Auf den Spuren der Arbeiter:innenbewegung in Düsseldorf – Ein Bericht

Am Samstag, den 13.04.2024 waren wir „Auf den Spuren der Arbeiter:innenbewegung“ in Düsseldorf unterwegs. Ganz besonders zwei Dinge haben uns interessiert.

Zum einen der „Syndikalistische Frauenbund“ (SFB), dessen erster Kongress am 15. Oktober 1921 in Düsseldorf stattfand. Die Gründung des SFB lässt sich bis in den März 1920 zurück verfolgen. In Berlin gab es eine Versammlung von Frauen, und im Nachhinein wurden dann vermutlich ab Mitte 1921 die ersten SFB Gruppen gegründet. Der Kongress fand im Lokal Reuter auf der Adlerstraße 44 in Düsseldorf statt. Zu den Delegierten gehörten aus Düsseldorf (50 Mitglieder):

Gerlach, Fränze, Ruhrtalstr. 2, Düsseldorf und
Wörndl, Henriette, Krahestr. 20, Düsseldorf

Milly Witkop und Herta Barwich haben mit der Broschüre: „Was will der Syndikalistische Frauenbund?“ die programmatische Basis zusammengefasst.

https://www.fau.org/materialien/historisches/art_021112-174843

Eine übrigens auch ganz aktuell wieder auf der politischen Agenda stehende Forderung des SFB war »Weg mit dem Abtreibungsparagraf und her mit dem Recht auf den eigenen Körper!«

Zum anderen ging es um die Düsseldorfer Fliesenleger und einen ihrer Herausragenden Organisatoren: Carl Windhoff

Die Fliesenleger konnten in Düsseldorf auf eine relativ lange und militante Geschichte zurückblicken. Carl Windhoff (* 09.11.1872), begann 1900 die Fliesenleger zu organisieren. Und 1905 mündeten seine Bemühungen in der Gründung der „Vereinigung der Fliesenleger Düsseldorfs und Umgebung“. Reichsweit schlossen sie sich der „Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (FVDG) an.

In den lokal organisierten Gewerkschaften der FVDG hingegen verblieben bis 1914 reichsweit nur etwa 8.000 Mitglieder, die einen konsequenten Antimilitarismus vertraten und den diktatorischen Verhältnissen der Kriegszeit ausgesetzt blieben.

Die Arbeitszeit der Düsseldorfer betrug vor dem Kriege 8 1/2 Stunden, damit dürften sie eine Ausnahme gebildet haben innerhalb der gesamten Arbeiterschaft.

Nach dem Verbot ihrer Organe zu Kriegsbegin brachte die FVDG zwei interne Periodika heraus, deren Erscheinen in den  Jahren 1915 und 1917 ebenfalls polizeilich untersagt wurde. Zu einem nicht geringen Teil bestanden diese aus Todesanzeigen. Nach Kriegsende wandten sich die Syndikalisten gegen den politischen und putschistischen Charakter der deutschen Revolution von 1918/19 und erinnerten daran, „sich mehr um die wirtschaftliche Macht zu bemühen und die Fabriken unter die Herrschaft der Arbeiterschaft zu bringen.“

Der Terror gegen die Lokalorganisierten bestand auch nach 1918/19 weiter und ging wesentlich von den Zentralverbänden aus, welche im Verein mit Kapitalisten und der Staatsmacht die Syndikalisten aus den Betrieben drängten: Wenn der Unternehmer nicht wollte, sogar mittels Streiks gegen die eigenen Kollegen!

Die Fliesenleger Düsseldorfs wehrten sich nicht nur erfolgreich. Es gelang ihnen, durch enorme Fleißarbeit und diplomatische Fähigkeiten, große Teile der von den Zentralverbänden enttäuschten revolutionären Arbeiterschaft des Rheinlandes und Ruhrgebietes zu sammeln und ab September 1919 zu Zehntausenden, nämlich aus der „Allgemeinen Bergarbeiter Union“ (Gelsenkirchen), sowie der Essener und Düsseldorfer „Allgemeinen Arbeiter-Union“, organisatorisch als „Freie Arbeiter Union“ (FAU) zusammenzufassen. [Am 15. und 16. September 1919 fand in Düsseldorf eine gemeinsame Konferenz statt, die von 105 Delegierten besucht war.]

