferInnen für die Freiheit immer wieder auf antisemitische Abwege, wobei dies keineswegs neu ist. Im historischen Anarchismus hat es sowohl Antisemitismus wie auch dessen entschlossene Bekämpfung gegeben.
Der Sammelband beleuchtet sowohl den historischen Anarchismus sowie aktuelle Debatten und versucht zu intervenieren, wo es nötig ist. Dabei gehen die Einschätzungen und Meinungen der Beiträge durchaus auseinander. So bleibt der Versuch bei einem viel diskutierten Thema den Dialog im libertären Lager nicht nur aufrecht zu erhalten, sondern zu fördern.

Mit Beiträgen von:
Thorsten Bewernitz, Olaf Briese, Andreas Fischer, Frederik Fuß, Timo Gambke, Gerhard Hanloser, Kacper Konar, Rudolf Mühland, Jürgen Mümken, Sam Oht,
Werner Portmann, Maurice Schuhmann, Kristian Williams

Terz: Speerspitze der Bewegung? – Die GDL verfestigt den Trend für Berufstarifverträge

Speerspitze der Bewegung? – Die GDL verfestigt den Trend für Berufstarifverträge

Der Konflikt zwischen Deutscher Bahn und der „Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer“ (GDL) scheint mit der Einigung vom 13.01.08 beigelegt zu sein. Bis Ende Januar soll ein Tarifvertrag unterschrieben sein.

GDL

Der Vorläufer der GDL wurde 1867 gegründet. 1919 trat sie zum ersten mal unter dem Namen „Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer“ auf. Mit Berufung auf das Jahr 1867 reklamiert die GDL die älteste deutsche Gewerkschaft zu sein. Sie organisiert die überwiegende Mehrheit aller Lokomotivführer bei der Deutsche Bahn AG und den Privatbahnen. Seit 2002 können alle Berufsgruppen des Fahrpersonals Mitglied werden. Bis 2002 befand sich die GDL unter anderem mit der sozialdemokratischen Gewerkschaft Transnet in einer Tarifgemeinschaft.

Ende Mai 2007 waren von 19.611 Triebfahrzeugführern der Deutschen Bahn 15.500 (79 Prozent) in der GDL organisiert, von 11.844 Mitarbeitern im Zugbegleitdienst der DB 3900 (33 Prozent). Insgesamt 62 Prozent des Zugpersonals (19.450 von 31.455 Mitarbeitern) waren Mitte 2007 in der GDL organisiert. An der Spitze der GDL steht seit fast zwei Jahrzehnten Manfred Schell. Während andere sich mit Ende 20 noch in den Nachwehen der 68er-Bewegung austobten, trat Schell 1971 in die CDU[1] ein. Ein Jahr darauf wurde er Mitglied der CDA, der Sozialausschüsse der CDU. International ist die GDL der „Autonome Lokomotivführer-Gewerkschaften Europas“ (ALE) angeschlossen. Laut Selbstbeschreibung ist die ALE  „den europäischen Eisenbahnverkehrsunternehmen sowie den Politikern auf der EU-Ebene ein kompetenter Ansprechpartner und zuverlässiger Mitgestalter in arbeits- und sozialpolitischen Themen.“

Der Streik

Ausgelöst wurde der Streik der GDL unter anderem dadurch das das Einkommen der Lokführer 2005 um 7,22 % und 2006 um 9,77 % gefallen ist, die Wochenarbeitszeit auf 41 Stunden erhöht wurde, die Ruhezeiten unzureichend waren und die ununterbrochenen Fahrtzeiten zu lang. Dies alles waren Ergebnisse der Tarifeinheit, welche die GDL mit der Transnet und weiteren Gewerkschaften bis 2002 eingegangen war. Seit 2002 strebt die GDL nach einem eigenen Tarifabschluss. 2007 war es dann endlich soweit – die Streikkassen waren voll und der letzte Tarifabschluss der Transnet für die Fahrer nicht annehmbar. Typisch für Gewerkschaften in Deutschland, wurde der Streik nur als letztes Mittel begriffen. Der Schwerpunkt lag auf dem Wunsch nach „Verhandlungen“ und „Einigung“ mit dem Management. Die „Tarifeinheit“ ist für die sozialpartnerschaftlichen/reformistischen Gewerkschaften und die Arbeitgeber eine Art „heilige Kuh“, die nicht geschlachtet werden darf. Das zu verstehen, hilft zu verstehen warum der Vorstand der Bahn AG in Person von Hartmut Mehdorn vehement jeden Dialog zurück gewiesen hat. Nur diese permanente Zurückweisung führte dazu das die GDL bereit war sehr verhalten zum Mittel des Streiks zu greifen.

Eine weitere Deutsche Besonderheit ist das schielen auf eine „höhere Macht“. In diesem Fall waren dies die Arbeitsgerichte. Die Bahn AG bemühte sich immer wieder die angekündigten Streiks für „illegal“ erklären zu lassen. In Deutschland gibt es kein gesetzlich geregeltes Streikrecht. Vielmehr gibt es nur einen Passus in der Verfassung, welche die „Koalitionsfreiheit“[2] garantiert. Alles andere, das Recht eine Gewerkschaft zu bilden, einen Streik zu führen usw. wird von diesem Passus abgeleitet. Erstinstanzlich wurde so mancher Streik durch die Gerichte untersagt. Glücklicherweise wurden aber alle diese Urteile in der nächst höheren Instanz wieder auf gehoben. In diesem Sinne wurde das Streikrecht in Deutschland juristisch sogar etwas gestärkt.

Auswirkungen des Streiks:

Die Tatsache, das sich kleine Gewerkschaften aus den Tarifgemeinschaft mit den Einzelgewerkschaften des DGB[3] verabschieden, beunruhigt nicht nur den DGB. Dieser sieht in den ausscherenden Gewerkschaften Konkurrenten um die eigene Klientel. Außerdem verliert er so gegenüber den Bossen ein starkes Unterpfand, nämlich die Garantie in einem Betrieb für Ruhe und Ordnung sorgen zu können. Auch die Bosse beobachten diese Tendenz mit zunehmender Nervosität. Bisher gibt es nur wenige kleine Gewerkschaften wie zum Beispiel Cockpit für die Flugzeugpiloten, der Marburger Bund für die Krankenhausärzte oder Ufo für die Flugbegleiter die schon erfolgreich eigene Tarifverträge erkämpft haben. Die Bahn hat Angst davor, dass sich nach dem Muster dieser Gewerkschaften demnächst auch Fahrdienstleiter eigenständig organisieren oder die Mitarbeiter in den Ausbesserungswerken. Im Prinzip kann fast jede Beschäftigtengruppe der Bahn ihre Bedingungen diktieren, weil es ohne sie nicht ginge. Mit der GDL und ihrem eigenen Tarifvertrag droht ein Dammbruch. Und wieso sollte der auf die Bahn beschränkt bleiben?[4]

Das letzte Kapitel ist noch nicht geschrieben

Die anderen Gewerkschaften bei der Bahn hatten wohlweislich eine „Nachverhandlungsklausel“ in den Tarifvertrag aufgenommen. Sollte es einer anderen Gewerkschaft (eben der GDL) gelingen bessere Konditionen zu erlangen, so müsste der Tarifvertrag nachgebessert, sprich angepasst werden.

Keine 24 Stunden nach der verkündeten Einigung mit der GDL, droht Hartmut Mehdorn mit Fahrpreiserhöhungen und Personalabbau. Beides ist nicht neu und der GDL-Tarifvertrag ist nur der Vorwand zur Umsetzung seiner Pläne. Neben Transnet hat auch die GDBA[5] angekündigt den Stellenabbau nicht hin zu nehmen, „notfalls“ würde man auch streiken…..

Rudolf Mühland

KASTEN:

Einkommensvergleich von Lokführern

Beispiel 1
25 Jahre alt, keine Kinder, 2 Jahre Berufserfahrung

–    Deutschland: 1.438 bis 1.588 €
–    Frankreich: 2.770 €

Beispiel 2
40 Jahre alt, zwei Kinder, 17 Jahre Berufserfahrung

–    Deutschland: 1.778 bis 1.928 €
–    Frankreich: 2.770 €

jeweils Nettogehalt im Schnitt (einschl. Zulagen) 


[1] Christlich Demokratische Union Deutschlands (Konservative Partei)

[2] Artikel 9 Absatz 3

[3] Deutscher Gewerkschaftsbund (Sozialdemokratisch/Refomistisch)

[4] Und warum sollte dies auf reformistische Gewerkschaften beschränkt beleiben? Es beliebt zu hoffen das sich die Gewerkschaften radikalisieren und  langfristig den Weg in die FAU-IAA finden werden.

