Hans Schmitz (geb. 16.5.1914 † 22.03.2007)

Beruf: Dreher
Mitglied der Syndikalistisch-anarchistischen Jugend Deutschlands (SAJD)
16.10.1934 – 19.10.1934 duch Oberlandesgericht Hamm in Schutzhaft in Wuppertal (Polizeigefängnis); Grund; Politisch/Vorbereitung zum Hochverrat
10.02.1938 – 01.04.1939 am Oberlandesgericht Hamm zu 27 Monaten Zuchthaus u.a. in Herford (Zuchthaus); Grund: Politisch/Vorbereitung zum Hochverrat

siehe auch die Nachrufe auf Hans Schmitz in unserem Archiv –>

Umsonst is dat nie – Gelebtes Leben oder Sehnsucht nach …*

Hans Schmitz zum 90. Geburtstag

Vor einigen Jahren lernte ich Hans Schmitz im Buchladen BiBaBuZe in Düsseldorforf kennen. Wir (FAU-Düsseldorf) hatten Dieter Nelles eingeladen um über die historische FAUD und ihren Kampf gegen den Nationalsozialismus zu berichten. In der ersten Reihe saß ein alter Mann, der Dieter immer wieder unterbrach. Mal fragte er etwas, mal ergänzte er und zur Überraschung von Dieter erzählte er auch einiges das vorher noch „unbekannt“ war. Seit diesem Tag nimmt Hans Schmitz nicht nur an den Treffen der FAU-Düsseldorf teil (je nach dem wie es seine Gesundheit zulässt), sondern auch an Veranstaltungen und Aktionen.

Aber wer ist eigentlich Hans Schmitz?
Schon früh war er in der anarchistischen und syndikalistischen Bewegung aktiv. Zuerst in der anarchistischen Kinder-/Jugendgruppe „Freie Jugend Morgenröte“, der SAJD (Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands, Jugendorganisation der FAUD), später in der Freien Arbeiter Union Deutschland (FAUD) und in den „Schwarzen Scharen“, einer militanten anarchistischen Anti-Nazi Organisation
Die Grünung einer solchen Gruppe schien den jugendlichen AnarchosyndikalistInnen, die ja eigentlich pazifistisch aber zu mindest antimilitaristisch orientiert waren, aufgrund des zunehmenden Nazi-Terrors notwendig. Man wollte sich einfach den Schlägertrupps der Nazis entgegenstellen. Einige Mitglieder der „Schwarzen Schar“ gingen später nach Spanien um dort erneut und diesmal mit der Waffe in der Hand gegen den Faschismus zu kämpfen. Hans blieb jedoch in Deutschland und wurde am Tag seiner Heirat zum Militärdienst eingezogen. Aufgrund der Uniformierung gab es jedoch Protest aus den Reihen der FAUD, dennoch wurde die Wuppertaler Schwarze Schar bei Kundgebungen und Veranstaltungen der FAUD in der Region oft als Saalschutz eingesetzt.

Das Tragen eines schwarzen Hemdes konnte schon in dieser Zeit zum Verhängnis werden (Stichwort: „black block“). Hans berichtete, wie er 1931 so bekleidet wegen gefährlichem Waffenbesitz verhaftet wurde, weil er ein Taschenmesser bei sich trug. Wenige Meter weiter marschierten Hitler-Jugendliche mit dolchartigen Messern, die der Polizei jedoch kein Dorn im Auge waren, da es „Fahrtenmesser“ seien, die zudem in einer Lederscheide steckten.

Als es 1933 zur Machtübergabe durch die NSDAP kam, lösten sich die anarchosyndikalistischen Gruppen auf, so auch die SAJD (Syndikalistisch-Anarchistische Jugend Deutschlands, Jugendorganisation der FAUD) Wuppertal, der Hans als Kassierer angehörte. Damit hörte der Widerstand jedoch nicht auf. Mit einem Schmunzeln im Gesicht erzählte er, wie der Fackelmarsch der NSDAP am Tag der Machtübernahme wörtlich ins Wasser fiel – von KommunistInnen, AnarchistInnen und GewerkschafterInnen in die Wupper gejagt. Der Fackelmarsch wurde tags darauf nachgeholt. Hans Schmitz und ein Dutzend weiterer anarchistischer und kommunistischer Jugendlicher trieben die den Hitlergruß übenden jubelnden Massen mehrmals in den Fackelmarsch, und die fackeltragenden SS-Schergen schlugen so provoziert mit ihren Fackeln in die Jubelnden. Das Spielchen wiederholte sich einige Male, bis die SS den wahren Grund für die Tumulte herausfand und es den Jugendlichen besser erschien, zu verschwinden.