Die Konferenz faßte auch den Beschluß, den beteiligten Organisationen vorzuschlagen, ihre bisherigen Namen aufzugeben und sich fortan als „Freie ArbeiterUnion Deutschlands“ (Syndikalisten) zu betätigen. Dieser Beschluß wurde auch auf dem 12. Kongress der FVDG in Berlin im Dezember desselben Jahres mit großer Mehrheit angenommen. Dadurch hatte sich die syndikalistische Bewegung Deutschlands mit einem Schlage verdoppelt und erreichte einen Mitgliederbestand von 120.000.

Allein in Düsseldorf waren im Jahre 1919 organisiert:
Alle Berufe und Bauberufe: 800 Mitglieder
Kommunalarbeiter: 4.000
Metallarbeiter: 11.400
Zusammen: 16.200

Die Fliesenleger waren von jeher gegen langfristige Tarifverträge eingetreten. In der Revolutionsphase 1918/19 setzten sie einen Tarifvertrag mit 24-ständiger Kündigungsfrist durch, auf Grund dessen sie von der Inflation weniger betroffen waren, als die anderen Arbeiterschichten. Da die Löhne der Fliesenleger in Düsseldorf 30% höher lagen als in benachbarten Städten, wurden auf Düsseldorfer Baustellen häufig auswärtige Firmen

angestellt. Der regionale Einfluß der syndikalistischen Fliesenleger, welche sogar ein eigenes Mitteilungsblatt herausgaben, war so groß, dass es im Jahre 1925 zur Gründung einer „Interessengemeinschaft aller organisierten Fliesenleger in Rheinland und Westfalen“ kam, welcher auch Mitglieder der Christlichen- und Zentralgewerkschaften angehörten. In Düsseldorf bestand eine solche Interessengemeinschaft schon seit 1921. Auf einer Konferenz 1925 wurde folgendes Regulativ für die Interessengemeinschaft verabschiedet, das deutlich die Handschrift der Syndikalisten trug [ https://duesseldorf.fau.org/2-die-duesseldorfer-fliesenleger/ ].

Eine eigene Düsseldorfer Fliesenlegerjugend wurde gegründet, und diese trug im Wesentlichen zur Stabilisierung der syndikalistischen Jugendbewegung in der Region bei. Nirgendwo anders in Deutschland ist die Gründung einer nach Beruf organisierten syndikalistischen Jugendorganisation bekannt geworden, das schafften nur die Fliesenleger:

„In zünftiger Tradition wurden hier die Jungen von den älteren Arbeitern (meist den Vätern) selbst eingearbeitet und angelernt. Die erwachsenen Arbeiter kontrollierten damit streng die Einstellung künftiger Gesellen, im doppelten Sinn: Sowohl die Zahl, als auch die Gesinnung. Die Bauunternehmer waren dabei ganz ausgeschaltet, was für die Jugendlichen hieß, dass ihr Gegenüber zunächst vor allem die proletarischen – Alten – selbst waren.“

Auch international waren die Fliesenleger dank der Düsseldorfer, erfolgreich. So wart Carl Windhoff aktiv in der „Internationalen syndikalistischen Bauarbeiter-Föderation“, dem branchenspezifischen Pendant zur „Internationalen Arbeiter-Assoziation“ (IAA). Als Funktionär und Delegierter referierte er im Jahre 1931 auf dem 4. IAA-Kongress in Madrid. Diese Internationale Bauarbeiter-Föderation blieb die einzige in Ansätzen funktionierende syndikalistische Brancheninternationale und gab in den Jahren 1931/32 mit dem „Presse-Dienst“ ein eigenes Organ heraus.