[5] Verkehrsgewerkschaft im Deutschen Beamtenbund

Terz: Mit dem Rad zur Revolution? – Bewegt sich der Arbeiter wieder? In Nordhausen probten FahrradwerkerInnen die Produktion ohne Chef.

Mit dem Rad zur Revolution? – Bewegt sich der Arbeiter wieder? In Nordhausen probten FahrradwerkerInnen die Produktion ohne Chef.

In dem kleinen Ort Nordhausen im Harz, kämpfen 125 ArbeiterInnen um ihren Job. Im Dezember 2005 wurde ihre Fabrik, „Bike Systems“ von dem Finanzinvestor Lone Star aufgekauft. Schon kurz darauf verkaufte Lone Star „Bike Systems“ für eine 25%ige Beteiligung an die „Mifa“1, dem größten Konkurrenten. Nachdem im Juni 2007 der Belegschaft mitgeteilt wurde, dass das Werk geschlossen werden soll, regte sich spontan Widerstand.2

Mit Hilfe einer „Dauerbetriebsversammlung“ wurde das Gelände im Dreischichtsystem besetzt. Von Anfang an bemühten sich die KollegInnen um Unterstützung aus Gewerkschaften und Parteien, jedoch ohne ihre Autonomie dabei aufzugeben. Nach über 100 Tagen „Werksbesetzung“ und Perspektivlosigkeit ließen sich die ArbeiterInnen durch KollegInnen des selbstverwalteten Betriebs „Cafe Libertad“ inspirieren. Sie erzählten den KollegInnen von vergangenen Zeiten und fernen Ländern: von der Besetzung der Uhrenfabrik LIP 1973 in Besançon (Frankreich) und von den Betriebsübernahmen in Argentinien seit 2001. Nach gründlicher Diskussion wurde beschlossen, eine Woche lang in Selbstverwaltung ein „Strike Bike“ zu produzieren3. Allerdings: Ziel dieses Plans war nicht die Übernahme des Betriebes durch die ArbeiterInnen. Vielmehr wollten sie so auf sich aufmerksam machen, um potentielle Investoren an zu locken.

Solidarität und Heuschrecken

Trotz eines extrem schmalen Zeitfensters von knapp 21 Tagen wurden mehr als die benötigten 1.500 Fahrräder bestellt und in Vorkasse bezahlt.4 Intensive Pressearbeit und das Bemühen internationaler Kontakte zu kämpferischen ArbeiterInnen auf der ganzen Welt führten dazu, dass binnen kurzem Bestellungen aus Deutschland, Europa, Nordamerika, Australien, Israel und Afrika bei der Belegschaft eintrafen. Diese direkte Hilfe imponierte nicht nur den KollegInnen in Nordhausen. Auch die NPD, die zwischenzeitlich versucht hatte, sich „des Themas anzunehmen“, entblödete sich nicht, trotzdem zu „nationaler Solidarität gegen die Heuschrecke“ aufzurufen. Ein Aufruf, der übrigens von der Belegschaft scharf zurückgewiesen wurde. Das Bild „Heuschrecke“, wurde leider nicht nur von der NPD gebraucht.
Auch die IG-Metall und so manch freier Journalist bemühte diese Metapher immer wieder. Der extra gegründete Verein „Bikes in Nordhausen e.V.“ machte in seinen Presserklärungen jedoch immer wieder deutlich, dass sie nicht zwischen „bösem ausländischen“ Kapital und „gutem“, weil „deutschem“ Kapital unterscheiden!

Die Rolle der Gewerkschaften

Zu Beginn des Konfliktes stand die IG-Metall beratend zur Seite und gab wichtige Tipps bezüglich der Legalisierung der „Werksbesetzung“. Die Gewerkschaftslinke hat ihrerseits über den Konflikt berichtet und sich bemüht, innerhalb des DGB Öffentlichkeit herzustellen. In dem Moment, als die KollegInnen etwas andere Wege einschlugen, zogen sich beide erst einmal zurück. Die IGM versuchte sogar, die ArbeiterInnen von dem Vorhaben, nur eine Woche selbstverwaltet und ohne Chef bei gleicher Bezahlung für alle zu arbeiten, abzubringen.
Erst nachdem die „Tagesthemen“ einen Bericht über die Werksbesetzung gesendet hatte, sprangen sie wieder auf den Zug auf. Allerdings bestellte die IG-Metall keine Fahrräder oder organisierte Solidarität. Vielmehr versuchte sie wieder verstärkt, Mitglieder zu werben. Unter anderem versprachen sie ein zinsloses Darlehen, „Übergangsgeld“ genannt. Anstatt dieses Darlehen möglichst schnell an die neuen Mitglieder auszuzahlen, wurden nur die Mitgliedsbeiträge abgebucht, Wimpel und IG-Metall-Girlanden und Fahnen aufgehängt.

Zukunft

Ein Investor wurde zwar gefunden, jedoch stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest, ob und zu welchen Bedingungen er „Bike Systems“ übernehmen würde. Darum wurde zeitgleich weiter über eine „Übergangsgesellschaft“ verhandelt. Zu guter Letzt spielen auch einige KollegInnen immer noch mit der Idee, eine Produktivgenossenschaft zu gründen.

Düsseldorf

Wenn ihr die Terz in den Händen haltet, werden die Fahrräder bereits produziert und verschickt sein. Verschiedene Gruppen, Organisationen und
Initiativen aus Düsseldorf haben „Strike-Bikes“ gekauft. So werden zum Beispiel Cable Street Beat Düsseldorf und die FAUD am 1.12.2007 im Hinterhof zwei Räder verlosen. Außerdem ist wohl auch noch eine „amerikanische Versteigerung“ angedacht. Achtet also auf Ankündigungen in der Terz und auf den Hompages der „üblichen Verdächtigen“.

NIK TOPARK, FAUD

Anmerkungen & Randspalte:

http://www.strike-bike.de
Kontakt zu den BesetzerInnen: fahrradwerk [at] gmx.de

1 Mitteldeutsche Fahrradwerke AG.
2 detaillierte Hintergrundinfos demnächst in einer extra Broschüre der Freien ArbeiterInnen Union.
3 die Terz berichtete (10/2007).
4 Die Kampagne hatte nur drei Wochen Zeit und fand außerhalb der Fahrradsaison statt.

DA: Da rennt der Schweiß: Die brasilianische COB befindet sich im Konflikt mit einem Sportbekleidungshersteller

Da rennt der Schweiß: Die brasilianische COB befindet sich im Konflikt mit einem Sportbekleidungshersteller

Die globale Textil- und Bekleidungsindustrie ist berüchtigt für ihre Arbeitsbedingungen. Die Sparte für Sportbekleidung ist da keine Ausnahme. Bereits 1998 organisierte die Clean-Clothes-Campaign ein internationales Tribunal gegen die (Sport-)Bekleidungsindustrie, in der 80% der Belegschaften Frauen sind, denen oft selbst der unzureichende Mindestlohn vorenthalten wird. Diverse Konzerne wurden damals exemplarisch wegen andauernder Arbeitsrechtsverletzungen, der Unterdrückung von Gewerkschaften, schlechter Arbeitsbedingungen, unzureichender Löhne und sexueller Belästigungen von Frauen verurteilt.
Auch zehn Jahre später, anlässlich der Euro 2008 und der Olympischen Spiele, berichtete die Kampagne „Fair Play“ über „Hungerlöhne und menschenverachtende Arbeitsbedingungen“ sowie über gewerkschaftsfeindliches Verhalten in der Branche. Letzteres drücke sich laut „Fair Play“ nicht nur in Entlassungen aktiver ArbeiterInnen aus, sondern auch in Form von „Verhaftung oder sogar Gewalt“. In dieser Zeit hat sich die Zusammensetzung der Beschäftigten nicht verändert. Weiterhin sind 80% der ArbeiterInnen Frauen. Auch die von diversen Konzernen eingeführten „Verhaltenskodizes“ haben die Arbeitsbedingungen nicht verbessert. Mit der Fußball-WM der Frauen gibt es dieses Jahr erneut einen Anlass, über die Zustände in der Sportbekleidungsindustrie zu sprechen. So organisiert etwa die christliche Initiative „Romero“ bundesweit Veranstaltungen über den dortigen „Arbeitsalltag und Arbeitsrechtsverletzungen“. Ihre zentrale Forderung dabei: ein „existenzsichernder Lohn für die Näherinnen in den Produktionsländern!“ Auch die anarchosyndikalistische IAA befasst sich derzeit mit dieser Branche. Denn Ende März diesen Jahres wurde Icaro Poletto, Mitglied der brasilianischen Sektion (COB-IAA), bei FF Mercantil entlassen, wo u.a. Trikots, Kleidung und Zubehör für die Marken Lotto und Finta hergestellt werden. Poletto hatte zuvor begonnen, sich mit seinen KollegInnen gegen die schlechten Arbeitsbedingungen (hohe Arbeitszeiten, starke Hitze, Lösungsmitteldämpfe und niedriges Gehalt) zu wehren. Seiner ihn unterstützenden Gewerkschaft wurde letztlich sogar mit „Pistoleros“ gedroht, jenen Todesschwadronen, die in Lateinamerika eine traurige Tradition haben und bekannt dafür sind, aktive ArbeiterInnen zu ermorden. Die COB hat darauf mit einem globalen Boykottaufruf gegen die beiden Marken Lotto und Finta reagiert. Wenn ihr diesen Kampf unterstützen wollt, könnt ihr euch an der E-Mail-Kampagne der ZSP beteiligen (siehe www.lotto.zsp.net.pl). Ihr könnt euch auch an den Fußballverein Borussia Mönchengladbach wenden, der Lotto zu seinen Sponsoren zählt.
Rudolf Mühland

