Wohnen und Arbeiten – die Ähnlichkeit der Kämpfe | Eine Einladung zur Diskussion

Als Anarchosyndikalist*innen ist der Anarchosyndikalismus für uns das Werkzeug mit dem wir die gesellschaftliche Veränderung (1) erreichen wollen. Dabei gehen wir davon aus, dass die sozialen Konflikte und Probleme nur solidarisch, also auf Grundlage der gegenseitigen Hilfe und gesellschaftlich gelöst werden können. Dazu haben wir uns in erster Linie auf den Kampf in den Betrieben konzentriert.

Dies ist aber nicht das einzige Betätigungsfeld. Anarchosyndikalistische Organisationen und Gruppen hatten durch den radikalen Antikapitalismus immer auch eine gesamtgesellschaftliche Perspektive. Neben Lohnarbeit ist daher Wohnen ein Feld der Auseinandersetzung. Die Abhängigkeit von den ChefInnen spiegelt sich in der Abhängigkeit von den VermieterInnen. Während für die einen gearbeitet werden muss, um Lohn zu erhalten, muss für die anderen gearbeitet werden, um Wohnen zu dürfen. Die Perfidität des Systems wird deutlich, wenn das System der Werkswohnungen betrachtet wird. Hier sind die ChefInnen auch die VermieterInnen. Die Disziplinierung der Fabrik wirkt dann auch für alle offensichtlich in den Alltag fort.

Da verwundert es nicht, dass die aus der ArbeiterInnenbewgung stammende Genossenschaftsbewegung insbesondere Wohnen als ein Thema hatte. Auch das Mietrecht ist mit dem Arbeitsrecht in so fern vergleichbar, als dass alle Errungenschaften, die MieterInnen schützen, von ihnen erkämpft wurden.

Auch Stadt als gesellschaftlicher Raum kann als Ort des Klassenkampfs gesehen werden.

Die Teilung in gute und schlechte Wohnlagen spiegelt die Teilung der Gesellschaft wieder. Die Stadt ist dabei auch der Spiegel der Fabrik bzw. des Betriebs. Das Konzept der neoliberalen Stadt trifft nicht nur die BewohnerInnen (aka ArbeiterInnen) sondern setzt sie auch in Konkurrenz zu den BewohnerInnen anderer Städte (aka Betrieb). Vertreibung unliebsamer Gruppen aus der Innenstadt dient der kapitalistischen Aufwertung, der Steigerung des Shoppinggefühls. Die Aufwertung von Stadtteilen durch Kultur oder Städteplanung dient ebenso der besseren Verwertbarkeit, wie Sanierungen. Die Vereinzelung ermöglicht es VermieterInnen auch rechtswidrige Praktiken einfach durchzuführen.

Die militante Stadtpolitik hat viele Fragen aufgeworfen und Kämpfe begonnen, die von gesellschaftlicher Bedeutung sind. Die militante Gewerkschaftsbewegung hat Techniken und Ideen entwickelt, die nicht nur im Arbeitskampf von nutzen sind. Streik, Pickets und Schmutzkampagnen können auch VermieterInnen treffen. Nicht zu vergessen die grundlegende Idee der >Direkten Aktion<. Organizing im Stadtteil ermöglicht die Selbstermächtigung der BewohnerInnen.

In vielen Städten gibt es bereits gemeinsame Treffen und Aktionen, um die Kampffelder Betrieb und Wohnen miteinander zu verbinden. Auf mehreren Kongressen und in der praktischen Arbeit so manchen Syndikates vor Ort ist deutlich geworden, dass die Recht auf Stadt Bewegung an einem Punkt angelangt ist, der zunehmend die Soziale Frage mit Wohnraumkäpfen, Zwangsräumungen und Stadtteilselbstorganisierung in den Mittelpunkt rückt.

Neben dem Betrieb ist vor allem der Bereiche des Wohnen ein Feld in dem sich der Klassenkampf deutlich zeigt. Mit dem Beschluss der Unione Sindacale Italiana (USI/Italien) ein Recht auf Wohnen einzufordern und dem Slogan der Stadtteilgruppe Kotti & Co (Rauf mit den Löhnen – Runter mit der Miete) sind erste Gemeinsamkeiten benannt. Auch die Übertragung des gewerkschaftlichen Organizing auf den Stadtteil (Community-Organizing) zeigt weitere Gemeinsamkeiten.

