naumburg1933.de und |
Otto Wolf |
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Von unserem Haus sah ich nur den Schatten Blick in die Herrenstraße zum ehemaligen
Seit 1930 geht der Markthelfer und Heizer Otto Wolf seiner Arbeit im Kaufhaus Cohn in der Herrenstraße nach, als er hier am 2. Juni 1937 verhaftet wird. Über seine Vernehmung am 3. Juni 1937 im Rathaus existiert ein Vernehmungsprotokoll. Bekannte erkennen ihn auf dem Weg vom Rathaus in das Polizeigefängnis am Jacobsring nur schwerlich wieder. Am 4. Juni 1937 wird er in Gerichtsgefängnis (Naumburg) eingeliefert. Nicht erst jetzt beginnen die Schwierigkeiten in seinem Leben. In ärmlichen Verhältnissen wird er am 1. März 1902 in Leipzig-Kleinzschocher geboren. Als der Großvater 1905 stirbt, zieht die Familie Wolf nach Naumburg, erinnert sich Frau Margarete (Jahrgang 1913), die Schwester von Otto Wolf. (Vgl. Kaufmann 2005a)
In Naumburg übernehmen Ottos Eltern die von den Großeltern geführte Gaststätte Zur Wolfsschlucht – Moritzstraße 48 – nebst einem dazugehörigen kleinen Lebensmittelgeschäft. In die Gaststube, zu der noch ein Vereinszimmer gehört, gelangt man durch den Laden. Aus dem Vereinszimmer führt eine Tür in den Flur, von dem man zum Hof kommt. Hier befindet sich das Pissoir, in dem ihr Vater zu Tode stürzte, erzählt Margarete. Ein Versicherungsgeld gibt es nicht, weil die ärztliche Diagnose einen Herzschlag erkannte. Nach dem Tod der Großmutter muss das Haus verkauft werden und die Familie aus der zur Gaststätte gehörenden Wohnung in eine kleinere Wohnung im Haus umziehen. Zwölf Mietparteien teilen sich im Haus Moritzstraße 48 drei Plumpsklos ohne Wasserspülung. Zur Wohnung gehört neben der Küche, die als einziger Raum beheizbar ist, noch ein Raum in Richtung Garten und ein kleines Schlafzimmer. Unter dem Küchenfenster befindet sich die Aschengrube, die ebenfalls von allen Mietern genutzt wird. Wasser holt man sich auf dem Hof. In den zwanziger Jahren erfolgte die Elektrifizierung. 1919 wird die „Wolfsschlucht“ von Marta Wolf, der Witwe, betrieben. Doch bereits 1921 findet man sie nicht mehr im Branchenverzeichnis. (Nach Kaufmann 2005a und 2005b) Otto Wolf ist elf Jahre alt, als der Vater stirbt beziehungsweise verunglückt. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage der Familie muss er nach Absolvierung der Grundschule als Hilfsarbeiter zum Lebensunterhalt seiner Familie (Mutter und jüngere Schwester) beitragen. Deshalb kann er keinen Beruf erlernen und erlebt so sehr früh die strukturelle Gewalt der Ökonomie. 1917 stellt ihn eine Baufirma in Leuna als Hilfsarbeiter ein. Im Jahr darauf tritt er der Freien Sozialistischen Jugend bei. Im Leuna-Werk beteiligt er sich 1921 aktiv an den militärischen Kämpfen. Wegen Teilnahme am bewaffneten Haufen stellt man ihn vor das Landgericht Wittenberg. Das Urteil fällt in der Sitzung vom 13. Mai 1921: ein Jahr Gefängnis. Sein Rechtsanwalt Alfred Weyler aus Merseburg besteht in seinem Gnadengesuch vom 1. November 1921 darauf:
Am 13. März 1922 wird der GefangeneMoritzstraße 48 Naumburg, Gasse des Handwerks und Gewerbes, entlassen (Vgl. Kaufmann 2005b, Wolf 1921). Ein Leuna-Kämpfer hat es schwer eine bezahlte Arbeit zu finden. Überdies erhält er wegen Diebstahl noch eine weitere Vorstrafe (vgl. Wolf 3.6.1937). Im Übrigen ist Langzeitarbeitslosigkeit für die Naumburger in den zwanziger Jahren nichts Besonderes. Von kurzen Episoden unterbrochen, hält diese bei Otto Wolf bis 1934 an. 1927 heiratet er Marta, geborene Thiersch. Ein Jahr darauf wird Sohn Peter geboren. 1930 pachtet er im Spechsart 100, heute Auenblick 18, für jährlich 480 Reichsmark 3 Morgen Acker. Hier wohnt jetzt die Familie. Ich „beschäftige mich hauptsächlich mit Obst- und Gemüsebau, sowie Viehzucht“, teilt er im Verhör am 3. Juni 1937 der Naumburger Ortspolizeibehörde mit. Dies hilft, die schwere Zeit mit geringem Einkommen zu überstehen. Seine Frau betreibt ab 1936 eine Wandergewerbe mit Hausschuhen.