DA: Zeitung gegen Ausbeutung – Des letzten Rätsels Lösung: Direkte Aktion

Zeitung gegen Ausbeutung – Des letzten Rätsels Lösung: Direkte Aktion

„Setz’ drei AnarchistInnen zusammen und sie fangen an, eine Zeitung herauszugeben …“ Die Ereignisse, die zur Geburt der „Direkten Aktion“ (DA) führten, sind vielschichtig und aufs Engste mit der internationalen Entwicklung des Anarcho-Syndikalismus verbunden. Im März 1977 nahmen über 25.000 Menschen an einer Versammlung der CNT in San Sebastian d. l. Reyes teil. Die CNT und damit der Anarcho-Syndikalismus waren wie Phönix aus der Asche zurückgekehrt. In Deutschland meinte der Kommunistische Bund (KB), diesen Phönix schon früh bekämpfen zu müssen, bevor aus diesem Küken ein stolzer Vogel werden würde. Im Juni 1977 erschien in ihrer Zeitung „Arbeiterkampf“ (heute „Analyse und Kritik“) eine Abrechnung mit dem Anarcho-Syndikalismus. Nur einen Monat später, im Juli 1977, folgte die Antwort des „Komitees Freies Spanien“ in einer Sondernummer der „Iberien-Nachrichten“. Die Beteiligten hatten nach eigenen Angaben „Blut geleckt“ und wollten eine klar anarcho-syndikalistische Zeitung herausbringen.

Die Nummer 1 der „DA“ wurde im November 1977 als lokales Blatt der I-FAU Hamburg herausgegeben. Das Jahr 1977 hatte bis dahin schon die Entführung von Hans-Martin Schleyer (damals Arbeitgeberpräsident, früher Nazi-Funktionär) durch die RAF, die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ und den Tod von vier RAF-Gefangenen in Stammheim und Stadelheim gesehen. Auf Seite eins der ersten Ausgabe war dann auch ein Transparent zu sehen, das bei der Beerdigung von Ensslin, Raspe und Baader zu sehen war. Darauf stand: „Gegen Morde im Knast! Aber auch: Gegen Flugzeugentführungen!“
Ab Juni 1978 ist die in Hamburg geborene „DA“ die offizielle Zeitung der FAU-IAA. Von Anfang an war sie einerseits ein Mitgliederblatt, das den Zusammenhalt der Syndikate und Gruppen untereinander fördern, und andererseits ein Agitationsblatt, das die Ideen und die Praxis des Anarcho-Syndikalismus bekannt machen sollte. Dem ursprünglichen Selbstverständnis nach wollte die „DA“ keine anarchistischen Theorien oder Philosophien ausbreiten, sondern stattdessen ein klassenkämpferisches und libertäres Gewerkschaftsverständnis propagieren.
Dem eigenen syndikalistischen Anspruch entsprechend, wonach die FAU und damit auch ihr offizielles Organ immer eine „Schule des Proletariats“ ist – die es den Mitgliedern ermöglichen soll, möglichst alles zu erlernen, was zur Herstellung einer regelmäßig erscheinenden Zeitung notwendig ist –, wurden von den Kongressen alle Bestrebungen abgelehnt, bezahlte Stellen für die „DA“ einzurichten. Gleichzeitig gab und gibt es einen stetigen Prozess der „Professionalisierung“. Im Sommer 1989 wurde die Produktion von DIN A4 auf Zeitungsformat umgestellt. Das führte zu einer Verdreifachung der Auflage bei gleichzeitiger Reduzierung des Verkaufspreises! In der Folgezeit wurde die Auflage weiter deutlich erhöht und in die damalige DDR gebracht. Dort war das Bedürfnis nach anti-staatlichen Sozialismusvorstellungen sehr groß und die „DA“ fand einen für ihre Verhältnisse reißenden Absatz. In den Jahren danach wurde versucht, die Auflage dauerhaft auf 10.000 Exemplare zu erhöhen … was jedoch leider nicht gelang.
Neben dem „laufenden Geschäft“ hat die „DA“ immer wieder Sonderausgaben herausgebracht. Zum Beispiel zur „National-Bolschewistischen Konterrevolution“ (1994), zu „20 Jahre EZLN“ (2003) oder auch zur Agenda 2010 (im Jahr 2004).
Wir können mit Gelassenheit und Neugier auf die Zukunft der „DA“ schauen!

Rudolf Mühland

DA: Mehr als nur Streik und Aussperrung – Des letzten Rätsels Lösung: Arbeitskampf. Die kollektive Auseinandersetzung hat viele Facetten

Mehr als nur Streik und Aussperrung – Des letzten Rätsels Lösung: Arbeitskampf. Die kollektive Auseinandersetzung hat viele Facetten

In Deutschland wird der Arbeitskampf traditionell als Tarifauseinandersetzung gedacht. In diesem Rahmen treten die gewerkschaftlichen Vertreter des Arbeitskampfes einerseits extrem verbalradikal auf, indem sie zum Beispiel behaupten, nicht unter bestimmte Forderungen zu gehen, oder dadurch dass sie mit „französischen Zuständen“ drohen. Andererseits wird selbst der klassische Streik, das „Rausgehen“ bis zum letzten Moment hinausgezögert und wenn möglich gar ganz vermieden. Das Ganze ist der Ideologie geschuldet, wonach ein offener Arbeitskampf nur die „ultima ratio“ und eben nicht das naheliegendste Mittel der Arbeiterschaft wäre. Auf der anderen Seite können auch die Bosse und ihre Verbände einen Arbeitskampf führen. In den „heißen Phasen“ ist ihr gerichtlich anerkanntes Instrument die sogenannte Aussperrung.

Jenseits von Verhandlung, Schlichtung, Streik und Aussperrung gibt es jedoch zahlreiche weitere Methoden des Arbeitskampfes. So verstehen sich die Bosse sehr gut darauf, das Kampfterrain kurzerhand zu verlegen: raus aus dem Betrieb, hinein in die Gerichte. Oftmals hagelt es förmlich Klagen vor den verschiedensten Gerichten und auch einstweilige Verfügungen mit den wahnwitzigsten Inhalten sind ihr Begehr. Den kämpfenden Belegschaften und ihren Organisationen soll und wird so nur allzu oft eine langwierige und kräftezehrende Spiegelfechterei vor angeblich neutralen Gerichten und auf Grundlage ebensolcher Gesetze aufgezwungen. Weitere Mittel, um klassische Arbeitskampfmaßnahmen der ArbeiterInnen zu sabotieren, sind zum Beispiel die Befristung von Verträgen, mit der Gefahr, dass diese vor, während oder nach einem Arbeitskampf einfach nicht verlängert werden, oder auch die Gestaltung des Dienstplanes und die (Nicht-)Zuweisung von Schichten.

Zum Glück ist die Arbeiterschaft aber nicht machtlos. So können sowohl die in Gewerkschaften organisierten als auch die sog. unorganisierten Beschäftigten auf einen weit größeren Fundus an Maßnahmen zurückgreifen, als gemeinhin angenommen wird. Einige dieser Maßnahmen sind so spektakulär, dass sie es bis in die Mainstream-Medien schaffen. Dazu gehört zum Beispiel das sog. „Bossnapping“, das wir aus Frankreich kennen. Andere Maßnahmen scheinen weniger spektakulär, sind in Zeiten sich verschärfender Auseinandersetzungen aber vielleicht insgesamt richtungsweisend. In diese Kategorie fallen zum Beispiel eine Reihe von Betriebsbesetzungen, die es in den letzten Jahren wieder verstärkt in Europa und sogar Deutschland gegeben hat. Betriebsbesetzungen verhindern zum Beispiel den Einsatz von Streikbrechern, und sie bieten sogar die Perspektive einer selbstorganisierten Produktion. Kämpferische Gewerkschaften setzen auch schon mal auf Boykott. „Dienst nach Vorschrift“ und „Bummeln“ sind ebenfalls Taktiken sowohl des alltäglichen betrieblichen Guerillakampfes als auch im „heißen Arbeitskampf“. All diese Maßnahmen werden besonders dann ergriffen, einzeln oder in Kombination, wenn ein offener Streik nur wenig Aussichten auf Erfolg hat. So kann das gezielte Bummeln, kollektiv angewendet, einen erheblichen Druck auf den Boss ausüben, ohne dass er dabei Einzelnen etwas vorwerfen könnte.

