Ein kurzer Bericht über das Leben der russischen anarchistischen Schwestern Anna und Tatiana.

Anna Garaseva in the 1920s-30s
Anna in den 1920/39er

Anna Garaseva und ihre ältere Schwester Tatiana waren die Töchter eines Lehrers, der in einer Turnhalle (High School) in Rjasan unterrichtete. Tatiana wurde 1901 geboren und Anna am 7. Dezember 1902. Im Jahre 1917 wurde Tatiana an der Moskauer Universität aufgenommen, wo sie die Vorlesungen des anarchistischen Professors Alexej Borowoi besuchte. Tatiana trat dem studentischen anarchistischen Klub bei, der sich hauptsächlich aus jungen Frauen zusammensetzt. Sie sah sich selbst als Anarcho-Syndikalistin.

Mit dem Tod des berühmten Anarchisten Peter Kropotkin forderten seine Familie und Mitarbeiter, dass die bolschewistische Regierung die inhaftierten Anarchisten freilassen sollte.

Unter ihnen waren Aron Baron, Topilin (selbst aus Rjasan, der 1921 erschossen wurde, um eine Gefängnisausbruch zu arrangieren) und andere Anarchisten, linke sozialistische Revolutionäre (SRs) und Makhnovisten, ukrainische anarchistische Guerillas.

Die Universitätslehrer Borowoi und Karelin baten den Cheka-Chef (Geheimpolizei), Dzerzhinsky, die Gefangenen freizulassen, aber er weigerte sich. Borowoi ging dann nach Lunatscharski, der sich gegen den bolschewistischen Führer Wladimir Lenin durchsetzte, um sechs der Gefangenen auf Bewährung freizulassen, der Rest blieb im Gefängnis.

Bei der Beerdigung von Kropotkin gab es eine große Beteiligung von den Universitäten und Tatiana war eine von denen, die einen Kranz von der anarchistischen Nabat Konföderation trugen (obwohl sie als Anarcho-Syndikalistin mit ihren Strategien nicht einverstanden war), um auf seinem Sarg zu liegen.

Sie kehrte nach Rjasan zurück, wo ihre Schwester noch immer lebte, nach Massenverhaftungen von Anarchisten und linken Sozialrevolutionären und der Unterdrückung der Arbeiterbewegung gegen die Bolschewiki in Kronstadt. Anna trat in das Ryazan Pädagogische Institut ein und schloss sich dort der anarcho-syndikalistischen Gruppe an.

Die beiden Schwestern zogen dann nach Petrograd, wo sie als Krankenschwestern arbeiteten. Sie nahmen weiterhin an der anarcho-syndikalistischen Bewegung teil. Tatiana hielt Kontakt zu den Exilrevolutionären in Finnland und mietete einen Raum in einem Haus, das sich zufällig gegenüber den Fenstern des führenden Kommunisten Grigori Sinowjew befand. Sie wurde dort am 22. Mai 1925 verhaftet.

Bald darauf wurde Anna, die nach Rjasan zurückgekehrt war, im folgenden Jahr verhaftet und ein Bild von Topilin in ihrer Wohnung gefunden. Die beiden Schwestern wurden im Lubjanka-Gefängnis wiedervereinigt. Sie wurden beschuldigt, einer terroristischen anarchistischen Organisation anzugehören und Sinowjew zu töten.

Zu dieser Zeit war die Befragung von Politikern nicht mit Prügel oder Folter verbunden. Die Schwestern wurden zu drei Jahren Haft im Gefängnis für politische Isolatoren verurteilt, gefolgt von drei Jahren internem Exil. Sie verbrachten ihre Zeit im Gefängnis von Werchneuralsk, wo sie sich mit vielen anderen politischen Gefangenen trafen und befreundet waren, und schlossen sich ihnen zu kollektiven Protesten und Hungerstreiks an.

Darunter waren die rechte SR Katarina Olitskaya, der Anarchist Vsevolzhsky, der Neffe des Marschalls der Roten Armee Tuchatschewski und der Anarchist Kira Arkadevna Sturmer, die Nichte eines Zarenministers. In Swerdlowsk trafen sie Berta Brodova, die Ehefrau von Juri Podbelsky, einem SR, der am Antonow-Aufstand in Tambow beteiligt war (sein Bruder Vadim war Kommissar für Post und Telegraphen in der kommunistischen Regierung).

Im Jahr 1928 erkrankte Tatiana an Tuberkulose und wurde nach Chikment geschickt. Sie reichte eine Petition für eine Versetzung nach Hause nach Ryazan ein. Die Behörden stimmten dem zu, wenn sie ihre politischen Aktivitäten einstellte. Sie unterzeichnete eine entsprechende Erklärung zu diesem Zweck, wobei sie ihre Überzeugungen beibehielt. Tanya kehrte 1929 nach Ryazan zurück, wo sie bald von einer kürzlich veröffentlichten Anna begleitet wurde.

Im Exil heiratete Tatiana Nikolai Semenovich Doskalov, einen in Belgien geborenen Ex-Bolschewiki, der Mitte der 1920er Jahre an die Anarchosyndikalisten überging. Zusammen mit ihrem Mann zog sie nach Maikop, wo sie 1935 verhaftet wurde.

Nach dem ersten Gefängnisaufenthalt kehrte sie nach Moskau zurück und begann in der Lenin-Bibliothek zu arbeiten. Direktor der Bibliothek war Nevsky, ein ehemaliger Volkskommissar für Arbeit.

Tatjana zufolge war er der einzige anständige Kommunist, den sie je getroffen haben. Er hatte keine Angst, mit Stalin zu streiten, und er beschäftigte Leute, die nach der Welle der Säuberungen aus der Kommunistischen Partei vertrieben wurden. Er heuerte Tatiana und den alten SR Kolosova an. Im Jahr 1935 wurde Nevsky verhaftet und 1937 erschossen. Nach seiner Verhaftung flohen Tatiana und ihr Mann nach Maikop. Aber die Geheimpolizei hat sie eingeholt. Nikolai wurde während des Verhörs zu Tode geprügelt, und sie erhielt fünf Jahre im Lager Kolyma.

Es gab viele Kommunisten in Kolyma, darunter trotzkistische Oppositionelle, aber sie alle weigerten sich, etwas mit Anarchisten zu tun zu haben, die sie als Feinde der Revolution betrachteten. Sie traf Katya Olitskaya in Kolyma wieder.

Tatiana mit ihrer Tuberkulose hätte im schrecklichen Gefangenenlager von Kolyma nicht lange überlebt, wenn sie nicht im Lagerkrankenhaus gearbeitet hätte, nachdem einer ihrer Füße bei der Arbeit im Wald durch Erfrierungen amputiert wurde.Tatiana kehrte vor dem Krieg nach Rjasan zurück. Während des Krieges arbeiteten die Schwestern in einem Lazarett, und 1949 wurde Tatiana erneut nach Kolyma geschickt, wo sie bis 1954 blieb.

Die beiden Schwestern wurden 1958 rehabilitiert. Ab 1962 nahm Anna Kontakt mit dem Schriftsteller Alexander Solschenizyn auf, der sein riesiges Buch über den Gulag-Archipel zusammenstellte. Sie fungierte als seine „illegale Sekretärin“, half bei der Zusammenstellung von Informationen über die Lager, brachte ihn mit anderen in Kontakt, die in den Lagern gelitten hatten, und versteckte Dokumente für ihn. Die Schwestern waren der Meinung, dass das Buch über Kolyma, das „unser Auschwitz“ war, nicht genügend Informationen enthielt.

In ihren letzten Jahren war Anna enttäuscht von den vielen Jahren des Leidens und der Unterdrückung, lehnte ihre anarcho-syndikalistischen Überzeugungen ab und begann sich als anarchistische Individualistin zu verstehen.

Der anarchistische Journalist Igor Podshivalov führte 1994 ein Interview mit den Schwestern. Sie lebten in Rjasan mit kleinen Pensionen.

Sechs Monate später starb Anna am 11. Dezember 1994. Tatiana starb einige Zeit nach 1997.

1997 wurden Annas Memoiren über ihre Aktivitäten im anarchistischen Untergrund veröffentlicht.

Nick Heath (Beitrag übernommen von libcom.org)

Quellen

  1. Biographischer Artikel über Anna Garaseva
  2. Igor Podshivalov Artikel über die Garaseva-Schwestern

 

„Hier ist eine Passage aus Anna Garasevas Memoiren, die für die Untersuchung russischer Anarchisten relevant sind:

In einem meiner Bücher entdeckten sie einen Brief, den Tatiana mir aus Moskau schrieb – einen alten Brief, den sie im Februar 1921 schrieb, als sie an der Fakultät für Sozialwissenschaften der Moskauer Staatlichen Universität studierte und an Kropotkins Beerdigung teilnahm. …. Tatiana konnte in ihrem Brief die Beerdigung lebendig und anschaulich beschreiben, auch weil sie mit vielen Anarchisten aus dem Studentenmilieu vertraut war. . . . Ich fand ihren Brief interessant und beschloss, ihn zu speichern.
Ich weiß nicht, was die GPUs dachten, aber sie waren absolut begeistert von ihrem Fund. Der Brief wurde auf altes Postpapier geschrieben – schmal, lang, mit einer Überschrift auf der Oberseite, und in einen langen, vorrevolutionären Umschlag gelegt. Wahrscheinlich steht es noch immer in unserer Fallakte, denn Tatiana sah es 1948, als sie zum dritten Mal verhaftet wurde. Sie war wirklich erstaunt, dass der Brief überlebt hatte, aber ihr Vernehmungsbeamter versicherte ihr, dass solche Dinge immer aufbewahrt würden und dass Polizeiakten oberste Priorität hätten, wenn sie vor dem deutschen Angriff 1941 aus Moskau an einen sicheren Ort gebracht würden. (Seiten 71-72)“

Übersetzt mit www.DeepL.com/Translator

Otto Wolf (* 01.03.1902- † 08.10.1943)

naumburg1933.de und
naumburg-geschichte.de

Otto Wolf

zurück

Jugendzentrum Otto Wolf
Naumburg (2006)
Am 26. August 2005 übergab Oberbürgermeister Hilmar Preißer (CDU) das für 1 1/2 Millionen Euro von Grund auf sanierte Haus in der Poststraße an den Stadtjugendring Saale / Unstrut.

1908 als Jäger-Casino erbaut.