In einer Rede auf dem 18. Kongress der FAUD im Jahre 1930 konnte Windhoff berichten:

„Wir haben in verschiedenen rheinischen Orten Löhne erreicht, die um 30 bis 35 % höher sind als in den übrigen Orten. (…)
Wir waren die erste Organisation in Deutschland, welche unseren Kollegen vom Jahre 1923 ab 6 Tage Ferien bei vollem Lohn sicherte, was dann vielfach Nachahmung fand.
Wir haben erreicht, dass wir darüber bestimmen, wer eingestellt und wer entlassen wird. (…)
Wir haben die Zentralgewerkschaft genötigt, unsere Abmachungen mit zu unterschreiben.
Wir haben die staatlichen Schlichter ausgeschaltet.
Wir haben die schriftliche Bestimmung durchgesetzt: ‚Für alle Streitigkeiten sind die amtlichen und staatlichen Schlichtungsstellen auszuschalten, soweit dazu nicht ein gesetzlicher Zwang besteht.’ (…)
Wir haben in verschiedenen Verträgen durchgesetzt, dass nur Mitglieder unserer Fliesenleger-Organisation eingestellt werden.
Wir arbeiten täglich nur 7 ½ Stunden [1906 waren in der Baubranche noch 10 Stunden üblich] und am Sonnabend Nachmittag gar nicht.
Bei schlechter Konjunktur bestimmen wir, dass die Arbeitszeit weiter so verkürzt wird, dass keiner entlassen zu werden braucht. In der Zeit der jetzigen Massenarbeitslosigkeit ist die radikale Verkürzung der Arbeitszeit eine Notwendigkeit, für die alle Arbeiter und auch viele kleinbürgerliche Schichten Verständnis haben.
Wir arbeiten jetzt an der Durchsetzung der fünftägigen Arbeitswoche.“

Der solidarische Geist der Düsseldorfer kam besonders zum Ausdruck, als sie mit der beginnenden Arbeitslosigkeit 1929/30 einen Tarifvertrag durchsetzten, der die Fünftage-Woche und die abwechselnde Beschäftigung der Erwerbslosen vorsah. Weil der Tarifvertag von den Unternehmern nicht eingehalten wurde, streikten sie noch im Herbst 1932 sieben Wochen. Vom Präsidium des Landesarbeitsamtes Köln erhielt er im November 1932 die Drohung mit sechs Monaten Gefängnis, sollte er sich weiterhin für das „Krümpersystem“ einsetzen, welches vorsah, die Erwerbslosen abwechselnd zu beschäftigen.

Dennoch waren die Syndikalisten nicht kleinzukriegen:
Unter ihrem Druck und ihrer Führung traten mit ihnen in Düsseldorf noch im Oktober 1932 der Baugewerksbund und die „Christliche Baugewerkschaft“ in den Streik.

Im Sommer 1933 kam es bei ihm in der Grafenberger Allee 257 zur ersten Hausdurchsuchung und Verhaftung durch die Polizei. Bis März 1937 fanden insgesamt sieben Haussuchungen bei Windhoff statt. Am 23. Februar 1937 erfolgte eine erneute Verhaftung des nunmehr 64-jährigen und seiner Frau durch die Gestapo. Er sei „geistiger Kopf der Fliesenleger von Rheinland und Westfalen“ und wurde wegen „Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt. Er solle die Fliesenlegerorganisation „im geheimen“ weitergeführt, Versammlungen durchgeführt, Gelder weitergeleitet, an „den Baustellen zu Gewaltakten gegen die Unternehmer aufgefordert“ und schließlich einen Streik in Lippstadt inszeniert haben.
Dafür wurde Carl Windhoff zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt. Der Mitangeklagte Ernst Binder erinnerte sich im Jahre 1948: „Windhoff war noch während der Dauer des Prozesses im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte und führte seine Verteidigung selbst. In der Strafanstalt Lüttringhausen setzte, wahrscheinlich schon als Folge der langen Untersuchungshaft, ein schneller gesundheitlicher Verfall ein. Meines Wissens erlitt er mehrmals einen Gehirnschlag und wurde zur Beobachtung in das Lazarett der Strafanstalt Klingelpütz in Köln überführt. Als er von dort aus wieder nach Lüttringhausen überführt wurde, war W[indhoff] in einem körperlichen und geistigen Verfallszustand, dass er alsbald, noch vor Beendigung seiner Haftzeit, entlassen wurde. Carl Windhoff hat sich auch zuhause nicht mehr erholt und starb, offensichtlich an den Folgen der Haft, am 28. Mai 1941.“

 

Deutschland: Streik der syndikalistischen Fliesenleger in Düsseldorf

 

Zwei Tarifverträge!

 

[ssba]