In den 1980/90er Jahren rieten die „glücklichen Arbeitslosen“ ihren lohnarbeitenden KollegInnen in einer Broschüre, dass sie „Lieber krank feiern als gesund schuften“ sollten. Leider wurde dieser Rat in Deutschland wohl noch nie kollektiv und systematisch eingesetzt. Nicht nur, dass die Gewerkschaft damit von der Zahlung des Streikgeldes befreit wäre, da ja der Boss im Krankheitsfall die Löhne weiterzahlen muss; damit entstehen dem Boss sogar zusätzliche Kosten, da er ja für die Zeit neue Leute als Vertretung einstellen muss.

In diesem Sinne: „Wenn sie nur so tun als würden sie uns bezahlen, tun wir nur so als würden wir arbeiten!“

Rudolf Mühland

DA: Belgrade 6 vorläufig frei! – Der erste Prozesstag endet mit einem Teilerfolg.

Belgrade 6 vorläufig frei! – Der erste Prozesstag endet mit einem Teilerfolg.

Am 17. Februar fand in Belgrad der Auftakt des Prozesses gegen die Belgrade 6 statt. Fünf der sechs Angeklagten sind Mitglieder der Anarchosyndikalistischen Initiative (ASI-IAA). Ihnen wird vorgeworfen, im August 2009 einen Brandsatz auf die griechische Botschaft in Belgrad geworfen zu haben. Die Anklage lautete auf „Internationalen Terrorismus“, worauf bis zu 15 Jahre Haft stehen. Zum Prozess angereist waren auch zahlreiche internationale BeobachterInnen aus Mitgliedssektionen der IAA wie der CNT (Spanien), der SolFed (Großbritanien), der ZSP (Polen) und der FAU sowie aus libertären Zusammenhängen außerhalb der IAA, so zum Beispiel aus dem Umfeld der osteuropäischen, libertären Zeitschrift „Abolishing the borders from below“.
Belgrade 6 vorläufig frei! - Der erste Prozesstag endet mit einem Teilerfolg.

Zunächst die positive Nachricht: Am Ende des Verhandlungstages konnten alle sechs Inhaftierten das Gefängnis verlassen. Auch wurde die Anklage wegen internationalem Terrorismus fallen gelassen. Bis zum Redaktionsschluss war noch nicht bekannt, wegen welchem Delikt nun gegen die sechs verhandelt werden soll.

Viel Interesse, wenig Plätze (Bild: Carlos Martin)

Viel Interesse, wenig Plätze
(Bild: Carlos Martin)

Geprägt war der Prozessauftakt von einer massiven Polizeipräsenz. Es gab keinen ausreichenden Platz in dem viel zu kleinen Verhandlungssaal, so dass die meisten der angereisten Beobachter vor dem Saal warten mussten.

Drei internationale BeobachterInnen, die versucht hatten, ein kleines Plakat mit der Aufschrift „Anarchismus ist kein Terrorismus“ an der Tür zum Gerichtssaal mit Klebestreifen zu befestigen, wurden festgenommen. Ihnen wird „Störung des Gerichts“ vorgeworfen. Um eine „Flucht“ zu verhindern, wurden ihre Reisepässe eingezogen und ihnen untersagt, Serbien zu verlassen.

Während des Prozesses erklärten die Anwälte der Gefangenen, dass diese massiv psychisch und physisch unter Druck gesetzt worden seien. Mindestens ein Gefangener wurde gefoltert und dadurch gezwungen, ein Geständnis zu unterschreiben. Dieser Genosse erlitt in den knapp sechs Monaten Haft mehr als dreißig epileptische Anfälle – mehr als in seinem gesamten vorherigen Leben.

Die Staatsanwaltschaft wird ihre Beweisführung voraussichtlich über die durch physische und psychische Folter erzwungenen Aussagen konstruieren. Nach derzeitigen Informationsstand haben bisher zwei der Betroffenen solche Aussagen gegenüber der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder dem Richter gemacht. Die Angaben scheinen sich jedoch erheblich zu widersprechen. Der nächste Prozesstag ist der 23. März. Es bleibt abzuwarten, ob die serbische Justiz mit ihrer Strategie der Kriminalisierung von libertären AktivistInnen schlussendlich Erfolg haben wird. Auch wenn die Freilassung der Belgrade 6 ein Erfolg der internationalen Kampagne darstellt, darf nicht vergessen werden, dass ihnen der serbische Staat schon zum jetzigen Zeitpunkt über fünf Monate die Freiheit genommen hat.

Rudolf Mühland

Unsere Leser und Leserinnen fordern wir an dieser Stelle noch einmal auf, sich an den derzeit laufenden Protestmöglichkeiten und an den anstehenden Aktionen zu beteiligen. Aktuelle Informationen finden sich wie immer auf fau.org, oder auf den Seiten derAnarchosyndikalistischen Jugend.

Es wird nach wie vor dringend Geld benötigt, um die Anwaltskosten und die Solidaritätskampagne finanzieren zu können.

Spendet bitte an:

Freie ArbeiterInnen-Union
Konto-Nr.: 961 522 01
Postbank Hamburg (BLZ 200 100 20)
Stichwort: BELGRAD 6

Vorlage für einen englischen Protestbrief auf der Seite der polnischen ZSP-IAA
http://asi.zsp.net.pl/free-the-anarchists/emailpage/


Die beiden vorherigen Artikel zum Thema finden sich unter:

Erschienen in: Direkte Aktion 198 – März/April 2010

DA: …dem Teufel der Anarchie! Des letzten Rätsels Lösung: Die Internationalistin und Feministin André Léo

…dem Teufel der Anarchie! Des letzten Rätsels Lösung: Die Internationalistin und Feministin André Léo

Die am 18. August 1824 in Lusignan, Départment Vienne geborene Victorine-Léodile Béra, verheiratete Champseix, nutzte das Pseudonym, welches sie aus den Vornamen ihrer Zwillingssöhne zusammensetzte, seit Anfang der 1860’er Jahre. Nach dem Tode ihres Mannes, baute André Léo ihre schriftstellerische und journalistische Tätigkeit zum Gelderwerb aus. Sie starb, bis zu ihrem Tode als Schriftstellerin und Journalistin arbeitend, 1900 und wurde auf dem Friedhof von Auteuil in Paris beigesetzt .
Andrè LèoMitte der sechziger Jahre gründete sie in ihrer Wohnung die „Société pour la Revendication du Droit des Femmes“. Diese Société wurde nicht nur ein Sammelbecken führender Feministinnen in Paris (u.a. Paule Minck, Louise Michel, Elie und Noémie Reclus) , sondern sie sie stellte überdies eine Neuausrichtung des zeitgenössischen Feminismus dar. Als Reaktion auf die antifeministischen Kampagnen ihrer Zeit, z.B. von Proudhon, stellten André Léo und die Frauen und Männer (!) der Société nicht die Geschlechterdifferenz in den Vordergrund. Sie argumentierten nicht mit den „besonderen Fähigkeiten und Interessen der Frauen“. Vielmehr betonten sie die Gleichheit der Geschlechter. Vorhandene Unterschiede führten sie weitgehend auf die Sozialisation zurück. Allerdings reichen André Léo die Versprechungen bürgerlicher und sozialistischer rechtlicher Gleichstellung nicht aus. Für sie können sowohl die bürgerlich-kapitalistische wie die sozialistische Gesellschaft auf der Basis der Familie existieren. Aufklärung alleine reiche nicht, vielmehr müsse eine materielle Basis und gesellschaftliche Bedingungen geschaffen werden, die es Frauen en masse gestattet sich nicht nur theoretisch, sondern auch ganz konkret an der Gestaltung der Gesellschaft zu Beteiligen. Entscheidend hierfür sei unter anderem eine sozialistische Umgestaltung der Wirtschaftsordnung, incl. der Erwerbsarbeit für Frauen.

Während der Pariser Kommune traten die Differenzen zwischen bürgerlichem Feminismus und antifeministischem Sozialismus besonders deutlich zu Tage. Einerseits verließen viele Feministinnen Paris und wandten sich gegen die Kommune, andererseits wurde der erklärte Antifeminist Jaroslav Dombrowski zum Oberbefehlshaber der Kommunetruppen erklärt. Dombrowski versuchte sogar den Krankenschwestern und den Marketenderinnen, welche die Soldaten mit Lebensmitteln versorgten, den Zugang zu den Schlachtfeldern zu verweigern.