 

 

 

Von unserem Haus sah ich nur den Schatten

Blick in die Herrenstraße zum ehemaligen
Kaufhaus Cohen (fünftes Haus von
vorne rechts, 2006)

 

Seit 1930 geht der Markthelfer und Heizer Otto Wolf seiner Arbeit im Kaufhaus Cohn in der Herrenstraße nach, als er hier am 2. Juni 1937 verhaftet wird. Über seine Vernehmung am 3. Juni 1937 im Rathaus existiert ein Vernehmungsprotokoll. Bekannte erkennen ihn auf dem Weg vom Rathaus in das Polizeigefängnis am Jacobsring nur schwerlich wieder. Am 4. Juni 1937 wird er in Gerichtsgefängnis (Naumburg) eingeliefert.

Nicht erst jetzt beginnen die Schwierigkeiten in seinem Leben. In ärmlichen Verhältnissen wird er am 1. März 1902 in Leipzig-Kleinzschocher geboren. Als der Großvater 1905 stirbt, zieht die Familie Wolf nach Naumburg, erinnert sich Frau Margarete (Jahrgang 1913), die Schwester von Otto Wolf. (Vgl. Kaufmann 2005a)

 

 

Erinnerungen
von Friedrich Zitzmann (1923-1945) an die Moritzstraße
 
 

Nun noch zu all den vielen Geschäften, die in der Moritzstraße waren: Ein Korbflechter an der Ecke “Häbben”platz/Neuengüter zur Moritzstraße bildete den Anfang, dann gab es einen Kolonialwarenladen, wo es neben Lebensmitteln, Bonbon, Heringen auch Petroleum gab, ein Schornsteinfeger, eine Rind- und Schweineschlächterei, einen Schuster mit Schuhgeschäft und auch noch eine Wäscherolle (oder Mangel mit Handbetrieb), kleine Gärtnerei, Heilpraktiker und Autobesitzer, Tischlerei,

 

 

„Lebensmittel, Ecke Kanalstraße das Gasthaus “zum alten Fritz”, Obst und Gemüse, Friseur, Schneiderei, einen Lumpenmann: “Lumpen, Knochen, Alteisen und Papier” wurde auch damals schon gesammelt! Fahrrad und Radiogeschäft, auch traditionsgemäß eine Naumburger Kamm-Fabrikation, Heimarbeiter, ein Fuhrgeschäft mit zwei kleinen Pferden, Bäckerei, Kleinhandel mit Strick- und Wollsachen ist soweit alles, was noch hängen geblieben ist.“(Zitzmann)

 

 
Blicke in die Moritzstraße (2008)

In Naumburg übernehmen Ottos Eltern die von den Großeltern geführte Gaststätte Zur Wolfsschlucht – Moritzstraße 48 – nebst einem dazugehörigen kleinen Lebensmittelgeschäft. In die Gaststube, zu der noch ein Vereinszimmer gehört, gelangt man durch den Laden. Aus dem Vereinszimmer führt eine Tür in den Flur, von dem man zum Hof kommt. Hier befindet sich das Pissoir, in dem ihr Vater zu Tode stürzte, erzählt Margarete. Ein Versicherungsgeld gibt es nicht, weil die ärztliche Diagnose einen Herzschlag erkannte. Nach dem Tod der Großmutter muss das Haus verkauft werden und die Familie aus der zur Gaststätte gehörenden Wohnung in eine kleinere Wohnung im Haus umziehen. Zwölf Mietparteien teilen sich im Haus Moritzstraße 48 drei Plumpsklos ohne Wasserspülung. Zur Wohnung gehört neben der Küche, die als einziger Raum beheizbar ist, noch ein Raum in Richtung Garten und ein kleines Schlafzimmer. Unter dem Küchenfenster befindet sich die Aschengrube, die ebenfalls von allen Mietern genutzt wird. Wasser holt man sich auf dem Hof. In den zwanziger Jahren erfolgte die Elektrifizierung. 1919 wird die „Wolfsschlucht“ von Marta Wolf, der Witwe, betrieben. Doch bereits 1921 findet man sie nicht mehr im Branchenverzeichnis. (Nach Kaufmann 2005a und 2005b)

Otto Wolf ist elf Jahre alt, als der Vater stirbt beziehungsweise verunglückt. Aufgrund der schwierigen wirtschaftlichen Lage der Familie muss er nach Absolvierung der Grundschule als Hilfsarbeiter zum Lebensunterhalt seiner Familie (Mutter und jüngere Schwester) beitragen. Deshalb kann er keinen Beruf erlernen und erlebt so sehr früh die strukturelle Gewalt der Ökonomie.

1917 stellt ihn eine Baufirma in Leuna als Hilfsarbeiter ein. Im Jahr darauf tritt er der Freien Sozialistischen Jugend bei. Im Leuna-Werk beteiligt er sich 1921 aktiv an den militärischen Kämpfen. Wegen Teilnahme am bewaffneten Haufen stellt man ihn vor das Landgericht Wittenberg. Das Urteil fällt in der Sitzung vom 13. Mai 1921: ein Jahr Gefängnis. Sein Rechtsanwalt Alfred Weyler aus Merseburg besteht in seinem Gnadengesuch vom 1. November 1921 darauf:

„Wolf ist jugendlicher Idealist, aber sehr rechtschaffend und ehrlich, nicht vorbestraft und zeigt eine selten in diesem Alter findende Wissbegierde.“

Am 13. März 1922 wird der GefangeneMoritzstraße 48 Naumburg, Gasse des Handwerks und Gewerbes, entlassen (Vgl. Kaufmann 2005b, Wolf 1921).

Ein Leuna-Kämpfer hat es schwer eine bezahlte Arbeit zu finden. Überdies erhält er wegen Diebstahl noch eine weitere Vorstrafe (vgl. Wolf 3.6.1937). Im Übrigen ist Langzeitarbeitslosigkeit für die Naumburger in den zwanziger Jahren nichts Besonderes. Von kurzen Episoden unterbrochen, hält diese bei Otto Wolf bis 1934 an.

1927 heiratet er Marta, geborene Thiersch. Ein Jahr darauf wird Sohn Peter geboren. 1930 pachtet er im Spechsart 100, heute Auenblick 18, für jährlich 480 Reichsmark 3 Morgen Acker. Hier wohnt jetzt die Familie. Ich „beschäftige mich hauptsächlich mit Obst- und Gemüsebau, sowie Viehzucht“, teilt er im Verhör am 3. Juni 1937 der Naumburger Ortspolizeibehörde mit. Dies hilft, die schwere Zeit mit geringem Einkommen zu überstehen. Seine Frau betreibt ab 1936 eine Wandergewerbe mit Hausschuhen.

Der sozialistische Freidenker

„Wir haben gegen die kommunistischen Freidenker gewiss nichts einzuwenden; wir sind parteipolitisch neutral. Aber wir können nicht einsehen, daß eine Organisation zu ihrem Gedeihen unbedingt der KP-Zentrale unterstehen und eine Sektion der Moskauer Internationalen bilden muß. Im Gegenteil. Wir haben die Erfahrung zu verzeichnen, daß es den Tod einer Organisation bedeutet, wenn sie sich zum willenlosen Anhängsel der KPD degradieren läßt.“

Aus: Der sozialistische Freidenker. Zeitschrift des Bundes sozialistische Freidenker, Leipzig S 53, Elisenstraße 85, Januar 1927 (2. Jahrgang), Nr. 1, Seite 14

Er ist aktives Mitglied im Verein Die Naturfreunde, die sich zum demokratischen Sozialismus bekennen. Außerdem engagiert sich Otto im Verein der Gemeinschaft der proletarischen Freidenker (GpF). Damit weiß er sich in einer Tradition, die 1905 mit der Gründung der Freidenker für Feuerbestattung beginnt, woraus sich 1908 der Zentralverband Deutscher Freidenker formiert und ab 1922 als Gemeinschaft proletarischer Freidenker agiert. Die Freidenker möchten eine konsequente Trennung von Staat und Kirche, die Förderung der naturwissenschaftlichen Bildung, weltanschauliche Toleranz und die Befreiung von repressiv-religiösen Glaubensbekenntnissen – immer eng verbunden mit dem Suchen und Streben nach einem aktiven, sinnerfüllten Leben. Otto Wolf leitet ab Mitte der 20er Jahre die GpF. Ihr Versammlungsort ist der Goldene Hahn, das zugleich Stammlokal der KPD ist. Bereits 1929 ruft die KPD zur Gründung eines Verbandes proletarischer Freidenker Deutschlands auf, der bereits im Mai 1932 verboten wird.

„Aufruf!
am Sonnabend, den 10. März 1923, abends 1/2 8 Uhr, in Osterfeld bei Naumburg (Saale)
öffentlicher Propaganda-Abend
mit Kropotkin-Feier
Am Sonntag, 11. März, Aussprache zwecks Gründung einer Informationsstelle Naumburg. Hierauf anschließend geselliges Beisammensein. Aller Gruppen sowie einzelne Genossen sind hierzu herzlichst eingeladen.
Anfragen sind zu richten an Paul Bauer, Naumburg (Saale), Roßbacher Str. 7a
Synd.-anarch. Jugend Naumburg (Saale)“

„Der freie Arbeiter“, Zeitung der Föderation kommunistischer Anarchisten Deutschlands, Nr. 10/1923

 

In seiner Hamburger Rede vom 8. August 1930 gibt Ernst Thälmann unter der Losung „Wir stürmen für Sowjetdeutschland!“ die Orientierung: „Wir dringen in alle proletarischen Massenorganisationen ein, in die Freidenkerorganisationen, in die Sportbewegung, in die Massen der am meisten ausgebeuteten Jungarbeiter, ja, wir dringen sogar in die Reichswehr ein – wie das rote Banner des Kreuzers „Emden“ bewies -, um die Kräfte der revolutionären Klassenfront zu verstärken.“

Aber – daraus lässt sich nicht die Position von Otto Wolf extrahieren. Als Vorsitzender der Ortsgruppe der GpF sucht er die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Linken Gruppen in der Stadt, nutzt dabei vielfältige Formen der Geselligkeit und alternativen Lebenskultur. Für ihn sind die Freidenker keine Unterabteilung der KPD, wie Der sozialistische Freidenker 1927 im Heft Nummer eins ausführt (siehe oben).

 

„Aufruf! An alle Gruppen der SAJD

[Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands – In Naumburg gab es sie nachweislich von 1923 bis 1925.]

Am 27. und 28. Januar [1923] findet in Naumburg a. S. eine Treffahrt statt. Sonnabend, den 27. Januar öffentliche Volks- und Jugendversammlung im Schützenhaus. Sonntag früh 8 Uhr Fahrt nach der Schönburg. Aussprache aller anwesenden Gruppen. Bleibe ist die Jugendherberge. Decken sind mitzubringen. Wir bitten alle, die mitkommen, dem Genossen Paul Bauer, Naumburg a. Saale, Roßbacher Str. 7a sofort Mitteilung zu machen.