Er ist aktives Mitglied im Verein Die Naturfreunde, die sich zum demokratischen Sozialismus bekennen. Außerdem engagiert sich Otto im Verein der Gemeinschaft der proletarischen Freidenker (GpF). Damit weiß er sich in einer Tradition, die 1905 mit der Gründung der Freidenker für Feuerbestattung beginnt, woraus sich 1908 der Zentralverband Deutscher Freidenker formiert und ab 1922 als Gemeinschaft proletarischer Freidenker agiert. Die Freidenker möchten eine konsequente Trennung von Staat und Kirche, die Förderung der naturwissenschaftlichen Bildung, weltanschauliche Toleranz und die Befreiung von repressiv-religiösen Glaubensbekenntnissen – immer eng verbunden mit dem Suchen und Streben nach einem aktiven, sinnerfüllten Leben. Otto Wolf leitet ab Mitte der 20er Jahre die GpF. Ihr Versammlungsort ist der Goldene Hahn, das zugleich Stammlokal der KPD ist. Bereits 1929 ruft die KPD zur Gründung eines Verbandes proletarischer Freidenker Deutschlands auf, der bereits im Mai 1932 verboten wird.
In seiner Hamburger Rede vom 8. August 1930 gibt Ernst Thälmann unter der Losung „Wir stürmen für Sowjetdeutschland!“ die Orientierung: „Wir dringen in alle proletarischen Massenorganisationen ein, in die Freidenkerorganisationen, in die Sportbewegung, in die Massen der am meisten ausgebeuteten Jungarbeiter, ja, wir dringen sogar in die Reichswehr ein – wie das rote Banner des Kreuzers „Emden“ bewies -, um die Kräfte der revolutionären Klassenfront zu verstärken.“ Aber – daraus lässt sich nicht die Position von Otto Wolf extrahieren. Als Vorsitzender der Ortsgruppe der GpF sucht er die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Linken Gruppen in der Stadt, nutzt dabei vielfältige Formen der Geselligkeit und alternativen Lebenskultur. Für ihn sind die Freidenker keine Unterabteilung der KPD, wie Der sozialistische Freidenker 1927 im Heft Nummer eins ausführt (siehe oben).
Von 1918 bis 1919 gehört er der Freien Jugend an. Etwa ab 1921 bis zu ihrem Verbot leitet der Arbeiter die FAUD-Ortsgruppe (Naumburg). „In den ersten Jahren“, teilt er bei der Vernehmung im Jun 1937 mit, „zählte unsere Ortsgruppe etwa 40 Mitlgieder. Zuletzt gehörten wir nur noch 3 Mann der Ortsgruppe an.“
Die FAUD (Freie Arbeiter-Union Deutschland) gründetesich am 15. September 1919 aus der Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften (FVDG). Um 1925 zählt die Organisation etwa 200 000 Mitglieder. Ein Zentrum befindet sich im Ruhrgebiet. Viele ehemalige Kämpfer der „Roten Ruhrarmee“ gehören ihr an. Auf Initiative der FAUD schließen sich Weihnachten 1922 verschiedene anarchosyndikalistische Gruppen aus Europa und Amerika in Berlin in der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) zusammen; grundsätzlich anders im Führungsstil und in der Organisation als die Rote Gewerkschaftsinternationale (RGI). Die Anarchosyndikalisten engagieren sich in der Frauenbewegung, erstreben deren Emanzipation und gehen dabei unkonventionelle Wege oder initiieren alternative Wohnprojekte.
