Margarethe Faas-Hardegger (1882-1963)

Quelle: Studienbibliothek zur Geschichte der Arbeiterbewegung Zürich, Zentralbibliotheke Zürich

Sie sei ein Mensch, „der in allen Richtungen zu Hause sein möchte“, schrieb ein Zeitgenosse über die Schweizer Gewerkschafterin, Anarchistin und Freidenkerin Margarethe Hardegger (1882-1963). Er meinte das abfällig, denn es ist ja nicht gut, wenn man im politischen Geschäft so wankelmütig ist. So sind sie eben (liest man zwischen den Zeilen), die Frauen. Sie widersprechen sich ständig selbst und verheddern sich in einem Netz von Beziehungen, familiären Verpflichtungen und Ansprüchen von Freunden und Fremden, anstatt sich an den Schreibtisch zu setzen und die eigenen Ansichten mal ordentlich zu Papier zu bringen.

Ein Text von Antje Schrupp. Quelle: http://www.antjeschrupp.de

Obwohl Margarethe Hardegger in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine unbestreitbar bedeutende Aktivistin der Schweizer Arbeiterbewegung war – als erste weibliche Gewerkschaftssekretärin und langjähriger Knotenpunkt eines weit verzweigten Netzes von Anarchisten und politischen Aktivisten – beweist doch die Tatsache, dass erst jetzt die Erinnerung an ihr Wirken festgehalten wird, wie schwierig, wenn nicht gar unmöglich es ist, das weibliche politische Handeln in den Kategorien der herkömmlichen Politikwissenschaft zu fassen. Auch den beiden Biografien von Regula Bochsler und Ina Boesch ist noch kein wirklich schlüssiger Zugang gelungen: Es sind umfangreiche Chroniken eines bewegten Lebens, die jedoch beide eine solche Fülle von oft nebensächlichen Details aneinander reihen, dass die Leserin bald den Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sieht. Aber es ist ihr großer Verdienst, dass überhaupt die Frage gestellt wird: Wer war Margarethe Hardegger?

Regula Bochsler schildert ihr Leben chronologisch: Die Bernerin wuchs in behüteten und finanziell abgesicherten Umständen auf und hatte schon als Jugendliche „sozialistische Flausen“ im Kopf. Während des Studiums heiratet sie politisch gleichgesinnten Jurastudenten August Faas. Schon bald zeigen sich die beiden Eckpunkte ihres politischen Engagements: Ihr Glaube an die persönliche Freiheit jedes Menschen, vor allem im Hinblick auf jede Art von Beziehungen („freie Liebe“ inklusive). Und ihr großes Talent dafür, Menschen um sich zu versammeln, sie in Gruppen und Verbänden zu organisieren und zu gemeinsamer Aktion zu motivieren. Das macht sie rasch zur Favoritin für die neu eingerichtete Stelle einer hauptamtlichen Sekretärin des Schweizer Gewerkschaftsbundes: Im Sommer 1904 wird sie gewählt. Nun ist sie aber gerade zum zweiten Mal schwanger – und teilt den verdutzten Gewerkschaftern mit, dass sie daher die Stelle erst ein halbes Jahr später antreten kann.

Auch dann tut sie nicht, was ihre männlichen Kollegen von ihr erwarten: Büroarbeit und Organisation. Stattdessen reist sie durch die Lande und hält Vorträge zu heiklen Themen wie Verhütung und sexuelle Freiheit. Schlimmer noch: Sie knüpft Verbindungen zu militanten Anarchisten und radikalen Antimilitaristen, weshalb sie wiederholt vor Gericht steht – das alles macht sie bald als Gewerkschafterin unmöglich: Im April 1909 ist sie den Job los.

