Die vergessene Revolution (Auszug)
In diesem Kapitel möchte ich der Frage nachgehen in wie weit es berechtigt ist von den Ereignissen des März 1920 von einer „vergessenen Revolution“ zu sprechen. Dabei ist die Frage inwieweit es sich um ein vergessenes Ereignis handelt schnell beantwortet. Fragt man die heutigen BewohnerInnen des Ruhrgebiets, Düsseldorfs und des Wuppertals, so wird man allenfalls ein wenig Schulbuchwissen zu hören bekommen. Aber auch in der wissenschaftlichen Literatur sieht es nicht besser aus. Hans-Ulrich Wehler widmet in seiner „Deutsche Gesellschaftsgeschichte“ gerade einmal eine Seite diesem Thema. Noch immer ist das schmale Büchlein „Beitrag zur Geschichte und Soziologie des Ruhraufstandes vom März-April 1920“ aus dem Jahre 1921 von Gerhard Colm das Standardwerk zum Thema. Ohne Erhard Lucas und seiner Dreibändigen „Märzrevolution 1920“ wüssten wir aber selbst das wahrscheinlich nicht. Lucas Arbeit zeichnet sich durch besonders genaues Quellenstudium aus und bildet die Hauptquelle dieser Broschüre.
Die Frage inwieweit es sich aber auch um eine Revolution gehandelt hat ist schon etwas schwieriger zu beantworten. Anhand des Zustandekommens der Aktionsausschüsse und der Vollzugsräte, sowie der Art und Weise wie sie während dieser drei bis vier Wochen gehandelt haben und anhand der Roten Ruhrarmee selbst versuche ich eine Antwort zu geben.
Aktionsausschüsse & Vollzugsräte
Schon am 13. März bildeten sich sogenannte „Aktionsausschüsse“ (u.a. in Elberfeld). Diese wurden zumeist von den drei Arbeiterparteien (SPD, USP und KPD) gebildet. Die Gewerkschaften waren nur in sofern in den Aktionsausschüssen vertreten als das führende Gewerkschafter auch Parteimitglieder waren, oder die Ausschüsse in den Hochburgen der Syndikalisten gegründet wurden (z.B. Hamborn, Mühlheim) Diese Ausschüsse organisierten in einigen Städten (z.B. Bochum) den bewaffneten Kampf gegen den Putsch. Im Anschluss an die Vertreibung der Reichswehr und der SiPo übernahmen die Ausschüsse weiterreichende kommunale und staatliche Aufgaben. Damit einher gingen zwei weitere Veränderungen. Zum einen benannten sich die Aktionsausschüsse in „Vollzugsräte“ um und zum anderen änderte sich teilweise die Zusammensetzung der Räte durch Erweiterung oder Verschiebung nach links (z.B. Essen). Am 25. März, das ganze Ruhrgebiet ist unter der Kontrolle der Vollzugsräte, gründen diese in Essen den „Zentralrat“. Zu den Aufgaben der Aktionsausschüsse und Vollzugsräte gehörten neben der Übernahme bzw. der Kontrolle der lokalen Verwaltung, die Bewaffnung der Arbeiter, die Entwaffnung der reaktionären Bürger und in den ersten Tagen auch die Verhaftung und Vernehmung der bekannten Mitglieder der Einwohnerwehren und der Zeitfreiwilligen-Korps die sich besonders brutal am Kampf gegen die Arbeiter beteiligt hatten (z.B. in Essen, Mühlheim, Remscheid). In Hagen wurden auch die Personen verhaftet die sich auf einer Kontaktadressenliste des Hauptmann Lichtschlags befanden
Kontrolle der Verwaltung
Die Kontrolle bzw. die Übernahme der Verwaltung ist in jeder Revolution ein herausragendes Problem. Einerseits ist in der Verwaltung eine Menge Wissen, zum Beispiel über vorhandenen Wohnraum usw., konzentriert, andererseits verfügen die ArbeiterInnenorganisationen oft nicht über die Fachleute die Notwendig wäre einerseits die Verwaltung zu übernehmen und diese andererseits diese den neuen (sozialistischen) Verhältnissen anzupassen. Trotzdem haben schon zu Beginn der Kämpfe im Ruhrgebiet die Aktionsausschüsse in einigen Städten wichtige Hoheitsrechte übernommen.
Der Mühlheimer Vollzugsrat bezeichnete es als seine Aufgabe, „den alten reaktionären Beamtenapparat zu reorganisieren“. Die Vertreter der Betriebsbelegschaften wurden aufgerufen nur solche Genossen in den Vollzugsrat zu wählen, welche in den Unterkommissionen „ihre Posten ausfüllen“ könnten „und sich durchzusetzten verständen“ Die große Zahl der Kommissionen welche der Vollzugsrat gründete (unter anderem Kommissionen für die städtischen Betriebe, die Schulen, Polizeifragen, Wohnungs-, Gesundheits- und Wohlfahrtswesen) lässt ahnen für wie vielschichtig er seine Aufgabe verstand.
Der Hagener Aktionsausschuss besetzte einige Räume des Rathhauses und leitete die Beschlagnahmung von wichtigen Gütern (Autos, Benzin, Lebensmittel) Waffen und Munition ein, ordnete Hausdurchsuchungen an und verhaftete und verhörte stadtbekannte Einwohner, die auf Hauptmann Lichtschlags Kontaktmännerliste verzeichnet waren. Dieser Zustand hielt allerdings nur bis zum 17. März an. Nach einem Gespräch mit dem Oberbürgermeister einigte man sich darauf das: „Die politische Gewalt im Stadt- und Landkreis Hagen übt der Aktions-Ausschuss aus… Die Geschäfte der Verwaltungsbehörden bleiben in den Händen der hierzu bestimmten Organe.“ Ähnliche Übereinkünfte gab es auch in anderen Orten. Insgesamt arbeitete die Verwaltung, um einige bekannte reaktionäre Beamte erleichtert, unbeirrt weiter. Allerdings unter der politischen Kontrolle der Arbeiterschaft bzw ihrer Beauftragten. Die Löhnung der Mitglieder der Vollzugsräte erfolgte in der Regel über die Stadtkassen. In Lünen wurden 40 Mark, in Bottrop 50 Mark, in Duisburg 40 Mark für Männer und 30 Mark für Frauen pro Tag gezahlt. In Mühlheim und Oberhausen mussten die Unternehmer für die aus ihren Betrieben stammenden Vollzugsräte aufkommen.
Die Versorgungslage
„Alle Lebensmittel sind beschlagnahmt. Die Geschäfte sind verpflichtet, nur die rationierten Mengen abzugeben. Einzelhaushaltungen, die über mehr als ihre rationierten Anteile verfügen, sind verpflichtet, dies beim Vollzugsrat … anzumelden. Alle die, welche der Bekanntmachung zuwiderhandeln, werden strengstens bestraft; der Bekanntmachung nicht nachkommende Geschäfte werden geschlossen. Haussuchungen nach Lebensmitteln dürfen nur von dafür Beauftragten und sich als solche Legitimierenden vorgenommen werden. Diese Bekanntmachung ist in allen Lebensmittelgeschäften öffentlich auszuhängen.“, so der Vollzugsrat Essen.
Insgesamt war die Versorgungslage schon vor dem Kapp-Putsch im Ruhgebiet sehr schwierig. In allen Städten gab es Nahrungsmittelrationierungen. Diese Situation verschärfte sich während des Putsches und natürlich auch während der revolutionären Erhebung der Ruhrarbeiter. Schon sehr bald kamen die Aktions- und Vollzugsausschüsse auf die Idee im Ausland (Holland, Belgien) Kohlen gegen Lebensmittel zu tauschen. Leider reichte die Zeit bis zur Unterwerfung nicht aus die gemachten Ansätze sich entwickeln zu lassen. Ganz „vergessen“ wurde die Möglichkeit innerhalb des Ruhrgebietes zu einem Ausgleich der Vorräte zu kommen. Schon vor dem Putsch hatten die Städte Lebensmittelvorräte angelegt. Allerdings waren die Bestände sehr unterschiedlich. Hatte Dormund Vorräte für ca.: eine Woche, so fanden sich in Mühlheim Vorräte für bis zu ca.: vier Wochen.
(Gegen-)Propaganda
Diese Situation nutzten die Gegner der Revolution für ihre Propaganda. Hunderttausende Hunger-Flugblätter wurden über den Städten des Reviers abgeworfen oder per Boten in diese hineingeschmuggelt. Gleichzeitig wurden Lebensmittellieferungen die auf dem Weg ins Revier waren in der gesamten Republik immer wieder gestoppt oder gleich zurückbehalten.
In dieser Situation erklärte der Arbeiterrat Wattenscheid: „Ist der Putsch von Rechts beendet? Nein, denn welchen Zweck hätte es sonst, die Lebensmittelzufuhr zu erschweren oder gar zu verhindern? Der Proletarier soll klein gemacht werden, und da ist jedes Mittel recht, auch die Hungerpeitsche. Die Selbshilfe, Kohle gegen Lebensmittel zu tauschen, und eiserne Disziplin müssen über die kurze Zeit helfen. Für die Freiheit schmeckt die Steckrübe besser wie für die Kriegsfurie von 1916.“
Die Propaganda richtete sich aber nicht nur gegen die „Roten“ sondern auch gegen die „Juden“. Die antisemitische Hetze blieb jedoch nicht ohne Reaktion. „Der Vollzugsrat Bottrop erließ eine öffentliche Erklärung, er erblicke „in dieser schmutzigen Kampfesweise nicht allein eine Hetze gegen die Juden, sondern vor allen Dingen eine solche gegen den Sozialismus“; er ordnete an, die Zettel überall sofort zu entfernen und die Verbreiter anzuzeigen, damit sie vor das Revolutionstribunal gestellt würden.“ Am 24. März veröffentlichte der Vollzugsrat in Hamborn folgenden Aufruf: „Die alldeutschen reaktionären Elemente haben es verstanden, mit lügenhaften Worten, Schriften und Plakaten die Volksseele zu vergiften. Sie senden gekaufte Hetzer unter die Arbeiter, um diese irrezuführen.
Genossen, hört nicht auf diese Lügen! Die reaktionären Elemente … möchten Euch gerne zu Pogromen gegen die Juden verleiten, um wieder im Trüben fischen zu können. Was ihnen bisher trotz aller Mühen nicht gelungen ist, wollen sie jetzt, wo die Volksseele erregt ist, durchführen.
Genossen, die Juden sind nicht Arbeiterfeinde, aber welche Euch gegen die Juden aufwiegeln. Die Juden sind von dieser Richtung ebenso unterdrückt worden, wie wir Arbeiter! Die böswilligen Gerüchte, dass die Juden aus ihren Häusern auf die Arbeiter geschossen haben, und das sie Maschinengewehre und Waffen in ihren Häusern verbergen haben sich nach stattgefundenen scharfen Untersuchungen auch alle als unwahr erwiesen….“
Diese zwei Beispiele sollen reichen um zu zeigen das im März 1920 die ArbeiterInnenbewegung noch in der Lage war sich gegen den Antisemitismus zu wehren, diejenigen welche die Juden unterdrücken als diejenigen zu identifizieren welche auch die ArbeiterInnen unterdrücken und das Ziel der antisemitischen Kampagne offen zu legen, nämlich einerseits die Spaltung der Bewegung und andererseits die Ablenkung auf ein völlig falsches Ziel, um so die ArbeiterInnenbewegung leichter besiegen zu können.
Gefängnisse, Zuchthäuser …
Natürlich wurde im März 1920 auch der Ruf nach „Freilassung aller politischen Gefangenen“ laut. Und überall dort wo die Arbeiter die Reichswehr und die SiPo vertreiben konnte wurde dies auch sofort in die Tat umgesetzt. Bemerkenswert sind dabei zwei Dinge die sofort ins Auge stechen. Zum einen wurden tatsächlich nur die politischen Gefangenen befreit1, zum anderen verordnete der Vollzugsrat Mühlheim: dass alle diejenigen Arbeiter und Angestellten, welche nach dem 9. November 1918 wegen rein politischer Sachen inhaftiert waren, ganz gleich, ob Schutzhaft, Untersuchungshaft oder Strafthaft, von demjenigen Betrieb und Arbeitgeber für entgangenen Verdienst entschädigt werden, wo sie zur Zeit der Verhaftung beschäftigt waren“. So musste zum Beispiel die Maschinenfabrik Thyssen 59.ooo Mark allein für die Schutzhaftgefangenen des Zuchthauses Werl von 1919 und das Stahl- und Walzwerk Thyssen 52.ooo Mark für ehemalige politische Gefangene zahlen. Wie auch in anderen Fällen übernahm der Vollzugsrat Oberhausen am 26. März diese Verordnung.