Die Unkosten für dieses Treffen, welches hauptsächlich eine Propagandaaktion sein soll, betragen bis jetzt ungefähr 5000 Mk [Mark]. Wir bitten die Gruppen, die in der Lage sind, uns in dieser Beziehung bei der Aufbringung Des Geldes behilflich zu sein, dies an obengenannten Genossen, der die Vorarbeiten zu leisten hat, einzusenden.

Mit proletarischem Jugendgruß!

Bezirksinformationsstelle der SAJD Groß-Thüringen.“

(Syndikalist, Nr. 2/1923)

 

Von 1918 bis 1919 gehört er der Freien Jugend an. Etwa ab 1921 bis zu ihrem Verbot leitet der Arbeiter die FAUD-Ortsgruppe (Naumburg). „In den ersten Jahren“, teilt er bei der Vernehmung im Jun 1937 mit, „zählte unsere Ortsgruppe etwa 40 Mitlgieder. Zuletzt gehörten wir nur noch 3 Mann der Ortsgruppe an.“

 

„Die anarcho-syndikalistischen Organisationen nehmen unter den linken Zwischengruppen insofern eine Sonderstellung ein, als es sich bei ihnen nicht um eine Abspaltung von KPD oder SPD in den letzten Jahren Weimarer Republik handelt, sondern ihre Anfänge bis in die Revolution von 1918/19 beziehungsweise in die Jahre der Sozialistengesetze zurückreicht. Die Anarcho-Syndikalisten bildeten somit von Anfang an einen autonomen Strang der Arbeiterbewegung im Kaiserreich und Weimarer Republik, und ihre grundsätzlich außer- beziehungsweise antiparlamentarische Orientierung machte Fragen der Konspiration und der illegalen politischen Arbeit von Anfang an zu konstitutiven Rahmenbedingungen ihrer politischen Existenz.“

Hartmut Mehringer: Anarcho-Syndikalisten. In: Lexikon des deutschen Widerstandes, 1994

Die FAUD (Freie Arbeiter-Union Deutschland) gründetesich am 15. September 1919 aus der Freien Vereinigung Deutscher Gewerkschaften (FVDG). Um 1925 zählt die Organisation etwa 200 000 Mitglieder. Ein Zentrum befindet sich im Ruhrgebiet. Viele ehemalige Kämpfer der „Roten Ruhrarmee“ gehören ihr an. Auf Initiative der FAUD schließen sich Weihnachten 1922 verschiedene anarchosyndikalistische Gruppen aus Europa und Amerika in Berlin in der Internationalen Arbeiter-Assoziation (IAA) zusammen; grundsätzlich anders im Führungsstil und in der Organisation als die Rote Gewerkschaftsinternationale (RGI). Die Anarchosyndikalisten engagieren sich in der Frauenbewegung, erstreben deren Emanzipation und gehen dabei unkonventionelle Wege oder initiieren alternative Wohnprojekte.

 

 

Nachrichten aus der Ortsgruppe der FAUD Naumburg:

„Zum 1. Vorsitzenden wurde [1923] gewählt Walter Wahnert, Gr. Wenzelstr. 20 (?), zum 1. Kassierer Richard Lange, Gr. Neustraße 7, zum Schriftführer Friedrich Balke, Neuer Steinweg 14.“ (Syndikalist, Nr. 4/1923)

„Die Ortsgruppe Naumburg musste acht gemaßregelte Genossen unterstützen und befand sich deshalb seit dem 1. April in finanziellen Nöten. Unser Aufruf um Solidarität im Börsenbezirk hatte leider wenig Erfolg. Aber die Erfurter Genossen opferten zur Unterstützung der Gemaßregelten 80.000 Mk [Mark]. Sowohl den Genossen in Erfurt als den Naumburger Genossen, die durch freiwillige Spenden tatkräftig beigesteuert haben, statten wir hiermit unseren Dank AB.

Die Mitgliederversammlung vom 30. April [1923] wählte zum Vorsitzenden den Gen. Willi Butzmann, Markt 13; zum Kassierer den Gen. Reinhold Lange, Große Neustr. 7. Zuschriften sind an den Vorsitzenden zu richten, in Kassenangelegenheiten an den Kassierer.“ (Syndikalist, Nr. 19/1923)

„In der am 29. Juli [1923] stattgefundenen Mitgliederversammlung wurden die Genossen Reinhold Lehmann, Willi Stellenberg, Hans Haak und Willi Butzmann als Geschäftsleitung gewählt. Sämtliche Zuschriften sind an den Genossen Butzmann, Naumburg a. D. S. Markt 13, zu richten“ (Syndikalist, Nr. 32/1923)

 

Ausserdem arbeitet er bei der Arbeiterbörse für Mitteldeutschland zwischen den Orten Bitterfeld, Eilenburg, Oschatz, Döbeln, Frankenberg, Chemnitz, Aue, Plauen, Saalfeld, Jena, Naumburg, Merseburg und Halle mit (vgl. Syndikalist, Nr. 23/1923).

Otto Wolf gehörte nicht der KPD an. Ihm fiel es schwer, die stalinistisch imprägnierten Führungsmethoden der KPD zu akzeptieren. Seine linke politische Grundhaltung macht ihn zur Hassfigur der Naumburger Nationalsozialisten. Darüber berichtet seine Frau Martha:

„Es war bereits dunkel, als mein Mann eines Abends gerufen wurde. – Komm mal raus, Otto.

 

Blick in Richtung des ehemaligen
Grundstücks
Auenblick 18 (2006) von Otto Wolf

 

So etwas kam öfters vor und war darum nichts Besonderes. Als er an die Tür ging, wurde gleich auf ihn geschossen. Zum Glück wurde er nicht getroffen. Aber die Geschoßeinschläge blieben noch Jahre im Türrahmen, bis zum Abbruch des Hauses. Wir benachrichtigten die Polizei, die ein Protokoll aufnahm. Dann hörten wir lange nichts darüber. Schließlich erhielten wir nach vielen Wochen den Bescheid, die Ermittlungen seien eingestellt. Die vorhandenen Spuren waren nicht untersucht worden. Es war offensichtlich, das niemand an der Aufklärung dieses Falles interessiert war. – Hätten die Nazis den Täter doch in ihren eigenen Reihen gefunden.“ (Wolf 1982)

Haus der Familie Wolf im Auenblick 18 –
Zeichnung von Otto Wolf

 

Nach der Machtübergabe an Hitler 1933 fanden im Haus von Otto Wolf immer wieder Hausdurchsuchungen statt. Er wird oft zu Vernehmungen vorgeladen. Sein Haus Spechsart 100 (1940 Auenblick 18), das längst nicht mehr steht, lässt sich schlecht unbemerkt überwachen. Seine Lage war gut für illegale Treffen und den Umschlag von Literatur geeignet.

Der Regierungspräsident von Merseburg entzieht ihm beziehungsweise seiner Ehefrau am 6. November 1936, also etwa ein halbes Jahr vor seiner Verhaftung, die Gewerbeberechtigung zum Handel mit Hausschuhen.Seine Schwester arbeitet im Kaufhaus Cohn als Verkäuferin. Otto findet hier 1934 als Heizer eine Anstellung. Schon weit vor seiner Verhaftung sucht die Polizei hier im Heizungskeller vergeblich nach illegalem Material.

 

Aufstellung
der im Stapobezirk Halle (Saale) erfassten
Anarchisten (Anarcho-Syndikalisten)

– Stand etwa 1938 –

Maurer Helmut Hergt, geboren 10.5.13 zu Leipzig-Mockau, verwitwet, RD., glaubenslos, wohnhaft gewesen Holzweissig, Ilsestr. 10 H. wurde am 19.08.37 festgenommen und am 13.11.1937 zu 1 Jahr u. 9 Mon. Gefängnis verurteilt. Er verbüsst z. Zt. seine Strafe in der Strafanstalt Naumburg / S.

Arbeiter Otto Wolf, geboren 11.3.02 zu Leipzig-Kl. Zschochau, verheiratet, RD., glaubenslos, wohnhaft gewesen Naumburg, Spechsart 100. W. wurde am 2.6.37 festgenommen und am 13.11.39 zu 3 Jahren u.6 Mon. Zuchthaus verurteilt. Er verbüßt z. Zt. Seine Strafe in der Strafanstalt Halle [Anmerkung vom Autor: Die Angaben zu Otto Wolf sind fehlerhaft.]

Invalide Robert Kirsch, geboren 4.4.79 zu Schelkau, verheiratet, RD., glaubenslos., wohnhaft gewesen Teuchern, Blumenstr. 3, K. wurde am 30.8.37 festgenommen und am 13.11.37 zu 1 Jahr und 6 Mon. Zuchthaus verurteilt. Er verbüßt z.Zt. seine Strafe in der Strafanstalt Halle.

Schlosser Otto Schumann, geboren 30.11.02 zu Schönburg, verheiratet RD., glaubenslos, wohnhaft Naumburg, Blücherstr. 2.

Schmied Rudolf Nagel, geboren 29.4.01 Freyburg/Ü., verheiratet, RD., glaubenslos, wohnhaft Naumburg, Am Galgenberg.

Schachtmeister Hermann Hesse, geboren 9.4.96 zu Mertendorf, verheiratet, RD., glaubenslos, wohnhaft Mertendorf Nr. 49.

Arbeiter Richard Voß, geboren 6.8.96 zu Mertendorf, verheiratet, RD., glaubenslos, wohnhaft Mertendorf Nr. 99.

Zimmerer Kurt Schiller, geboren 4.1.96 zu Mertendorf, wohnhaft Mertendorf Nr. 102.

Arbeiter Paul Schiller, geboren 5.5.06 zu Mertendorf, wohnhaft Mertendorf Nr. 102.

Arbeiter Willi Schröder, geboren 13.3.08 zu Mertendorf, wohnhaft Mertendorf.

Maurer Rudolf Voß, geboren 14.6.11 zu Mertendorf, wohnhaft Wethau b. Naumburg Nr. 38

Arbeiter Albin Wegel, geboren 21.3.89 zu Teuchern, wohnhaft Teuchern, Unterm Berge 9

„Bei den (…) aufgeführten Personen sind z.Zt. keine Anhaltspunkte gegeben, die sie als besonders attentatsverdächtig erscheinen lassen.“, so die Polizeistelle.

(Aus: Bundesarchiv, R 58, 319,1.)

Eine Zuarbeit von Helge Döhring aus Bremen.