Ohnehin ist ihr politisches Netzwerk längst woanders. August Faas, der sich als Jurist für den rechtsstaatlichen Weg entschieden hat, ist weggezogen, stattdessen hat Hardegger nun wechselnde Liebhaber. Einer davon ist der Berliner Anarchist Gustav Landauer, der zu ihrem großen politischen Vorbild wird. Es ist überaus amüsant zu lesen, wie Landauer, der so gründliche Theoretiker, sich windet, wenn er zu erklären versucht, weshalb er nicht in der Lage ist, seiner Lebensgefährtin Helga Lachmann auch „das Letzte“ zu gestehen – dass er nämlich mit Margarethe Hardegger nicht nur befreundet ist, sondern auch ins Bett geht. Sehr viel konsequenter ist da die radikale Bohème in München um den Anarchisten Erich Mühsam und den umstrittenen Psychoanalytiker Otto Groß – doch diese Freunde bereiten Hardegger bald Probleme anderer Art: Sie sind ständig pleite. Von überall her kommen sie inzwischen nach Bern und klopfen an ihre Tür: Abgehauene Lehrlinge, heruntergekommene Poeten, aber auch Diebe und Kleinkriminelle, die politische Ideale nur vorschieben. Weil Anwälte für inhaftierte Genossen bezahlt, Zeitungen gedruckt und Reisen finanziert sein wollen – vom Lebensunterhalt für sich und ihre Töchter Olga und Lisa ganz zu schweigen – ist Hardegger nun eigentlich permanent in Nöten.

Als Gustav Landauer 1919 im Zuge des Münchener Räteaufstandes verhaftet und ermordet wird, schlägt sie deshalb einen anderen Weg ein: Im Andenken an Landauers Theorien gründet sie Landkommunen, in denen der Keim für eine neue sozialistische Gesellschaft wachsen soll. Dabei unterstützt sie vor allem ihr neuer Lebensgefährte Hans Brunner, ein talentierter Handwerker, mit dem sie bis zuletzt zusammen bleibt. Die Projekte sind jedoch nur mäßig erfolgreich und scheitern letztlich allesamt. Aber Hardegger bleibt unermüdlich, sie gibt nicht auf, trotz zahlreicher Rückschläge, von denen der Nationalsozialismus bei weitem der Schlimmste ist: Viele ihrer Freunde lassen ihr Leben, einer der ersten ist Erich Mühsam, der sich 1934 in einem Konzentrationslager erhängt. Ihre letzten Jahrzehnte verbringt Hardegger zusammen mit Brunner, ihren Töchtern und wechselnden Gästen in einem kleinen Häuschen im Tessin, einem „Überbleibsel“ ihres letzten Kommune-Projektes.

Während sich Regula Bochsler streng am Lebenslauf der Margarethe Hardegger orientiert, umfasst bei Ina Boesch der eigentliche biografische Teil nur ein knappes Drittel des Buches. Er strukturiert sich entlang der recht zahlreichen überlieferten Fotos von Hardegger, die Boesch kommentiert und in einen Kontext stellt – wobei jedoch ihre Schlussfolgerungen über die jeweils vermuteten Seelenzustände der Fotografierten oft weit hergeholt wirken. Im Rest des Buches, so scheint es, hat Boesch vor der Komplexität der Persönlichkeit, die sie porträtierten wollte, kapituliert: Sie orientiert sich nicht mehr an Margarethe Hardegger selbst, sondern beschreibt 23 politische Organisationen, in denen Hardegger aktiv war – von der „American Guild for German Cultural Freedom“ bis zum „Sozialistischen Bund“ – die sie zudem nicht chronologisch, sondern alphabetisch ordnet, was die Verwirrung bald komplett macht. Ein nützliches Nachschlagewerk für Forscherinnen ist das (auch weil sie die Zeit nach 1945 stärker berücksichtigt als Bochsler), aber kein Buch, das man wirklich mit Genuss lesen kann.

