Fritz Oerter

Vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs lag der deutsche Anarchismus bereits danieder und auch die Kriegsereignisse brachten ihm keinen Massenzulauf. So war es eher der Zufall des Machtvakuums nach der Ermordung des bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner (1867-1919) im Februar 1919, der ganz kurzfristig während der ersten Münchner Räterepublik (7.–13. April 1919) auch Landauer und Mühsam an die politischen Schalthebel brachte, ohne dass sie dieser Räterepublik einen spezifisch anarchistischen Stempel aufzudrücken vermochten. Zudem hatten die beiden selbst sehr unterschiedliche Vorstellungen von den Räten. Landauer, der sich schon seit Jahren mit Formen einer möglichen politischen Selbstbestimmung des Volkes befasst hatte, stand Eisners Konzept einer Rätedemokratie nahe. Mühsam dagegen favorisierte die kommunistische Spielart einer Diktatur der „Sowjets“. Die spätere deutliche Kritik des Historikers des Anarchismus, Max Nettlau (1865-1944), an Mühsam ist deshalb verständlich: „der Kult ihrer [= der Masse] Diktatur führte ihn von der Freiheit weg“. Und weiter: Mühsams 1920 im Gefängnis Ansbach für Vladimir Jljitsch Lenin (1870-1924) geschriebener Rechenschaftsbericht „Von Eisner bis Leviné. Die Entstehung der bayerischen Räterepublik“ (veröffentlicht Berlin 1929) und seine späteren theoretischen Ausführungen „lassen dieses Mitgerissensein von volksautoritärem Glauben und revolutionär-proletarischem Durchführungswillen und alte anarchistische Sympathien nebeneinander in unvereinbarem Widerspruch vor uns erscheinen. Mühsam suchte im „Rätesystem“ ein Verbindungsglied zu finden, eine Chimäre, der er bis zuletzt nachjagte“ (Nettlau, Geschichte der Anarchie, 5. Band, 1. Teil, Anm. 283). Landauers war kaum mehr als eine Woche als bayerischer Kultusminister tätig und wurde am 2. Mai 1919 im Gefängnis Stadelheim von den Gegenrevolutionären bestialisch umgebracht.

Der bald in libertären Kreisen sehr geschätzte Schriftsteller „B. Traven“ (1882-1969) gab in München als „Ret Marut“ die Zeitschrift „Der Ziegelbrenner“ (1917-1921) heraus. Er ebenso wie der Schöpfer der teilweise als anarchistisch eingestuften Freiwirtschaftslehre Silvio Gesell(1862-1930) und dessen Helfer Theophil Christen (1873-1920) in der Münchner Räterepublik aktiv. An der Fürther Räterepublik wirkte der dortige Anarchist Fritz Oerter (1869-1935) mit, ein in Straubing geborener Lithograph.

Weimarer Republik

Die bisherige Spaltung in „ideell“ ausgerichtete kommunistische Anarchisten („Föderation kommunistischer Anarchisten Deutschlands“) und gewerkschaftliche Syndikalisten („Freie Arbeiter-Union Deutschlands“) bestand nach dem Ersten Weltkrieg fort. Insbesondere die erste Hälfte der 1920er Jahre sah eine Kräftigung des Anarcho-Syndikalismus auch in vielen Orten Bayerns. So hatte deren Kreisarbeiterbörse Nordbayern mit Oerter als Hauptaktivisten bis zu 2.000 Mitglieder, deren Zahl 1928 auf 800 bis 900 (Ortsgruppen in Nürnberg-Fürth,Röthenbach an der Pegnitz, Amberg, Weiden, Donauwörth, Schweinfurt und Regensburg) absank. Die Kreisarbeiterbörse Südbayern mit Ortsgruppen in München, Augsburg, Trostberg und Dachau zählte 1928 noch etwa 400 Mitglieder, davon die Münchner „Föderation der Bauarbeiter“ 264 und die Münchner „Föderation aller Berufe“, in welcher auch die geschrumpften Föderationen der Metallarbeiter und Fliesenleger aufgegangen waren, 72. Die Donauschiffer waren in einem gesamtdeutschen Verband der Binnenschiffer organisiert. Die bayerischen Ortsgruppen arbeiteten eng mit den „Vereinen für Sexualhygiene und Lebensreform“ zusammen – die Beschaffung von Verhütungsmitteln wurde dabei zum antimilitaristischen „Gebärstreik“ überhöht.

Quelle: historisches lexikon bayerns (1) (2)

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