In Duisburg und Essen gab es in der kürze der Zeit belegbare Ansätze zu Gefängnisreformen. Eine geplante „Unterbrechung des Strafvollzuges“ (Duisburg) für alle nicht politischen Gefangenen kam zwar nicht zustande, aber man wollte „den materiellen und geistigen Bedürfnisen der Gefangenen möglichst gerecht“ werden. Um dies sicher zu stellen hat die Gefängnisverwaltung die Bildung von „Gefangenenräten“ erlaubt, welche „die materiellen und geistigen Interessen der Gefangenen vertreten“ sollten. In Essen hatte der Vollzugsrat eigens eine Gefängniskommission eingerichtet. Diese Kontrollierte nicht nur den Zustand der Gefängnisse, sondern hat den Gefangenen auch „alle möglichen Erleichterungen verschafft“ wie zum Beispiel „Lese-, Schrei- und Raucherlaubnis“ sowie die Unterbringung (tagsüber) in Gemeinschaftszelle.
…Justiz I
Ansätze zu einer Reformierung der Justiz finden sich, belegbar, leider auch nur in zwei Fällen. Im ersten Fall erklärte der Vollzugsrat Lennep das die Verhandlungen des Schöffengerichts nur noch unter seiner Kontrolle stattfinden würden und das er „Urteile, die dem gesunden Volksempfinden widersprechen, für ungültig erklären“ würde.
Im zweiten Fall wurde der Elberfelder Rechtsanwalt Bernhard Lamp, welcher zu dieser Zeit Mitglied der FAUD war, mehrfach aktiv2.
Am 17. März wurde das Militär aus der Stadt vertrieben. Am 18. März besetzte dann eine Gruppe bewaffneter Arbeiter das Amts- und Landgericht. Alle Zugänge wurden verbarrikadiert und alle anwesenden, bis auf die Arbeiter die in den Gebäuden wohnten (Heizer, Pförtner) vor die Türe gesetzt. Mit dieser Aktion reagierten B. Lamp und die Arbeiter auf die Tatsache das sich die Gerichtsbeamten nicht am Generalstreik beteiligt hatten und es während der Kämpfe gegen SiPo und Reichswehr sogar Seelenruhig eine Gerichtssitzung stattgefunden hatte. Am selben Tag hatte der Aktionsausschuss (SPD, USP, KPD) einen Aufruf zum Abbruch des Streikes veröffentlicht. Schon am nächsten Tag kamen die Gerichtsbeamten wieder und beriefen sich erfolglos auf den Aufruf des Aktionsausschusses, die Arbeit wieder aufzunehmen. Die Gerichtsbeamten wurden kurzerhand für beurlaubt erklärt und hatten das Gebäude wieder zu verlassen. Das Gericht sollte nach Lamp solange geschlossen bleiben, bis die Arbeiter auf ihren Versammlungen die Grundsätze einer neuen Rechtsordnung beschlossen hätten. Noch am selben Tage wurde B. Lamp auf einer Massenversammlung zum Volksbeauftragten für die Sozialisierung der Rechtspflege ernannt. Leider ist das Manifest, welches er am Gerichtsgebäude anschlug nicht mehr erhalten. Seine Vorstellungen bezüglich einer Reform der Justiz lassen sich aber aus einem Artikel einer von ihm geplanten Tageszeitung erschließen:
„Komme niemand mit dem Einwand, dass die Rechtspflege nicht örtlich sozialisiert werden könne, sondern durch Verfassungsgesetze für größere Gebiete sozialisiert werden müsse. Das ist falscher Aberglaube, der nur von den Berufsrichtern aufgebracht worden ist, damit sie besser ihre Laufbahn aufbauen können und eine einheitliche Geheimsprache überall in Wirksamkeit setzten können, durch welche sie sich selbst unentbehrlich für die Recthspflege machen. Ich bitte die gelehrten Richter, mir die Behauptung zu widerlegen, dass unsere Gesetze mehr nach den Interessen der Rechtsprechenden als nach denen der Rechtsuchenden gemacht worden sind … Nicht nur Ehrensachen und Streitigkeiten um Mein und Dein sind so eingerichtet, dass man, obwohl recht hat, zu seinem Recht nicht kommen kann, oder doch so spät, dass es eigentlich zu spät ist, nicht nur hier herrscht berechtigte Empörung der Rechtsuchenden über das widersinnige gerichtliche Verfahren. Auch die Strafrechtspflege hat einen solchen Stoff von Erbitterung und Empörung geschaffen , dass der Funke, der jetzt hineingefallen ist, die bisherige Strafrechtspflege fortsprengt. Der Erziehungsgedanke hat an die Stelle des Strafgedankens zu treten. Die gedankenlose Einsperrung armer, schwacher Menschen, die den rechten Weg nicht kannten oder sich darauf nicht halten konnten, in Zuchthäusern und Gefängnissen widerspricht der Menschenwürde, ebenso die Todesstrafe.“
Obwohl Bernhard Lamp von einer öffentlichen ArbeiterInnenversammlung für die „Sozilaisierung der Justiz“ beauftragt worden war, brach er seine Aktion ab, nachdem sich der Aktionsausschuss „auf das entschiedenste“ von ihm distanzierte und erklärte das Lamp, keiner der drei Arbeiterparteien (!) angehören würde. Entlarvand dabei der Kommetar der >Volkstribüne< (USPD-Blatt) über seine Person und zu seinen Aktionen: „Ein Idealist… der sich keiner Ordnung unterstellt…“ Unterschlagen wird die Tatsache das er sich auf öffentlichen Versammlungen der Arbeiterschaft bestätigen ließ. Außerdem bleibt das Blatt eine Antwort darauf schuldig wie und in welche Richtung eine Veränderung der Justiz möglich, machbar oder wünschenswert wäre.
…Justiz II
Eine „eigene Justiz“ bildete sich in diesem März trotzdem in Ansätzen aus. So wurde in Lennep das abreißen von Bekanntmachungen des Vollzugsrates unter Strafen gestellt. Vor allem Verleumdungen und Beleidigungen der bewaffneten Arbeiter wurden nicht hingenommen. Besonders im westfälischen Teil des Ruhrgebietes verstand man in diesem Punkt keinen Spaß.In Kamen, wo Arbeiter die Husaren aus Paderborn geschlagen hatten, machte ein Pastor Besuche im Krankenhaus. Am Bett verwunderter Husaren sprach er lobend von ihrem „heldenhaften Kampfe gegen die Staatsfeinde“. Dann trat er an das Bett eines verwundeten Arbeiters und hielt ihm das Gebot „Du sollst nicht töten“ vor. Ein Mitglied der Arbeiterwehr nahm ihn fest und führte ihn zur Aburteilung nach Bergkamen.
In Hohenlimburg wurde für Beleidigung der bewaffneten Arbeiter „Wagenwaschen auf öffentlichen Plätzen“ angedroht. Als in Vorhalle bei Hagen der Leiter des Lebensmittelamtes äußerte, „er müsse jetzt auch noch für die Spartakisten Essen kochen“ (die Arbeiterwehr wurde in der öffentlichen Volksküche verpflegt), zog man ihn zur Rechenschaft; er zahlte 300 Mark und nahm seine Äußerung wieder zurück.
Rauhen Humor bewies der Arbeiterrat von Hagen, der einer Geschäftsfrau, die die bewaffneten Arbeiter als faul bezeichnet hatte, folgendes Schreiben sandte:
„Die unterzeichnete Korporation bittet Sie freundlichst, morgen … von 8 bis 5 Uhr in der Küche Neue Schulstraße, wo für die kämpfenden Arbeiter Verpflegung bereitgehalten wird, beim Aufwaschen und Zubereiten des Essens helfen zu wollen. Wir erwarten, dass sie pünktlich 8 Uhr aus ihrem Hause gehen; sollte das nicht zutreffen, würden Sie uns gestatten, Sie durch einen dieser Arbeiter, die Sie als faul bezeichneten, abholen zu lassen.
Mit aller Ehrerbietung: Der Arbeiterrat.“
Bewaffnete Arbeiterschaft
a) Arbeiterwehr
Aus Sicht der Vollzugsräte war eine der wichtigsten Aufgaben die, die Bewaffnung der Arbeiter unter ihre Kontrolle zu bringen.
So ordnete z.B. der Arbeiterrat Bochum an das alle Waffen die durch die Eroberungen eines Transportes erbeutet wurden, wieder abgegeben werden müssen. Diese Waffen sollten dann an Arbeiter ausgegeben werden welche mindestens seit einem Jahr Mitglied in einer Arbeiterpartei oder einer Gewerkschaft waren. Effektive Kontrolle über kämpfende Arbeiter konnten die Vollzugsräte aber nur über diejenigen entwickeln welche sich nicht an der Verfolgung der Reichswehr und der SiPo beteiligten. Diese Arbeiter blieben in ihren Stadtteilen und ihren Betrieben. Dort bildeten sie Arbeiterwehren und übernahmen Sicherungsaufgaben.
Diejenigen Arbeiter welche die Reichswehr und SiPo verfolgte und später die Front am Rande des Ruhgebiets bildeten, konnten weder durch die lokalen Vollzugsräte noch durch den Zentralrat kontrolliert werden. Diese Arbeiter entwickelten eine selbständige Organisation: Die Rote Ruhr Armee.
Zur Bildung dieser „Arbeiterwehren“ riefen die Vollzugsräte öffentlich auf. Die Mitglieder wurden von den Vollzugsräten unter folgenden Gesichtspunkten ausgewählt:
militärische Ausbildung, zum Teil mit einer mindest Vorraussetzung verbunden. Diese Maßnahme sollte sicherstellen das der Betreffenden überhaupt etwas mit einer Waffe anzufangen weiß
ein Mindestalter, das von Ort zu Ort sehr unterschiedlich sein konnte (z.B. Buer: 24 Jahre, Remscheid: 18 Jahre)
persönliche Zuverlässigkeit, damit nicht jemand bewaffnet wird der damit nur seinen eigenen „Vorteil“ im Sinn hat
sozialistische Überzeugung, Klassenbewusstsein.
Der Nachweiß der sozialistischen Überzeugung wurde von Stadt zu Stadt anders gehandhabt. Grob lässt sich festhalten das der Nachweiß einer Organisierung in einer der Arbeiterparteien oder einer Gewerkschaft ausreichte. Der Essener Vollzugsrat ließ nur Arbeiter zu welche Mitglieder der USP oder der KPD waren, das entsprach der Zusammensetzung des lokalen Vollzugsrates. In Bochum genügte die Mitgliedschaft in einer Gewerkschaft. In Dortmund (ein Zentrum der Syndikalisten) kam man auch mit dem Ausweis der „Freien Vereinigung“ zur Wehr. Die Größe der Arbeiterwehren war sehr unterschiedlich. Sie änderte sich von Stadt zu Stadt und im verlaufe der Revolution. Hierzu ein paar Beispiele:
Buer: In der Woche des 18. März, die Stadt war gerade ein wichtiger Durchzugspunkt der Roten Armee, wurde die Arbeiterwehr auf 200 Mann aufgestockt. Schon in der Woche darauf wurde die Wehr wieder auf 80 Mann reduziert.
Dorsten: Hier verfügte der Vollzugsrat über eine Arbeiterwehr von 22 Mann
Düsseldorf: Mit bis zu 1.400 Mann findet sich hier sicherlich eine der stärksten Arbeiterwehren.
Die Bewaffnung der Arbeiter war eine Sache. Eine andere, ebenfalls sehr dringliche Aufgabe der Aktionsausschüsse und späteren Vollzugsausschüsse, war die Entwaffnung der reaktionären Bürger. Der Dortmunder Vollzugsrat verfügte als erstes das neben Waffen und Munition auch alle Waffenscheine, die nicht vom Vollzugsausschuss ausgestellt waren abgeliefert werden müssen. Der Zentralrat in Essen griff später diesen Gedanken auf. Um diesen Forderungen Nachdruck zu verleihen kam es in vielen Städten zu Hausdurchsuchungen.