 

Aber mit Beginn des spanischen Bürgerkrieges, schreibt Hartmut Mehringer in seinem Beitrag zum „Arnarcho-Syndikalisten“ (1994), „intensivierte die Gestapo ihre Fahndungs- und Verfolgungsmaßnahmen gegen die FAUD beträchtlich, da sie politische Attentate mit entsprechender Signalwirkung fürchtete. Im Frühjahr 1937 gelang es ihr, die Organisation der FAUD definitiv aufzurollen und auszuschalten. Allein in Westdeutschland wurden 100 Aktivisten verhaftet, in Leipzig etwa 40, in Berlin rund zwei Dutzend.“

Am 2. Juni 1937 wird Otto Wolf verhaftet. Die Vernehmung im Rathaus Naumburg erfolgt unter Anwendung von körperlicher Gewalt (Folter). Zwei Tage später kommt er in das Polizeigefängnis am Jacobsring. Den Haftbefehl stellt das Amtsgericht Naumburg am 4. Juni 1937 aus. Darüber wird Oberbürgermeister Friedrich Uebelhoer auf vertraulichem Weg infomiert.

Vom 12. bis 13. November 1937 tagt in Halle das 5. Kammergericht Berlin unter Leitung von Ministerialdirektor Jäger (Berlin) mit den Beisitzern Kammergerichtsrat Reeck, Kammergerichtsrat Dr. Taeniges, Dr. Stäckel und Amtsgerichtsrat Hübener. Die Staatsanwaltschaft stützt sich im Metka-Prozess auf den Bericht der Staatspolizei Leipzig vom 26. Mai 1937. Wolf und die anderen sind des

„hochverräterischen Unternehmens“

angeklagt,

„mit Gewalt oder durch Drohung mit Gewalt die Verfassung des Reiches“

ändern zu wollen. Sie möchten die Betriebe in die Hände der Arbeiter, den Boden in die Hände der Landarbeiter und Gärtner geben, also eine Enteignung der Besitzer.

„Deshalb kämpft mit uns gegen Hitler, für ein freies sozialistisches Rätedeutschland“,

war das Motto der Widerstandsgruppe laut Metka-Anklageschrift.

Die Staatsanwaltschaft stützt sich bei ihrer Beweisführung auf anarchistische Schriften, die Wolf von Ferdinand Götze übernahm. Es handelt sich dabei um die Zeitschriften

„Sozialistische Revolution“,
“Eßt deutsche Früchte…“ [Deckname]
und
„Deutschtum im Ausland“.

Otto Wolf: „Ostern 1933 kam mich Götze in meiner Wohnung besuchen.“ – Ferdinand Götze (1907-1985) zusammen mit
AnarchosyndikalistInnen auf dem Wolfschen Weingut
in Naumburg an der Saale (1933/34).
Götze rechts mit Hund.*

Mit der ersten Zeitschrift ist die „Die soziale Revolution“ gemeint, die Ferdinand Götze (1907-1985) herausgab. Der Modelltischler übernimmt im September 1933 die Leitung der FAUD und vernetzt alle lokalen Initiativen. In dieser Mission besucht er mehrmals die Familie Otto Wolf im Spechsart.

„Der Tischler Ferdinand Götze aus Leipzig“, gibt Otto Wolf bei seiner Vernehmung im Juni 1937 in Naumburg zu Protokoll, „ist mir von der früheren Bewegung her, in welcher er führender Funktionär war, persönlich bekannt. Er ist vor der Machtübernahme verschiedentlich in Naumburg in KPD- und SPD-Versammlungen als Diskussionsredner aufgetreten. Ostern 1933 kam mich Götze in meiner Wohnung besuchen. Er hat sämtliches Material von der Bewegung, das noch in meinem Besitz war, mitgenommen. …. Etwa zu Pfingsten 1933 kam Götze wieder zu mir. Er gab mir zu verstehen, dass er beauftragt sei, die Organisation der FAUD weiter zu führen ….

Er forderte mich schliesslich auf, meine früheren Gesinnungsgenossen weiter zu kassieren, um die illegale Zeitung herauszugeben. Ich habe mich damit einverstanden erklärt …. Nach einigen Monaten wurde ich wieder von Götze aufgesucht. Dies kann im Juli oder August 1933 gewesen sein. Bei dieser Gelegenheit zeigte er mit eine verbotene Schrift, und zwar war es ein Fotoabzug in der Größe von einer Postkarte. Der Inhalt der Schrift behandelte die Inhaftierung u. Ermordung von Erich Mühsam in Oranienburg.“ (Wolf 3.6.1936)

 

 

Aus der Anklageschrift des Generalstaatsanwalts des Berliner Kammergerichts vom 31. Juli 1937:

„Wolf brachte in seiner Wohnung eine Versammlung der früheren FAUD Mitglieder aus Naumburg u. Mertendorf zustande. Teilnehmer waren Götze, [Otto] Schumann [Lützowstrasse], [Rudolf] Nagel [Galgenberg], Voß und Hesse. Götze erläutert seine Pläne. Wolf gab Nagel die BroschüreEßt deutsche Früchte…. Wolf zeigte Genossen die illegale Broschüre. Ende 1934 war Götze erneut bei Wolf und erzählte, daß er ins Ausland gehe, und seine Familie sei schon fort. Wolf will die Broschüren dann verbrannt haben, weil Durchsuchungen bei ehemaligen Kommunisten vorgenommen wurden und Verhaftungen stattfanden.“

 

 

Ende 1934 flieht Götze über die Tschechei, Italien, Frankreich und Spanien. 1936 nehmen viele Anarchisten als Mitglied der 1934 gebildeten DAS (Deutsche Anarchosyndikalisten im Ausland) am Spanischen Bürgerkrieg auf Seiten derConfederación Nacional del Trabajo (CNT) und der Federación Anarquista Ibérica(FAI) teil. Die sowjetische Geheimpolizei verfolgt ihn. Er flieht nach Norwegen (1938) und findet schließlich in Schweden seine neue Heimat, wo er 1985 stirbt.

Radiobeitrag** zu
Anna Götze

hier hören
(mp3)
Dauer: 8 Minuten

Ferdinand Götze ist der Sohn von Anna Götze (1875-1958). Beide, sowie auch Ferdinands Schwester Irma und ihr Freund Karl Brauner (1914-1994) engagieren sich in der FAUD. Ebenso Ferdinands Frau, Elly Büchner. In Götzes Leipziger Wohnung Siegesmundstraße 6 führen sie avantgardistische Gespräche über Liebe, Sexualität und Faschismus. –

Es ist meines Erachtens eine realistische Annahme, dass Otto Wolf auch bei den Götzes in Leipzig war. Auch vonMax Römer wissen wir um diese enge Verbindung.

In der Vernehmung im Juni 1937 gibt Otto Wolf an, den Schriftsetzer Paul Bauer, wohnhaft Leipzig, Marienstrasse 24, seit 1920 zu kennen, der ebenfalls bis 1933 in der FAUD sehr aktiv war.

Freundschaftliche Verbindungen bestanden seit 1930 zum Arbeiter und FAUD-Mitglied Herbert Schäfer in Riesa-Gröba.

Kontakt hielte er zu Richard Thiede aus Leipzig. „Im Laufe einer Aktion der Gestapo gegen die illegale FAUD im Bezirk Leipzig die zur Festnahme des Provinzialen Börsenkassierers Richard Thiede führte,“ heisst es in der Anklageschrift (verfasst von Oberstaatsanwalt Potjan, Generalstaatsanwaltschaft beim Kammergericht Berlin) am 31. Juli 1937: „wurden Verbindungen der Reichsleitung nach Naumburg, Bitterfeld und Holzweißig festgestellt. Die Verbindungen waren von dem ins Ausland geflüchteten Reichsleiter der illegalen Organisation Ferdinand Götze geknüpft. Ziel war frühere Mitglieder organisatorisch zusammenzuschließen. Die FAUD wollte in indirekten Aktionendie gesamte staatliche und gesellschaftliche Ordnung beseitigen.“

Mit der in der Anklageschrift gegen Wolf genannten Zeitschrift

„Deutschtum im Ausland“

ist sehr wahrscheinlich

„Deutschtum im Ausland. Blätter zur Pflege deutscher Art“

gemeint. Dies ist ein Tarnname für die vier Ausgaben 1934/35 der in Barcelona, Amsterdam, Paris und Stockholm erscheinende

„Die Internationale. Anarchosyndikalistisches Organ“.

Sie wird von der IAA herausgegeben. In der zweiten Ausgabe vom Oktober / November 1934 erhält der Leser folgende Hinweise zum Widerstand gegen den Nationalsozialismus:

„Was der revolutionäre Arbeiter unterlässt. – Er hofft nicht auf die Reaktion und den Krieg, er träumt nicht von der Revolution ohne Risiko, er lebt nicht von Phrasen. Er tritt niemals freiwillig in eine Nazi-Organisation ein. Er gibt keinen Pfennig für den Bettelsozialismus der Nazisammlungen. Er grüßt nicht die Mörderfahne des nationalsozialistischen Regimes. Er trägt keine nationalsozialistischen und patriotischen Abzeichen. Er grüßt nicht mit Spalier bei Nazi-Aufmärschen. Er läßt sich nicht antreiben im Betrieb. Er schickt seine Kinder nicht in die nationalsozialistischen Jugendorganisationen. Er läßt seine Kinder nicht taufen und konfirmieren. Er tritt nicht wieder in die Kirche ein, wenn er einmal ausgetreten ist. Er abonniert keine Nazi-Zeitungen. Er übt keine nur negative Kritik an der Gestaltung der illegalen Arbeit.

Und was er tut! Er organisiert sich illegal und zahlt pünktlich seine Beiträge. Er sagt bei jeder Gelegenheit: Der Nationalsozialismus ist Deutschlands Unglück. Er verbreitet die Erkenntnis ‚Die Befreiung der Arbeiterschaft kann nur das Werk der Arbeiter selbst sein‘. Er liest aufmerksam seine illegale Zeitung, deren Inhalt er mündlich verbreitet und gibt sie weiter. Er kümmert sich um die Angelegenheiten seines Betriebes und seines Industriezweiges und bildet sich volkswirtschaftlich, um einmal in der Lage zu sein, an der Übernahme des Betriebes durch die Arbeiter und an der sozialistischen Reorganisation der Güterverteilung aktiv teilnehmen zu können. Er kämpft für die Sachen aller Arbeitenden und ohne für sich selbst Sonderrechte oder Dank zu verlangen. Er übt Solidarität und gegenseitige Hilfe und denkt zuletzt an sich, er ist bestrebt, ein Mensch zu sein.“

Haus von Otto Wolf

Nicht weniger schwer wiegen bei der Verhandlung in Halle vor dem 5. Senat des Kammergerichts Berlin, die Aussagen früherer Weggefährten – Otto Schumann, Rudolf Nagel, Hermann Hesse und Voß aus Mertendorf sowie Franke aus Teuchern – zu dessen politischen Aktivitäten. Die Zeugen waren dabei, als sich Otto Wolf und Ferdinand Götze auf dem Grundstück im Spechsart 100 beziehungsweise Auenblick 18 – in den Jahren 1933 und 1934, etwa vierteljährlich trafen.