Ausserdem arbeitet er bei der Arbeiterbörse für Mitteldeutschland zwischen den Orten Bitterfeld, Eilenburg, Oschatz, Döbeln, Frankenberg, Chemnitz, Aue, Plauen, Saalfeld, Jena, Naumburg, Merseburg und Halle mit (vgl. Syndikalist, Nr. 23/1923). Otto Wolf gehörte nicht der KPD an. Ihm fiel es schwer, die stalinistisch imprägnierten Führungsmethoden der KPD zu akzeptieren. Seine linke politische Grundhaltung macht ihn zur Hassfigur der Naumburger Nationalsozialisten. Darüber berichtet seine Frau Martha: „Es war bereits dunkel, als mein Mann eines Abends gerufen wurde. – Komm mal raus, Otto.
Blick in Richtung des ehemaligen
So etwas kam öfters vor und war darum nichts Besonderes. Als er an die Tür ging, wurde gleich auf ihn geschossen. Zum Glück wurde er nicht getroffen. Aber die Geschoßeinschläge blieben noch Jahre im Türrahmen, bis zum Abbruch des Hauses. Wir benachrichtigten die Polizei, die ein Protokoll aufnahm. Dann hörten wir lange nichts darüber. Schließlich erhielten wir nach vielen Wochen den Bescheid, die Ermittlungen seien eingestellt. Die vorhandenen Spuren waren nicht untersucht worden. Es war offensichtlich, das niemand an der Aufklärung dieses Falles interessiert war. – Hätten die Nazis den Täter doch in ihren eigenen Reihen gefunden.“ (Wolf 1982) Haus der Familie Wolf im Auenblick 18 –
Nach der Machtübergabe an Hitler 1933 fanden im Haus von Otto Wolf immer wieder Hausdurchsuchungen statt. Er wird oft zu Vernehmungen vorgeladen. Sein Haus Spechsart 100 (1940 Auenblick 18), das längst nicht mehr steht, lässt sich schlecht unbemerkt überwachen. Seine Lage war gut für illegale Treffen und den Umschlag von Literatur geeignet. Der Regierungspräsident von Merseburg entzieht ihm beziehungsweise seiner Ehefrau am 6. November 1936, also etwa ein halbes Jahr vor seiner Verhaftung, die Gewerbeberechtigung zum Handel mit Hausschuhen.Seine Schwester arbeitet im Kaufhaus Cohn als Verkäuferin. Otto findet hier 1934 als Heizer eine Anstellung. Schon weit vor seiner Verhaftung sucht die Polizei hier im Heizungskeller vergeblich nach illegalem Material.