In den folgenden Monaten und Jahren gab es vielfältige Beispiele antifaschistischer Öffentlichkeitsarbeit: Plakate wurden geklebt – eine Aktion, die die antifaschistischen Jugendlichen schnell wieder unterließen, als sie mit ansehen mussten, wie ihre gefangenen GenossInnen diese mit blutverkrusteten Händen unter Aufsicht der SS mühsam wieder abkratzen mußten, Koffer wurden benutzt, um antifaschistische Parolen auf die Straßen zu stempeln usw.

Die wichtigste Funktion, die die Untergrundorganisationen der anarchistischen Gruppen jedoch hatten, war der Transport von gesuchten politischen Flüchtlingen über die Grenze. Hans Schmitz fungierte hier als Fahrradkurier, getarnt als Radsportler.

1935 lernte Hans Schmitz bei einer Schlägerei mit der HJ seine spätere Ehefrau kennen, die zu den „Düssel-Piraten“ gehörte, die Hans und seinen FreundInnen zur Hilfe eilten. Jugendliche, die sich der HJ verweigerten, organisierten sich oft als EdelweißpiratInnen, trugen karierte Hemden und rote Halstücher. Oft benannten sich die lokalen Gruppen nach den regionalen Flüssen. Alsbald gab es auch die Wupper-Piraten.

Am 1. April 1937 wurde auch Hans Schmitz im Zuge einer Verhaftungswelle am Arbeitsplatz von der Gestapo besucht. Er war vorgewarnt, daher konnte die Gestapo keinerlei Indizien für antifaschistische Betätigungen finden. So wurde er zu „nur“ zwei Jahren Gefängnis verurteilt und hatte mehr Glück als viele seiner anarchosyndikalistischen GenossInnen, die in den folgenden Massenprozessen verurteilt wurden. Nach seiner Entlassung galt er als wehrunwürdig, was ihm gerade recht kam. Auch im Widerstand wurde er wieder aktiv.

Die Wehrunwürdigkeit hielt zu seinem Leidwesen nicht ewig vor. Als er 1942 heiratete, sorgte der Arbeitgeber seiner Ehefrau dafür, daß er seine Wehrwürdigkeit wiedererhielt, damit die Ehefrau weiter in seinem kriegsrelevanten Betrieb in Düsseldorf arbeiten konnte, anstatt zu ihrem Ehemann nach Wuppertal zu ziehen.

Hans Schmitz gehörte nun also zur Wehrmacht. Widerstand in der Wehrmacht war sicherlich ein schwieriges Unterfangen, jedoch im bescheidenen Maße möglich: Neben „Feindsender“ hören und „möglichst weit von der Front bleiben“ gehörten Selbstzerstümmelung für Hans ebenso zum Widerstand und Überleben wie Sabotage am Kriegsgerät. Als Helfer des Waffenmeisters hatte er gegen Ende des Krieges Dienst an einer Flag-Batterie (vier Flag-Geschütze). Für jedes abgeschossene Flugzeuge bekamen die Mannschaften je einen Ring an ihre Flag. Hans sabotierte geschickt die Flag, so das es zu seiner Zeit an „seiner Batterie“ nicht einen einzigen Abschuss gab.

Beim Kriegsende befand Hans Schmitz sich in Holland. Er berichtet, daß das Verhältnis zwischen der holländischen Bevölkerung und den einfachen Soldaten ein durchaus gutes war. Während die HolländerInnen den Soldaten verrieten, welche ehemaligen Kollaborateure Essen horteten, beschlagnahmten die ehemaligen Wehrmachtssoldaten dieses und teilten es mit ihren InformantInnen.