Ein Problem der Arbeiterwehren war die Versorgung der Mitglieder und ihrer Angehörigen. Der Vollzugsrat in Mühlheim (Hochburg der Syndikalisten!), beschloss am 25. März das:
„Alle… für die Sache der Revolution… tätigen Arbeiter und Angestellten… bis auf weiteres von denjenigen Arbeitgebern zu entlöhnen [sind], bei denen sie zu Beginn des Generalstreiks in Arbeit standen.“ Ihnen „ist derjenige Lohn zu zahlen, den sie bisher verdienten; sie nehmen selbstverständlich an eventuellen Lohnerhöhungen teil… Diejenigen Arbeiter und Angestellten, welche die … Entlöhnung oder Entschädigung wegen Stellenlosigkeit gegen einen Arbeitgeber nicht geltend machen können, erhalten dieselbe von der Stadtkasse gezahlt.“
Am 27. März beschloss der Zentralrat in Essen das „die großen Unternehmen“ die Löhne weiter zu zahlen haben und: „Eventuell haben die örtlichen Vollzugsräte die Lohnzahlung zu erzwingen“
Vielerorts musste die Besoldung der Arbeiterwehren zu großen teilen oder ganz aus den Stadtkassen geleistet werden, da sich einerseits die Unternehmer weigerten zu zahlen und andererseits die lokalen Vollzugsräte von sich aus den Weg des geringsten Widerstandes einschlugen. Der Vollzugsrat Hattingen erzwang unter Berufung auf diese Verordnung am 1.April die fälligen Zahlungen. Einen Tag vorher begann in Asseln der Vollzugrat mit dem Verkauf von Kohlen aus dem Vorratsraum der Zeche. Mit dem Gewinn (14.000 Mark bis zum Nachmittag des 30.03) wurde die Arbeiterwehr gelöhnt.
Anstatt die Auseinandersetzung mit den Unternehmern zu suchen oder bei Boykott durch selbige zur Selbsthilfe zu schreiten, kamen einige Vollzugsräte auf die merkwürdige Idee die örtliche Polizei zumindest teilweise wieder ein zu setzten. Einerseits waren für die Polizei ja Gelder im Haushalt vorgesehen und andererseits verlagerte sich die Tätigkeit der Arbeiterwehren zusehends auf polizeiliche Aufgaben.
Die Polizei ist jedoch einerseits seit jeher in sogenannten Krisensituationen und bei offenen Klassenauseinandersetzungen als Unterdrückungsinstrument gegen die Arbeiter und Arbeiterinnen eingesetzt worden und war andererseits auch in den Märztagen in einigen Städten damit beschäftigt Demonstrationen zu unterdrücken oder gar offen auf der Seite der Reichswehr und der SiPo gegen die Arbeiter zu kämpfen. Trotzdem beschloss z.B. der Duisburger Vollzugsrat am 23.März die Polizei wieder bewaffnet (!) dienst tun zu lassen. Allerdings wurde schon am morgen des 24.März die ersten Polizisten von der Arbeiterwehr wieder entwaffnet. Kurz zuvor (20.März) hatte die Arbeiterwehr in Dortmund den Vollzugsrat gezwungen den Beschluss, die Polizei wieder bewaffnet dienst tun zu lassen, zurück zu nehmen.
In Barmen und Elberfeld wurden die Polizeidezernenten abgesetzt und durch neue Personen ersetzt. In Barmen wurde darüber hinaus die gesamte Polizei nach Hause geschickt und durch die Arbeiterwehr ersetzt. In Sterkrade und anderen Orten in denen es nicht zu Kämpfen gekommen war wurde die lokale Polizei nicht entwaffnet. Auf ihren Rundgängen wurden sie jedoch von bewaffneten Arbeitern begleitet und kontrolliert.
Bei der Frage der Löhnung möchte ich an dieser Stelle kurz auf die Rote Armee eingehen. Allen beteiligten des Aufstandes war es eine Selbstverständlichkeit das die Rotgardisten eine Löhnung erhalten. Hätten die Beteiligten sich die Zeit genommen über diesen Punkt nachzudenken, dann wäre ihnen evtl. etwas entscheidendes aufgefallen. Die Mitglieder der Arbeiterwehren blieben in ihren Heimatorten, lebten mit ihren Familien zusammen. Die Rotgardisten dagegen hatten sich von ihren Familien getrennt. Außerdem wurden die unmittelbaren Bedürfnisse nach Verpflegung, Unterkunft und medizinischer Behandlung der Rotgardisten jeweils vor Ort gestillt. Die Familien dagegen waren auf den Lohn angewiesen um Lebensmittel, Miete usw. bezahlen zu können. Durch die Auszahlung der Löhne an die Rotgardisten bestand immer die Gefahr das das Geld während der Kämpfe verloren geht. Gleichzeitig mussten die Familien ihre Lebensmittel und oft auch die Miete anschreiben lassen, so das die Vermieter (vielfach die Firmen) genau wussten wer bei der Roten Armee war.
Bewaffnete Arbeiterschaft
b) Die Rote Ruhr Armee
Die Arbeitermassen, die im Industriegebiet von Ort zu Ort zogen und schließlich die Front an der Lippe aufbauten, waren von Anfang an kein ungeordneter Haufen, sondern gliederte sich in kleinen Einheiten von Arbeitern, die sich gegenseitig kannten. „Die Fabrikgemeinschaft, der Parteidistrikt, für die kleineren Ortschaften der persönliche Bekanntenkreis waren die gegebenen Grundlagen für eine organisatorische Kampfgemeinschaft“, schreibt ein Beobachter; den Wohnbezirk und besonders die für den Bergbau typischen Junggesellenheime müsste man hinzunehmen. In Hagen gingen die acht Parteibezierke der USP nach den ersten Siegen daran, „selbständige Kompanien zu gliedern“ und sie mit den eroberten Waffen und Bagagen „feldmarschmäßig auszurüsten“.
In Duisburg und Hamborn trat die Freie Arbeiter-Union geschlossen der Roten Armee bei. Nicht mehr so unmittelbar aus bestehenden persönlichen oder politischen Beziehungen heraus kamen später die Einheiten zustande, die von den so genannten „Werbebüros der Roten Armee“ aufgestellt wurden. Aufnahmestellen gab es in fast allen Städten. Sie wurden entweder von den Vollzugsräten oder direkt (!) von der Roten Armee gebildet. Man kann annehmen, dass die Arbeiter sich bei diesen Aufnahmestellen in Gruppen meldeten und darauf achteten, möglichst mit Freunden, Bekannten und Kollegen zusammenzubleiben.
Die Roten Armee hatte im Kerne eine grundlegend andere Art der Organisierung als das Militär oder die Polizei. Bei Militär und Polizei haben wir das Kommando der Wenigen über die die gehorchende Masse, bei der Roten Armee haben wir den bewussten Entschluss der Vielen zur solidarischen Aktion. Außerdem der Unterschied in den Zielen: Da die unterdrückte Klasse weiter in der Unterdrückung zu halten, hier ein Ende mit der Unterdrückung zu machen. Das Prinzip der Freiwilligkeit war und blieb bis zu letzt, trotz aller Kopiererei des militärischen, die Grundlage der Roten Armee. Dies kann man auch an folgenden zwei Beispielen deutlich erkennen: zum einen blieb die einzige Beschränkung die den Arbeitern, welche die Front verlassen wollten, auferlegt wurde die, das sie ihre Waffen und Munition abgeben mussten. Zum anderen erklärte die Mühlheimer Kampfzentrale noch am 1.April: „Die Löhnung für Angehörige der Roten Armee vom obersten Befehlshaber bis zum kämpfenden Genossen ist einheitlich 35 Mark pro Tag“. Dies war zwar nicht ganz richtig, denn die Mühlheimer Kampfzentrale konnte nie ihren Anspruch auf die Oberleitung über die gesamte Rote Armee verwirklichen, aber es ist dennoch ein beredtes Zeichen für die Idee der Gleichheit.
Die stärke der Einheiten war ziemlich unterschiedlich. Nach der Niederschlagung des Aufstandes stellte die Reichswehr aus Papieren der Roten Armee, die ihr in die Hand gefallen waren, in einer Liste 110 solcher Einheiten zusammen, unter denen sie bei 80 die Stärke angeben konnte. Nimmt man die Radfahrer und Sanitäter aus dieser Liste heraus, bleiben 78 kämpfende Einheiten, von denen die kleinste 15, die stärkste 347 Mann zählte. Der Durchschnitt war 70 Mann pro Einheit. Das passt zu den Beobachtungen des Bürgermeisters von Dinslaken, der die Rote Armee in Gruppen von 60-100 Mann einrücken sah. 70 Mann war auch zum Beispiel die Stärke, in der das Werbebüro der Roten Armee in Gelsenkirchen neue Einheiten zusammenstellte. Jede dieser Einheiten hatte einen Führer. Er musste das Vertrauen der Einheit erworben haben, entweder durch seine Tätigkeit vor dem Aufstand oder durch sein Verhalten während des Kampfes, meist wohl durch beides zusammen. Laut einer Instruktion vom 24.März sind die „Mannschaften … berechtigt, ihre Führer selbst zu wählen,…“.
Aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die Aufnahmebedingungen für die Rote Armee, die in der Phase der Konsolidierung nach den Straßenschlachten festgesetzt wurden.
In Oberhausen musste der sich Meldende mindestens eine halbjährige Mitgliedschaft in einer linken Partei oder Gewerkschaft und eine einjährige militärische Ausbildung nachweisen, durfte nicht jünger als 22 und nicht älter als 45 Jahre sein und keine Vorstrafen „wegen ehrloser Verbrechen“ haben.
In Gelsenkirchen musste er die Mitgliedschaft in einer Freien Gewerkschaft oder einer der drei Arbeiterparteien sowie militärische Ausbildung mit mindestens halbjähriger Fronterfahrung nachweisen.
In anderen Städten dagegen wurde nur die Zugehörigkeit zu einer sozialistischen Arbeiterorganisation verlangt:
In Hamborn mindestens zweijährige Mitgliedschaft in einer Partei oder Gewerkschaft,
in Essen einjährige Mitgliedschaft in USP oder KPD;
in Horst rief der Aktionsausschuss „alle Arbeiter, welche auf dem Boden der Diktatur des Proletariats stehen“, zum Eintritt in die Rote Armee auf. Das hatte zur Folge das auch Jugendliche ein Gewehr erhielten, die nicht damit umzugehen verstanden, ein Missstand, der immerhin zeigt, dass auf das politische Bewusstsein das Schwergewicht gelegt wurde.
Der Lockeren Gliederung der Roten Armee in Basiseinheiten setzten die Arbeiterparteien schon bald den Primat des Zentralismus und Militarismus (!) entgegen. In einem Aufruf, den die Vorsitzenden der drei Arbeiterparteien in Hagen am 21.März veröffentlichten, hieß es: „In allen Gemeinden sind die Wehren streng militärisch zu organisieren. Bei der Gruppe ist anzufangen, es folgt der Zug – Kompagnie – Bataillon. Die Organisation wird gemeinde- und kreisweise zusammengefasst. Alle Orte haben der Zentrale in Hagen sofort die Anzahl der Gewehre, MG, Artillerie und sonstiger Waffen anzugeben, desgleichen Munition, Fahrzeuge, Feldküchen usw. sind fahrbereit zu machen. Die Ausbildung ist mit größter Schnelligkeit zu betreiben“. Die in diesem Aufruf genante >Zentrale< bestand aus zwei Kommissionen, die der Hagener Aktionsausschuss am Tag nach den siegreichen Kämpfen in Dortmund und Elberfeld gebildet hatte: der „Verteidigungs-Kommission“ mit dem Sitz im Arbeitersekretariat der Freien Gewerkschaften, und einer Kommission für Fahrzeuge und Bagage, die ihren Sitz in der Baugenossenschaft, „Arbeiterheim“ im Vorort Wehringhausen genommen hatte. Die wichtigere erste der beiden Kommissionen wurde geleitet von dem 37jährigen Sekretär der Metallarbeitergewerkschaft Josef Ernst (USP). Die von Ernst geleitete Kommission nannte sich später „Zentraler Verteidigungsaussschuss“, und zwar weil sie die Oberleitung über die ganze Rote Armee beanspruchte. Diesem Anspruch wurde die >Zentrale< aber nie gerecht. Zum einen bildeten fast alle Aktionsausschüsse und Vollzugsräte ähnliche Kommissionen, zum anderen entstanden im laufe der Kämpfe insgesamt drei konkurrierende >Zentralen<.