 

Wir würden gerne diese Thesen mit euch diskutieren:

These 1 – Gewerkschaftliche und Stadtteilkämpfe haben häufig den Charakter von Feuerwehraktionen.

Bei beiden geht es häufig um konkrete Notsituationen (Räumung oder Kündigung). Gelegentlich werden auch mittelfristige Kämpfe geführt (Luxussanierung, Arbeitsbedingungen). Selten sind weitergehende Ziele formuliert – Abschaffung des Kapitalismus, Wohnraum keine Ware, Ende der Lohnarbeit. Es scheint uns auch, dass es nur schwer möglich ist längerfristige Kampagnen oder Bündnisse und Netzwerke aufzubauen. Erfolge sind meist kurzfristig. Eine langfristige Einbindung von Betroffenen auch und gerade vor Notsituationen erfolgt nur sehr selten.

These 2 – Dies scheitert unter anderem daran, dass aus dem gemeinsamen Kampf kein gemeinsames Bewußtsein und damit eine gemeinsame Identität entsteht.

Organzing benötigt aber neben gemeinsamen Interessen unserer Meinung nach auch eine gemeinsame Identität, um mittel- und langfristig erfolgreich zu sein. Hierbei stehen wir uns selbst im Weg, weil wir es nicht schaffen emanzipatorische Alternativen zu Lokalpatriotismus und Arbeiterromantik aufbauen.

These 3 – Über die Klassenfrage und die Einnahme eines Klassenstandpunkts könnten Gemeinsamkeiten über alle anderen Grenzen (ua. Gender, Race) hergestellt werden, die gleichzeitig aber diese nicht ignorieren oder überdecken (unity of opression).

Lösungen sind meist entweder individuell oder kollektiv und knüpfen an autonomes bzw. alternatives Politikverständnis an. Das heißt sie sind für einzelne innerhalb der Peergroup / Szene möglich und attraktiv. Für breitere Schichten sind die Lösungen aber in der Regel nur abstrakt möglich. Hausprojekte benötigen finanzielles oder/und kulturelles Kapital. Gleiches gilt für Kollektivbetriebe. Bei beiden wird darüber hinaus auch eine „Aufopferung“ für die Sache erwartet bzw. notwendig, um Durststrecken zu überwinden. Einfaches wohnen oder arbeiten ist hier nicht möglich.

These 4 – Gesellschaftliche Lösungen, die auch konkrete mittelfristig erfüllbare Forderungen enthalten, werden meist aus Angst vor dem Realpolitikmonster nicht gestellt.

Die Leerstelle besetzten Parteien oder Gewerkschaften und können so die (vormals autonome, d.h. unabhängige) Bewegung nutzen. Teilweise sind diese Institution auch direkte Adressaten (und Arbeitgeber) – siehe IL aber trotz (oder wegen?) aller radikaler Rhetorik auch …ums Ganze.

These 5 – Wir müssen uns fragen, wie wir aus den Abwehrkämpfen herauskommen und politisch, wie organisatorisch gewinnen können.

Dazu muss auch unser Blickfeld erweitert werden. Wohnungsnot und Ausbeutung ergeben sich aus dem kapitalistischen Gesamtzustand. Hier müssen Strategien gefunden werden, damit wir es schaffen unsere Handlungsfelder zu erweitern – Rauf mit den Löhnen und Runter mit der Miete. Einfache Forderungen nach „mehr bezahlbarem Wohnraum“ kann angesichts der geschichtlichen Erfahrungen nur bedingt gefordert werden. Wohnraum muss dort geschaffen werden, wo er benötigt wird. Schlafquartiere für MittelschichtspendlerInnen oder Hochhaussiedlungen sind kein attraktiver Wohnraum, dazu ist mehr nötig. (Infrastrukturelle Anbindung und auch als Quartier attraktiv).

These 6 – Die Logik der neoliberalen Stadt muss gebrochen werden.

Dazu gehört u.a.: Innenstädte als Konsummeilen mit der innewohnenden Ausgrenzung anzugreifen. PPPs für Infrastuktur und Wohnraum abzulehnen. Sanierung der Quartiere zu Lebensräumen ohne gleichzeitige Aufwertung.

 

(1) über den reinen Abwehrkampf einerseits und die Verbessrung unserer Arbeits- und Lebensbedingungen hinaus zu einer globalen Transformation der Gesellschaft hin zu einer staaten-/grenzenlosen Gesellschaft in der es weder ausbeutung noch unterdrückung des Menschen durch den Menschen, egal in welcher Form, gibt

[ssba]