Doktor jur. Gustav Hahn (Naumburg, Herrenstraße 5) teilt seinen Mandanten am 12. Oktober 1937 mit, dass er am Donnerstag in die Sprechstunde kommen soll, um „die vier ungünstigen Zeugenaussagen (zu) besprechen.“ Ungünstig? Es sind ehemalige Gleichgesinnte, die hier gegen Wolf aussagen. Das ist Verrat!

Gegen die Angeklagten ergehen am 13. November 1937 folgende Urteile:

Alfred Metka (geboren 9. April 1898) vier Jahre Zuchthaus,

Otto Wolf (geboren 11.03.1902) drei Jahre und sechs Monate Zuchthaus,

Hermann Ebert (geboren 25.9.1896) drei Jahre Zuchthaus,

Kirsch ein Jahr und sechs Monate Zuchthaus und

Helmut Hergt (geboren 10. Juni 1906) ein Jahr und neun Monate Zuchthaus.

Für fünf Jahre aberkennt das Gericht Metka, Wolf und Ebert die bürgerlichen Ehrenrechte.

In Naturalform bezahlt er 1937 seinen Strafverteidiger Dr. Gustav Hahn aus Naumburg.

 

 

Als Häftling im „Roten Ochsen“ (Halle) arbeitet Otto Wolf zeitweise in derGefangenen-Außenarbeitsstelle Saaledurchstich Trebitz bei Wettin. Hier dürfenihn seine Frau Martha und ihre Mutter am 28. August 1938 besuchen.

Im Sommer des folgenden Jahres meldet er sich wieder. Auf einer Postkarte vom 27. Juli schreibt er an seine Frau in Naumburg:

„Marthel,
ich habe mir dummerweise einige Strafen zugezogen, welche mich wie Dich mein liebes Mädel empfindlich treffen; ich darf u. anderen ein ¼ Jahr kein Besuch empfangen, auch darf ich Dir ein viertel Jahr nicht schreiben, ängstige Dich bitte nicht, ich will in Zukunft meinen Mann besser stehen (im Original: „stellen“) und versuchen dieses Manko wieder gut zu machen. Mein liebes Martchen, nun bist Du unterrichtet und brauchst Dir keine Gedanken machen, wenn ich einige Monate nichts von mir hören lasse.“

Am 6. Dezember 1940 wird er aus dem Zuchthaus Halle („Roter Ochse“) nach Naumburg entlassen.

Als ehemaliger politischer Strafgefangener unterliegt er der ständigen Aufsicht durch die Ortspolizeibehörde. Bereits vor seiner Entlassung, am 4. November 1940, erhält der Naumburger Oberbürgermeister durch die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Halle Instruktionen zur weiteren Überwachung von Otto Wolf. Dazu gehört nicht nur die Kontrolle seiner Meldepflicht. Es erfolgt eine umfassende Überwachung. Die Stapo fordert:

“Die überwachte Person darf von der Überwachung – außerhalb der Überwachung – keine Kenntnis erhalten.“

Weiterhin soll verhindert werden,

„daß die überwachte Person durch wirtschaftliche Notlage in die Arme der Staatsgegner getrieben wird.“

Der Oberbürgermeister und der in Naumburg bei den Gegnern des Nationalsozialismus berüchtigten Krimanalsekretär Scholz melden am 4. Februar 1941 an die Stapo in Halle:

„Wolf hat sich am 6. November 1940 nach seiner Entlassung sofort hier gemeldet. … Wolf hat gleich nach seiner Entlassung Beschäftigung in einer Holzverarbeitungsfabrik erhalten. Er geht seiner Beschäftigung regelmäßig nach und auskömmlichen Verdienst … Seinen Meldepflichten ist er bis jetzt immer nachgekommen.“

Bei der „Holzverarbeitungsfabrik“ könnte es sich vielleicht um die Werkstatt von Muck-Lamberty handeln …?

Die Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Halle, weist am 25. August 1941 den Oberbürgermeister Naumburg an, Otto Wolf weiter zu überwachen. Am 23. Mai 1942 wird die Meldepflicht für den Anarchisten aufgehoben. Aus dieser Zeit berichtet sein Sohn Peter (geboren 1928):

„Er hielt die Verbindungen zu Antifaschisten, wie Max Kramer, dem aus Buchenwald zurückgekehrten Kurt Schoderund anderen, aufrecht. Ständig wurden die Sendungen von Radio Moskau gehört und weitervermittelt, besonders an polnische und ukrainische Zwangsarbeiter, die in der Nähe arbeiteten und sich Früchte aus unserem Garten holten.“ (Wolf 1982)

Vom 15. Januar 1943 datiert sein „Bereitstellungsbefehl“. Zusammen mit anderen Naumburger Antifaschisten zieht man ihn in die berüchtigte Strafdivision 999 nach Heuberg bei Sigmaringen (Württemberg) ein. Seiner Frau erzählt er, daß Angehörige der Strafeinheit, oft wegen geringfügiger Übertretungen der Vorschriften und Anweisungen, standrechtlich erschossen wurden.

„Als ich zum letzten Mal bei meinem Mann war,“

erinnert sich Martha Wolf,

„meinte er, er glaube nicht, das er wieder nach Hause komme. Eigentlich wisse er es sogar bestimmt.“

Er sagte zu mir:

„Meine ganze Sorge gilt unserem Jungen. Erziehe Peter zu einem aufrechten Menschen.“

Mit Datum vom 19. Januar 1944 erhält Martha per Brief von Kompaniechef Müller folgende Nachricht:

„Am 8. Oktober 1943 befand sich die Kompanie auf dem Seetransport im Ägäischen Meer zum Einsatzgebiet als der Transporter von feindlichen U-Booten versenkt wurde. Ein großer Teil der Kompanieangehörigen konnte vom deutschen Seenotrettungsdienst gerettet werden. Unter den Geretteten befand sich ihr Gatte leider nicht. Von einem im Südraum eingesetzten deutschen Lazarett bekam die Kompanie bis zum heutigen Tage keine Benachrichtigung über eine event. Aufnahme. Es ist also mit Bestimmtheit anzunehmen, daß Ihr Gatte Schtz. Otto Wolf, wie viele seiner Kameraden, an diesem Tag den Heldentod in den Wellen des Ägäischen Meeres gefunden hat.“ (Wolf Brief)

Otto Wolf prägten die Kämpfe in Leuna, die Weltwirtschaftskrise und seineErfahrungen im Widerstand gegen den Nationalsozialismus. Der Werkmann trat für eine gerechte Verteilung der Lebenschancen, für Solidarität und politische Mitbestimmung ein. Ein Mann mit aufrechtem Charakter und ein lauterer Mensch.

 

Otto Wolf (1902-1943)

 

Seine große Liebe war Martha. Immer standen sie füreinander ein. Beide waren fest mit ihrer Heimat, der Stadt Naumburg und ihrem Häuschen mit Garten im Auenblick verbunden. Wie schwer muss es wohl gewesen sein, als Martha erfuhr, dass ihr Otto aus dem Kriegseinsatz  n i e  w i e d e r  in den Auenblick zurückkehren wird? Ihr blieben liebevolle Zeilen, die er an sie nach der Überführung vom hiesigen Gefängnis in den Roten Ochsen (Halle) am 9. November 1937 schrieb:

„Marthel,
die Reise [mit der Eisenbahn] von Naumburg hat mir Anfangs sehr schwer gefallen, denn wenn Du jedes Haus, jeden Baum, und Strauch sowie Bahnhof und Umgebung alles kennst, mir war zu Mute, als wenn ich die Heimat verlieren sollte, dann noch die bekannten Gesichter.
Von unserem Haus sah ich nur den Schatten.“

 

 

Anmerkung: Im Dezember 2014 mussten an Hand von Archivmaterialen einige Daten korrigiert und bestimmte Textabschnitte mit Fakten ergänzt werden.

 

Anklageschrift von Oberstaatsanwalt Potjan gegen Alfred Metka und andere. Bundesarchiv Berlin NJ 13 128

Berner, Rudolf: Die Unsichtbare Front. Bericht über die illegale Arbeit in Deutschland (1937). Libertad Verlag Potsdam 1997

Bibliothek, Stiftung Gedenkstätten Sachsen, Gedenkstätte ROTER OCHSE Halle (Saale), Am Kirchtor 20 b, 06108 Halle – 30. Juli 2008

Brief von Rechtsanwalt Dr. jur. Gustav Hahn, Herrenstraße 5, Naumburg (Saale), den 12. Oktober 1937 an Herrn Otto Wolf, Naumburg, Roonplatz 5 [Strafgefängnis Naumburg], unveröffentlicht

Brief von Otto Wolf an [seine Frau] Martha Wolf in Naumburg/Saale, Spechsart 100 vom 9. November 1937, unveröffentlicht

Brief von Rechtsanwalt Dr. jur. Gustav Hahn, Herrenstraße 5, Naumburg (Saale), den 19. November 1937 an Herrn Martha Wolf, Naumburg, Spechsart 100, unveröffentlicht

Brief des Gefangenen=Außenarbeitsstelle, Saale Durchstich Trebitz, an Martha Wolf in Naumburg/Saale, Spechsart 100, vom 24. August 1938, unveröffentlicht

Brief von Kompanie-Chef Müller (Dienststelle Fp. Nr. 56 926 B.) an Frau Wolf vom 19. Januar 1944. Amtlich beglaubigte Abschrift vom 17.2.1975, unveröffentlicht

Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Halle (Saale), Halle, den 4. November 1939, an den Herrn Oberbürgermeister der Stadt Naumburg als Ortspolizeibehörde in Naumburg, Betrifft: Strafhäftling Otto Wolf, unveröffentlicht

[Gerichtsgefängnis] Wolf, Otto [Mitteilung über die Einlieferung in das Gerichtsgefängnis]. Naumburg, 5. Juli 1937. Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, DY 55 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, DY 55/V 287/488

Entlassungsschein. Der Arbeiter Otto Wolf …. Zuchthaus Halle, Halle, den 6. Dezember 1940, unveröffentlicht