Wer also ist nun Margarethe Hardegger? Sicherlich mehr als die Frau, die Regula Bochsler uns vorstellt: eine Geliebte berühmter Männer, eine Getriebene in finanziellen Nöten, eine Schwankende zwischen Visionen und Depressionen. Und sicher auch mehr, als die Frau, die Ina Boesch beschreibt: Eine unermüdliche Aktivistin, die hunderte von Leuten kannte und ständig von einer politischen Versammlung zur nächsten rannte. Wer so ein Leben lebt, hat  vermutlich auch interessante Ansichten. Vielleicht keine ausgefeilte „Theorie“ wie sie männliche Politiker gern formulieren, aber doch Visionen, Überzeugungen, die mehr Substanz haben als ein schlichtes „heute hier, morgen dort“. Möglicherweise sogar Ideen, die hilfreich sein könnten, das Klischee von den politisch so „wankelmütigen“ Frauen zu hinterfragen? Oder neue Einsichten zum Zusammenhang von politischer Theorie und alltäglicher, persönlicher Lebensführung? Wer weiß. Nach ihrem bewegten Leben nun auch die politischen Ideen der Sozialistin und Anarchistin Margarethe Hardegger zu erforschen – das ist jedenfalls eine Aufgabe, die noch aussteht.

in: Frankfurter Rundschau. 14.6.2004

www.margarethe-hardegger.ch (website von Regula Bochsler)

Lebenslauf Margarethe Hardegger (1882-1963)
(auch Margarethe Faas-Hardegger )

Familien-Daten
20.2.1882: geboren in Bern
Vater: Andreas Gottlieb Hardegger (1845-1913) von Gams, Beamter des Berner Telegrafenamtes.
Mutter: Anna-Susanna Blank (1838-1910) von Ins, Hebamme.
8.5.1903: Heirat mit August Faas (Redaktor bei der Schweiz. Telegraphenagentur, später bernischer Fürsprecher und ab 1919 zürcherischer Richter).
13.9.1903: Geburt der Tochter Olga
27.10.1904: Geburt der Tochter Elisabeth «Lisa»
1924: Olga und Lisa erwirken die Abänderung ihres Nachnamens in Hardegger.
13.1.1950: Heirat mit Hans Brunner.
23.9.1963: gestorben in Minusio.

Ausbildung
1886: Töchterinstitut in Colombiers
1887-1900: Telefonistin in Bern
1900-1902: Städtisches Gymnasium mit bestandener Matura
1903: Beginn des Studiums der Jurisprudenz und Nationalökonomie

Gewerkschaftliche Tätigkeit
1903: Beginn der politischen Tätigkeit, Gründung der Berner Textilgewerkschaft, Bekanntschaft mit den Führern der Schweizer Arbeiterbewegung
1904: grosse Kampagne gegen die Direktion der Spinnerei Felsenau, wird Mitglied des Bundeskomitees des SGB und Delegierte des Lebensmittelarbeiterverbandes. Erste Teilnahme an einem nationalen Gewerkschaftskongress. 15. Juni 1904: Wahl zur ersten Sekretärin des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes.
1905: Stellenantritt als Sekretärin des SGB am 1. Januar 1905. Sie versucht vor allem, Frauen zum Eintritt in die Gewerkschaften zu bewegen. In den ersten drei Jahren ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeit spricht sie auf 367 Versammlungen. Setzt sich für die Gründung von Produktionsgenossenschaften ein.
1906: Gibt ab 1. Mai 1906 die «Vorkämpferin» heraus und ein Jahr später in französischer Sprache «L’Exploitée». Erste Kündigung, die zurückgenommen wird.
1907: FH ist am ersten Frauenstreik der Schweiz von Schokoladearbeiterinnen im Welschland beteiligt. Setzt sich nach dem Internationalen Kongress in Stuttgart für das Frauenstimmrecht ein.
1908: Macht sich für sexuelle Aufklärung und Verbreitung von Verhütungsmitteln stark. Wird Mitglied, u.a. mit August Forel, im Groupe Malthusien. Wird wegen Verbreitung von „unsittlicher“ Literatur im Wallis verhaftet und gebüsst.
1909: Rücktritt als Sekretärin im April 1909.

Internationale Gewerkschaftsarbeit
1905: Teilnahme am Internationalen Kongress der Textilarbeitergewerkschaften in Mailand.
1906: Teilnahme am SPD-Parteitag in Mannheim.
1907: Teilnahme am ersten internationalen Kongress der sozialistischen Frauen und am international sozialistischen Kongress in Stuttgart. Auftritte in Paris, an Versammlungen der CGT und der Universités populaires.