Im Gegensatz zu Louise Michel gelang Léo nach der Niederschlagung der Kommune die Flucht in die Schweiz. Dort wollte sie 1871 auf dem Kongress der Friedens- und Freiheitsliga die bürgerliche Öffentlichkeit über die wahren Ziele der Kommune aufklären und die von den Versailler begangenen Massaker brandmarken. Dazu kam es jedoch nicht, da sie durch Zwischenrufe und aufkommenden Tumult dazu gezwungen wurde ihre Rede vorzeitig ab zu brechen. Wie viele Kommuneflüchtlinge, wandte sie sich nun endgültig der sozialistisch-anarchistischen Bewegung zu. Antizentralistische und libertäre Positionen bei vielen der KommunardInnen waren vor und während der Kommune vor allem in der Auseinandersetzung mit blanquistischen und jakobinischen Strömungen entstanden.
Im Oktober 1871 sah André Léo sich gezwungen in der „Révolution Sociale“ die Beschlüsse der Londoner Konferenz der Internationalen, welchen von Karl Marx einberufen, geplant und minutiös durchgeführt wurde, zu kommentieren:

„Dass die Göttin Freiheit uns zu Hilfe komme! Denn wir haben gegen die jüngste päpstliche Bulle verstoßen, … indem wir die Unfehlbarkeit des obersten Rates zur Diskussion stellen. Nun sind also auch wir von der Exkommunizierung bedroht, und es bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Seele dem Teufel der Anarchie zu verschreiben“

Durch die Agitation von André Léo und die Verbreitung eines Zirkulars der anarchistischen Sektionen, das die Kompetenzen des Generalrats nun offen in Frage stellte, wurde der Konflikt nun auch in andere Länder getragen, und die Opposition gegen den Generalrat wuchs. 1872 fand die Marx’sche anti-Anarchisten Kampagne auf dem Kongress in Den Haag mit der Spaltung der Internationalen ihren traurigen Höhepunkt.

Mehr Info’s: www.antjeschrupp.de

DA: Des letzten Rätsels Lösung: Milly Witkop (1877-1955), jüdische Feministin und Anarchosyndikalistin

Des letzten Rätsels Lösung: Milly Witkop (1877-1955), jüdische Feministin und Anarchosyndikalistin

Geboren am 1. März 1877 im Örtchen Slotopol, im sogenannten „Ansiedlungsrayon“, gehörte Milly Witkop zur jüdischen Minderheit in der Ukraine. Siebzehnjährig reiste sie nach London und ließ sich, wie fast alle jüdischen EinwanderInnen, im proletarischen East End nieder, wo sie vor allem in der Bekleidungsindustrie und im Schuhhandwerk in sogenannten „Sweatshops“ Arbeit fanden. Ihren Weg zur organisierten Arbeiterschaft fand sie über die beeindruckenden Streikversammlungen der jüdischen Bäcker und die in den USA herausgegebene, auf jiddisch erscheinende „Tsukunft“. Sie begann für die jiddisch-anarchistische Presse zu schreiben und wurde aktives Mitglied der anarchistischen-syndikalistischen Bewegung.

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab Witkop ihre grundsätzlichen Positionen nicht auf und gehörte weiterhin zu den maßgebenden AktivistInnen gegen den Krieg. So engagierte sie sich zum Beispiel gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Diese Tätigkeit und ihre Beziehung zu Rudolf Rocker brachten ihr 1916 eine zweieinhalbjährige Strafe wegen Kontakten zu „feindlichen Ausländern“ und Antikriegspropaganda ein.

Am Ende des Krieges wurde ihr langjähriger Freund, Genosse und Vater ihres Kindes, Rudolf Rocker, aus England ausgewiesen. Sie ging mit ihm und landete im Winter 1918 in Berlin. Dort wurde sie schnell wieder ein aktiver Teil der anarchistischen-syndikalistischen Bewegung. Von ihr stammt die programmatische Schrift „Was will der Syndikalistische Frauenbund?“. Erstmals gab es in Deutschland eine Frauenbewegung, die revolutionären Syndikalismus, Anarchismus und Feminismus verband, die Hausarbeit als echte Arbeit anerkannte, Teil einer männerdominierten Bewegung war und dabei auf eine organisatorische Autonomie pochte. Witkop war ihre bekannteste Vertreterin.

Anfang der 1920er Jahre wurde der Kampf gegen den Faschismus auch in Deutschland notwendig. Immer wieder wird aus den Reihen der Anarcho-SyndikalistInnen auf die allgemeine Gefahr des Faschismus, der als globales Phänomen begriffen wird, hingewiesen. Dabei wird schon sehr früh erkannt, dass der deutsche Faschismus eine Besonderheit aufweist, nämlich einen ausgesprochenen „Pogrom-Antisemitismus“. Dieser sei nicht ökonomisch zu erklären, sondern stelle eine ganz besondere, eigene Strömung dar. Die deutsche Arbeiterbewegung, soviel war schnell klar, würde dem deutschen Faschismus nichts entgegen zu setzten haben, trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit. Aber auch die anarcho-syndikalistische Bewegung würde einen offenen Kampf nur verlieren können, da sich sowohl die pure Anzahl der Mitgliederschaft nach 1925 rapide verringert hatte als auch – und das ist viel bedauerlicher – ihr Einfluss auf die Gesellschaft im Allgemeinen und die Arbeiterschaft im Speziellen geschwunden war.

Milly blieb nichts anderes übrig, als Anfang der 1930er Jahre erneut ins Exil zu gehen, diesmal in die USA. Von dort unterstützte sie den Kampf gegen den Nationalsozialismus ebenso wie die Revolution in Spanien. Wenn sie auch nach dem Krieg ein gewisses Verständnis für die Gründung Israels hatte, so ließ ihr grundsätzlicher Anti-Nationalismus sie auch eine kritische Haltung gegenüber dem Zionismus behalten. Mit viel Energie war sie an der Gründung eines Komitees zur Unterstützung deutscher Anarcho-SyndikalistInnen, welche das NS-Regime überlebt hatten, beteiligt. 90% der gesamten materiellen Hilfe für deutsche Anarcho-SyndikalistInnen kam von der jiddischen Bewegung in den USA.

Milly Witkop starb am 23. November 1955 in Peekskill am Hudson River in der Nähe von New York

Rudolf Mühland

DA: Flucht nach vorne – Hintergründe zur Unternehmenspolitik von Starbucks

Flucht nach vorne – Hintergründe zur Unternehmenspolitik von Starbucks

Der erfolgsverwöhnte Kaffeegigant steckt in der Krise. Starbucks, das 2007 insgesamt 160 Mio. Kilo Kaffee eingekaufte, davon sechs Prozent „fairtrade“, beschäftigt ca. 172.000 ArbeiterInnen. In den letzten fünf Jahren hatte sich die Anzahl der Starbucks-Filialen weltweit nahezu verfünffacht. Bei der Wahl der Standorte ging und geht man nach der sogenannten „Cluster“-Methode vor. Überall wo ein neuer Starbucks eröffnet wurde, folgten bald weitere Läden. Das führte in den USA irgendwann dazu, dass die Filialen begannen, sich gegenseitig Konkurrenz zu machen; Umsatzeinbußen von 20-30 Prozent waren die Folge. Diese Situation wird zudem durch die Immobilienkrise weiter verschärft, da sich viele Standorte nicht so dynamisch entwickelten, wie von den Starbucks-Analysten prophezeit. Hinzu kommt die stetig wachsende Konkurrenz durch Fastfood-Ketten, wie z.B. McDonalds, Subway oder Dunkin‘ Donuts, die sich zum Teil auf ein bedeutend umfangreicheres Filialnetz stützen können, und nicht zu vergessen: die mittlerweile entstandene Konsumzurückhaltung im Starbucks-Vaterland.

Konkurrenz erwächst aber auch aus ganz unvermuteter Richtung. So berichtete die Financial Times Deutschland schon im April des Jahres, dass kolumbianische Kaffeebauern Starbucks auf dem europäischen und US-amerikanischen Markt „angreifen“ wollen. Die Vereinigung der Kaffeeproduzenten der Federación Nacional de Cafeteros de Colombia (FNC), mit der verbandseigenen Kaffeehauskette „Juan Valdez“, betreiben schon über 120 Filialen, unter anderem in den USA und Spanien. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen es schon 300 Filialen sein. Konkret geplant sind bereits 50 neue Läden in Schweden, und natürlich ist eine Expansion nach Deutschland nicht ausgeschlossen.