Generalstaatsanwalt bei dem Kammergericht, Berlin, dem 9. Dezember 1940 Elßholzstraße 40, an den Herrn Oberbürgermeister der Stadt Naumburg als Ortspolizeibehörde in Naumburg, in der Strafsache gegen Metka [Otto Wolf], unveröffentlicht

Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Halle (Saale), Halle, den 4. November 1940, an den Herrn Oberbürgermeister der Stadt Naumburg als Ortspolizeibehörde in Naumburg, Betrifft: Nachüberwachung des – der Otto Wolf, unveröffentlicht

Geheime Staatspolizei, Staatspolizeistelle Halle (Saale), Halle, den 23. Mai 1941, an den Herrn Oberbürgermeister der Stadt Naumburg als Ortspolizeibehörde in Naumburg, Betrifft: Nachüberwachung des – der Otto Wolf, unveröffentlicht

Jäger, Rudolf [Aussage zur Tätigkeit in der FAUD (Freie Arbeiter-Union)]. Bundesarchiv Berlin, Bestandssignatur: DY 55 / Archivnummer. V 287/488

Kaufmann, Eberhard: Topfstricker in der Wolfsschlucht. Die Naumburger Moritzstraße. „Naumburger Tageblatt“, Burgenland-Journal, Naumburg, den 25. Juni 2005 [a], Seite VII

Kaufmann, Eberhard: Gasse des Handwerks und Gewerbe. Naumburger Moritzstraße erlebte Blütezeit im frühen 20. Jahrhundert – Verfall in der Nachkriegszeit – Heute stehen viele Gebäude leer. In: „Naumburger Tageblatt“, Burgenland-Journal, Naumburg, den 25. Juni 2005 [b], Seite VII

Kurzbiografie über Otto Wolf. Herkunft unbekannt, Jahr 1960 (nur grobe Schätzung möglich), unveröffentlicht

Mehringer, Helmut: Anarcho-Sydikalisten. In: Lexikon des deutschen Widerstandes, Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 1994, Seite 161 ff.

Staatsanwalt Bischoff gegen Alfred Metka (geboren 9. April 1898) und andere. Bundesarchiv Berlin NJ 13 128

Thälmann, Ernst: Wir stürmen für Sowjetdeutschland! Rede in Hamburg 8. August 1930. Ernst Thälmann Reden und Aufsätze. Zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Band 2, Auswahl aus den Jahren November 1928 bis September 1930, Dietz Verlag Berlin 1956, Seite 151 ff.

Vernehmungsprotokoll Otto Wolf der Ortspolizeibehörde Naumburg vom 2. Juni 1937. Bundesarchiv Berlin, Finckensteinallee 63, DY 55/V 287/488, Archivnummer: V 287/488

Vertrauliche Information über die Verhaftung von Otto Wolf, 5. Juni 1937. Bundesarchiv Berlin, Finckensteinallee 63, DY 55/V 287/488

Vfg. [ [Verfügung] 1. Schreiben an die Staatspolizeistelle Halle (Saale), Nmb., den 4. Februar 1941, D.Obgm. als OPBeh. [Der Oberbürgermeister als Ortpolizeibehörde] i.V. [Unterschrift], unveröffentlicht

[Wolf, Otto] Zur Person. Aus Vernehmungsprotokoll Otto Wolf der Ortspolizeibehörde Naumburg vom 2. Juni 1937. Bundesarchiv Berlin, Finckensteinallee 63, Bestandssignatur DY 55, Archivnummer: V 287/488

Wolf, Otto. Postkarte an [seine Frau] Martha Wolf in Naumburg/Saale, Spechsart 100, vom 28. Juli 1937 [Poststempel], unveröffentlicht

Wolf,Otto. An [seine Frau] Martha Wolf in Naumburg/Saale, Spechsart 100, vom 9. November 1937 [Poststempel], unveröffentlicht

Wolf, Otto: Ein Märzkämpfer des Jahres 1921 in Leuna. Ein Dokument der Kommission zur Erforschung der Betriebsgeschichte bei der Kreisleitung der SED des VEB Leuna-Werke „Walter Ulbricht“, 1982, unveröffentlicht

[Wolf, Otto] Zur Person. Aus Vernehmungsprotokoll Otto Wolf der Ortspolizeibehörde Naumburg vom 2. Juni 1937. Bundesarchiv Berlin, Finckensteinallee 63, DY 55/V 287/488

Wolf, Otto: Urteil der Sitzung des Landgerichts Wittenberg vom 13. Mai 1921. Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Merseburg, Wittenberger Strafprozessakten des Staatsanwalts beim Landgericht Wittenberg, Rep. C 133

Wolf, Otto Karl August: Zur Person [Vernehmungsprotokoll]. 3. Juli 1937. Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, DY 55 Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, DY 55/V 287/488

Wolf, Otto [zu]. In: Dokumentation, Bundesarchiv Berlin, NJ 13 128

Zitzmann, Friedrich (Hünstetten-Wallbach): Meine Kindheit in der Moritzstraße. Internetseite des Stadtmuseums Naumburg, www.museumnaumburg.de, Januar 2006

 

Weiterführende Literatur

Berner, Rudolf : Die Unsichtbare Front. Bericht über die illegale Arbeit in Deutschland (1937). Libertad Verlag Potsdam, 1997

Döhring, Helge: Generalstreik: Abwehrstreik…Proteststreik…Massenstreik? Streiktheorien und -diskussionen innerhalb der deutschen Sozialdemokratie vor 1914. Grundlagen zum Generalstreik mit Ausblick, Edition Av, 2010

Helge Döhring, Roman Danyluk: FAU – Die ersten 30 Jahre (Broschiert), Edition Av, 2008

Die großen Streiks: Episoden aus dem Klassenkampf (Broschiert) von Helge Döhring (Autor), Holger Marcks (Herausgeber), Matthias Seiffert (Herausgeber)

Danksagung

* Bild mit Ferdinand Götze (1907-1985) aus: Rudolf Berner: Die Unsichtbare Front. Bericht über die illegale Arbeit in Deutschland (1937). Libertad Verlag Potsdam, 1997. Postfach 800 162, D-14427 Potsdam. Im Buchhandel unter ISBN-Nr.: 3-922226-23-X. – siehe auch: http://www.libertad-verlag.de/libertad_507.htm

** Ich danke herzlich Herrn Wilfried Hoog (Köln) von radio chiflado für die Überlassung des Radio-Beitrags zu Anna Götze – 6. Oktober 2008.

Herzlich Dank an Helge Döhring (Bremen) für die Quellenhinweise und die inhaltliche Unterstützung zumJahr 1923. – 2. August 2009

 

Nachtrag 19. Februar 2012

Zur Würdigung von Otto Wolf (Naumburg) siehe auch:
libcom,.org (seit 28. 10.2011), Webadresse http://libcom.org/history/wolf-otto-1902-1943,
(18.2.2012)
.

Mit Vorlage dieser Website über Otto Wolf (Naumburg an der Saale) publizierte Helge Döhring (Bremen) eine weitere biografische Arbeit: Helge Döring: Kein Befehlen, kein Gehorchen! Die Geschichte der syndikalistisch-anarchistischen Jugend in Deutschland seit 1918. Apropos Verlag, Bern 2011, Seite 218 bis 222

Autor:
Detlef Belau
Geschrieben: April 2005.
Aktualisiert: 20. Februar 2012
 /
27. Dezember 2014

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Erich Dürre (*1900)

  • Otto Bethke (* 1888– † 1970), Kraftfahrer, aus Oberschöneweide,
    Siemensstraße 21
  • Johann Gegodowski (* 1884–† 1976), Arbeiter, aus Oberschöneweide,
    Deulstraße 8
  • Hans Franz Spaltenstein (*1907), aus Oberschöneweide,
    An der Wuhlheide 214
    Das Kammergericht verurteilte Hans Spaltenstein zu zwei Jahren Zuchthaus. Johann Gegodowski erhielt ein Jahr und vier Monate und Otto Bethke ein Jahr und drei Monate Gefängnis.
    Bei zwei weiteren Verhafteten, Anna Clamann geb. Schöneberg, und dem Arbeiter Erich Dürre (*1900), beide aus Niederschöneweide, wurde vermutlich keine Anklage vor dem Kammergericht erhoben.

aus der Anklageschrift vom Oktober 1937

Quelle: www.gdw-berlin.de

Anna Clamann geb. Schöneberg

  • Otto Bethke (* 1888– † 1970), Kraftfahrer, aus Oberschöneweide,
    Siemensstraße 21
  • Johann Gegodowski (* 1884–† 1976), Arbeiter, aus Oberschöneweide,
    Deulstraße 8
  • Hans Franz Spaltenstein (*1907), aus Oberschöneweide,
    An der Wuhlheide 214
    Das Kammergericht verurteilte Hans Spaltenstein zu zwei Jahren Zuchthaus. Johann Gegodowski erhielt ein Jahr und vier Monate und Otto Bethke ein Jahr und drei Monate Gefängnis.
    Bei zwei weiteren Verhafteten, Anna Clamann geb. Schöneberg, und dem Arbeiter Erich Dürre (*1900), beide aus Niederschöneweide, wurde vermutlich keine Anklage vor dem Kammergericht erhoben.

aus der Anklageschrift vom Oktober 1937

Quelle: www.gdw-berlin.de

Johann Gegodowski (* 1884–† 1976),

  • Otto Bethke (* 1888– † 1970), Kraftfahrer, aus Oberschöneweide,
    Siemensstraße 21
  • Johann Gegodowski (* 1884–† 1976), Arbeiter, aus Oberschöneweide,
    Deulstraße 8
  • Hans Franz Spaltenstein (*1907), aus Oberschöneweide,
    An der Wuhlheide 214
    Das Kammergericht verurteilte Hans Spaltenstein zu zwei Jahren Zuchthaus. Johann Gegodowski erhielt ein Jahr und vier Monate und Otto Bethke ein Jahr und drei Monate Gefängnis.
    Bei zwei weiteren Verhafteten, Anna Clamann geb. Schöneberg, und dem Arbeiter Erich Dürre (*1900), beide aus Niederschöneweide, wurde vermutlich keine Anklage vor dem Kammergericht erhoben.

aus der Anklageschrift vom Oktober 1937

Quelle: www.gdw-berlin.de

Otto Bethke (* 1888– † 1970)