Antimilitaristisches Engagement
1903: Übersetzt die Verteidigungsrede des sozialistischen Militärdienstverweigerers Charles Naine.
1906: Engagiert sich in der antimilitaristischen Liga, die die Armee abschaffen will. Freundet sich mit dem Arbeiterarzt Fritz Brupbacher und den Mitgliedern der anarchistischen Gruppe Weckruf an.
1908: Organisiert den Schmuggel von antimilitaristischem Propagandamaterial nach Oesterreich zuhanden des Anarchisten Pierre Ramus (Rudolf Grossmann).

Anarchismus
1905: besucht zum ersten Mal den Monte Verità in Ascona, wo sie sich u.a. mit dem Ernst Frick von der anarchistischen Zürcher Gruppe Weckruf anfreundet.
1906: Freundschaft mit dem deutschen Anarchisten Senna Hoy, dem Geliebten von Else Lasker-Schüler.
1907: gibt Ernst Frick ein falsches Alibi vor Gericht, dank dem er im „Zürcher Bombenprozess“ freigesprochen wird. (Er und Genossen hatten die Zürcher Polizeikaserne überfallen, um den in Auslieferungshaft sitzenden russischen Revolutionär Georg Kilaschitzky zu befreien, wobei sie allerdings kläglich scheiterten). Freundet sich mit dem in Paris lebenden Schweizer Anarchisten James Guillaume an.
1908: beteiligt sich am Verkauf von Briefmarken, die von den beiden tschechischen Anarchisten Vohrycek und Bocek geraubt wurden, in der Schweiz. Mit dem Erlös sollen die Wächter des Warschauer Gefängnisses bestochen werden, wo Senna Hoy wegen politisch motivierten Raubüberfällen und Erpressungen eine Strafe von 27 Jahren absitzt. (Später sollte sich MH, zusammen mit Else Lasker-Schüler, weiter für seine Freilassung einsetzten. Vergebens: Hoy stirbt 1915 in einem Moskauer Gefängnis.) Setzt sich öffentlich für den Genfer Anarchisten Luigi Bertoni ein.
1909: Überfall auf die Bijouterie Galli durch die „Briefmarkenräuber“ Vohryzeck und Bocek. Verhaftung der beiden und Prozess in Prag. MH und Fritz Brupbacher werden als Zeugen einvernommen.

Sozialistischer Bund
1908: Anfangs Jahr zieht August Faas nach Wien, um sich als Opernsänger ausbilden zu lassen. MH bleibt mit den Kindern allein in Bern zurück. Im Sommer erste Begegnung mit Gustav Landauer, die beiden verlieben sich; lernt Erich Mühsam kennen. Landauer bittet sie um die Gründung von „Kristallisationspunkten“des Sozialistischen Bundes in der Schweiz. In der Zeit als Landauer seinen Aufruf zum Sozialismus schreibt, steht er mit ihr in ständiger brieflicher Verbindung, sie bereitet die Herausgabe der Zeitung Sozialist vor.
1909: Nach ihrer Entlassung hält sich MH mehrheitlich in München auf, wo sie mit Erich Mühsam die Gruppe Tat gründet und das Lumpenproletariat und die Prostituierten Münchens für den Sozialistischen Bund gewinnen will. Sie wird die Geliebte von Mühsam, lernt die wichtigsten Vertreter der Münchner Bohème kennen, darunter auch den Freudschüler Otto Gross. Tritt öffentlich für die Abschaffung der Ehe und für die Freie Liebe ein. Wird Sekretärin der Reformorganisation Internationaler Orden für Ethik und Kultur. Nachdem ihre Mutter als Hebamme in einen Abtreibungsprozess verwickelt und freigesprochen wird, zieht sie mit ihrer älteren Tochter Olga nach Berlin, in die Nähe Landauers. Kurz darauf hat die Mutter einen Schlaganfall und MH kehrt im Dezember nach Bern zurück. Sie nimmt ihr Studium wieder auf.
1910: Im sogenannten Geheimbund-Prozess gegen Mühsam tritt sie, zusammen mit Landauer, Thomas Mann und Franz Wedekind als Entlastungszeugin auf.
1910/1911: Landauer überwirft sich mit MH und Erich Mühsam. Zankapfel sind die Freie Liebe und die Psychoanalyse.