Je größer das Arbeiterheer wird, umso weniger sind es die Vollzugsräte, die eine höhere Organisation der Roten Armee ausbilden, umso mehr entsteht diese Organisation aus der Roten Armee selbst heraus.
In Oberhausen erklärte sich nach dem Einmarsch der Roten Armee in der Nacht vom 19. auf den 20.März der 32jährige Schlosser Hermann Weidtkamp aus Mühlheim-Styrum zum Stadtkommandanten und richtet sich im Gebäude einer ehemaligen Polizeiwache ein. Seinem Stab gehörten außer einem Adjudanten ein ehemaliger Polizeibeamter aus Mühlheim sowie vier Arbeiter aus Oberhausen an, von denen einer, de Longueville, bereits in der Revolutionszeit von 1918/19 hervorgetreten war.
Am Nachmittag des 20.März, als in den Vororten Hamborns der Straßenkampf zwischen den Arbeitern und dem Reichswehrregiment 61 tobte, bildete der 35jährige Straßenbahner August Müller, ebenfalls aus Mühlheim-Styrum, im Rathaus von Hamborn eine Kampfleitung; als Mitarbeiter stellte sich ihm der Unabhängige Hausschild, Mitglied des Hamborner Aktionsausschusses, zur Seite. Müller, der es im preußischen Heer bis zum Unteroffizier gebracht hatte, leitete vom Rathaus Hamborn aus die zweitägige Belagerung von Dinslaken. Am Morgen nach dem Abzug der Reichswehr setzte er einen Stadtkommandanten von Dinslaken ein, zunächst einen Arbeiter aus dem benachbarten Wehofen, dann endgültig den 29jährigen Hans Ficks aus Düsseldorf. Nach der Einnahme Dinslakens verlegte Müller seinen Stab vom Rathhaus Hamborn in die Gaststätte >Vier Linden< in Walsum. Ficks stand wie Müller auf dem linken Flügel der KPD. Er war gegen die Beteiligung an den Parlamentswahlen, für den Austritt aus den Gewerkschaften und für ein freundliches Verhältnis zu den Syndikalisten. Nach seiner Ernennung zum Stadtkommandanten von Dinslaken besetzte er die wichtigsten Posten mit Düsseldorfern: die Kampfleitung sowie die Leitung der örtlichen Sicherheitswehr. Von einem dieser Männer, dem Lithographen Starck ist bekannt das er ebenfalls Linkskommunist war.
In einem Papier vom 26.März bezeichnet Müller die von ihm geleitete Kampfront, vom Rhein bis Hünxe südlich und Peddenberg nördlich der Lippe, und unterteilt sie in drei Abschnitte. Faktisch reichte sein Befehlsbereich bis Hünxe. Die nördlich der Lippe stehenden Einheiten der Roten Armee wurden von Marl aus zentralisiert.
Marl war am 20. März von auswärts von der Herrschaft des Militärs befreit worden. Als erste waren Rotgardisten aus Bochum eingetrofen. Die Arbeiter von Marl, darunter die Belegschaft der Zeche >Brassert<, die radikalste in weitem Umkreis, traten zu einer öffentlichen Versammlung zusammen und schlossen die Vertreter der SPD und der freien Bergarbeitergewerkschaft aus dem örtlichen Aktionsausschuss aus, da sie keine Revolutionäre seien. Der Aktiosausschuss benannte sich um in Vollzugsrat (vermutlich um neue linksradikale Mitglieder ergänzt) und erklärte sich zur „Zentralleitung der Roten Armee“. Vorsitzender war Karl Wohlgemuth (USP).
Sitz der Zentralleitung war das Gemeindegasthaus. Am 21. März überschritten in Marl gebildete Rotgardisten-Einheiten an der Seite der aus den Revierstädten gekommenen Arbeiter bei Haltern die Lippe und besetzten nach Kämpfen mit der Reichswehr das Schloß Sythen. Ihr Führer war der Bergmann Felix Gräf, Mitglied des Vollzugsrats Marl. Haltern war der nächste östlich Marl gelegene Lippe-Übergang. Der nächste westlich gelegene war Dorsten. Die Kampfleitung in Dorsten, die sich in der Nacht vom 21. zum 22. März im Hotel Eschershaus bildete, bestand anscheinend vor allem aus Gelsenkirchenern. Ein Gelsenkirchener war auch der Führer der Rotgardisten, die von Dorsten aus nördlich der Lippe gegen Wesel vorstießen, Gottfried Karusseit.“ Am 24. März wurde zwischen Dorsten und Marl eine Zentralisierung der Befehlsverhältnisse vorgenommen. Gräf erhielt das „Oberkommando für den Abschnitt Ost“, Karusseit das für den „Abschnitt West“; beide unterstanden der „Zentralleitung“ in Marl. Weitere Kampfzentralen bildeten sich im Nordosten und Osten des Industriegebiets. Die erste entstand in Kamen; sie wurde geleitet von dem Metallarbeiter Wilhelm Dieckmann aus Dortmund.“ Am 23. oder 24. März übernahm der USP-Parteisekretär Walter Meis aus Gevelsberg das Kommando der Roten Armee in Lünen, anscheinend auf Bitte des Lehrers Stemmer. Meis, bis dahin Führer der Kampfleitung Gevelsberg, war eng mit dem „Zentralen Verteidigungsausschuß“ in Hagen verbunden, der von seinem Parteifreund Ernst geleitet wurde. Die dritte Kampfleitung – neben Kamen und Lünen – in diesem Raum entstand in Unna. Sie nannte sich „Hauptkampfleitung Ost“ und richtete sich im Hotel Niemeyer ein; ihr gehörten u. a. der Lehrer Stemmer und ein Führer der Rotgardisten aus Witten, Brönnecke, an. Die Kampfleitung in Unna stand ebenfalls in enger Verbindung mit der Zentrale in Hagen, während die in Kamen mehr eine Filiale des Vollzugsrats in Dortmund war.
Werfen wir hier nebenbei einen Blick auf die Gebäude und Räumlichkeiten, die die Rote Armee benutzte, und vervollständigen wir das Bild, das wir bereits darüber gewonnen haben. Wir finden
1. Gebäude des vertriebenen Militärs und der Sipo. Sitz der Kampfleitung Elberfeld wurde zum Beispiel das ehemalige Abschnittskommando von General v. Gillhaussen am Mäuerchen, Sitz der Kampfleitung Mülheim die Kaserne des Freikorps Schulz; die Meldestelle für die Rote Armee in Essen wurde in den Kruppschen Baracken im Segeroth-Viertel eingerichtet.“
2. Rathäuser als Sitz von Kampfleitungen (in wenigen Fällen). Diese Möglichkeit wurde offenbar nicht als ideal empfunden, da z.B. Müller in Hamborn und Ficks in Dinslaken nur vorübergehend in einem Rathaus blieben.
3. Schulen als Sitz von Kampfleitungen und als Küchen. Die Turnhallen waren beliebt als Quartier der Kampfeinheiten
4. Gaststätten und Hotels als Sitz von Kampfleitungen, als Meldestelle für den Eintritt in die Rote Armee, als Quartier und – vorn an der Front, z. B. in Hünxe – als Lazarett.
5. Die Junggesellenheime der Zechen wurden vor allem als Verpflegungsstationen benutzt. Das Junggesellenheim in Lohberg diente ferner als Quartier, als Munitionsdepot und als Lazarett für leichter Verwundete (Schwerverwundete kamen in die Krankenhäuser von Dinslaken).
Mit dem bisher geschilderten Aufbau von Kampfzentralen hatte es nicht sein Bewenden; es gab Bestrebungen, eine darüber hinausgehende Zentralisierung zu erreichen. Ein Ansatzpunkt ergab sich daraus, daß Müller in Hamborn bzw. Walsum und Weidtkamp in Oberhausen Mülheimer waren. Man kann annehmen, daß beide von Anfang an in enger Verbindung mit der Kampfleitung Mülheim standen, zumal diese von einem Mann ihres politischen Standpunkts geleitet wurde: dem 33jährigen Dekorationsmaler Karl I,eidner. Am 26. März kamen die Kampfleiter des westlichen Frontabschnitts in Mülheim zusammen und gaben sich eine dreiköpfige Oberleitung, gebildet aus Leidner, Weidtkamp und einem nicht näher bekannten Mann namens Bovensiepen, der vermutlich ebenfalls Mülheimer war. Weidtkamp sollte die Oberleitung gegenüber den Fronttruppen vertreten und außerdem das Kommando über einen Teil des Frontabschnitts innehaben; das Kommando über den anderen Teil fiel Müller zu. Leidner und Bovensiepen in Mülheim hatten demgegenüber die operative Planung und Organisationsaufgaben wahrzunehmen. In Mülheim herausgegebene Verfügungen wurden gestempelt „Hauptquartier R. A. D. d. P.“, d. h. „Hauptquartier Rote Armee Diktatur des Proletariats“.
Es ist aufschlussreich, welche Traditionen sich hier durchgesetzt hatten. Mülheim war im Kaiserreich die einzige Garnisonstadt im eigentlichen Ruhrgebiet; 1918 war die Stadt daher ein Zentrum der revolutionären Bewegung der Soldaten gewesen. Im Soldatenrat Mülheim war dann wohl unter allen Soldatenräten des Reviers die Erkenntnis am lebendigsten gewesen, daß die Bestrebungen und Aktionen des Proletariats durch eine bewaffnete Macht abgesichert werden müssten. Die Oberleitung Mülheim verstand sich als Kommandozentrale der gesamten Roten Armee – ein Anspruch, der weit entfernt von der Realität war, den die Oberleitung jedoch auszufüllen bestrebt war. Auf einer Konferenz in Marl am 30. März, zu der Weidtkamp als Vertreter von Mülheim fuhr, erkannten die versammelten Kampfleiter dieses Abschnitts einschließlich der Zentralleitung Marl Mülheim als übergeordnete Befehlszentrale an. Für die Verbindung zwischen Marl und Mülheim wurde eine Brieftaubenpost eingerichtet sowie ein Kurier ernannt. Wenn im Protokoll dieser Konferenz der bisher von Marl geleitete Kampfabschnitt nunmehr als „Abschnitt Ost“ bezeichnet wird, so zeigt das, daß die Mülheimer ihrem Anspruch nur teilweise gerecht werden konnten. Die wirklich im Osten liegenden Kampfleitungen – Lünen, Kamen, Unna – konnten sie ihrem Einflusss nicht unterwerfen. Das bedeutet nicht, daß diese Kampfleitungen für sich operiert hätten, im Gegenteil: politische und persönliche Verbindungen liefen von ihnen nach Marl, nur wurden diese Verbindungen nicht von Mülheim kontrolliert. Andererseits konnte die Zentrale in Hagen erst recht nicht ihren Anspruch auf das Kommando über die gesamte Rote Armee verwirklichen – schon aus dem Grunde nicht, weil die Hauptmasse der Roten Armee vor Wesel konzentriert war und Mülheim daher automatisch ein Übergewicht hatte. So ist der Feststellung von Colm zuzustimmen, daß „eine regelrechte dauernde Fühlung zwischen dem rheinischen und dem westfälischen Abschnitt fast nie bestanden“ habe.
Militarisierung
In einer Instruktion vom 24.März heist es:
„Die einzelnen Einheiten müssen sich verpflichten, gegen Unterschrift, dass sie für unsere Ideale Sache bis zum letzten Atemzug einstehen und die Front ohne Erlaubnis oder Befehl nicht verlassen … Viele Leute sind sich der ernsten Lage noch gar nicht bewusst. Unseren gefallenen Kameraden, die ihr bestes, was sie hatten, ihr Leben, für unsere Ideale Sache hingaben, schon allein sind wir es schuldig, den Kampf mit dem Kapitalismus bis zum Ende durchzuführen. Es gibt ein altes Sprichwort, dass heißt: Einigkeit macht stark, Darum müssen wir einig sein, um zum Ziele zu kommen. Unsere Parole heißt: Siegen oder sterben. […]“
In Marl wurde folgendes Dienstreglement erlassen:
„Zum Kampf gegen eine reguläre Truppe gehört eine Armee mit einer strengen Disziplin und Manneszucht. Da uns ernste Kämpfe noch bevorstehen, und uns die Erfahrungen gelehrt haben, dass wir nur durch straffe Haltung der Mannschaften aktionsfähig sein können, sollen unsere Truppen auf folgender Grundlage vereinigt werden:
§1
Jedermann, welcher der Roten Armee beigetreten ist, hat sich auf den Boden des revolutionären Proletariats gestellt. Wem nachgewiesen wird, dass er nur aus unlauteren Absichten, die unsere heilige Sache schädigen könnten, wird mit der strengsten Strafe vorgegangen (Todesstrafe)
§2
Die Truppen haben den Befehlen ihrer Führer strengsten Gehorsam zu leisten. Wer den Befehlen ihrer Führer nicht nachkommt, wird entwaffnet und streng bestraft.