Aber mit Beginn des spanischen Bürgerkrieges, schreibt Hartmut Mehringer in seinem Beitrag zum „Arnarcho-Syndikalisten“ (1994), „intensivierte die Gestapo ihre Fahndungs- und Verfolgungsmaßnahmen gegen die FAUD beträchtlich, da sie politische Attentate mit entsprechender Signalwirkung fürchtete. Im Frühjahr 1937 gelang es ihr, die Organisation der FAUD definitiv aufzurollen und auszuschalten. Allein in Westdeutschland wurden 100 Aktivisten verhaftet, in Leipzig etwa 40, in Berlin rund zwei Dutzend.“ Am 2. Juni 1937 wird Otto Wolf verhaftet. Die Vernehmung im Rathaus Naumburg erfolgt unter Anwendung von körperlicher Gewalt (Folter). Zwei Tage später kommt er in das Polizeigefängnis am Jacobsring. Den Haftbefehl stellt das Amtsgericht Naumburg am 4. Juni 1937 aus. Darüber wird Oberbürgermeister Friedrich Uebelhoer auf vertraulichem Weg infomiert. Vom 12. bis 13. November 1937 tagt in Halle das 5. Kammergericht Berlin unter Leitung von Ministerialdirektor Jäger (Berlin) mit den Beisitzern Kammergerichtsrat Reeck, Kammergerichtsrat Dr. Taeniges, Dr. Stäckel und Amtsgerichtsrat Hübener. Die Staatsanwaltschaft stützt sich im Metka-Prozess auf den Bericht der Staatspolizei Leipzig vom 26. Mai 1937. Wolf und die anderen sind des
angeklagt, „mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die Verfassung des Reiches“ ändern zu wollen. Sie möchten die Betriebe in die Hände der Arbeiter, den Boden in die Hände der Landarbeiter und Gärtner geben, also eine Enteignung der Besitzer. „Deshalb kämpft mit uns gegen Hitler, für ein freies sozialistisches Rätedeutschland“, war das Motto der Widerstandsgruppe laut Metka-Anklageschrift. Die Staatsanwaltschaft stützt sich bei ihrer Beweisführung auf anarchistische Schriften, die Wolf von Ferdinand Götze übernahm. Es handelt sich dabei um die Zeitschriften „Sozialistische Revolution“,
Mit der ersten Zeitschrift ist die „Die soziale Revolution“ gemeint, die Ferdinand Götze (1907-1985) herausgab. Der Modelltischler übernimmt im September 1933 die Leitung der FAUD und vernetzt alle lokalen Initiativen. In dieser Mission besucht er mehrmals die Familie Otto Wolf im Spechsart. „Der Tischler Ferdinand Götze aus Leipzig“, gibt Otto Wolf bei seiner Vernehmung im Juni 1937 in Naumburg zu Protokoll, „ist mir von der früheren Bewegung her, in welcher er führender Funktionär war, persönlich bekannt. Er ist vor der Machtübernahme verschiedentlich in Naumburg in KPD- und SPD-Versammlungen als Diskussionsredner aufgetreten. Ostern 1933 kam mich Götze in meiner Wohnung besuchen. Er hat sämtliches Material von der Bewegung, das noch in meinem Besitz war, mitgenommen. …. Etwa zu Pfingsten 1933 kam Götze wieder zu mir. Er gab mir zu verstehen, dass er beauftragt sei, die Organisation der FAUD weiter zu führen …. Er forderte mich schliesslich auf, meine früheren Gesinnungsgenossen weiter zu kassieren, um die illegale Zeitung herauszugeben. Ich habe mich damit einverstanden erklärt …. Nach einigen Monaten wurde ich wieder von Götze aufgesucht. Dies kann im Juli oder August 1933 gewesen sein. Bei dieser Gelegenheit zeigte er mit eine verbotene Schrift, und zwar war es ein Fotoabzug in der Größe von einer Postkarte. Der Inhalt der Schrift behandelte die Inhaftierung u. Ermordung von Erich Mühsam in Oranienburg.“ (Wolf 3.6.1936)
Ende 1934 flieht Götze über die Tschechei, Italien, Frankreich und Spanien. 1936 nehmen viele Anarchisten als Mitglied der 1934 gebildeten DAS (Deutsche Anarchosyndikalisten im Ausland) am Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten derConfederación Nacional del Trabajo (CNT) und der Federación Anarquista Ibérica(FAI) teil. Die sowjetische Geheimpolizei verfolgt ihn. Er flieht nach Norwegen (1938) und findet schließlich in Schweden seine neue Heimat, wo er 1985 stirbt.