Der Zürcher „Bombenprozess“
1912: Im April Verhaftung unter der Anschuldigung der Falschaussage im ersten Bombenprozess 1907. Während sie in Untersuchungshaft sitzt erfolgt die Scheidung von August Faas. Ernst Frick und Robert Scheidegger werden verurteilt.
1913: Im Februar wird MH wegen falscher Zeugenaussage im Bomben-Prozess von 1907 vom Bezirksgericht Pfäffikon zu vier Monaten Gefängnis verurteilt. Bruch mit Landauer, der sie sämtlicher Funktionen innerhalb des Sozialistischen Bundes enthebt.
Kommune
1914: Gründung einer Kommune im Haus, das sie von ihrem Vater geerbt hat, am Pflugweg 5 in Bern. Die Gruppe versucht sich nach Ausbruch des 1. Weltkriegs als Siedler im Tessin zu etablieren. Der Versuch scheitert. MH nimmt ihr Studium wieder auf.
1915: MH wird Mitglied des Internationalen Arbeiterverein Bern.

Abtreibung
1915: Verurteilung zu 12 Monaten Gefängnis wegen Beihilfe zur Abtreibung.

Exil in Chur
1916: MH zieht mit den Kindern nach Chur zu ihrem neuen Freund Hans Brunner, einem deutschen Schreiner und Militärdienstverweigerer. Sie arbeitet als Dekorateurin für Chocolat Tobler.
1917: die politischen Zöglinge von MH formieren sich in Zürich als Gruppe Forderung und sind massgeblich an den Novemberunruhen beteiligt.

Siedlungen
1918: Nach dem Generalstreik zieht MH mit Hans Brunner und Lisa Faas nach Herrliberg. Zusammen mit dem Dienstverweigerer Max Kleiber, einem Ragaz-Anhänger, und andern Genossen Gründung der Siedlung Alte Vogtei. Das landwirtschaftliche Gut wird ihnen vom Pelzhändler Bernhard Mayer, einem Landauer-Anhänger, zur Verfügung gestellt. Interne Streitereien bewegen MH nach ein paar Monaten zum Auszug. Erneuter Kontakt mit Landauer, der sie als Mitarbeiterin für die Neuausgabe des Sozialist heranziehen will.
1919: Ausrufung der Münchner Räterepublik durch Landauer und Mühsam. Niederschlagung der Räterepublik. Ermordung Landauers, Erich Mühsam und weitere Genossen von MH werden zu Festungshaft verurteilt.
1919: MH gründet das Villino Graziella, eine Siedlung des Sozialistischen Bundes, in Minusio, in der Nähe des Monte Verità. Verbindungen zu den Bewohnern des Monte Verità und Umgebung.
1920: MH organisiert in Zürich eine Gedenkfeier für Landauer.
1922: Referiert auf dem Monte Verità über Siedlungswesen. Engagiert sich in der Freiland-/Freigeldbewegung.
1925: pflegt bei sich zuhause El Lissitzky, der tuberkulosekrank im Tessin weilt. Scheitern der Siedlung, die Genossen ziehen aus. Zurück bleibt ein Familienunternehmen: Brunner betreibt eine Schreinerei, MH macht ihm die Buchhaltung.

Leben in der Villa Graziella
1927: MH versteckt für die Rote Hilfe, deren Mitglied auch Erich Mühsam ist, den deutschen politischen Flüchtling Paul Eckstein.
1928: Olga Hardegger lässt sich zur Hebamme ausbilden, Gründung mit MH eines Entbindungsheimes für unverheiratete Mütter in der Villa Graziella.
1929: vorläufiger Abschluss der jahrelangen Streitereien mit August Faas über Unterhaltszahlungen für die Töchter. Lisa Hardegger muss erstmals in eine psychiatrische Klinik eingewiesen werden, Befund: Schizophrenie. Besuch von Max Nettlau, „Pilgerfahrt“ nach der Baronata, dem ehemaligen Wohnsitz von Bakunin. Vortrag über Landauer auf Einladung von Prof. Leonhard Ragaz in Zürich.