§3
Feigheit vor dem Feind wird strikte mit dem Tode bestraft, ebenso wem Rauben, Stehlen und Plündern nachgewiesen wird; sowie eigenes Beute machen…“
Die Rotgardisten sollten einen regelrechten Eid ablegen und zwar nach folgender Eidesformel:
„Ich schwöre auf dem Programm der revolutionären Arbeiterschaft, dass ich die hohen, heiligen Ideale für Freiheit, Gleicheit und Brüderlichkeit mit meinem Herzblut erkämpfen will. Die mir vorgelesenen Paragraphen des Reglements sollen mir stets als Richtschnur meines Handelns dienen.
Es lebe der Sozialismus!
Menschenrecht, wer Menschenantlitz trägt!“
Beide Dokumente zeigen die starke Übernahme von Denkweisen und Führungsmethoden des Militärs. Dabei fallen doch ein paar Unterschiede auf. Während im ersten Text die geschwollene Sprache auffällt, benutzen die Marler u.a. den typisch militärischen Begriff „Feigheit vor dem Feind“, der jedes Zurückweichen im Kampf von vorneherein als schimpflich bezeichnet und damit das Durchhalten zum Wert an sich verselbstständigt. Ist im ersten Text von einer schriftlichen (Selbst-)Verpflichtung die Rede, so nehmen die Marler einen Eid ab und drohen neben vielerlei schweren Strafen für dies und jenes auch noch die Todesstrafe an!
Diese Anlehnung an das Militär ist leicht erklärlich, waren doch alle Akteure vom Militär und Weltkrieg stark geprägt und abgesehen von den syndikalistischen und einigen linksradikalen Organisationen waren alle Arbeiterparteien und die Gewerkschaften strikt hierarchisch aufgebaut.
Aber diese beiden Dokumente liefern nicht nur Hinweise auf die geistige Struktur der Führer der Roten Armee, sondern sagen auch etwas über die Motivation und die Ziele der Bewegung aus:
– Kampf gegen den Kapitalismus (im ersten Text)
– Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Sozialismus (Marl)
Ergänzend noch ein Aufruf aus Gelsenkirchen, der für den Eintritt in die Rote Armee wirbt:
„Arbeiter Gesinnungsgenossen …, wollt ihr frei sein von dem Joche des Sklaventums, in welchem Ihr Jahrzehnte verbannt gewesen seid, wollt Ihr das hohe Ideal der Menschheit: Frieden, Freiheit und Recht erkämpfen, so tretet ein in die ‚Rote Armee’ zur Sicherung der Errungenschaften, die Eure Brüder der ‚Roten Armee’ für Euch bis jetzt erkämpft haben. Jetzt oder nie. Arbeiter seid einig, Arbeiter seid stark! Nur die Geschlossenheit des Proletariats führt zum Siege“.
Oder, der Aufruf des Vollzugsrats Lohberg:
„Kameraden, in der augenblicklichen Lage steht unsere ganze Existenz auf dem Spiele. Wir kämpfen nicht für die Interessen einzelner Personen, sondern für die Interessen der Kopf- und Handarbeiterschaft in ihrer kompakten Masse. Nicht Ruhm noch Ehre, nicht Orden und Ehrenzeichen sollen Triebfeder unserr Aktion sein, sondern die Sicherstellung unserer Daseinsberechtigung als Mensch …
Hinweg mit der modernen Sklaverei! … Wir wollen nicht im Staube kriechen vor denjenigen, die durch Zufall ihrer Geburt sich ein von Oben-herab-blicken anmaßen dürfen. Wir wollen nicht weiterhin besitzlose Proletarier sein, sondern wir verlangen Miteigentumsrecht an den Produktionsmitteln. Wir verlangen Mitverteilungsrecht an der von uns erzeugten Produktion. Wir verlangen Eigentumsrecht an den Schätzen, die sich auf und unter der Erde vorfinden. Wir verlangen das Paradies auf Erden und lassen uns nicht mehr mit der Hoffnung auf ein besseres Jenseits abspeisen. Auch wollen wir kein zweites Berlin, kein zweites Bayern, kein zweites Ungarn. Und, um das zu verhüten, müssen wir siegen und sollten wir bis zur letzten Konsequentz kämpfen müssen. Denkt an Rosa! Denkt an Karl! … Darum der Appell an Euch, ihr Brüder an der Front, bedenckt, dass wir Sieger bleiben oder sterben müssen“
Was duch alle texte durchscheint ist die Grundeinstellung: Kampf „bis zum Ende“, „siegen oder sterben“, „jetzt oder nie“. Es scheint, dass dies genau die Einstellung bzw. Einschätzung der Lage entsprach, mit der die Rotgardisten in den Kampf zogen.
Auf einem Geschütz der Aufständischen stand mit Kreide geschrieben: „für Tod und Leben“. „Siegen oder sterben!“ standüber dem Eingang eines Lazaretts der Roten Armee in Oberhausen.
Ein bürgerlicher Journalist berichtete: „Die Stimmung …gipfelt in einem fanatischen Hass gegen alles was Reichswehr heißt: ‚Noske’(SPD) ist der Gattungsname für die Reichswehrtruppen, und diese Reichswehrtruppen sind, nach ihrer Meinung, zu allem fähig. … wobei alles was Reichswehr heißt ‚Noske’ ist, alles was zur Roten Armee gehört, ‚Jongens’ heißt“
So entspricht dem kollektiven Hass auf die Reichswehr ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das in dem Wort ‚Jongens’ zum Ausdruck kommt. Und noch etwas anderes spielt eine Rolle in den Gefühlen der Arbeiter: die verpflichtende Erinnerung an die Führer des revolutionären Proletariats. Sie kommt vor allem in den beliebtesten Lied der Roten Armee zum Ausdruck, einem umgedichteten Soldatenlied aus dem Weltkrieg (‚Auf, auf zum Kampf, zum Kampf sind wir geboren’), dessen Refrain ‚Dem Kaiser Wilhelm haben wir’s geschworen, dem Kaiser Wilhelm reichen wir die Hand’ umgeändert wurde in ‚ Dem Karl Liebknecht haben wir’s geschworen, der Rosa Luxemburg reichen wir die Hand’. Von den 110 Einheiten, welche die Reichswehr später erm,ittelt hatte, nannten sich sechs ‚Rosa Luxemburg’ oder einfach ‚Rosa’, ‚zwei ‚Liebknecht’. Andere Einheiten nannten sich nach Hugo Haase, der 1919 an den folgen eines Attentats gestorben ist, Kurt Eisner, der 1919 von einem monarchistischen Attentäter erschossen wurde und nach August Bebel. Der einzige nachweisbare Name der nicht aus der deutschen Arbeiterbewegung stammt war der von Leo Trotzki, dem Führer der russischen Roten Armee.
Über die Zusammensetzung der Roten Armee lässt sich nur sehr wenig mit Sicherheit sagen. Einen relativ großen Anteil hatten sicherlich junge Männer. Inwieweit Frauen an den Kämpfen direkt beteiligt waren kann ich nicht sagen, aber eines ist sicher, auch Frauen waren in der Roten Armee. Eine Arbeiterin aus Mühlheim, Mitglied der Freien Sozialistischen Jugend, überlieferte das die Arbeiter-Samariter Schnellkurse durchführten: „Sie lehrten wie man Verbände macht, Schienen anlegt oder wie Verwundete transportiert werden müssen.“ Über die Arbeiter-Samariterinnen an der Front vor Wesel schrieb ein bürgerlicher Journalist: „Ihr Mut und ihre Aufopferung verdienen rückhaltlose Bewunderung. In der vordersten Feuerlinie sieht man angegraute Arbeiterfrauen und kaum erwachsene junge Mädchen, die ungeachtet des Kugelregens tapfer ihr Liebeswerk vollbringen“.
Insgesamt waren die Frauen allerdings nicht wirklich akzeptiert. Dies äußerte sich innerhalb der Revolution zum Beispiel dadurch das die Vollzugsräte nichts an der allgemeinen Minderbezahlung die Frauen gegenüber den Männern erdulden mussten änderten. Innerhalb der Roten Armee gab es nicht wenige Kampfleiter die entweder alle Frauen oder doch wenigstens die unverheirateten Frauen wieder loswerden wollten. Offen antisexuell äußerte sich der Stadtkommandant von Duisburg, Münzberg: „Ich werde einen Befehl herausgeben das Liebe an der Front mit dem Tode bestraft wird. So etwas entwürdigt unsere heilige Sache“. Der Vollzugsrat Duisburg vermutete gar Huren an der Front und verordnete: „Wer sich unbefugt hinter der Front herumtreibt, wird erschossen; dies gilt auch für .. weibliche Personen zweifelhaften Charakters“ … und ruft zur Denunziation auf: „Wer Kenntnis von solchen demoralisierenden Umtrieben in der Roten Armee erhält, ist verpflichtet, Anzeige zu erstatten“.
Die FAUD und die Rote Ruhr Armee
Auf dem Gründungskongress der FAUD (Dez. 1919) behauptete ein Duisburger Delegierter das 90 % der Bergarbeiter im Ruhrgebiet syndikalistisch seien. Zu Beginn des Jahres 1920 schrieb Augustin Souchy, Mitglied der Geschäftskommission der FAUD im ‚Syndikalist’, das im Ruhrgebiet die Syndikalisten so stark seien, dass sie, unter günstigen Vorraussetzungen und wenn es in nicht allzu langer Zeit zu einer neuen Revolution komme, sie die revolutionäre Übernahme der betriebe durch die Produzenten einleiten könnten. Normalerweise war die Geschäftskommission mit solcherlei Prognosen immer sehr vorsichtig.
In den verschiedenen Abschnitten dieses Kapitels habe ich schon mehrfach auf die Beteiligung der Syndikalisten hingewiesen. Darum sei hier nur noch mal daran erinnert, das unter anderem in Essen, Mühlheim, Oberhausen, Duisburg, Dinslaken und Dortmund Vollzugsräte mit FAUD-Beteiligung gebildet wurden. Am konsequentesten waren die Mühlheimer Syndikalisten. Ihre Handlungen entsprachen den anarcho-syndikalistischen Grundsätzen. Sie nahmen die Kollektivierungen der spanischen Anarcho-Syndikalisten während der Revolution 1936/37 vorweg. Auch dort gingen die Arbeiter unmittelbar nach dem Militärputsch daran, die Produktion unter Ausschaltung staatlicher Instanzen zu kollektivieren.
