Zwei Tarifverträge!

Zwei Tarifverträge!

Es soll hier nicht etwa die Frage für oder gegen Tarifverträge zur Debatte gestellt werden, sondern wir wollen nur folgend dem Hinweis in No. 2 des „Pressedienstes“ handeln. Die Monopolvormachtstellung der reformistischen Zentralorganisationen in Deutschland bei Abschlüssen von Tarifverträgen, mit ihren Klasseneinteilungen und Ausschaltungen
der davon betroffenen Arbeiterschaft macht es notwendig, dass wir uns mit dieser Angelegenheit beschäftigen und gebe ich deshalb zur besseren Information, Auszüge aus dem Reichstarif für das Hoch- u. Tiefbaugewerbe in Deutschland und lasse mich dabei von dem Gedanken leiten, das diese Auszüge besser überzeugen, als wie dies mit einer einfachen Beschreibung geschehen kann.
Im Gegensatz zu dem reformistischen Vertrag gebe ich einige Auszüge aus dem Tarifvertrag einer Fachgruppe (syndikalistische Fliesenleger Düsseldorf), die der syndikalistischen Bauarbeiter Föderation Deutschlands angeschlossen ist. Aus der Gegenüberstellung beider Tarifverträge, zeigt sich bei dem letzteren ganz offen der Charakter der Klassenkampforganisation, wo trotz kollektiven Tarif jeder davon betroffene Arbeiter unmittelbarer Träger des Abkommens ist.

Reichstarifvertrag für Hoch-, Beton-, Tiefbauarbeiten
zwischen den Arbeitgeberverbänden des deutschen Reiches
und den Spitzenverbänden der Arbeitnehmer, dem deutschen Baugewerksbund, dem Zentralverband der Zimmerer u. verwandter Berufsgenossen, dem Zentralverband christlicher Bauarbeiter, dem Zentralverband der Maschinisten und Heizer sowie Berufsgenossen
Deutschlands.

Anmerkung zum Geltungsbereich:
In diesem Abschnitt des § 1. Absatz 5, zeigt sich die Monopolstellung der reformistischen Organisationen durch ihre staatliche Anerkennung, aber auch gleichzeitig die völlige Ausschaltung der
Arbeiterschaft selbst, bei der Regelung der Lohn u. Arbeitsbedingungen. Denn durch die staatliche Allgemein-verbindlichkeitserklärung des betreffenden Tarifvertrages, schalten individuell abgeschlossene Arbeitsverträge bei der Betrachtung der
Klagefähigkeit aus, sobald die gegenpartei also der Unternehmer Mitglied der tariftragenden Organisation ist. Der § 5, welcher den Arbeitslohn in Klassen einteilt, kann wegen seiner Länge nur teilweise gegeben werden. So sagt der Abschnitt 2 des § 5: Der Stundenlohn ist unterschiedlich festzusetzen für alle Arbeiter-Gruppen bis zum vollendeten 19. Lebensjahr und über 19 Jahre (Vollarbeiter). Dann staffelt man die Löhne der Facharbeiter vom 16-19. Lebensjahr, und setzt für Hilfsarbeiter in derselben Altersklasse den Lohn um 17% niedriger als wie in den jeweiligen Stufen der Facharbeiter. Die Hilfsarbeiter (Voll- wie jugendliche Arbeiter) teilt man dann wiederum in zwei Klassen und zwar für den Hoch u. Tiefbau, bei letzteren ergibt sich der Unterschied aus der Entlohnung, denn der Tiefbauarbeiter liegt 20-25 % tiefer als der Lohn des Bauarbeiters aus dem Hochbaugewerbe. Platzarbeiter, Wächter u.s.w. stehen in der Entlohnung wiederum unter dem Tiefbauarbeiter.
Der Lohn der Facharbeiter staffelt sich nach den einzeln erfassten Branchen des Hoch u. Tiefbaugewerbes deren Zahl ungefähr 30 beträgt. Diese Löhne staffeln sich wiederum in die meist 5 Ortsklassen der einzelnen Tarifgebiete, die sich in großer Zahl über das gesamte Reichsgebiet verteilen. So das sich eine Klassierung der einzelnen Berufe des Hoch u. Tiefbaugewerbes ergibt, wie sie das ganze Wesen des Reformismus mit sich bringt. Von besonderem
Interesse ist dann noch der § 10 der die Ferien regelt.
Der Abschnitt 1. behandelt die Ferienansprüche der Arbeiter von 3 Tagen im ersten Beschäftigungsjahr bis zu 5 Tagen nach 3-jähriger Tätigkeit bei ein und derselben Firma. Die Voraussetzung auf
Ferienanspruch im Jahre, besteht in einer ununterbrochenen
Zugehörigkeit zu ein und demselben Betrieb von 36 Wochen. Dazu kommen noch allerlei Ergänzungen doch wird auch der Unbefangene sagen, dass die Ferienfestsetzung nur Sand in den
Augen des größten Teils der bauarbeiterschaft ist.
(…)
Anmerkung:
Kameraden, soweit der Reichstarif für das Baugewerbe in Deutschland. Ich glaube treffender keinen Beweis über den wahren Charakter der reformistischen Zentralverbände bringen zu können,
als wie es mit der Übermittlung des Reichstarifvertrages geschehen ist. Das diesen Steigbügelhaltern des Kapitals, diese vortrefflichen Klauselierungen, gerade in der jetzigen Lohnabbauwelle zum Verhängnis geworden sind, trägt nur zur Erhärtung meiner Behauptungen bei.
Das es auch anders geht beweist der Tarif unserer Düsseldorfer Organisation und gewinnt dieser Vertrag doppelt an Bedeutung, da er sich auf den Klassenkampf aufbaut und auch gleichzeitig die
Tarifauffassung der anarcho-syndikalistischen Bauarbeiter
Deutschlands kennzeichnet.