Kampf gegen den Faschismus, Flüchtlingsarbeit
Ab 1933: MH engagiert sich für die Flüchtlinge aus Deutschland, u.a. den Verleger Leon Hirsch.
1934: Tod von Erich Mühsam im Konzentrationslager.
1935: Besuch bei der Witwe Zenzl Mühsam in Prag, ermuntert sie, nach Moskau zu gehen. Dort wird Zenzl Mühsam Opfer der stalinistischen Säuberungen, Verbannung. MH setzt sich für Zenzl Mühsam ein, wird Mitglied des IFFF, schreibt einen offenen Brief an Stalin.
1936: Gründung des „Comitato Pestalozzi“ zur Betreuung von Waisen aus dem spanischen Bürgerkrieg in der Schweiz. Teilnahme am internationalen Kongress des Rassemblement Universel pour la Paix in Brüssel.
1937: Gründung einer Zweigniederlassung der American Guild for Cultural Freedom von Prinz Hubertus zu Löwenstein, die sich für verfolgte Schriftsteller im Exil einsetzt. Unterstützt im Namen der Guild im Tessin exilierte Schriftsteller. Erbittet Treffen mit Thomas Mann.
1938: zusammen mit Hans Brunner und Fritz Jordi von der Siedlung Fontana Martina Gründung der Notgemeinschaft Tessiner Siedler und Kleinbesitzer. Herausgabe der gleichnamigen Zeitung.
1939: Rednerin an einer Versammlung der Spanienkämpfer in Locarno. Zeugin im Prozess gegen Gigi Martinoni, der im Tessin Freiwillige für die Internationalen Brigaden in Spanien angeheuert hat.
1941: kurz vor seiner Ausweisung gelingt es Hans Brunner, die Schweizer Staatsbürgerschaft zu erlangen. MH und ihre Tochter Olga Uboldi betreuen Insassen von verschiedenen Flüchtlingslagern im Tessin.

Esoterik
1937: wird spätestens in diesem Jahr als „Schwester Hyazinthe“ Mitglied im Ordo Templis Orientis O.T.O., einer nonkonformistischen Freimauerervereinigung, die sich u.a. die sexuelle Befreiung auf die Fahne geschrieben hat. Enger Kontakt mit der Ordensvorsitzenden Alice Sprengel, von der sie sich regelmässig Horoskope ausstellen lässt. Gewinnt Prinz Hubertus zu Löwenstein und seine Gattin Prinzessin Helga für den Orden. Die beiden ziehen für ein paar Monate nach Minusio.

Nachkriegszeit
1947: Teilnahme am Gründungskongress der intern. Friedensbewegung („Friedenspartisanen“) in Paris. Wird Sekretärin der «Partisanen für den Frieden» der italienischen Schweiz. Teilnahme am ersten internationalen Kongress der Friedenspartisanen in Deutschland. Setzt sich für den Verhafteten Edgar Woog ein.
1950: Engagement für Petition zum Verbot von Nuklearwaffen, MH koordiniert Unterschriftensammlung im Tessin. („Stockholmer Appell“). In den folgenden Jahren aktiv in der Friedensbewegung, Teilnahme an mehreren internationalen Konferenzen.
1953:Mitarbeit bei einer erneuten Petition gegen Aufrüstung. Reaktivierung des Comitato Pestalozzi und Mitarbeit bei der „Arbeiter- und Bauernhilfe“ (u.a. Hilfe für die Kriegsgeschädigten in Korea)
1954: Unterschriftensammlung für Prof. André Bonnard, des Präsidenten der Schweizer Friedensbewegung, der wegen Landesverrat vor Gericht gezogen wird.
1955: Mitglied bei den Frauen für Frieden und Fortschritt; Mitglied bei der Fédération des femmes pour le suffrage féminin. Verschiedene öffentliche Auftritte an Frauenversammlungen.
1959: MH engagiert sich im Hinblick auf die Abstimmung über das Frauenstimmrecht.
1960: Tod von Hans Brunner
1963: nimmt am ersten Ostermarsch von Lausanne nach Genf teil.
regula bochsler, August 2003

[ssba]