Gerhard Colm hat anhand von Unterstützungslisten für die Opfer der Märzrevolution, bei denen bei 374 die Gewerkschaftszugehörigkeit angegeben war, diese Verteilung errechnet:
ADGB 53,2 %
FAUD 44,9 %
Hirsch-Dunkersche Gewerkschaften 0,8 %
Christliche Gewerkschaften 0,8 %
Demnach war die FAUD im Verhältnis zu ihrer Mitgliederzahl überproportional vertreten. Syndikalisten waren jedoch nach Klan/Nelles keine Kampfleiter der Roten Armee, auch wenn dies in der KPD- und SPD-Literatur zum Beispiel über die Mühlheimer Kampfleitung der Roten Armee behauptet wird. Überhaupt wird in der Literatur oft ganz unkritisch eine Nähe von Syndikalismus und Linkskommunismus behauptet. Nach Lukas gibt es aber durchaus nennenswerte Unterschiede: „Syndikalisten waren die ‚animateurs’ jener Großbelegschaften im Bergbau des westlichen Ruhrgebiets, die 1918/19 die große Streikbewegung entfalteten und in der Auseinandersetzung mit der Arbeitsgemeinschaft Politik der Gewerkschaften politisiert worden waren; diese Belegschaften beteiligten sich führend an den Straßenschlachten gegen Freikorps und staatliche Polizei und beachteten dann während der ganzen Dauer des Aufstandes jederzeit die Möglichkeit, die die Situation bot, vermieden jede abenteuerliche Einzelgängerei und brachen schließlich, als sie eine weitere Fortsetzung des Kampfes als aussichtslos betrachteten, die Bewegung außerordentlich diszipliniert ab. – Linkskommunisten soweit sie als solche identifizierbar sind, waren dagegen Arbeiter, die durch Erfahrungen mit der militärischen Konterrevolution von 1919 politisiert worden waren, zum Teil Zuchthaus oder Gefängnis hinter sich hatten und vom Arbeitsplatz her ziemlich isoliert waren (Straßenbahner, Dekorationsmaler, Maschinenbauer,…), aber im überlokalen Kontakt miteinanderstehend und ‚opinion leaders’ kleiner, verschworener Gruppen; im Aufstand von 1920 daher wegen ihrer militärischen Erfahrung rasch wichtige Kommandostellen einnehmend, wurden sie ein schweres Problem für die Bewegung, weil sie nichts als den bewaffneten Kampf gelten ließen, jede politische Debatte innerhalb der Bewegung als Schwäche ansahen […] und dann, als der bewaffnete Kampf verloren ging, nach der Devise ‚Sieg oder Untergang’ handelten.“
Innerhalb der FAUD war die Beteiligung der an den Ereignissen, insbesondere an der Roten Ruhr Armee nicht unumstritten. Besonders die Berliner Geschäftskommission sprach sich gegen Gewaltanwendungen aus. Man einigte sich schließlich darauf das während revolutionärer Ereignisse „Gewaltakte vorkommen werden“. Für die Syndikalisten und Syndikalistinnen stellte sich jedoch nicht die Frage „ob wir die sozialen Kämpfe und die soziale Revolution ohne Gewalt durchführen können, sondern ob wir glauben, die neue Gesellschaft durch Gewaltmittel aufrechtzuerhalten.“ Diese Haltung fand auch in die Prinzipienerklärung der „Internationale(n) Arbeiter Assoziation“ ihren Eingang und verdeutlicht so auch noch einmal im globalen Maßstab die Haltung der SyndikalistInnen zur Gewaltfrage und zur Frage der sozialen Revolution: „Gegner jeder organisierten Gewalt in der Hand irgendeiner revolutionären Regierung verkennen die Syndikalisten nicht, dass in den entscheidenden Kämpfen zwischen der kapitalistischen Gegenwart und der freien kommunistischen Zukunft die Dinge sich nicht reibungslos abspielen werden. Sie anerkennen daher die Gewalt als Verteidigungsmittel gegen die Gewaltmethoden der regierenden Klassen im Kampfe für die Besetzung der Betriebe und des Grund und Bodens durch das revolutionäre Volk. Ebenso wie die Expropriation der Betriebe des Landes von den revolutionären Wirtschaftsorgaisationen der Arbeiter praktisch ausgeführt und auf die Bahn der sozialen Reorganisation geführt werden muß, so darf auch die Verteidigung der Revolution nicht einer bestimmten militärischen oder irgend einer anderen Organisation, die außerhalb der Wirtschaftsverbände steht, überlassen bleiben, sie muß vielmehr den Massen selbst und ihren wirtschaftlichen Organisationen anvertraut sein.“.
Die Betriebe: Verhältnis Aktionsausschuß/Vollzugsrat – Betriebsrat – Trennng: Politik – Wirtschaft
Die Aktionsausschüsse in Bochum und Mühlheim haben die Belegschften sofort aufgefordert neue Betriebsräte zu wählen. Aktionsausschüsse u.a. Düsseldorf, Remscheid und anderswo schlossen sich dieser Aufforderung an und bis zum 20.März waren schon in velen Betriebe in gesmten Revier neue Betriebsräte gewählt. Dank des Militärs ging dies nicht überall reibungslos vonstatten. Allerdings beanspruchten die Betriebsräte nicht die Führung der Bewegung und bekamen von den Aktionsausschüssen auch keinerlei besondere Befugnisse zugesprochen.
Die KPD hatte zwar am 13 März in ihrem Wahlaufruf noch geschrieben: „Wählt sofort in jedem Betrieb, in jeder Werkstätte euren Arbeiterrat. … Wählt nur Arbeiter, die auf dem Boden der Diktatur des Proletariats stehen. Die Arbeiterräte treten sofort zur Vollversammlung zusammen, die dann die gesamte Macht übernehmen muß …“ In Essen, wo die KPD stark vertreten war, machte sie sich daran ihren Plan in die Tat umzusetzen. Die geplante Vollversammlung der Arbeiterräte konnte ungestört zusammenkommen. Womit die KPD allerdings nicht gerechnet hatte, war, das SiPo und Einwohnerwehr die öffentlichen Gebäude besetzten. Anstatt zu einer „proletarischen Lösung“ zu kommen, also SiPo und Einwohnerwehr zu vertreiben, beschloss diese Versammlung einen 33 Mitglieder umfassenden Ausschuss zu wählen, welcher einen Siebenerausschuss „zur Übernahme der öffentlichen Gewalt“ bestimmen sollte. Von beiden Ausschüssen hörte man in den folgenden Tagen nichts mehr. Nachdem die Arbeiter Reichswehr und SiPo vertrieben hatten nahm die KPD ihre ursprüngliche Idee nicht wieder auf. Die Vollversammlung der Betriebsräte Essen trat zwar noch zweimal zusammen, allerdings nicht um einen neuen Vollzugsrat zu wählen. Der Vollzugsrat gestand der Versammlung nur zu ausgeschiedene Vollzugsratsmitglieder Fraktionsweise zu ersetzen. Das heißt schied jemand von der KPD aus, so wurde jemand aus der KPD-Fraktion der Vollversammlung der Betriebsräte benannt. Wichtig scheint mir an dieser Stelle festzuhalten das es sich bei den Betriebsräten nach dem willen der KPD einzig und allein um >politische< Räte handeln sollte und nicht um >wirtschaftliche<. Die >politischen< Räte sollten sich um Dinge wie die Probleme der lokalen Verwaltung kümmern. Bei >wirtschaftlichen< Räten liegt das Arbeitsfeld auf der betrieblichen Ebene, bzw. auf der Ebene der Fragen nach der Sozialisierung der jeweiligen Branchen. Konsequenter Weise verkündete der Essener Vollzugsrat dann auch: „Jetzt sei keine Zeit für Experimente“. In Duisburg hatte die KPD-Führung zwar vor die Betriebsräte über die Zusammensetzung des Vollzugsrates bestimmen zu lassen, aber dazu kam es dann doch nicht. In Elberfeld und Barmen benutzte der Aktionsausschuss die Betriebsräte nur als vermittelnde Instanz zwischen sich und der Arbeiterschaft.
Nur in zwei (!) Städten hatten die Arbeiter via Betriebsratswahlen direkten Einfluss auf die Zusammensetzung der Vollzugsräte und stellten so das oberste politische Organ der Arbeiterschaft dar. In allen anderen Orten wurden die Vollzugsräte von den drei Arbeiterparteien gebildet.
In Dortmund erklärte Meinberg am 17. März, nur wenige Stunden nach dem Umsturz: „Um die gesamte Arbeiterschaft zusammenzufassen, gibt es nur eine Möglichkeit: die Schaffung von Arbeiterräten. Es finden in den Betrieben Wahlen zu Betriebsräten statt…, dann treten die Gewählten zu einer Vollversammlung zusammen und wählen dort einen Arbeiterrat.“ Nachdem der erste Termin einmal verschoben wurde, trat die Vollversammlung am 29. März zusammen und wählte einen neuen Vollzugsrat.
In Mühlheim war der syndikalistische Einfluss so stark, das die basisdemokratischen Ideen wie selbstverständlich zur Anwendung kamen. In seiner ersten Bekanntmachung bezeichnete sich der Aktionsausschuss als provisorisch. Er wolle die „Macht nur solange ausüben, bis aus den Reihen der revolutionären, auf dem Boden der proletarischen Diktatur stehenden Betriebsräte ein endgültiger Arbeiterrat gewählt ist. Den revolutionären Obleuten der Betriebe bleibt es überlassen den Wahlmodus usw. festzulegen“. Dieser Erklärung vom 20.März folgten am 22. und 23. März die Wahlen der Betriebsräte und am 24. März die Wahl des Vollzugsrates.
Wie bereits erwähnt, der Aufstand der Ruharbeiter kostete die Unternehmer etwas. Neben der Löhnung der Arbeiterwehren, der Roten Armee und der ehemaligen politischen Gefangenen, mussten sie auch für den Lohnausfall während des Generalstreiks aufkommen. In diesen Punkten handelten die Vollzugsräte insgesamt sehr ähnlich. Nur in seltenen Fällen rechtfertigten die Vollzugsräte entsprechende Beschlüsse. In Lennep vertrat der Vollzugsrat die Meinung das „die Drahtzieher … ,die die Massen des arbeitenden Volkes dazu gezwungen“ haben auch zahlen müssen. In Dortmund und Datteln stellte man fest das „eine Gemeinschaft konterrevolutionärer Kapitalisten mit monarchistischen Staatstreichlern“ bestehe.
Ganz anders sah es bei der Frage nach der Sozialisierung der Betriebe, der Macht und der Rolle der Betriebsräte, der Arbeiterschaft insgesamt aus. Schon am 17.März konnte man folgenden Aufruf der USP in Hagen lesen:
„An alle Arbeiter und Beamte… Macht nicht aus Vorwitz in Betrieben Eingriffe ohne reichliches Überlegen, stört die Produktion auf keinen Fall, sichert euch eure Macht, nur dann können Hand- und Kopfarbeiter gewinnen; jetzt müssen wir leben, um stark zu werden für unser Ziel: den Sozialismus“. Nur drei Tage später erklärte ein Vertreter der USP auf einer Regionalkonferenz der drei Arbeiterparteien, das in den Betrieben keinerlei Experimente vorgenommen werden dürften. Erst nach dem Sieg im bewaffneten Kampf könne die Sozialisierung begonnen werden. Dabei müsste diese dann immer noch behutsam und vor allem zentral durchgeführt werden. In einem Flugblatt vom 21.März, welches von Ludwig (USP) und von den Hagener Ortsvorsitzenden der SPD und der KPD unterzeichnet war, wurde der Standpunkt begründet. Weiter oben habe ich schon den Essener Vollzugsrat und seine Position erwähnt. Ergänzend sei angemerkt, das die Vollversammlung der Arbeiterräte (22.März) den Vollzugsrat beauftragte „noch im Laufe dieser Woche“ die Neuwahl der wirtschaftlichen Arbeiterräte zu organisieren. Der Vollzugsrat führte diesen Auftrag nie aus. Am 30.März beschloss dieselbe Vollversammlung „in Gemeinschaft“ mit den bisherigen Arbeiter- und Angestelltenausschüssen „voll und ganz in den Betrieben mitzubestimmen“. Reinirkens (Mitglied des Vollzugsrates) erklärte der Versammlung, das sich der Vollzugsrat über diesen Beschluss hinweg setzten werde.
Der Essener Vollzugsrat und die Hagener USP Führung stehen exemplarisch für die Haltung, das Eingriffe in die betriebliche Struktur vermieden werden sollten. Allerdings regte sich gegen den Vollzugsrat Essen ein gewisser Widerstand, auch wenn er nicht so weit ging das die Arbeiterräte von sich und aus sich heraus einen neuen Vollzugsrat wählten.
Aber es ging auch anders: Der provisorische Aktionsausschuss veröffentlichte am 24.März folgenden Aufruf: „An alle revolutionären, freiheitlich gesinnten Hand- und Kopfarbeiter! … Die erste notwendige F_orderung und Aufgabe ist: sofortige Wahl revolutionärer Betriebsräte. Diese haben die Sozialisierung der Betriebe zu organisieren, die Produktion fruchtbar zu gestalten und zu überwachen. Sie bilden die Keimzelle zukünftiger Gestaltung.