Rosskur

Dass Starbucks in diesem Quartal, seit 16 Jahren das erste Mal, einen Verlust melden musste, ganze 6,7 Mio. Dollar, liegt unter anderem an der Rosskur, die vom Anfang des Jahres zurückgekehrten Firmengründer Howard Schultz verordnet wurde. Allein in den USA werden 600 als unrentabel qualifizierte Filialen geschlossen – 12.000 Angestellte (rund sieben Prozent der Belegschaft), im Firmenjargon beschönigend „Partner“ genannt, müssen die Sachen packen. 200 von diesen Filialen sollten noch bis September im laufenden Geschäftsjahr geschlossen werden, die übrigen 2009. In Australien macht Starbucks 61 von rund 84 Standorten dicht. Gut 70 Prozent der Filialen, die zur Schließung bestimmt wurden, sind eigentlich gerade erst eröffnet worden. Die Kosten, des im Managerjargon verschleiernd genannten „Konzernumbaus“, sollen alleine in den USA bis zu 348 Mio. Dollar betragen.
Berichten zufolge sollen auch in der Essener Deutschland-Zentrale bis Ende des Jahres 22 der insgesamt rund 70 Stellen wegfallen. Dabei hatte Starbucks in Deutschland in den letzten fünf Jahren zweistellige Wachstumsraten hingelegt und ist weiterhin Expansionsziel.

Expansion in Europa und Asien

Von den 15.500 Filialen in 43 Ländern, befinden sich nur rund 4.500 außerhalb der USA. Dieses Zahlenverhältnis wird sich jedoch schon bald auffallend verändert haben. Weltweit sollen dieses Jahr, im Kontrast zu den Schließungen in den USA, insgesamt über 800 neue Läden eröffnet werden. Für das nächste Jahr werden sogar 900 neue Läden anvisiert. Laut dem Wall Street Journal (WSJ) sei bisher in Europa „zu wenig aggressiv“ auf den Markt vorgedrungen worden. Besonders ins Visier der Expansion gekommen sind laut WSJ in Westeuropa Frankreich, England und Deutschland. In Osteuropa sind Polen, Tschechien und die Türkei im Zentrum der Aufmerksamkeit. In China gibt es bereits 600 Starbucks-Coffeeshops.

Ausblick

Neben der wirtschaftlichen Situation, der Immobilienkrise in den USA und der verschärften Konkurrenz durch den Eintritt von Fastfood-Ketten in den Kaffeemarkt usw., ist sicherlich auch noch ein weiter Aspekt entscheidend für die Krise bei Starbucks. Wenn es früher einmal „cool“ war, bei Starbucks seinen Kaffee zu kaufen, dann ist es das jetzt nicht mehr. Das Bild vom freundlichen Arbeitgeber, der seine ArbeiterInnen „Partner“ nennt, hat schon länger einen nicht unwesentlichen Riss bekommen. Die Löhne sind in den USA nicht besonders hoch, die Arbeitsbedingungen dagegen sehr schlecht. Erst im März dieses Jahres verurteilte ein kalifornisches Gericht den Konzern dazu, über 100 Mio. Dollar an einbehaltenen Trinkgeldern auszuzahlen. Flexibilität ist eine Einbahnstrasse und wird von den ArbeiterInnen in einem so hohen Maße verlangt, dass ein irgendwie geregeltes Leben jenseits der Theke kaum mehr möglich ist.
Jeder Versuch der ArbeiterInnen, sich in Gewerkschaften zu organisieren, wird von der Zentrale rabiat bekämpft. Bisher ist es nur den IWW und der CNT-IAA in Spanien gelungen, sogenannte „Baristas“ zu organisieren. Aber das alles geht an den DurchschnittskonsumentInnen womöglich vorbei, zumal es kaum in den Massenmedien berichtet wird. Anders, wenn es um den Umgang des Konzerns mit „seinen“ Kaffeebauern geht oder um die Frage, ob der Kaffee wirklich „fairtrade“ ist. Auch diese beiden einstmals positiv besetzten Bilder haben mittlerweile tiefe Risse bekommen. Ob Starbucks in Zukunft weiter expandieren und den AktionärInnen Gewinne bescheren wird, liegt nicht zuletzt daran, ob es dem Global-Player gelingen wird, sich wieder ein verkaufsförderndes Image zu geben oder nicht.

Rudolf Mühland

DA: Kampf gegen Sinaltrainal geht weiter – GewerkschafterInnen (nicht nur) bei Coca-Cola fürchten um ihr Leben.

Kampf gegen Sinaltrainal geht weiter – GewerkschafterInnen (nicht nur) bei Coca-Cola fürchten um ihr Leben.

Als Reaktion auf die Wiederaufnahme der internationalen Coca-Cola-Kampagne durch die kolumbianische Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal gibt es derzeit eine Welle von Todesdrohungen und Gewalt gegen die Gewerkschafter und deren Familienangehörige.
Im September wurde Andrés Damian Flores Rodríguez, der 16-jährige Sohn von José Domingo Flores, dem Leiter des Regionalbüros von Sinaltrainal (Sindicato Nacional de Trabajadores de la Industria de Alimentos) in Santander, von maskierten Bewaffneten entführt. Andrés wurde verprügelt und ihm wurde eine Nachricht für seinen Vater mit auf den Weg gegeben: „Sag’ deinem Vater, dass wir keine Ruhe geben werden, bis wir euch alle zerstört haben“.

Im Dezember fand Domingo Flores, Coca-Cola-Arbeiter und Funktionär von Sinaltrainal, in der Garage seines Hauses in Bucaramanga eine Morddrohung. Er hatte tags zuvor zusammen mit Luis Edoardo García Flugblätter an seine KollegInnen verteilt, in denen an die Ermordung des Coca-Cola-Arbeiters Isidro Gil am 5.12.1997 erinnert wurde. Später stellten sie bei einer Erinnerungsveranstaltung eine Galerie sowohl für die während des Streiks der Firma United Fruit Company (heute Chiquita Brands) im Jahre 1928 umgebrachten Arbeiter aus als auch Bilder der bei Coca Cola oder Nestlé arbeitenden Mitglieder von Sinaltrainal, die bis heute ermordet worden sind. Außerdem fand man im Büro von Sinaltrainal in Bucaramanga einen Briefumschlag, der Morddrohungen gegen Luis Edoardo García und Javier Correa, den Präsidenten von Sinaltrainal, enthielt. In dem Schreiben wird angekündigt, dass man beide noch im Dezember umbringen werde. Diese letzte Drohung trifft nur einen Tag nach der Ermordung von José de Jesús Martín Vargas ein, der Mitglied von Sinaltrainal war und für Nestlé(1) arbeitete. Diese neuen Ereignisse reihen sich ein in eine lange Liste von Morden und Angriffen gegen diese Gewerkschaft.

Hintergrund

1992 versammelte José Gabriel Castro(2), der damalige Geschäftsführer der Coca-Cola-Company in Bucaramanga, die ArbeiterInnen und verkündete, dass jede gewerkschaftliche Betätigung als ein „Akt des Terrorismus“ angesehen werde. Seit diesem Tag wurden und werden die ArbeiterInnen, GewerkschaftsfunktionärInnen und AktivistInnen konstant von den Paramilitärs verfolgt. Die Zahlen sprechen für sich: Seit 1991 sind 2.245 Morde, 3.400 Todesdrohungen und 138 gewaltsam verschleppte und „verschwundene“ GewerkschafterInnen dokumentiert. Im Kontext des seit 40 Jahren andauernden bewaffneten „Krieges niedriger Intensität“ in Kolumbien werden GewerkschafterInnen von den sogenannten „Sicherheitskräften“ und deren paramilitärischen Verbündeten immer wieder beschuldigt, „subversiv“ zu sein. Dieser Vorwurf taucht verstärkt auf kurz vor, während und direkt nach Arbeitskämpfen. Er ist für die so Bezeichneten eine unverhohlene Warnung. Reicht die nicht aus, um die betroffenen Militanten zum Schweigen zu bringen, greifen „Sicherheitskräfte“ und Paramilitärs auch zu drastischeren „Mitteln“, inklusive Mord.

Billig, aber nicht billig genug

Eduardo García: „Coca Cola, führend in Sachen Repression und ArbeiterInnenunterdrückung, ist das Konzernmodell der Globalisierung und beispielhaft für Hyperausbeutung“. 10.000 ArbeiterInnen hat Coca Cola im Verlauf der letzten zwölf Jahre aus ihren 20 Abfüllbetrieben in Kolumbien entlassen und sie dann mit befristeten Verträgen wieder eingestellt, die zu zwölf oder 14 Stunden Arbeit täglich das gesamte Jahr über verpflichten. Gesundheitliche Absicherung oder die Zusicherung einer Weiterbeschäftigung sind in diesen Verträgen jedoch nicht enthalten. Die ArbeiterInnen müssen Coca Cola die Betriebsuniform und bestimmte Sicherheitselemente abkaufen. 86% aller Coca-Cola-Beschäftigten arbeiten über Zwischenfirmen und nur 14% haben einen direkten Vertrag mit Coca Cola; von diesen letzteren sind 8% Gewerkschaftsmitglieder der Sinaltrainal.