Kaum zurückgekehrt wurde Hans Mitglied der „Föderation Freiheitlicher Sozialisten“, der Nachfolgeorganisation der FAUD. Dort machte er die frustrierende Erfahrung das die wenigen Überlebenden GenossInnen oft nichts mehr mit der Bewegung zu tun haben wollten. Viele waren körperlich und emotional gebrochen worden und starben in den ersten Jahren nach dem Krieg. Trotzdem machte er weiter und seit den 90’er ist er quasie Mitglied der Düsseldorfer Ortsgruppe der FAU. Direkt nach dem Krieg organisierte er in den „Hungerwintern“ einen wilden Streik, der prompt Wirkung zeigte. Es gab nun auf Firmenkosten für jeden Arbeiter ne Stulle in der Pause und das „Recht“ sich ne Heizung (in der Werkshalle) bauen zu dürfen. Natürlich gab’s auch direkt ein „Gespräch“ beim Boss, der nur eine kurze Zukunft in dem Betrieb vorher sagte. Hans blieb bis zur Rente.

Und für Mich?
Für mich ist Hans mehr als nur ein alter Genosse. Sein freundliches und offenes Wesen, seine Art Fragen zu stellen und sein verschmitztes Lächeln haben mich von Anfang an in Bann geschlagen. In den letzten Jahren waren wir gemeinsam in verschiedenen Städten unterwegs um den Film „Umsonst is dat nie“ zu zeigen und hinter her mit den meist jungen AnarchsitInnen, SyndikalsitInnen und AntifaschistInnen zu diskutieren. Das brachte mich, besonders am Anfang, oft in Situationen in denen ich mich sehr Hilflos gefühlt habe. Hans scheut sich nicht auch über die unangenehmen Dinge seines Lebens zu sprechen. Knast, Folter und Krieg waren kein Zuckerschlecken. Wenn er darüber berichtet zieht sich ihm noch immer der Hals zu und Tränen steigen in seine Augen. In diesen Momenten hatte ich immer das Bedürfnis ihn zu Umarmen, alleine meine Scheu hielt mich ab. Aber: von mal zu mal ist es ihm leichter gefallen. besonders dann wenn er das Gefühl hatte die Menschen sind interessiert und wollen wirklich von ihm hören „wie das damals“ war. Und ihm zuzuhören macht trotz allem Freude, denn: Wenn er aus seiner Jugend berichtet, reihen sich Anekdoten aneinander, im Gegensatz zu so manchem Zeitzeugen betont Hans das Private, das alltägliche, spart auch nicht die Kapitel aus seiner Geschichte aus, die heutige linke ZuhörerInnen vielleicht als Fehler interpretieren würden. Er gibt eben keine Geschichtsstunde, nach der ein für allemal alles klar ist, sondern er berichtet aus einem gelebten Leben, das aus politischem Engagement, Liebe und dem Versteckspiel vor dem nationalsozialistischen Regime als der großen Wunde bestand, die es zu heilen galt. Daher ist ein solches Zeitzeugengespräch immer schmerzhaft für den Erzählenden, aber immer auch ein Akt des Optimismus, wenn wieder und wieder von schelmischen Streichen erzählt wird, mit denen die Schergen der SA und SS verärgert wurden.

Aber Hans wäre nicht er selbst wenn er nur über die alten Zeiten Berichten würde.
Schon oft hat er von seiner schmalen Rente für Gefangene GenossInnen gespendet, oder Plakate und Veranstaltungen mit finanziert. Bei so mancher Diskussion in der Ortsgruppe half uns seine Erfahrung weiter. Am beeindruckensten in dieser Hinsicht war jedoch seine Beteiligung an einem Treffen der FAU mit Garcia Rua (damals Internationaler Sekretär der Internationalen ArbeiterInnen Assoziation). Mit nur einer kleinen Zwischenbemerkung, einer Bonner Genossin so laut ins Ohr geflüstert das alle anwesenden es gut hören konnten, brachte er damals das ganze argumentative Gebäude des IAA-Sekretärs zum einstürzen. Das gab wohl nicht nur mir, sondern auch anderen Klarheit und Kraft.
Besonders berührt bin ich von der Mitwirkung von Hans‘ an dem Theaterprojekt „Sehnsucht nach…“ der Theatergruppe M.A.S.S.A.K.A. Nicht nur das er sehr offen über sich und seine Sehnsüchte spricht, nein, auch das er noch immer Sehnsucht nach „der“ Anarchie hat rührt mich.