Aus den Betriebsräten heraus und durch diese müssen die Kommunalvollzugsräte gebildet werden. Letztere haben den alten reaktionären Beamtenapparat zu reorganisieren“,
Die Betriebsräte haben hier eine Doppelte Aufgabe: Sozialisierung der Betriebe, Branchen und Industrien einerseits und Reorganisation lokalen Verwaltung. Die Zeit war allerdings zu kurz als das die selbst gestellte Aufgabe in vollem Umfang hätte erfüllt werden können. Trotzdem machten die Mühlheimer praktisch sichtbar in welche Richtung ihre Zielvorstellungen gingen. Der Direktor der Straßenbahn, der Städtische Beigeordnete Wilms, war nicht bereit den neuen Betriebsrat anzuerkennen, geschweige denn mit ihm zusammenzuarbeiten. Kurzerhand wurde Wilms vom neuen Betriebsrat abgesetzt. Die neue, kollektive Leitung, übernahm der Betriebsrat selbst. In der Begründung zu diesem Schritt erwähnte der Betriebsrat auch, das durch Einsparung des großen Gehalts, das Defizit des Betriebes verringert werden kann.
Deutlich wird die Stellung der drei wichtigsten politischen Richtungen, welchen den Aufstand im März 1920 trugen. Die Trennungslinie verläuft nicht zwischen der USP (welche in Hagen geistig bestimmend war) und der KPD (welche in Essen geistig bestimmend war), sonder zwischen USP und KPD auf der einen Seite und den Syndikalisten (welche in Mühlheim geistig bestimmend waren) auf der anderen Seite. Während USP und KPD glaubten, grundlegende Eingriffe in die Führung der Betriebe erst dann verantworten zu können, wenn der endgültige militärische Sieg des Aufstands errungen sei, waren die Syndikalisten genau gegenteiliger Ansicht. Beide Grundsätzlichen Positionen begegnen uns ca.: 16 Jahre später wieder. Im Spanischen Bürgerkrieg nehmen die Kommunisten der KPE dieselbe Haltung an wie USP und KPD 1920. Die Anarchosyndikalisten und Anarchosyndikalistinnen der CNT-AIT kollektivierten dagegen die Produktion und die Produktionsmittel unmittelbar und überall dort wo sie geistig vorherrschten.
Die Gründe für dieses Verhalten der Mühlheimer Arbeiterschaft will ich kurz andeuten:
Dreh- und Angelpunkt der anarchosyndikalistischen Theorie ist das Ziel der Herrschaftslosigkeit.
die Syndikalisten wollen den revolutionären Kampf ausschließlich auf der wirtschaftlichen Ebene, in der unmittelbaren Auseinadersetzung mit dem Kapital führen
Die Konsequenz aus beidem in einer Situation, in der eine revolutionäre Bewegung ihre ersten Siege erfochten hat, liegt auf der Hand: diese Siege bieten eine hervorragende Gelegenheit, um Herrschaft abzubauen bzw. zu beseitigen, und die Syndikalisten nehmen diese Gelegenheit in dem Bereich wahr, den sie für den einzig entscheidenden halten: in den Betrieben.
Die Argumente der USP und KPD
– das Veränderungen in den Betrieben die Lebensmittelversorgung gefährden könnten
– das die Sozialisierung den Kampf der bewaffneten Arbeiter schwächen könnte
können nicht überzeugen.
Das Hauptargument der Syndikalisten leuchtet unmittelbar ein:
– die Kollektivierungsmaßnahmen sind weit davon entfernt den bewaffneten Kampf zu schwächen oder auch nur ansatzweise zu gefährden. Im Gegenteil, sie geben dem bewaffneten Kampf Rückhalt, Basis und vor allem ein Ziel und eine Richtung. Sie steigern die Kampffreudigkeit der Aufständischen und treiben die politischen Auseinandersetzungen vorwärts, indem sie allen die konkreten Ziele des Kampfes zeugen.
In Mühlheim und Hamborn, einem weiteren Zentrum der Syndikalisten, lagen die Betriebe von Thyssen. Die Lücken in der Leitung der Betriebe wurden von den Betriebsräten gefüllt. Dies geschah offensichtlich mit einer solchen Effizienz, das ein Mitglied der Familie Thyssen gegenüber einem Vertreter der englischen Botschaft den Schluss zog, der Aufstand müsse von langer Hand gründlich vorbereitet gewesen sein.
Direkte Aktion
Wenn die Syndikalisten an anderen Orten sich auch nicht an die Führung der Betriebe herantrauten, so waren sie doch überall führend, wo wichtige Änderungen in den Betrieben durchgesetzt wurden. In der ersten Schicht nach Beendigung des Generalstreiks setzten einige Belegschaften von Zechen – so von >Brassert< in Marl und von >Adolf von Hansemann< in Dortmund-Mengede – in direkter Aktion die alte Forderung der 6-Stunden-Schicht durch, d.h. sie fuhren nach 6 Stunden wieder aus. Der Vollzugsrat Oberhausen, der von dem Syndikalisten Spaniol geführt wurde, verpflichtete die Werksleitung, alle Arbeitssuchenden „im Interesse der öffentlichen Ruhe und Ordnung … zu beschäftigen“; möglicherweise war diese Maßnahme der Grund, warum der Vollzugsrat Oberhausen plante, den städtischen Arbeitsnachweis aufzulösen. Der neu gewählte Betriebsrat der städtischen Arbeiter Oberhausen überreichte der Stadtverwaltung eine Liste mit Lohnforderungen, die rückwirkend ab Beginn des Monats gelten sollten. Ferner sollten bei der Straßenbahn Wagenführer undSchaffner künftig gleichgestellt sein; das weibliche Personal sollte ¾ der für das männliche Personal geforderten Sätze erhalten (das war mehr als vorher).
Besonders erwähnt werden müssen die Eisenbahner. Sie präsentierten die Rechnung für den Streik, den sie im Januar geführt hatten und der brutal unterdrückt worden war. Die Eisenbahner in Hagen, die anscheinend besonders aktiv wurden, setzten, als sie den Generalstreik gegen den Militärputsch beendet hatten, gegenüber ihrer Direktion folgendes durch:
Wiedereinstellung der nach dem Streik im Januar entlassenen Kollegen
Mitbestimmung der Arbeiterausschüsse über die Arbeitsbedingungen
Befragung „bei allen Vorkommnissen wie Entlassungen und Einstellungen“
Entlassung der reaktionären Beamten
Bezahlung der Streiktage
In Recklinghausen forderte der Vollzugsausschuss gegen Ende des Aufstandes die Dienststellen- Vorsteher der Eisenbahn au, sofort alle Eisenbahner, die im Januar entlassen worden waren, wieder einzustellen.
In Essen wurde Eisenbahnpräsident Jahn, der sich kaum verhüllt für Kapp erklärt hatte, nach dem Umsturz aufgefordert, sich von den Dienstgeschäften fernzuhalten.
In Recklinghausen forderte eine der gedrücktesten Schichten der Arbeiterklasse Lohnerhöhungen: die Zeitungsboten. Als die Zeitungsverleger ablehnten, wandten sich die Zeitungsboten am 31.März an den Vollzugsrat. Dieser verhinderte am folgenden Tag die Auslieferung der Zeitungen mit Waffengewalt; nach einiger Zeit machte er diese Maßnahme jedoch wieder rückgängig, wohl weil er erkannte, dass angesichts der vorrückenden Reichswehr, am Abend desselben Tages wurde Recklinghausen besetzt, ein Lohnzugeständnis nicht mehr wirksam werden würde.
Das Pressewesen
Rund 70 bürgerliche Zeitungen erschienen im Aufstandsgebiet. Die meisten waren parteiisch gebunden, d.h. an einer der vier bürgerlichen Parteien orientiert. Alle waren gegen den Aufstand eingestellt und trotzdem wurden sie nicht verboten. Einerseits lag dies sicher daran das die Pressfreiheit ein altes Ziel der Arbeiterbewegung war, andererseits basierten die meisten Vollzugsräte auf einem Bündnis von USP, KPD und SPD. Letztere hätte sich bei einem generellen Verbot der bürgerlichen Zeitungen zweifellos sofort aus den Vollzugsräten zurückgezogen. Statt eines Verbotes setzten die Vollzugsräte auf die Methoden des Kaiserreiches, die Vorzensur. Diese wurde während des Weltkrieges angewandt. Alle Zeitungen mussten vor dem Druck den Militärbehörden zur Genehmigung vorgelegt werden. Es ist müssig all die ernannten Zensoren aufzulisten, aber ich möchte doch erwähnen das in Mühlheim der 36jährige Maurer Reuß, einer der bekanntesten und meist geachteten Syndikalisten der Stadt, zum Zensor bestimmt wurde.
Der Zensor strich heraus was nicht veröffentlicht werden sollte. Nach einer Bekanntmachung des Vollzugsrates Essen waren dies Artikel die
die Anordnungen des Vollzugsrats bekämpften
nationalistischer, monarchistischer, antisozialistischer, das Wesen der Rätediktatur befehdender Natur waren
Die Folge der Zensur war, das die Zeitungen mit mehr oder weniger großen weißen Flecken erschienen. Das war, verglichen mit der Zensur des Kaiserreiches während des Krieges, milder gegenüber den Redakteuren und offener gegenüber den Leser und Leserinnen. In Deutschland (im Gegensatz zu Frankreich und England) verlangten die Zensoren nämlich das die Lücken mit anderen Texten gefüllt würden, damit die Zensur nicht so auffällt. Aber nicht immer wurden gleich ganze Texte herausgenommen, oft änderten die Zensoren nur einzelne Wörter. Auch wurden die Zensoren nicht täglich fündig und manche Zeitung erschien die ganze Zeit über ohne eine einzige Zensurlücke. Trotzdem wussten alle das Zensur geübt wird. Viele Zeitungen teilten dies in einer Erklärung kurz nach dem Umsturz mit, andere nehmen einen ständigen Hinweis der Art in den Titelkopf auf das sie unter Vorzensur stünden.
Aus der Praxis der Zensur lassen sich vier Gruppen von Meldungen und Artikeln rekonstruieren die bevorzugt gestrichen wurden:
solche , die den Zensoren als Schwindelmeldungen erschienen
solche, die die Aufstandsbewegung herabsetzten oder verleumdeten
solche, die für die Führung des Kampfes schädlich sein konnten
solche, die die Aussichten der Aufstandbewegung in einem ungünstigen Licht erscheinen ließen oder allgemein beunruhigend wirken konnten.
Zur ersten Gruppe gehörten vor allem die Meldungen des halbamtlichen Wolffschen Telegraphenbureaus (WTB). Sie wurden mit besonderem Misstrauen betrachtet, da sich das WTB zum Sprachrohr Kapps gemacht und dessen sämtliche Schwindelmeldungen kommentarlos verbreitet hatte. In Hagen gab die USP bekannt, das die Zensur über die Zeitungen whrscheinlich nur solange andaeurn würde bis dem WTB das Handwerk gelegt sein.
Zur zweiten Gruppe gehörten vor allem die Front- und Kampfberichte der Gegenseite. In zwei seltenen Fällen in den in denen die Zensoren solche Bericht ohne größere Streichungen durchgehen ließen, wurde beanstandet das die Autoren die bewaffneten Arbeiter als „Spartakisten“, „Bolschewisten“ bzw. pauschal als „Kommunisten“ bezeichneten. Die ersten beiden Begriffe wurden als das emfunden was sie sein sollten: verleumderisch. Der dritte Begriff wurde, zu recht, als unzutreffend bezeichnet.
In der dritten Gruppe finden sich Berichte von Journalisten denen es gelungen war Genehmigungen zum Besuch der roten Front zu erhalten. Hier wurde geprüft ob sie nicht zu viele militärische Einblicke in die Lage der Roten Armee enthalten.
In der vierten Gruppe finden sich schließlich Meldungen über die ungünstige und zum Teil verzweifelte Lage der Nahrungsmittelversorgung im Revier. Das die Lage ungünstig war ist eine Tatsache die jeder wusste und durch die Zensur wurde der Eindruck erweckt als wollten die Vollzugsräte diese Tatsache vertuschen.
Die Zensur richtete sich aber nicht nur gegen die die bürgerlichen Zeitungen. In zwei Fällen erschienen auch SPD-Zeitungen mit einer Zensurlücke.