Arbeits-Vertrag:
Lohn und Akkordtarif für das Fliesengewerbe Düsseldorf u. Umgebung.

§ 1 – Vertragsschließende:
Vorliegender vertrag ist abgeschlossen und gegenseitig anerkannt von der Arbeitgeber-Vereinigung angehörenden Plattierungsgeschäften in Düsseldorf u. Umgebung – inkl. Neuss einerseits und der Freien Vereinigung der Fliesenleger, angeschlossen der Freien Arbeiter-Union (Syndikalisten) sowie dem deutschen Baugewerksbund andererseits.
§ 2 – Geltungsbereich:
Dieser Vertrag gilt für alle Arbeitsstätten in Düsseldorf u. Umgebung einschließlich Neuss und für alle auswärtigen Arbeitsstätten, wo von Plattengeschäften oder Unternehmern obengenanter Orte
Plattenarbeiten ausgeführt werden. Der Sitz des Geschäftes ist für die Auslegung und Bezahlung des Tarifes und der Zulagen maßgebend.
§ 3 – Arbeitszeit:
Die Arbeitszeit beträgt 8 Stunden, jedoch ist Samstag um 1 Uhr Schluß. In Zeiten schlechter Konjunktur ist die vorhandene Arbeit, so einzustellen und die Arbeitszeit so zu kürzen, dass alle Leger gleichmäßig Beschäftigung und Verdienst haben. Sollte es dann noch nicht möglich sein, alle Leger zu beschäftigen, dann sind diejenigen Leger auszuschalten, in deren Familie mehrere Personen am Verdienen sind. Ab 1.11.1930 wurde die 5 Tagewoche eingeführt.
§ 4 – Überstunden, Nacht- und Sonntagsarbeit:
Überstunden sowie Nachts- und Sonntagsarbeit und Arbeit an den gesetzlichen Feiertagen sind in besonderen Fällen zu leisten und dürfen nur gefordert werden, wenn durch deren Unterlassung Menschenleben in Gefahr kommen; Verkehrsstörungen eintreten, wenn Schäden durch Naturereignisse zu verhindern oder zu beseitigen sind; ferner bei dringenden Reparatur- und Installationsarbeiten in Theatern, Fabriken und bei ähnlichen Arbeiten. Als Überstunden, Nacht- und Sonntagsarbeit und als Arbeiten an gesetzlichen Feiertagen gelten:

  1. als Nachtarbeit jede Arbeit von abends 8 Uhr bis
    morgens 6 Uhr.
  2. Als Überstunden jede Arbeit in der zeit, die zwischen der Nachtarbeit und der normalen Arbeitszeit liegt.
  3. Als Sonntagsarbeit und Arbeit an gesetzlichen Feiertagen jede Arbeit an diesen Tagen von morgens 5 Uhr bis abends 12 Uhr. Für Überstunden wird ein Zuschlag von 25% gezahlt. Für Arbeit an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen, sowie für Nachtarbeit wird ein Zuschlag von 100% auf die Akkordsatztarife gezahlt.