Ferdinand Götze ist der Sohn von Anna Götze (1875-1958). Beide, sowie auch Ferdinands Schwester Irma und ihr Freund Karl Brauner (1914-1994) engagieren sich in der FAUD. Ebenso Ferdinands Frau, Elly Büchner. In Götzes Leipziger Wohnung Siegesmundstraße 6 führen sie avantgardistische Gespräche über Liebe, Sexualität und Faschismus. – Es ist meines Erachtens eine realistische Annahme, dass Otto Wolf auch bei den Götzes in Leipzig war. Auch vonMax Römer wissen wir um diese enge Verbindung. In der Vernehmung im Juni 1937 gibt Otto Wolf an, den Schriftsetzer Paul Bauer, wohnhaft Leipzig, Marienstrasse 24, seit 1920 zu kennen, der ebenfalls bis 1933 in der FAUD sehr aktiv war. Freundschaftliche Verbindungen bestanden seit 1930 zum Arbeiter und FAUD-Mitglied Herbert Schäfer in Riesa-Gröba. Kontakt hielte er zu Richard Thiede aus Leipzig. „Im Laufe einer Aktion der Gestapo gegen die illegale FAUD im Bezirk Leipzig die zur Festnahme des Provinzialen Börsenkassierers Richard Thiede führte,“ heisst es in der Anklageschrift (verfasst von Oberstaatsanwalt Potjan, Generalstaatsanwaltschaft beim Kammergericht Berlin) am 31. Juli 1937: „wurden Verbindungen der Reichsleitung nach Naumburg, Bitterfeld und Holzweißig festgestellt. Die Verbindungen waren von dem ins Ausland geflüchteten Reichsleiter der illegalen Organisation Ferdinand Götze geknüpft. Ziel war frühere Mitglieder organisatorisch zusammenzuschließen. Die FAUD wollte in indirekten Aktionendie gesamte staatliche und gesellschaftliche Ordnung beseitigen.“ Mit der in der Anklageschrift gegen Wolf genannten Zeitschrift „Deutschtum im Ausland“ ist sehr wahrscheinlich „Deutschtum im Ausland. Blätter zur Pflege deutscher Art“ gemeint. Dies ist ein Tarnname für die vier Ausgaben 1934/35 der in Barcelona, Amsterdam, Paris und Stockholm erscheinende
Sie wird von der IAA herausgegeben. In der zweiten Ausgabe vom Oktober / November 1934 erhält der Leser folgende Hinweise zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus:
Nicht weniger schwer wiegen bei der Verhandlung in Halle vor dem 5. Senat des Kammergerichts Berlin, die Aussagen früherer Weggefährten – Otto Schumann, Rudolf Nagel, Hermann Hesse und Voß aus Mertendorf sowie Franke aus Teuchern – zu dessen politischen Aktivitäten. Die Zeugen waren dabei, als sich Otto Wolf und Ferdinand Götze auf dem Grundstück im Spechsart 100 beziehungsweise Auenblick 18 – in den Jahren 1933 und 1934, etwa vierteljährlich trafen. Doktor jur. Gustav Hahn (Naumburg, Herrenstraße 5) teilt seinen Mandanten am 12. Oktober 1937 mit, dass er am Donnerstag in die Sprechstunde kommen soll, um „die vier ungünstigen Zeugenaussagen (zu) besprechen.“ Ungünstig? Es sind ehemalige Gleichgesinnte, die hier gegen Wolf aussagen. Das ist Verrat! Gegen die Angeklagten ergehen am 13. November 1937 folgende Urteile:
Für fünf Jahre aberkennt das Gericht Metka, Wolf und Ebert die bürgerlichen Ehrenrechte. In Naturalform bezahlt er 1937 seinen Strafverteidiger Dr. Gustav Hahn aus Naumburg.