  • Otto Bethke (* 1888– † 1970), Kraftfahrer, aus Oberschöneweide,
    Siemensstraße 21
  • Johann Gegodowski (* 1884–† 1976), Arbeiter, aus Oberschöneweide,
    Deulstraße 8
  • Hans Franz Spaltenstein (*1907), aus Oberschöneweide,
    An der Wuhlheide 214
    Das Kammergericht verurteilte Hans Spaltenstein zu zwei Jahren Zuchthaus. Johann Gegodowski erhielt ein Jahr und vier Monate und Otto Bethke ein Jahr und drei Monate Gefängnis.
    Bei zwei weiteren Verhafteten, Anna Clamann geb. Schöneberg, und dem Arbeiter Erich Dürre (*1900), beide aus Niederschöneweide, wurde vermutlich keine Anklage vor dem Kammergericht erhoben.

aus der Anklageschrift vom Oktober 1937

Quelle: www.gdw-berlin.de

Willi Boretti (* 1906 – † 1969)

Willi Boretti mit seinem Sohn Giordano_berlin

Willi Boretti (1906–1969),
aus Adlershof, Gemeinschaftsstraße 30
Der Schriftsetzer und spätere technische Zeichner Willi Boretti war von 1921 bis 1923 in der kommunistischen Jugend in Baumschulenweg organisiert, bevor er sich den Anarchisten anschloss. 1926 wurde er Mitglied der FAUD, Ortsverein Adlershof. 1928 war er Leiter der Hauptstelle der Anarchistischen Jugend und in den Folgejahren Teilnehmer an Konferenzen der Berliner „Provinzial-Arbeiterbörse“. Nachdem die Adlershofer Gruppe aus der Syndikalistischen Bewegung ausgetreten war (s.o.), verließ Boretti wenig später den Ortsverein. Im August 1936 erhielt Willi Boretti Besuch von einem schwedischen Staatsangehörigen und früheren Jungsozialisten namens Rudolf Berner, einer Ferienbekanntschaft von 1928/29. Berner gab vor, auf dem Weg in die Tschechoslowakei und Österreich zu sein. Im März 1937 tauchte Berner, vermutlich aus dem vom Bürgerkrieg umkämpften Spanien kommend, wieder in Berlin auf und versuchte mit Hilfe von Boretti, Kontakte zu alten Mitgliedern der anarchistischen Föderation zu knüpfen. Eines der Ziele war dabei laut Borettis Sohn Giordano, anarchistische Gesinnungsgenossen aus Skandinavien durch das Deutsche Reich nach Spanien zu schleusen. Bereits am 3. Mai 1937 wurde Willi Boretti von der Gestapo verhaftet. Wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens unter erschwerenden Umständen“ verurteilte das Berliner Kammergericht am 9. Februar 1938 Rudolf Ludwig zu drei Jahren und Friedrich Dettmer zu zwei sowie Willi Boretti zu einem Jahr und sechs Monaten Zuchthaus. Willi Boretti galt nach seiner Haft als „wehrunwürdig“ und war während des Krieges als Betriebsingenieur bei Mannesmann in Adlershof tätig. Er hatte freundschaftlichen Kontakt zu Fremdarbeitern und hielt auch während des Krieges Verbindung zu anarchistischen Gesinnungsgenossen. Ein Treffpunkt war eine Buchhandlung in Berlin-Lichtenberg in der Nähe des S-Bahnhofes Ostkreuz. Gegen Ende des Krieges wurde er zur „Organisation Todt“ zwangsverpflichtet. Im Rahmen der so genannten Ardennenoffensive eingesetzt, geriet er schließlich für einige Monate in amerikanische Kriegsgefangenschaft. (Nach dem Krieg trat er 1946 zwar der SED bei, wurde aber bereits Anfang der 50er Jahre politisch kaltgestellt und schließlich aus der Partei ausgeschlossen. Er musste daraufhin auch einen beruflichen Abstieg erleben und verstarb im Jahre 1969.)

Willi Boretti erinnert sich 1945:
„Die Arbeiterbewegung hatte aus der Spaltung der 1. Internationale (der sozialdemokratischen Parteien im Ersten Weltkrieg, d. Verf.) nicht gelernt. Da alle sog. Arbeiterorganisationen im Geist der Rechthaberei und Unduldsamkeit durchdrungen waren, schloss ich mich keiner Partei an, sondern sah meine Aufgabe in der Versöhnung und Problemlösung. Meinen Fähigkeiten entsprechend hielt ich Vorträge bei allen Parteien, Gruppen und Gewerkschaften, die sozialistischen Zielen zustrebten. Ich übersetzte aus fremden Sprachen, besuchte Kongresse im In- und Ausland. Als Mitglied verschiedener Hilfsorganisationen setzte ich meine kleinen materiellen Mittel ein, um auch auf diesem Gebiet die
Völkergemeinschaft praktisch zu demonstrieren. 1933 zeigte sich dann, dass alle Arbeit infolge der Starrköpfigkeit der beiden großen marxistischen Arbeiterparteien umsonst (gewesen) war. Wir hatten uns umsonst in Thüringen mit den Nazis 1923 herumgeschlagen, hatten in allen Jahren vergeblich versucht, den Bauern auf unsere Seite zu ziehen in Mecklenburg. Ich wurde im Sommer 1933 eines
der ersten Opfer des Faschismus in meinem Ort, verraten durch einen Genossen der KPD, der mit wehenden Fahnen ins andere Lager hinüberschwenkte. Nach 4 Monaten ließ man mich wieder frei.
Nun kam die Zeit der geistigen Vorbereitung auf die Zeit nach der Naziherrschaft; denn dass diese eines Tages fallen müsste, war für ich nur logisch.“

aus der Anklageschrift vom Oktober 1937

Quelle: www.gdw-berlin.de

Rudolf Ludwig (*1897 – † 1975)

Rudolf Ludwig (1897–1975),
aus Baumschulenweg, Baumschulenstraße 27
Der Bauarbeiter Rudolf Ludwig war bis 1933 Mitglied der Metallarbeiter-Föderation der FAUD. Im Laufe des Jahres 1934 wurde er von Erich Frese für die illegale Arbeit gewonnen. Ludwig erhielt von Frese in der Folgezeit größere Mengen Tarnschriften zur Verteilung an Gesinnungsfreunde; u.a. an Hans Franz Spaltenstein, Heinze, Georg Winger und Erich Dürre. Weiter sammelte er Beiträge zur Unterstützung verhafteter Mitglieder der FAUD ein.

Friedrich Dettmer (*1898)

Friedrich Dettmer (*1898),
aus Köpenick, Friedenstraße 4 bei Scholz
Der Mechanikergeselle Friedrich Dettmer trat der FAUD bereits 1923 bei und war der Berliner
Föderation der Metallarbeiter zugeteilt, bei der er zeitweilig die Funktion eines Schriftführers
innehatte. Im Frühjahr 1933 übernahm er die Kasse der Ortsgruppe Oberschöneweide, die
er Ende Oktober an Erich Frese übergab. Er nahm an illegalen Zusammenkünften der FAUD
teil, unterstützte in Haft geratene Gesinnungsgenossen mit nicht unerheblichen Geldbeträgen
und verteilte illegale Schriften, die er über Erich Frese erhielt.

aus der Anklageschrift vom Oktober 1937

Quelle: www.gdw-berlin.de

Erich Frese (geb. 1903 – † 1983)

Erich Frese, aus Oberschöneweide, Fuststraße 2

Erich Fres

Der Arbeiter Erich Frese war langjähriges Mitglied im FAUD und verwaltete ab Oktober 1933 die Kasse der Ortsgruppe Oberschöneweide. Frese spielte eine wichtige Mittlerrolle zwischen der Berliner Ebene und den Basisgruppen. Über ihn lief beispielsweise die Verteilung der politischen Tarnschriften. Erich Frese wurde im Hauptprozess vor dem Kammergericht gegen „Schwalba und andere“ zu 3 Jahren und sechs Monaten Zuchthaus verurteilt.

aus der Anklageschrift vom Oktober 1937

Quelle: www.gdw-berlin.de

Kündigung – Teil II: Kündigungsarten und Abmahnung

§§§-Dschungel: Kündigung – leider immer aktuell. Teil II: Kündigungsarten und AbmahnungVon den Kündigungsformen, die wir im letzten Artikel behandelt haben (betriebs-, personen- und verhaltensbedingt), sind die Kündigungsarten zu unterscheiden. Dazu gehören die ordentliche Kündigung, die außerordentliche Kündigung – auch „fristlose Kündigung“ genannt – und die Änderungskündigung.
Ordentliche Kündigung

„Der kann mir doch nicht einfach kündigen!“ Diesen Satz hört man immer wieder, oft mit einiger Empörung. Darauf muss geantwortet werden: Doch, er kann, und er muss es dir nicht einmal begründen. Die Frage ist lediglich, ob die Kündigung rechtswirksam ist. Ob sie das ist, stellt letztendlich das Arbeitsgericht fest.

Im ersten Schritt geht es deshalb darum, festzustellen, wie gekündigt wurde. Ein Blick in das Kündigungsschreiben mag ergeben, dass es sich um eine ordentliche Kündigung handelt, da die gesetzlichen Kündigungsfristen eingehalten wurden. Diese sind im § 622 BGB geregelt. Eine ordentliche, also fristgerechte Kündigung wird in der Regel im Zusammenhang mit allen Kündigungsformen (siehe §§§-Dschungel, DA Nr. 198) ausgesprochen.

Ein Sonderfall liegt bei befristeten Arbeitsverträgen vor. Ist in diesem die ordentliche Kündigung nicht definitiv geregelt, ist eine fristgerechte Kündigung nicht möglich. Das Arbeitsverhältnis endet dann erst am Ende des festgelegten Befristungszeitraums.

Außerordentliche Kündigung

Bei der außerordentlichen bzw. fristlosen Kündigung sieht das etwas anders aus. Hier muss der Arbeitgeber einen „wichtigen Grund“ nennen, der die Weiterbeschäftigung bis zum Ende der gesetzlichen Kündigungsfristen „unzumutbar“ macht. In der Regel ist die fristlose Kündigung eine verhaltensbedingte Kündigung. Gesetzlich geregelt ist dies im § 626 Abs. 1 BGB.

Gelegentlich wird zusätzlich noch ordentlich gekündigt. Falls die fristlose Kündigung vor dem Arbeitsgericht keinen Bestand hat, bleibt dann immer noch die Gefahr, fristgerecht gekündigt worden zu sein.

„Wie kann der mir fristlos kündigen, ich habe ja noch gar keine Abmahnung erhalten“, mag manch eine/r sich denken. Aber auch hierbei verhält es sich anders, als man erstmal glaubt: Ob eine Abmahnung erforderlich war, auch das entscheidet letztendlich das Gericht (siehe auch dazu§§§-Dschungel, DA Nr. 198).