Die SINALTRAINAL…

…der organisierten Cola-ArbeiterInnen wurde 1982 gegründet. Ihre Wurzeln aber greifen mehr als 50 Jahren zurück; seit Nestlé nach Kolumbien kam und die erste Basisgewerkschaft sich formierte. Die Sinaltrainal vereinigt ArbeiterInnen von Coca Cola, Nestlé, und der Corn Products Corporation sowie von einigen kleineren Unternehmen. „Diese ganze kriegerische, gewalttätige und auch juristische Aggression, so Luis Eduardo García, hat uns zu einer kleinen Gewerkschaft werden lassen. Von anfänglich 5.300 Mitgliedern sind 2.000 übrig geblieben. Aber auch wenn sie uns verfolgen und wir wenige sind, wir werden die Verteidigung des Lebens, der Arbeit und unserer Klassenprinzipien nicht aufgeben“.

„Weil ich das Leben liebe, konsumiere ich keine Coca-Cola“.

Die Internationale Kampagne gegen Coca Cola geht weiter. Im Frühling 2008 wird der Internationale Sprecher von Sinaltrainal, Edgar Paez, im Rahmen der Kampagne Europa besuchen. Bis dahin ergeht der dringende, weltweite Aufruf an alle Organisationen und Personen, den kolumbianischen Staat und Coca Cola dazu aufzufordern, das Leben und die Unversehrtheit aller Mitglieder von SINALTRAINAL und deren Familien zu schützen, den Morddrohungen nachzugehen und die materiellen und geistigen Verantwortlichen zu finden, und das Versammlungsrecht und die freie gewerkschaftliche Arbeit zu garantieren.

K.S. (das ist Rudolf Mühland)

(1) Am 22. November 2007 wurde der Nestlé-Arbeiter José de Jesús Martín Vargas von Unbekannten ermordet. Er war seit 1977 Mitglied der kolumbianischen Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal. So sehr die diversen Konzerne auf dem Weltmarkt Konkurrenten sind, so sehr herrscht eine unausgesprochene Einigkeit im Kampf gegen die ArbeiterInnen.

(2) nicht verwandt mit Fidel Castro, dem Maximó Líder auf Kuba

aus der Marginalspalte:

Die Gewerkschaft bittet um Protestschreiben an:

Presidencia de la República

Dr. Álvaro Uribe Vélez

Cra. 8 No..7-26, Palacio de Nariño, Santa fe de Bogotá,

Fax: (+57 1) 566.20.71

E-mail: auribe@presidencia.gov.co

Presidente de Coca-Cola

mail@na.cokecce.com

www.cokespotlight.org/flash/indexflash.html

www.cokewatch.org

Presidente Coca Cola FEMSA en Colombia

JUAN CARLOS JARAMILLO

Carrera 94 No. 42-94, Fontibón Bogotá, D. C.

Fax: (571) 4011687

E-mail: jarbelaez@panamco.com.co, cocacola@hotmail.com

DA: Streik bei Ford – Russland: Inflation von 50% und mehr treibt Arbeiterschaft in den Streik

Streik bei Ford – Russland: Inflation von 50% und mehr treibt Arbeiterschaft in den Streik

Situation in Russland

Die Streikbewegungen in Russland sind untrennbar an die horrende Inflation im Lande gekoppelt. So sind zum Beispiel die Nahrungsmittelpreise und die einiger anderer Produkte, seit Anfang 2007 um 50-70% (!) gestiegen. Wirtschaftswissenschaftler weisen darauf hin, dass dies noch nicht das Ende der Preissteigerungen sei. Sie erwarten noch während des Winters eine weitere Preissteigerung um bis zu 50%. Die Wirtschaft in Putins Russland hat ihre Basis in den Monopolen. Diese sind wiederum auf vielfältige Art und Weise untereinander, mit der Staatsmaschine und direkt mit Putin verwoben. Diese „Drei-Welt“-Ökonomie hat nur einen Zweck: Die Reichen an der Spitze einer mafiösen Pyramide aus Neureichen und Staatsfunktionären noch reicher zu machen. Unter ihnen und als Erster unter Gleichen: Putin, der ein geschätztes Privatvermögen von 40 Millarden US Dollar sein Eigen nennen soll. All diese Bosse haben keinerlei Interesse an einem „Ausgleich“ mit den Lohnabhängigen. Viele dieser Bosse und „Offiziellen“ sind frühere Kriminelle oder waren/sind im russischen Geheimdienst tätig. Sie alle wissen, dass ihre Zeit nur sehr begrenzt ist, denn sie können jederzeit ihre Macht und ihren Reichtum im permanenten politischen und ökonomischen Konkurrenzkampf verlieren. Daraus schließen sie, dass sie so schnell wie möglich so reich wie möglich werden müssen. Die Wünsche der Arbeiterschaft stören da nur und so greifen sie zu den verschiedensten Methoden gegen Streikende:

# gerichtliche Verbote

# gesetzliche Gewalt (Polizei)

# und ungesetzliche Gewalt

So wurden zum Beispiel nahezu alle Streiks der letzten Monate von den Gerichten für „illegal“ erklärt und einige GewerkschaftsaktivistInnen wurden entweder durch die Polizei, die Mafia oder nacheinander von beiden angegriffen.

Der Streik bei Ford

Die Werksleitung hatte mit Beginn des unbefristeten Streiks am 20. November(1) die Streikenden ausgesperrt. Bei dem Streik, an dem 1.700 der 2.200 ArbeiterInnen teilnahmen, handelte es sich um die größte Arbeitsniederlegung der letzten Jahre. Die Ford-ArbeiterInnen forderten die Anerkennung berufsbedingter Krankheiten sowie eine Absage an befristete Arbeitsverträge. Die Hauptforderung der Streikenden ist eine Lohnerhöhung um 30-40%, was nicht mal die Inflationsrate (in Bezug auf Nahrungspreise) ausgleicht(2). Momentan verdienen die ArbeiterInnen bei Ford ca. 500 USD im Monat. Das ist für russische Verhältnisse nicht schlecht. Zum Vergleich: In der Millionenstadt Saratov verdienen IndustriearbeiterInnen, ÄrztInnen und LehrerInnen ca. 150 USD im Monat. Wie dem auch sei, dank der horrenden Inflation sinkt die reale Kaufkraft rapide! Militante der KRAS-IAA starteten eine Kampagne, um einerseits die Idee der Anarchie unter den ArbeiterInnen bekannt zu machen und andererseits die reformistische Gewerkschaft offen zu kritisieren. Die KRAS forderte die Arbeiterschaft auf, nicht länger ergeben den Gewerkschaftsführern hinterher zu trotten, stattdessen sollten sie lieber eine Vollversammlung einberufen und dort all ihre Entscheidungen fällen. Die ArbeiterInnen erzählten uns in persönlichen Gesprächen, sie wüssten, dass ihnen die reformistische Gewerkschaft nicht helfen kann. Aber angesichts der Tatsache, dass sich eine Sondereinheit der Polizei (OMON) auf dem Gelände befindet, seien sie zu ängstlich, um zu Mitteln der Direkten Aktion, wie zum Beispiel Sabotage, zu greifen. Rund 400 ‚Scabs'(3) der russischen Ford-Filiale haben eine Erklärung unterschrieben, in der sie von dem Streik Abstand nehmen. Sie sollen während des Produktionsausfalls zwei Drittel des normalen Lohns behalten, die Streikenden gehen leer aus. Nach einer Woche Stillstand nahm das üblicherweise in drei Schichten arbeitende Werk am 28. November die Produktion im Ein-Schicht-Betrieb wieder auf. Am 11.12. gelang es dem Management, mit weiteren Streikbrechern eine zweite Schicht anzufahren.

Der Streik bei Ford wird von Automobilherstellern aufmerksam beobachtet

Im vergangenen Jahr hat der Ford-Konzern seinen Verkauf in Russland um 92 Prozent gegenüber 2005 auf knapp 116.000 Fahrzeuge gesteigert. Der Umsatz von Ford Focus betrug dabei 73.500 Stück, 85 Prozent mehr als im Jahr davor. Ein Tag Band-Stillstand kostet dem Unternehmen vier Millionen Dollar. Der Streik bei Ford wird von anderen Automobilherstellern, die Werke in Russland planen, aufmerksam beobachtet. Volkswagen und Skoda haben mit dem Bau eines 370 Millionen Dollar teuren Werks in Kaluga bei Moskau begonnen. General Motors, Toyota und Nissan planen Werke bei St. Petersburg. Wie ein Sprecher von Nissan Motor Russland gegenüber der Internetzeitung „Fontanka.ru“ erklärte, lerne man aus den Fehlern anderer Unternehmen. Arbeitssuchende mit Gewerkschaftsvergangenheit würden bei der „Formierung“ der neuen Nissan-Belegschaft aber angeblich nicht herausgefiltert.