Als Häftling im „Roten Ochsen“ (Halle) arbeitet Otto Wolf zeitweise in derGefangenen-Außenarbeitsstelle Saaledurchstich Trebitz bei Wettin. Hier dürfenihn seine Frau Martha und ihre Mutter am 28. August 1938 besuchen. Im Sommer des folgenden Jahres meldet er sich wieder. Auf einer Postkarte vom 27. Juli schreibt er an seine Frau in Naumburg:
Am 6. Dezember 1940 wird er aus dem Zuchthaus Halle („Roter Ochse“) nach Naumburg entlassen. Als ehemaliger politischer Strafgefangener unterliegt er der ständigen Aufsicht durch die Ortspolizeibehörde. Bereits vor seiner Entlassung, am 4. November 1940, erhält der Naumburger Oberbürgermeister durch die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Halle Instruktionen zur weiteren Überwachung von Otto Wolf. Dazu gehört nicht nur die Kontrolle seiner Meldepflicht. Es erfolgt eine umfassende Überwachung. Die Stapo fordert: “Die überwachte Person darf von der Überwachung – außerhalb der Überwachung – keine Kenntnis erhalten.“ Weiterhin soll verhindert werden,
Der Oberbürgermeister und der in Naumburg bei den Gegnern des Nationalsozialismus berüchtigten Krimanalsekretär Scholz melden am 4. Februar 1941 an die Stapo in Halle:
Bei der „Holzverarbeitungsfabrik“ könnte es sich vielleicht um die Werkstatt von Muck-Lamberty handeln …? Die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Halle, weist am 25. August 1941 den Oberbürgermeister Naumburg an, Otto Wolf weiter zu überwachen. Am 23. Mai 1942 wird die Meldepflicht für den Anarchisten aufgehoben. Aus dieser Zeit berichtet sein Sohn Peter (geboren 1928):
Vom 15. Januar 1943 datiert sein „Bereitstellungsbefehl“. Zusammen mit anderen Naumburger Antifaschisten zieht man ihn in die berüchtigte Strafdivision 999 nach Heuberg bei Sigmaringen (Württemberg) ein. Seiner Frau erzählt er, daß Angehörige der Strafeinheit, oft wegen geringfügiger Übertretungen der Vorschriften und Anweisungen, standrechtlich erschossen wurden.
erinnert sich Martha Wolf,
Er sagte zu mir:
Mit Datum vom 19. Januar 1944 erhält Martha per Brief von Kompaniechef Müller folgende Nachricht:
Otto Wolf prägten die Kämpfe in Leuna, die Weltwirtschaftskrise und seineErfahrungen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Der Werkmann trat für eine gerechte Verteilung der Lebenschancen, für Solidarität und politische Mitbestimmung ein. Ein Mann mit aufrechtem Charakter und ein lauterer Mensch.
Otto Wolf (1902-1943)
Seine große Liebe war Martha. Immer standen sie füreinander ein. Beide waren fest mit ihrer Heimat, der Stadt Naumburg und ihrem Häuschen mit Garten im Auenblick verbunden. Wie schwer muss es wohl gewesen sein, als Martha erfuhr, dass ihr Otto aus dem Kriegseinsatz n i e w i e d e r in den Auenblick zurückkehren wird? Ihr blieben liebevolle Zeilen, die er an sie nach der Überführung vom hiesigen Gefängnis in den Roten Ochsen (Halle) am 9. November 1937 schrieb:
Anmerkung: Im Dezember 2014 mussten an Hand von Archivmaterialen einige Daten korrigiert und bestimmte Textabschnitte mit Fakten ergänzt werden.