Fristlose Kündigungsgründe können sein: Vermögensdelikte, eigenmächtiger Urlaubsantritt, vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit (Ankündigungen wie: „Wenn ich keinen Urlaub bekomme, mache ich halt krank“, sind da gefährlich), Unpünktlichkeiten, etc.

Natürlich könnt auch ihr fristlos kündigen, z.B. wenn der Arbeitgeber mit der geschuldeten Lohnzahlung in Verzug ist.

Änderungskündigung

Eine besondere Art der Kündigung ist die sogenannte Änderungskündigung. Sie beinhaltet zwar eine Kündigung, aber eben auch ein neues Arbeitsangebot zu geänderten Bedingungen. Gesetzlich geregelt ist sie im § 2 KSchG. Sie ist das „mildere“ Mittel und findet oft im Zusammenhang mit einer ansonsten betriebsbedingten Kündigung Verwendung. Sie ist sozial nur gerechtfertigt, wenn der angebotene Arbeitsvertrag im konkreten Zusammenhang mit den betrieblichen Änderungen steht. Wirksam werden diese Änderungen erst nach dem Ende der gesetzlichen Kündigungsfristen.

„Aber der kann mir doch nicht einfach ohne Änderungskündigung einen anderen Arbeitsvertrag vorlegen!“ Doch, auch das kann er. Die Frage ist, ob man unterschreibt. Und oft werden solche schlechteren Arbeitsverträge auch ohne eine Änderungskündigung unterschrieben. Dann können auch kein Anwalt und kein Gericht mehr etwas tun.

Resümee an dieser Stelle

Viele Menschen denken sich: Kündigung ist Kündigung. Doch es lohnt sich, genauer hinzuschauen und zu prüfen, um welche Form und Art einer Kündigung es sich handelt. Je nachdem müsst ihr bzw. muss eure Anwältin auf diese Kündigung reagieren.

Abmahnung

Die Abmahnung ist in keinem Gesetz geregelt. Sie hat sich aus der Rechtsprechung (Richterrecht) des Bundesarbeitsgerichts (BAG) entwickelt. Bei verhaltensbedingten Kündigungen ist sie fast immer (aber eben nicht immer) notwendige Voraussetzung. Sie kann sich auf die Arbeitsleistung, aber auch auf das Verhalten im Betrieb beziehen.

„Die anderen haben das doch auch immer so gemacht. Wieso bekomme ich jetzt eine Abmahnung? Das geht doch nicht!“ Doch, auch das geht. Denn eine Gleichbehandlung im Unrecht gibt es im Arbeitsrecht nicht. Wenn auch andere sich „falsch“ verhalten haben, schützt das nicht davor, gezielt herausgegriffen und auch gekündigt zu werden.

Trotzdem muss man so etwas nicht einfach hinnehmen. Manchmal lohnt sich eine Klage gegen eine ungerechtfertigte Abmahnung. Dies kann gerade deshalb sinnvoll sein, da es keine Fristen gibt, nach denen sie verfällt, bzw. festgelegte Zeiten, nach denen sie aus der Personalakte entfernt werden muss. Auch kann man eine Gegendarstellung schreiben und verlangen, dass diese in der Personalakte hinterlegt wird.

Und Vorsicht! Arbeitsrechtliche Abmahnungen sind nicht formbedürftig. Sie können demzufolge auch mündlich ausgesprochen werden. Es muss nur klar erkennbar sein, dass man mit einer Kündigung zu rechnen hat.

In der nächsten Ausgabe werden wir uns mit der Schrifterfordernis, dem Kündigungszugang und den Fristen beschäftigen.

Kündigung – Teil I: Kündigungsformen und Abfindung

Wer in einem Betrieb mit zehn oder weniger Beschäftigten arbeitet oder erst weniger als sechs Monate beschäftigt ist, kann getrost diesen Teil des Kündigungsthemas überspringen. Denn für ihn oder sie trifft das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) nicht zu. Nachzulesen in § 1 Abs. 1 und § 23 Abs. 1 KSchG. Damit sind wir schon mittendrin im Thema. In § 1 Abs. 2 KSchG heißt es dann:
§§§-Dschungel: Kündigung – leider immer aktuell. Teil I: Kündigungsformen und Abfindung

Sozial ungerechtfertigt ist die Kündigung, wenn sie nicht durch Gründe, die in der Person oder in dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers in diesem Betrieb entgegenstehen, bedingt ist.“

Daraus ergeben sich sprachgebräuchlich folgende Kündigungsformen: nämlich die personen-, verhaltens- und betriebsbedingten Kündigungen.

  • Eine personenbedingte Kündigung liegt beispielsweise vor, wenn sie krankheitsbedingt ist oder wenn z.B. eine Busfahrerin ihren Führerschein, etwa wegen eines privaten Verkehrsdeliktes, abgeben muss. Aber auch mangelnde Kenntnisse und unzureichende Fähigkeiten im Job können eine personenbedingte Kündigung nach sich ziehen.
  • Eine verhaltensbedingte Kündigung liegt vor, wenn arbeitsvertragliche Pflichten verletzt wurden. Die Klassiker sind häufiges Zuspätkommen oder die Bagatellkündigungen.
  • Eine betriebsbedingte Kündigung liegt etwa bei Rationalisierungsmaßnahmen, Einstellung oder Einschränkung der Produktion, Auftragsmangel und Umsatzrückgang vor.

Wichtig für uns

Bei der krankheitsbedingten Kündigung gehört es zu den größten Fehlern, zu glauben, dass sie nicht während einer Krankheit ausgesprochen werden dürfe. Ebenso falsch ist die Annahme, der Chef müssen jemandem einen anderen Job im Unternehmen suchen, wenn dieser vom Arzt ein Attest bekommt, er dürfe nur bestimmte Arbeiten (wie z.B. Heben) nicht mehr verrichten. Wenn er einen hat, liegt die Sache anders.

Bei der verhaltensbedingten Kündigung muss zwar grundsätzlich vorher eine Abmahnung ausgesprochen worden sein. „Grundsätzlich“ heißt aber, das es eine Reihe von Ausnahmen gibt, zum Beispiel bei Diebstahl.

Bei der betriebsbedingten Kündigung ist trotz Vorliegens dringender betrieblicher Gründe eine Kündigung sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl der ArbeitnehmerInnen die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die ggf. vorhandene Schwerbehinderung des/der Betroffenen nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat (§ 1 Abs. 3 KSchG).

Diese Auswahl muss nur zwischen ArbeitnehmerInnen mit vergleichbaren Arbeitsplätzen durchgeführt werden. Hinzu kommt noch, dass gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 KSchG in die soziale Auswahl die ArbeitnehmerInnen nicht unbedingt einzubeziehen sind, deren Weiterbeschäftigung im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.

Resümee an dieser Stelle

Alles in allem wird hier schon klar, dass es sich nicht um ein wirkliches Kündigungsschutzgesetz handelt. Daher spricht man eher von einem Abfindungsgesetz. Allerdings sollte man sich auch hier nicht täuschen. Ein Recht auf Abfindung besteht nur sehr begrenzt.

Abfindung

§1a KSchG – Abfindungsanspruch bei betriebsbedingter Kündigung:

Kündigt der Arbeitgeber wegen dringender betrieblicher Erfordernisse nach § 1 Abs. 2 Satz 1 und erhebt der Arbeitnehmer bis zum Ablauf der Frist des § 4 Satz 1 keine Klage auf Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, hat der Arbeitnehmer mit dem Ablauf der Kündigungsfrist Anspruch auf eine Abfindung.

Aber auch hier ist die Höhe nicht so gigantisch wie vermutet: ein halbes Monatsgehalt pro Jahr der Betriebszugehörigkeit. Nach Abzug der Steuer und den Sozialversicherungsbeiträgen bleibt da nicht so viel.

§ 9 KSchG –Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Urteil des Gerichts, Abfindung des Arbeitnehmers:

Stellt das Gericht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen.

Dies gilt aber auch umgekehrt für den Arbeitgeber. Als Abfindung ist dann ein Betrag bis zu zwölf Monatsverdiensten festzusetzen. Man muss somit erst einmal den Prozess gewinnen, ansonsten gibt es nichts. Oft versuchen Arbeitgeber, Beschäftigte mit einem Aufhebungsvertrag zu ködern, um sich den Gerichtsärger zu ersparen. Hier ist äußerste Vorsicht geboten, denn der Ärger mit der Agentur für Arbeit ist vorprogrammiert (Stichwort Sperrfristen).

In der nächsten Ausgabe beschäftige ich mich an dieser Stelle mit den verschiedenen Kündigungsarten (ordentlich, fristlose und Änderungskündigung).

Werner Höme (* 1907 – † Juni 1937)

Werner Höme14. Februar 1907 – 11. Juni 1937

Der Graveur Werner Höme war Mitglied der sozialdemokratischen Jugendorganisation und anschließend der Anarchistischen Tatgemeinschaft. Dies war eine in Dresden ansässige Jugendgruppe, die ihre eigene Zeitung Revolutionäre Tat herausgab. Drei Ausgaben dieses Papiers erschienen. Die Gruppe hatte 14 Mitglieder beiderlei Geschlechts und ein weiteres Mitglied war Herbert Wehner, später führender Kommunist und dann Sozialdemokrat.

Höme trat dann 1926 der FAUD bei. Ab 1931 war er Vorsitzender der Dresdner Syndikalistischen Arbeiter-Föderation und Herausgeber der Zeitung „Der Arbeitslose“. Höme organisierte zusammen mit Herbert Hilse und Oskar Kohl den Dresdner FAUD-Untergrund. 1933 initiierte er mehrere Regionaltreffen und koordinierte das Netzwerk. Die Dresdner Gruppe produzierte eine Ausgabe einer Untergrundzeitung, die Mai-Zeitung.

Ab Mai 1933 befand sich Höme längere Zeit in Haft. Nach seiner Entlassung aus dem KZ Hohnstein im Februar 1934 veranlasste er die Witwe von Erich, Kreszentia Mühsam, aus Deutschland auszuwandern. Mit Herbert Hilse, Käthe Jünger und Ernst Schmidt gelang es ihm, den Nachlass von Erich Mühsam in Prag in Sicherheit zu bringen. Im Juni 1937 erneut verhaftet, wurde Werner Höme im selben Monat ermordet, während er sich in Untersuchungshaft befand.

Adaptiert von Nick Heath aus
http://www.gdw-berlin.de/bio/ausgabe_mit.php?id=245
Mit zusätzlichen Informationen unter www.nrw.vvn-bda.de/texte/0263_anarchist.htm