Zwei Ausnahmen müssen noch geschildert werden. Zum einen wurde das erscheinen des >Westfälischen Tagblatt< in Hagen verboten zum anderen wurde die >Rheinisch-Westfälische Zeitung< in Essen verboten. Beide Zeitungen waren offen für Kapp eingetreten. Beide Blätter durften nach drei Tagen wieder erscheinen. Das >Westfälische Tagblatt< durfte allerdings nur als reines Nachrichtenblatt und ohne Stellungnahme der Redaktion aufgelegt werden. Die >Rheinisch-Westfälische Zeitung< kündigte zwar an auf eigenen Wunsch „bis auf weiteres als reines Nachrichtenblatt herauszukommen“, aber die Nachrichten die sie dann brachte waren der Art, dass der Zensor große Lücken in den Text riss.
Das Erscheinungsbild der Zeitungen hatte sich stark geändert. Dies war nicht nur eine Folge der Zensur, sondern war auch auf weitere Verordnungen der Vollzugsräte zurückzuführen. So mussten alle Zeitungen die Bekanntmachungen der Vollzugsräte mit absoluter Priorität veröffentlichen. Der redaktionelle Teil enthielt in den allermeisten Fällen nur noch unkommentierte Nachrichten. Diese Tatsache, dass jetzt bürgerliche Zeitungen Bekanntmachungen und Anordnungen veröffentlichen mussten, die der Sache der Arbeiter diente, wurde bei vier Zeitungen auf Veranlassung von Arbeitern bzw. Vollzugsräten durch Änderung im titelkopf hervorgehoben.
In Dortmund veranlassten syndikalistischer Arbeiter das der >General-Anzeiger< am 18.März mit dem Titel >Publikations-Organ des revolutionären Volkes (Dortmunder General-Anzeiger) erschien. Die nächste Nummer trug allerdings schon wieder den alten Namen, mit einer sich von der Aktion der Arbeiter distanzierenden Erklärung des Vollzugsausschusses. Am 20.März versuchten es die Arbeiter offensichtlich noch einmal. Über dem normalen Titelkopf war zu lesen: „Auf Anordnung: Publikations-Organ des revolutionären Volkes“.
Bei den drei anderen Zeitungen standen die jeweiligen Vollzugsräte selbst hinter den Titeländerungen.
Der >Mühlheimer General-Anzeiger< erschien ab dem 21.März mit dem Untertitel: „Zugleich Publikationsorgan des revolutionären Aktionsausschusses“. Das >Lenneper Kreisblatt“ erschien am 22.März mit dem Titel „Nachrichtenblatt des Lenneper Vollzugsrates (vormals Lenneper Kreiblatt)“. Die nächste Nummer erschien wieder mit dem alten Titel, jedoch mit dem Untertitel: „Publikationsorgan des Vollzugsrates“.
Die erste Nummer der >Bottroper Volkszeitung<, die nach dem Umsturz erschien, hatte den Untertitel: Publikations-Organ der revolutionären Arbeiterschaft“.
In Mühlheim und Dortmund brachten bürgerliche Zeitungen auch Artikel aus der Feder der Zensoren! Reuß veröffentlichte zwei oder drei Artikel im >Mühlheimer General-Anzeiger< und in der >Mühlheimer Zeitung<, Hornig einen Artikel im Dortmunder >General-Anzeiger<
Obwohl einige linke Zeitungen seit dem Sieg der Arbeiter wieder erscheinen konnten, bestand noch immer ein Missverhältnis zwischen den 20 Tageszeitungen der drei Arbeiterparteien (11 SPD, 7 USP, 2 KPD) und den rund 70 bürgerlichen Zeitungen.
In zwei Städten, Dortmund und Elberfeld, wurden versuche gemacht, dieses Verhältnis zu ändern.
In Dortmund versuchte zunächst eine radikale Gruppe, die >Dortmunder Zeitung<, die für Kapp eigetreten war, zu einem linksradikalen Blatt umzugestalten. Meinberg und Behrs vom Vollzugsrat traten dem entgegen. Am 23.März erschien dann die erste Nummer der „Dortmunder kommunistischen Zeitung“ in einer Auflage von 10 – 15.ooo, hergestellt in der Druckerei der >Dortmunder Zeitung<, herausgegeben von der Pressekommission des Vollzugsrates und vertrieben vom KPD-Parteisekretariat. Ein regelmässiges erscheinen als Tageszeitung ließ sich jedoch nicht verwirklichen.
In Elberfeld erschien am 21.März ein neues KPD-Organ, „Die rote Fahne“. Auch sie schaffte es nicht als Tageszeitung zu erscheinen.
An dieser Stelle muss ich noch einmal auf Bernhard Lamp zurückkommen. Lamp war am 19.März noch in anderer Hinsicht aktiv geworden. Auf einer Buchdruckerversammlung in Elberfeld schlug er den Arbeitern der Bergisch-Märkischen Zeitung (BMZ) vor, unter seiner Mitarbeit eine Zeitung herauszugeben. Die Herausgeber der BMZ hatten Kapp unterstützt. Lamp besetzte mit den Arbeitern die Zeitung, ließ die Angestellten entfernen, sie etwas später aber wieder mitarbeiten. Auf der erwähnten Massenversammlung ließ Lamp sich auch als > Volksbeauftragter für die Sozialisierung der Presse< ernennen. Er verfasste die erste Nummer der Zeitung, die er „Direkte Aktion im Westen“ titulierte. Der Aktionsausschuss griff erneut ein ein; Lamp erreichte aber das die Zeitung, zusammen mit einer weiteren von ihm verfassten Zeitung, die den Titel, „Die Brandung“ trug, am 23.März erscheinen konnte. In der Begründung für seine Aktion bezog sich Lamp auf den Aufruf des Aktionsausschusses, indem unter anderem die Sozialisierung der hierzu reifen Industrien und das Verbot der Zeitungen, die den Putsch unterstütz hatten, gefordert wurde. Beides Bedingungen, die nach Lamps Auffassung bei der BMZ gegeben waren:
„Es wollte mir nun scheinen, dass ein Blatt, das in der bisherigen Weise nicht mehr herauskommen kann, einen leeren Betrieb hinterlässt, der naturgemäß schleunigst benutz werden muß“.
Seine Aufgabe als Volksbeauftragter für die Sozialisierung des Pressewesens sah Lamp folgendermaßen: Herausgabe einer Tageszeitung unter inhaltlicher Mitbestimmung der Druckereiarbeiter und kostenloser Mitarbeit von jedermann; der sozialisierte Betrieb sollte Beispielhaft wirken; nach Sammlung von Erfahrungen sollte das Modell auf die anderen Betriebe übertragen werden. Auffallend in beiden Blättern ist Lamps schwungvolle, metaphorische Diktion, mit der er die Stimmung der Massen in den Märztagen zum Ausdruck bringen wollte. Inhaltlich bewegen sich Lamps Artikel im Rahmen der Forderungen des Aktionsausschusses nach der Diktatur des Proletariats auf Grundlage des Rätesystems und der sofortigen Sozialisierung.
In zwei Leitartikeln >Was ist Räteverfassung?< und >Was wir nicht wollen< entwickelt Lamp seine Vorstellung über das Rätesystem und die Sozialisierung, die sofort in Angriff genommen werden müssten, und betont die Bedeutung von Beispielen in einzelnen Betrieben.
In der >Direkten Aktion im Westen< erläutert Lamp seine beiden Aktionen und >Die Brandung< enthält noch eine exzellente Kritik Lamps am Beschluss des Aktionsausschusses, den Generalstreik abzubrechen. Lamp hob zwei Kritikpunkte besonders hervor:
dass der Aktionsausschuss nicht durch die Wahl der Arbeiter entstanden sei und dadurch nicht, wie dieser behauptete, die Vollmacht besäße, so weitgehende Entscheidungen zu treffen. „Darum vermögen wirihm (dem Aktionsausschuss) bei allem Verständnis für die weltbefreienden Einigungsgedanken der Arbeiterschaft nicht die Befugnis zuzuerkennen, einfach zu kommandieren: Hinein in die Fabrik! Selbstbestimmung, Demokratie – wo blieb sie in diesem Fall? Glaubte man das ganz Natürliche bei einer jeden Bewegung, nämlich dass die Arbeiterschaft selbst bestimmen will, was zu geschehen hat, hier nicht notwendig zu haben?“
die Feststellung, dass das Argument des Aktionsausschusses, die Lebensmittelversorgung sei gefährdet, „das große Bangemachen sei – um die Massen von der Straße wegzubekommen“ und dies der Grund sei, „warum man es so eilig hatte mit dem Beginn der Arbeit“. Die Angst der Funktionäre vor der Selbständigkeit der Massen bringt Lamp mit dem treffenden Satz zum Ausdruck: „Man liebt die Demonstrationen, jedoch nicht die Demonstranten, wenn sie den Erfolg naturgemäß und mit Rect zur vollen Auswirkung gelangen lassen wollen.“
Symbole / Umdeutungen
Der Vollzugsrat Lennep erließ folgende Bekanntmachung:
„Die schwarz-weiß-roten Fahnen, das Symbol der blutbefleckten Reaktion, werden mit dem heutigen Tage restlos konfiziert. Diejenigen, die derartige Fahnen im Besitz haben, werden aufgefordert, diese sofort an den Vollzugsrat abzuliefern. Das Tuch der Fahnen wird zur Erstlingswäsche umgearbeitet und an bedürftige Familien abgegeben“.
Diese ‚Umfunktionierung’ eines wichtigen Symbols des Klassengegners scheint ins schwarze getroffen zu haben; das geht aus der großen Beachtung hervor, die die bürgerlichen Zeitungen im ganzen Ruhrgebiet und darüber hinaus dieser Bekanntmachung gaben.
Die Frauen
Insgesamt waren die Frauen nicht wirklich akzeptiert. Dies äußert sich innerhalb der Revolution zum Beispiel dadurch das die Vollzugsräte nichts an der allgemeinen Minderbezahlung, die Frauen gegenüber den Männern erdulden mussten, änderten. Inwieweit Frauen an den Kämpfen direkt beteiligt waren kann ich nicht sagen, aber eines ist sicher, auch Frauen waren in der Roten Ruhr Armee. Eine Arbeiterin aus Mühlheim, Mitglied des Freien Sozialistischen Jugend, überliferte, das die Arbeiter-Samariter Schnellkurse durchführten: „Sie lehrten wie man Verbände macht, Schienen anlegt oder wie Verwundete transportiert werden müssen.“ Über die Arbieter-Samariterinnen an der Front vor Wesel schrieb ein bürgerlicher Jornalist: „Ihr Mut und ihre Aufopferung verdienen rückhaltlose Bewunderung. In der vordersten Feuerlinie sieht man angegraute Arbeiterfrauen und kaum erwachsene junge Mädchen, die ungeachtet des Kugelregens tapfer ihr Libeswerk vollbringen.“ Die Schilderungen zeigen jedoch nur das sich Frauen innerhalb der klassischen Frauenbilder an der Roten Armee als Hüterin und Pflegerin beteiligten. Innerhalb der Roten Armee gab es nicht wenige Kampfleiter die entweder alle Frauen oder doch wenigstens die unverheirateten Frauen wieder loswerden wollten. Offen antisexuell äußerte sich der Stadtkommandant von Duisburg, Münzberg: „Ich werde einen Befehl herausgeben das Liebe an der Front mit dem Tode bestraft wird. So etwas entwürdigt unsere heilige Sache.“ Der Vollzugsrat Duisburg vermutete gar Huren an der Front und verordnete: „Wer sich unbefugt hinter der Front herumtreibt, wird erschossen; dies gilt auch für … weibliche Personen zweifelhaften Charakters“ … und ruft zur Denunziation auf: „Wer Kenntnis von solchen demoralisierenden Umtrieben in der Roten Armee erhält, ist verpflichtet, Anzeige zu erstatten“.
Bei all dem nicht zu vergessen das die „zu Haus“ gebliebenen Frauen mit zahlreichen Problemen konfrontiert waren, welche durch die revolutionäre Erhebung nicht weniger, sondern zum Teil sogar noch mehr bzw. verstärkt wurden.
Zusammenfassung
Blick zurück nach vorne
Zahlen
– 330 000 Arbeiter traten bis zum 29 März alleine im Ruhrgebiet in den Streik
– mehr als 80.000 Mann waren in der Roten Armee (Schätzung der Reichswehr 80-100.000 Mann, laut Hagener Befehlszentrale vom 23.03.1920 120.000 Mann)
Broschüre (Rückseite)
– die „größte proletarische Erhebung der deutschen Geschichte“
– der „größte Aufstand seit den Bauernkriegen von 1524“