Auch in seinem hohen Alter geht er noch zu Anti-Nazi Demonstrationen. Nicht weil es ihm Spaß macht, da kann er sich sicher besseres vorstellen, sondern weil er das Gefühl hat das es noch immer oder schon wieder notwendig ist. So begleiteten GenossInnen der FAU-D und ein paar anarchistische FreundInnen Hans vor einiger Zeit zu einer Demonstration gegen Nazis in Wuppertal. Diese wollten dort seit 1945 zum ersten mal einen Marsch durch die Innenstadt machen. Hans wollte dies verhindern, und scheiterte mit uns und vielen anderen AntifaschistInnen am Polizeiaufgebot.

Erwähnenswert (neben so vielem anderen das aus Platzgründen jetzt leider nicht erzählt werden kann) ist auch noch das Zeitzeugengespräch im Buchladen BiBaBuZe anlässlich der Buchvorstellung seines alten, mittlerweile leider verstorbenen, Freundes Helmut Kirschey (A las barricadas – Erinnerungen eines Antifaschisten) der, einige Jahre älter, in vielerlei Hinsicht die gleichen Erfahrungen gemacht hatte. Hans Schmitz floh zwar nach 1933 nicht aus dem nationalsozialistischen Deutschland und war nicht aktiv am spanischen Bürgerkrieg beteiligt, aber beide einte ein gemeinsames anarchosyndikalistisches Engagement in Wuppertal bis zum Naziregime. Danach trennten sich ihre Wege just eben bis zu diesem tage. Entsprechend fühlten sich die geneigten BesucherInnen des Zeitzeugengesprächs vielleicht ein wenig, als würden sie als Gäste in einer anarchistischen Muppets-Show sitzen und permanent Statler und Waldorf zuhören: Eine Anekdote jagte die nächste, danach gemeinsames Gelächter der beiden alten Herren, um direkt zur nächsten Anekdote zu schreiten.
Nach dem Zeitzeugengespräch mit Helmut Kirschey hatte er es eiliger als wir, zur nächstgelegenen Antifa-Party zu kommen und dort rief er noch um drei Uhr morgens lautstark nach seinem Bier, als ich junger Spund mich beeilen musste, um endlich ins Bett zu kommen.

Die gesamte FAU, insbesondere die FAU-Düsseldorf und Münster, wünscht dir, Hans, alles Gute zu deinem 90ten Geburtstag und wir hoffen, davon noch viele mit dir feiern zu können und dich immer dann zu sehen, wenn deine Anwesenheit von Nöten ist – um gegen Neofaschismus zu protestieren, alles notwendiges Korrektiv für unsere jugendliche Polemik (selbst bei den etwas älteren Damen und Herren) oder einfach nur auf ein gutes Glas Bier, das ich hiermit vor dem Computerbildschirm auf dich erhebe.

Wir wünsche dir und deiner Freundin noch ein paar schöne Jahre.
Das mit der Anarchie wirst du wohl leider nicht mehr selbst erleben, aber wer weiß….

Umsonst is dat nie!

Rudolf Mühland FAU-Düsseldorf

*Einen Titel zu finden war einerseits ganz leicht, denn es vielen uns auf Annhieb mehrere ein. Aber welcher sollte es nun sein? Welcher Titel, kurz und knackig ist am besten geeignet Hans und sein leben zu charakterisieren? Wir wussten es nicht und lassen es euch nun entscheiden. Welcher der drei Titel passt am besten? Oder vielleicht gibt es einen der besser passt als diese?
Das Leben ist nun mal zu facettenreich als das es sich so einfach in eine „Parole“ quetschen lassen würde 😉

Mehr Info’s: Über die FAU-Düsseldorf, kontakt-faud[at]fau[dot]org
Buch: „…Se krieje us nit kaputt.“ Gesichter des Wuppertaler Widerstands. Essen 1995 Video: „Umsonst is dat nie“ Arbeiterwiderstand in Wuppertal Videoaufzeichnung: „Sehnsucht nach…“ – Ein Theaterstück des Theaters M.A.S.S.A.K.A. [Hans Schmitz berichtet in dem Aufsatz „Widerstand – ein persönlicher Bericht“ ausführlich über seine Erfahrungen. Der Aufsatz ist zu finden in dem Buch: Forschungsgruppe Wuppertaler Widerstand (Hrsg.): „…Se krieje us nit kaputt.“ Gesichter des Wuppertaler Widerstands. Essen 1995. und erscheint reich bebildert zum 90ten Geburtstag in Kürze als Broschüre, u.a. erhältlich bei FAU-MAT: www.fau.org]
[ssba]