Das vorläufige Ende

Dank der finanziellen Hilfe von ArbeiterInnen aus der ganzen Welt wurde der Streik mehr als vier Wochen lang durchgehalten. Am 13.12. hat die Werksleitung ihre Bereitschaft erklärt, auf wesentliche Forderungen der Streikenden einzugehen. Ihre einzige Bedingung dafür war, dass die Arbeit ab 17.12. wieder aufgenommen werde. Zur Vertragsschließung wird eine Kommission von Ford-Europa erwartet. Diese soll dann zusammen mit der Werksleitung und der Gewerkschaft einen Vertrag gestalten.(4 )

Nik Topark (das ist Rudolf Mühland)

(1) pünktlich mit Ablauf einer gerichtlich verhängten „Streikpause“

(2) die Inflationsrate (insgesamt) beträgt offiziell 11,5%

(3) Aus dem anglo-amerikanischen kommende Bezeichnung für Streikbrecher

(4) Bis zum Redaktionsschluss war das Ergebnis dieser „Gestaltung“ nicht in Erfahrung zu bringen

Artikelaktionen

DA: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit? – EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla denkt laut darüber nach.

 

Wenn man dem Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit glauben darf, dann geht ein neues Gespenst um in Europa. Sein Name: Gleicher Lohn für gleiche Arbeit.
Liest man nur die Titelzeilen entsprechender Meldungen in den Massenmedien, so ist man geneigt auf die Europäische Union und ihre diversen Institutionen zu hoffen. So zum Beispiel der DGB, der laut seinem Vorsitzenden Michael Sommer, die Initiative des EU-Sozialkommissar Vladimir Spidla zu einer einheitlichen europäischen „Lösung des Zeitarbeitsproblems“ begrüßt. Schade nur, dass es die Einzelgewerkschaften des DGB waren, welche Tarifverträge mit Zeitarbeitsverbänden abgeschlossen haben, die im Schnitt gut 30% unterhalb des jeweiligen Branchentarifs liegen. Vergessen, dass so das Gebot „Gleicher Lohn für gleiche Arbeit“ auf Betreiben der SPD/Die Grünen (diese hatten ein entsprechendes Gesetz verabschiedet) und der DGB-Einzelgewerkschaften aktiv hintertrieben wurde. Glücklicher Weise scheinen die ArbeiterInnen an akuter Demenz zu leiden – unabhängig davon, aus welchem Land sie hierher gekommen sind und wie lange das her ist. So können die SozialdemokratInnen in den Parteien und Gewerkschaften getrost damit rechnen, dass ihnen dies von der Arbeiterschaft nicht vorgeworfen werden wird. Und selbst wenn sich Einzelne daran erinnern werden, so bleibt den Einen doch immer die Ausrede, dass sie diese Tarifverträge hätten abschließen müssen (da sonst Gelbe Gewerkschaften noch schlechtere Tarife abgeschlossen hätten(1)); und den Anderen, dass die Öffnung im Gesetz ja durch die Gewerkschaften nicht hätte in Anspruch genommen werden müssen.

Der Vorschlag des EU-Sozialkommisars

Demnach sollen LeiharbeiterInnen zukünftig nach sechs Wochen der gleiche Lohn und die gleichen Sozialleistungen zustehen wie den „Festen“. Zum einen ist diese Sechswochenfrist eine absolut willkürlich in die Runde geworfene Zahl(2), und zum anderen steht zu befürchten, dass sich dadurch nur eines für die Ausgeliehenen ändern wird: die maximale Verweildauer an einem Arbeitsplatz. Auch wenn Vladimir Spidla in der Presse so zitiert wird, als ginge es ihm tatsächlich um „das Prinzip gleicher Lohn für gleiche Arbeit“, so ist doch nicht zu leugnen, dass es ihm nicht um die prinzipielle Abschaffung der Ungleichbehandlung geht, sondern nur um eine „sozialverträgliche“ Ausgestaltung derselben unter Beibehaltung des Mythos Leiharbeit. Gleichzeitig soll diese Initiative die nur allzu deutliche, und mittlerweile schon von verschiedener Seite festgestellte Unzufriedenheit der auf diese Art ausgebeuteten LeiharbeiterInnen begrenzen.

Der Mythos Leiharbeit…

… ist ein zweifacher: Einerseits heißt es, Leiharbeit ermögliche den Unternehmen bei Personalengpässen und Auftragsspitzen ein flexibles Management. Andererseits soll sie für ehemalige Erwerbslose ein Weg in die Festanstellung sein. Selbst Spidla spricht offen aus, was wir alle wissen: „dass Unternehmen, auch in Deutschland, die Zeitarbeit ausschließlich zur Kostendämpfung nutzen und dabei fest angestellte Mitarbeiter entlassen, um sie anschließend dauerhaft durch billigere Zeitarbeiter zu ersetzen“ [Quelle?]. So entsteht ein Sog hin zur Zeitarbeit. Der umgekehrte Weg wird immer schwieriger und existiert nur noch als medial zur Schau gestelltes Einzelschicksal. Zur Zeit arbeiten rund 600.000 Beschäftigte in Deutschland als LeiharbeiterInnen – fast doppelt so viele wie 2003! In der EU malochen bereits vier von zehn Arbeitskräften ohne regulären Vertrag [Auch ZAF schließen „reguläre Verträge ab! Alternative: unbefristeten Vertrag?]. Dazu zählen neben ZeitarbeiterInnen vor allem Selbständige. Laut einer EU-Studie aus dem Jahr 2006 sind Leiharbeitnehmer mit ihrem Arbeitsplatz deutlich unzufriedener als Festangestellte. Sie haben demnach das Gefühl, „nicht genau so gut behandelt zu werden wie die Kollegen mit einem festen Arbeitsplatz“. Sicherlich ist das nicht nur ein Gefühl. Bei LeihsklavInnen ist zum Beispiel die Zahl der Arbeitsunfälle deutlich höher als bei ihren KollegInnen mit einem sogenannten regulären Arbeitsplatz. In Deutschland gibt es nach EU-Erhebungen pro 1000 regulär Beschäftigten 37 Arbeitsunfälle, bei Beschäftigten über Zeitarbeit sind es 48. Daher auch die zusätzliche Aufforderung LeiharbeiterInnen genauso gute Weiterbildungsmöglichkeiten anzubieten wie ihren KollegInnen.

Gleicher Lohn für Gleiche Arbeit!

Trotz der Augenwischerei aus Brüssel, den Ablenkungsmanövern des DGB und der Unkenrufe des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit bleibt die Forderung nach gleichem Lohn für gleiche Arbeit in doppeltem Sinne richtig!

Einerseits in dem Sinne, dass wir dahin kommen müssen, dass alle ArbeiterInnen für die gleiche Arbeit tatsächlich vom ersten Tag an den gleichen Lohn bekommen: Unabhängig davon, ob sie LeihsklavInnen, ZwangsarbeiterInnen (1-Euro-Jobs) oder „regulär Beschäftigte“ sind.

Andererseits in dem Sinne, dass die Lohnschere zwischen Männern und Frauen endlich geschlossen wird. Noch immer erhalten Frauen in Europa bis zu 30% weniger Lohn für dieselbe Arbeit als Männer! Allerdings dürfen wir uns dabei nicht so sehr auf die Regierungen, seien es die Nationalen oder die Supranationalen, verlassen. Auch wenn es altbacken klingt: Die Geschichte lehrt uns, dass auch die kleinste Verbesserung nur von uns selbst erkämpft werden kann und muss.

Den regelmäßigen LeserInnen der DA muss ich an dieser Stelle keinen Vortrag über Anarchho-Syndikalismus halten. Alle anderen sind aufgefordert sich auf www.fau.org selbst zu informieren.

Rudolf Mühland (FAU Düsseldorf)

(1) Auf die Idee, gegen diese sittenwidrigen Tarife/Gewerkschaften zu klagen, sind die DGB-Einzelgewerkschaften damals nicht gekommen. Das erstaunt, da sie doch sonst immer gerne gegen andere Gewerkschaften klagen und sich richterlich bestätigen lassen, dass es sich nicht um Gewerkschaften handeln kann. Stutzig macht auch die Tatsache, dass es damals keinen Widerstand aus den Gewerkschaften gegen diese Gesetzesinitiative von Rot-Grün gab. Wenn auch die Verfilzung zwischen Parteien und Gewerkschaften nicht alles erklären kann, so sollte das doch aufhorchen lassen. Zahlreiche Spitzen-GewerkschaftsfunktionärInnen sind auch an herausragender Stelle in so mancher Partei tätig.

(2) Warum nicht zwölf Monate oder besser: direkt ab den ersten Tag!?