Strike-Bike als Marke

02. Oktober 2007   auf www.heise.de

Eine kleine Fahrradfabrik in Thüringen, die geschlossen werden sollte und von den Arbeitern nun als selbstverwalteter Betrieb fortgeführt wird, hat eine erfolgreiche Kampagne starten können

Eine kleine Fahrradfabrik im thüringischen Nordhausen fand Aufmerksamkeit in GriechenlandUngarn und den USA und schafft einen Nachfrageboom bei Fahrrädern. Die 135 Mitarbeiter des Zweigwerks der Firma Bike-Systems in Thüringen können wieder Hoffnung schöpfen, ihre Arbeitsplätze zu behalten, seit sie mit Unterstützung der kleinen anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter-Union auf die Idee kamen, ein Strike-Bike zu produzieren. Von einen überwältigenden Erfolg des Aufrufs sprechen die Arbeiter und ihre Unterstützer jetzt. Dabei waren die Arbeiter vor wenigen Monaten eher verzweifelt als optimistisch.

Das Strike Bike als Damen-Fahrrad
Als sich abzeichnete, dass es für die Firma keine Investoren gab, besetzten die 135 Beschäftigen das Werk am 10. Juli 2007. Für sie stand viel auf dem Spiel. Die Arbeitslosigkeit in der Region ist hoch.. Die Fabrik war 1986 als VfB IFA Motorenwerk gegründet worden und hatte nach der Wende unterschiedliche Eigentümer.

Nach längeren finanziellen Problemen wurden zum 22.12.2005 die Werke Neukirch-Sachsen mit knapp 230 Mitarbeitern und die Fabrik in Nordhausen-Thüringen von einer Tochtergesellschaft des US-amerikanischen Finanzinvestor Lone Star mit dem Ziel gekauft, diese fit für den Weltmarkt zu machen. Schon wenige Wochen später war klar, dass eine der beiden Firmen aus Rentabilitätsgründen geschlossen werden wird. Am 30.Juni wurde bekannt gegeben, dass das Nordhausener Werk davon betroffen war. Bei Verhandlungen zwischen den Vertretern der Arbeitnehmer und der Geschäftsführung sollte es nur noch darum gehen, wie das Werk am schnellsten und günstigsten abgewickelt wird. Die Forderungen der Beschäftigten waren moderat. Sie wollten die Aufstellung eines Sozialplans, die Einrichtung einer Auffanggesellschaft und die Prüfung von Möglichkeiten zum Erhalt der Arbeitsplätze durchsetzen.

In der Fabrik gab es keine wahrnehmbaren gewerkschaftlichen Strukturen. Das dürfte das Management zum dem Fehlschluss verleitet haben, bei den Verhandlungen mauern zu können. Statt zumindest Kompromissbereitschaft vorzutäuschen, beantragte die Geschäftsleitung die Räumung des Werk, das von der Belegschaft im Rahmen einer Betriebsversammlung seit dem 10.Juli besetzt gehalten wurde. Zwar demonstrierten alle politischen Kräfte mit den Beschäftigten Solidarität, doch nur die FAU machte mit dem Projekt Strike-Bike einen konkreten Vorschlag für einen Weiterbetrieb. Ein Aktivist schilderte den Kontakt zwischen Belegschaft und der anarchosyndikalistischen Gewerkschaft so:

Kaum jemand dort kannte die FAU, einige wussten zumindest grob, was der Anarchosyndikalismus ist. Doch unser konkreter Vorschlag wurde mit dem Kommentar aufgegriffen: Lasst es uns probieren. Wir haben nichts mehr zu verlieren.

Die Tatsache, dass DGB-Gewerkschaften in dem Werk nicht Fuß fassen konnten, hatte die pragmatische Zusammenarbeit mit der FAU sogar erleichtert. Denn durch feste DGB-Strukturen wird in der Regel sehr streng darauf geachtet, dass Konkurrenten von links dort gar nicht erst Fuß fassen können. Dazu werden mitunter auch Verbote und andere administrative Maßnahmen angewandt. Die Arbeiter in Nordhausen haben sich hingegen immer gegen jegliche Bevormundung von Parteien und Gewerkschaften gewandt.

Das Strike Bike als Herren-Fahrrad

Traum von der Arbeiterselbstverwaltung

Die Aktivisten der FAU haben allerdings jetzt in der Belegschaft Achtung gewonnen, weil sich ihre Initiative „Strike-Bike“ als erfolgreich erwies. Schon knapp eine Woche nach dem Aufruf gab es ca. 1500 Bestellungen aus der ganzen Welt. Es ist schon erstaunlich, dass Menschen, die wahrscheinlich noch nie von Nordhausen gehört haben, ein Fahrrad zum stolzen Preis von 275 Euro ordern. Der Grund ist das Konzept der selbstverwalteten Produktion, das seit dem kurzen Sommer der Anarchie in Spanien 1936 viele Anhänger gefunden hat, obgleich seither alle Versuche immer nur kurzlebig waren, wie bei der auch international bekannten Uhrenfabrik Lip in Frankreich Anfang der 70er Jahre.

In letzter Zeit sorgten selbstverwaltete Fabrikein in Argentinien und Venezuela für Aufmerksamkeit. Wie in Nordhausen ging es in allen Beispielen immer um existentielle Nöte der Beschäftigten, in deren Werke niemand mehr investieren wollte. Doch die Selbstverwaltung sorgte bald auch für einen Bewusstseinswandel bei den Betroffenen, wie es sich beispielsweise bei der argentinischen Kachelfabrik Zanon zeigte. Ob den Nordhausener Fahrradwerkern genügend Zeit bleibt, damit sich die selbstverwaltete Arbeitsweise auch auf die Beziehungen der Beschäftigten auswirkt, ist noch offen. Selbst die Unterstützer gehen zunächst davon aus, dass die Produktion bis zum Jahresende weiter läuft.

Ob es dann weitergeht, wird auch davon abhängen, ob die Marke Strike-Bike eine Marke wird, für die die Kunden bereit sind, mehr Geld auszugeben. Bisher klappt das kontinuierlich bei Brandings wie Nike, Adidas etc. Nichtregierungsorganisationen versuchen schon seit Jahren umweltverträgliche Produktion oder fairen Handel zu einer Marke zu machen, für die es sich lohnt, mehr Geld auszugeben. Beim Bio-Label ist das ansatzweise gelungen. Nun muss sich zeigen, ob die selbstverwaltete Produktion zu einem ebenso erfolgreiches Kundenlabel werden kann. Dann könnte die kleine Fahrradfabrik in Nordhausen sogar eine Pilotfunktion erfüllen. (Peter Nowak)

[ssba]