Anklageschrift von Oberstaatsanwalt Potjan gegen Alfred Metka und andere. Bundesarchiv Berlin NJ 13 128 Berner, Rudolf: Die Unsichtbare Front. Bericht über die illegale Arbeit in Deutschland (1937). Libertad Verlag Potsdam 1997 Bibliothek, Stiftung Gedenkstätten Sachsen, Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale), Am Kirchtor 20 b, 06108 Halle – 30. Juli 2008 Brief von Rechtsanwalt Dr. jur. Gustav Hahn, Herrenstraße 5, Naumburg (Saale), den 12. Oktober 1937 an Herrn Otto Wolf, Naumburg, Roonplatz 5 [Strafgefängnis Naumburg], unveröffentlicht Brief von Otto Wolf an [seine Frau] Martha Wolf in Naumburg/Saale, Spechsart 100 vom 9. November 1937, unveröffentlicht Brief von Rechtsanwalt Dr. jur. Gustav Hahn, Herrenstraße 5, Naumburg (Saale), den 19. November 1937 an Herrn Martha Wolf, Naumburg, Spechsart 100, unveröffentlicht Brief des Gefangenen=Außenarbeitsstelle, Saale Durchstich Trebitz, an Martha Wolf in Naumburg/Saale, Spechsart 100, vom 24. August 1938, unveröffentlicht Brief von Kompanie-Chef Müller (Dienststelle Fp. Nr. 56 926 B.) an Frau Wolf vom 19. Januar 1944. Amtlich beglaubigte Abschrift vom 17.2.1975, unveröffentlicht Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Halle (Saale), Halle, den 4. November 1939, an den Herrn Oberbürgermeister der Stadt Naumburg als Ortspolizeibehörde in Naumburg, Betrifft: Strafhäftling Otto Wolf, unveröffentlicht [Gerichtsgefängnis] Wolf, Otto [Mitteilung über die Einlieferung in das Gerichtsgefängnis]. Naumburg, 5. Juli 1937. Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, DY 55 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, DY 55/V 287/488 Entlassungsschein. Der Arbeiter Otto Wolf …. Zuchthaus Halle, Halle, den 6. Dezember 1940, unveröffentlicht Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht, Berlin, dem 9. Dezember 1940 Elßholzstraße 40, an den Herrn Oberbürgermeister der Stadt Naumburg als Ortspolizeibehörde in Naumburg, in der Strafsache gegen Metka [Otto Wolf], unveröffentlicht Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Halle (Saale), Halle, den 4. November 1940, an den Herrn Oberbürgermeister der Stadt Naumburg als Ortspolizeibehörde in Naumburg, Betrifft: Nachüberwachung des – der Otto Wolf, unveröffentlicht Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Halle (Saale), Halle, den 23. Mai 1941, an den Herrn Oberbürgermeister der Stadt Naumburg als Ortspolizeibehörde in Naumburg, Betrifft: Nachüberwachung des – der Otto Wolf, unveröffentlicht Jäger, Rudolf [Aussage zur Tätigkeit in der FAUD (Freie Arbeiter-Union)]. Bundesarchiv Berlin, Bestandssignatur: DY 55 / Archivnummer. V 287/488 Kaufmann, Eberhard: Topfstricker in der Wolfsschlucht. Die Naumburger Moritzstraße. „Naumburger Tageblatt“, Burgenland-Journal, Naumburg, den 25. Juni 2005 [a], Seite VII Kaufmann, Eberhard: Gasse des Handwerks und Gewerbe. Naumburger Moritzstraße erlebte Blütezeit im frühen 20. Jahrhundert – Verfall in der Nachkriegszeit – Heute stehen viele Gebäude leer. In: „Naumburger Tageblatt“, Burgenland-Journal, Naumburg, den 25. Juni 2005 [b], Seite VII Kurzbiografie über Otto Wolf. Herkunft unbekannt, Jahr 1960 (nur grobe Schätzung möglich), unveröffentlicht Mehringer, Helmut: Anarcho-Sydikalisten. In: Lexikon des deutschen Widerstandes, Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1994, Seite 161 ff. Staatsanwalt Bischoff gegen Alfred Metka (geboren 9. April 1898) und andere. Bundesarchiv Berlin NJ 13 128 Thälmann, Ernst: Wir stürmen für Sowjetdeutschland! Rede in Hamburg 8. August 1930. Ernst Thälmann Reden und Aufsätze. Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Band 2, Auswahl aus den Jahren November 1928 bis September 1930, Dietz Verlag Berlin 1956, Seite 151 ff. Vernehmungsprotokoll Otto Wolf der Ortspolizeibehörde Naumburg vom 2. Juni 1937. Bundesarchiv Berlin, Finckensteinallee 63, DY 55/V 287/488, Archivnummer: V 287/488 Vertrauliche Information über die Verhaftung von Otto Wolf, 5. Juni 1937. Bundesarchiv Berlin, Finckensteinallee 63, DY 55/V 287/488 Vfg. [ [Verfügung] 1. Schreiben an die Staatspolizeistelle Halle (Saale), Nmb., den 4. Februar 1941, D.Obgm. als OPBeh. [Der Oberbürgermeister als Ortpolizeibehörde] i.V. [Unterschrift], unveröffentlicht [Wolf, Otto] Zur Person. Aus Vernehmungsprotokoll Otto Wolf der Ortspolizeibehörde Naumburg vom 2. Juni 1937. Bundesarchiv Berlin, Finckensteinallee 63, Bestandssignatur DY 55, Archivnummer: V 287/488 Wolf, Otto. Postkarte an [seine Frau] Martha Wolf in Naumburg/Saale, Spechsart 100, vom 28. Juli 1937 [Poststempel], unveröffentlicht Wolf,Otto. An [seine Frau] Martha Wolf in Naumburg/Saale, Spechsart 100, vom 9. November 1937 [Poststempel], unveröffentlicht Wolf, Otto: Ein Märzkämpfer des Jahres 1921 in Leuna. Ein Dokument der Kommission zur Erforschung der Betriebsgeschichte bei der Kreisleitung der SED des VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, 1982, unveröffentlicht [Wolf, Otto] Zur Person. Aus Vernehmungsprotokoll Otto Wolf der Ortspolizeibehörde Naumburg vom 2. Juni 1937. Bundesarchiv Berlin, Finckensteinallee 63, DY 55/V 287/488 Wolf, Otto: Urteil der Sitzung des Landgerichts Wittenberg vom 13. Mai 1921. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, Wittenberger Strafprozessakten des Staatsanwalts beim Landgericht Wittenberg, Rep. C 133 Wolf, Otto Karl August: Zur Person [Vernehmungsprotokoll]. 3. Juli 1937. Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, DY 55 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, DY 55/V 287/488 Wolf, Otto [zu]. In: Dokumentation, Bundesarchiv Berlin, NJ 13 128 Zitzmann, Friedrich (Hünstetten-Wallbach): Meine Kindheit in der Moritzstraße. Internetseite des Stadtmuseums Naumburg, www.museumnaumburg.de, Januar 2006
Weiterführende Literatur Berner, Rudolf : Die Unsichtbare Front. Bericht über die illegale Arbeit in Deutschland (1937). Libertad Verlag Potsdam, 1997 Döhring, Helge: Generalstreik: Abwehrstreik…Proteststreik…Massenstreik? Streiktheorien und -diskussionen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie vor 1914. Grundlagen zum Generalstreik mit Ausblick, Edition Av, 2010 Helge Döhring, Roman Danyluk: FAU – Die ersten 30 Jahre (Broschiert), Edition Av, 2008 Die großen Streiks: Episoden aus dem Klassenkampf (Broschiert) von Helge Döhring (Autor), Holger Marcks (Herausgeber), Matthias Seiffert (Herausgeber) Danksagung * Bild mit Ferdinand Götze (1907-1985) aus: Rudolf Berner: Die Unsichtbare Front. Bericht über die illegale Arbeit in Deutschland (1937). Libertad Verlag Potsdam, 1997. Postfach 800 162, D-14427 Potsdam. Im Buchhandel unter ISBN-Nr.: 3-922226-23-X. – siehe auch: http://www.libertad-verlag.de/libertad_507.htm ** Ich danke herzlich Herrn Wilfried Hoog (Köln) von radio chiflado für die Überlassung des Radio-Beitrags zu Anna Götze – 6. Oktober 2008. Herzlich Dank an Helge Döhring (Bremen) für die Quellenhinweise und die inhaltliche Unterstützung zumJahr 1923. – 2. August 2009
Nachtrag 19. Februar 2012 Zur Würdigung von Otto Wolf (Naumburg) siehe auch: Mit Vorlage dieser Website über Otto Wolf (Naumburg an der Saale) publizierte Helge Döhring (Bremen) eine weitere biografische Arbeit: Helge Döring: Kein Befehlen, kein Gehorchen! Die Geschichte der syndikalistisch-anarchistischen Jugend in Deutschland seit 1918. Apropos Verlag, Bern 2011, Seite 218 bis 222 |
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Autor: Detlef Belau |
Geschrieben: April 2005. Aktualisiert: 20. Februar 2012 / 27. Dezember 2014 |