§ 5 – Lohnabrechnung:
Für die Berechnung des Lohnes ist der Akkordtarif massgebend. Alle Arbeiten, für die in diesem Vertrag Akkordpreise festgelegt sind, werden nur in Akkord ausgeführt. Alle in diesem Tarif nicht
aufgeführten Arbeiten oder neuen Formen, für welche unter Anrufung eine Einigung über den Akkordsatz nicht erzielt wird, werden zum Stundenlohn mit 20% Zuschlag bezahlt.
§ 6 – Lohnzahlung:
Die Lohnzahlung umfasst eine Woche. Die Lohnzahlung findet jeden Freitag vor Feierabend an der Baustelle und wenn dies nicht möglich ist, in den Geschäftsräumen des Arbeitgeber, oder sofern der Arbeitnehmer nicht Nachhause gehen kann, an der Arbeitsstelle, bzw. durch Postsendung Freitagabend statt. Die Lohnperiode schließt Mittwochs. Abschlagszahlungen auf Akkordarbeiten sind an
den Lohntagen in Höhe von ungefähr 90% des verdienten Akkordlohnes zu leisten. Die Anträge auf
Abschlagszahlungen müssen spätestens bis Donnerstag morgens bestellt werden. Das Warten auf Material wird in Stundenlohn gezahlt, wenn der Leger dieses einen halben Tag vorher bestellt hat.
§ 7:
Regelt die in Deutschland üblichen Fragen der Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
§ 8 – Schlichtung und Streitigkeiten:
Streitigkeiten aus diesem Vertrag sind durch die örtlichen Schlichtungskommissionen, bestehend aus drei Arbeitgebern und drei Arbeitnehmern, schleunigst zu schlichten. Die beiderseitigen Vertragsschließenden wählen ihre Mitglieder. Der Vorsitzende wird in jeder Sitzung gewählt. Die Schlichtungskommission hat, wenn eben angängig, innerhalb 24 Stunden, spätestens aber 48 Stunden
zu tagen und sind vor dieser Tagung und während des Verfahrens, Streiks und Aussperrung oder ähnliche Maßnahmen irgendwelcher Art unter keinen Umständen zulässig. Anträge für die Schlichtungskommission sind schriftlich zu stellen an den Obmann
unter genauer Begründung des Streitfalles. Bei allen Streitigkeiten, sind die amtlichen und staatlichen Schlichtungsinstanzen auszuschalten, soweit hierzu kein Zwang besteht.
§ 9 – bringt örtliche Regelung.
§ 10 und 11 – Durchführung des Vertrages:
Alle im nachfolgenden Akkordtarif festgesetzten Preise sind Mindestpreise und dürfen unter keinen Umständen unterboten werden. Alle dem Tarif zuwiderlaufenden Abmachungen (billiger arbeiten sind nach dem Entscheid des Reichsarbeitsgerichtes
ungültig.) Der Stundenlohn beträgt 1,80 Mk. Soweit der Vertrag unserer Düsseldorfer Organisation.
Die Gegenüberstellung des § 8 dieses Vertrages, allein dürfte genügen um die von mir aufgestellte Behauptung gegenüber dem reformistischen vertrag zu rechtfertigen. Ein weiteres eingehen auf
die Gegensätze ist mir wegen des Platzmangels im „Pressedienst“ in dieser Nummer nicht möglich, doch werde ich in einer späteren Ausgabe darauf zurück greifen. Wie es ja auch den Antrag 3 der Madrider Konferenz entspricht. M.
Kasse:
An Beitrag ging von der norwegischen Landesföderation, für die Zeit von 1930-31, der Betrag von 88,37 Kr. ein.

• Presse-Dienst des ISBF, Jahrgang I, Dezember 1931,
Nummer 3 [8 hektografierte A 4 Seiten]

Quelle:https://muckracker.files.wordpress.com/2012/06/barrikade-4.pdf

[ssba]