FAUD-Bus nach Brüssel

 | @ljoscha

Start: 14.12.01, 5.00 Uhr, am Düsseldorfer Hauptbanhof (Busbahnhof Worringerstr.) Zurück: 15.12.01, 21.00 Uhr (genauer Ort wird im Bus bekannt gegeben!)

Das Ticket kostet erst einmal maximal 40 DM. Sollte es noch billiger werden, dann wird entweder das “zuviel” gezahlte Geld zurück bezahlt oder, nach dem willen aller an an eine bestimmte Organisation, Gruppe, einem Projekt etc überwiesen.

Bringt Isomatten und Schlafsäcke mit! Wir bemühen uns um kostenlose Pennplätzen für alle! Weiter lesen „FAUD-Bus nach Brüssel“

Unruhe im König-Reich

Arbeitskampf der FAU München

 | Rudolf Mühland

Kampagnenlogo der FAU als Wimpelkette bei der Kundgebung vor dem Lenbachhaus, 23.3.21 – Foto: FAU München (CC BY-SA 3.0 DE)

Das Königreich hat mehrere Provinzen, einen Reichsverweser und einen König mit eigener Burg in Köln. Seine Untertan:innen unterteilen sich grob in zwei Gruppen: Einerseits die Provinzverweser und der niedere Adel und andererseits das gemeine Volk. Nachdem das Land durch einen schweren Fluch getroffen war, litt das gemeine Volk besonders hart. Und so begab es sich, dass sich in einer Provinz eine Schar zum Ritter:innen-Orden der schwarzroten Katze auf den Weg machte, um diesen um Unterstützung anzufragen…

Hintergrund

Walther König ist eine Buchhandelskette und ein Verlag mit Sitz in Köln. Buchhandlung und Verlag sind auf Buchtitel aus dem Bereich Kunst, Architektur, Design, Photographie, Film und Mode spezialisiert. Die rund 45 Filialen, die es in Europa gibt (u. a. in Düsseldorf, Bonn, Essen, Münster, Berlin, Dresden, Frankfurt a. M., Hamburg, Nürnberg, Stuttgart, Amsterdam, Brüssel, London, Mailand, Paris und Wien), sind überwiegend in Museen oder in direkter Nähe zu Museen zu finden.

Schon im Dezember 2020 wandten sich die studentischen Beschäftigten der Münchner Filialen der Buchhandelskette Walther König mit einer zentralen Frage an die Freie Arbeiter:innen Union (FAU): „Ist es legal, dass wir während des Lockdowns Minusstunden anhäufen, die wir anschließend alle abarbeiten müssen?“ Da es sich bei den studentischen Beschäftigten allesamt um sogenannte „Werkstudenten“ handelt, werden für diese keine Beiträge in die Arbeitslosenversicherung abgeführt (1). Praktisch bedeutet dies, dass die studentischen Beschäftigten während der Pandemie nicht zur Kurzarbeit angemeldet werden konnten. Eigentlich hätte nun die Firma Walther König die Löhne in voller Höhe weiter zahlen müssen. Stattdessen wurden schon während des ersten Lockdown der ohnehin niedrige Lohn von 9,85€ um 40 Prozent reduziert.

Auf die Forderungen reagierte die Firmenleitung mit Härte: So wurden nicht einmal die gekürzten Februargehälter überwiesen und kurz darauf sämtlichen Werkstudent:innen in München gekündigt!

Damit aber nicht nicht genug. Rund die Hälfte des dann noch ausgezahlten Lohnes betrachtete der König als Vorschuss, der später abgearbeitet werden sollte. Dies ist natürlich der plumpe Versuch einerseits auf die Unwissenheit der Beschäftigten und anderseits auf ihre Untätigkeit zu setzten. In Wahrheit handelt es sich hierbei nämlich um den sogenannten „Annahmeverzug“. Was bedeutet das? Annahmeverzug entsteht immer dann, wenn Arbeiter:innen ihre Arbeitskraft, wie im Vertrag ausgemacht, anbieten, der Boss, diese aber nicht annimmt. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Bosse von sich aus entscheiden, die Leute nicht arbeiten zu lassen, oder ob im Rahmen einer Pandemie bestimmte Tätigkeiten schlicht untersagt sind. Letzteres fällt unter das sogenannte „Betriebsrisiko“ – und das liegt nun mal beim Boss!

Der Konflikt

Nicht genug damit, dass König versucht, sein Betriebsrisiko auf die studentischen Arbeiter:innen abzuwälzen. Die FAU fand im Gespräch mit den Kolleg:innen schnell heraus, dass es weitere Missstände gibt. Augenscheinlich wurde den Kolleg:innen die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ebenso vorenthalten, wie der bezahlte Urlaub. In beiden Fällen haben sie „Minusstunden“ geschoben, die sie später abarbeiten mussten. Beide Vorwürfe werden naturgemäß bestritten. Einerseits sollen die Löhne im Krankheitsfall regulär gezahlt worden sein, andererseits sei der Urlaub durch „Abgeltung“ gewährt worden. Mittlerweile häufen sich bundesweit die Berichte von (ehemaligen) Arbeiter:innen, welche die Mitteilung der Münchner Kolleg:innen bestätigen. Demnach wurde ihnen günstigstenfalls zugestanden, im Falle von Krankheit oder Urlaub ihre Schichten untereinander zu tauschen. Und das alles bei einem Lohn, der nur 50 bzw. 30 Cent über dem gesetzlichen Mindestlohn (2) liegt, und Arbeitsverträgen, die in der Regel auf ein Jahr befristet sind – was „kalte Entlassungen“ (3) sehr einfach erscheinen lässt.

Es lebe die Republik!

Als gute „Republikaner:in-nen“ (4) entschlossen sich die Kolleg:innen, sich in der FAU zu organisieren und dem König und seinem Reichsverweser (5) eine Liste mit Forderungen zukommen zu lassen:

  • Nachzahlung der Löhne, die wegen Krankheit nicht ausgezahlt wurden
  • Nachzahlung der Löhne, die wegen Urlaub nicht ausgezahlt wurden
  • Nachzahlung der Löhne, die wegen des Lockdowns nicht gezahlt wurden bzw. Streichung der illegitimen Minusstunden
  • Lohnerhöhung auf mindestens 11 € / Stunde
  • Einführung von Feiertags-, Nacht-, und Wochenendzuschlägen
  • Verlängerung sämtlicher befristeter Arbeitsverträge. (6)

Auf diese berechtigten Forderungen reagierte die Firmenleitung mit aller Härte: So wurden laut einer Pressemitteilung der FAU München nicht einmal die gekürzten Februargehälter überwiesen und kurz darauf sämtlichen Werkstudent:innen in München gekündigt! Auch diese Punkte werden schlussendlich vor dem Kadi landen.

Kundgebung vor dem Lehnbachhaus – Foto: FAU München (CC BY-SA 3.0 DE)

Und im Dorf….

In Düsseldorf (7) unterhält der König gleich drei Filialen: In der Kunsthalle und der Kunstsammlung NRW (K20), beide am Grabbeplatz, sowie im K21 Ständehaus auf der Ständehausstraße 1. Nachdem die FAU bundesweit Kontakte zu ehemaligen und aktuell beim König Beschäftigten geknüpft hat, gehen wir davon aus, dass die Situation an allen Standort sehr ähnlich ist. Wenn dem so ist, dann werden auch hier die Werkstudent:innen in schöner Regelmäßigkeit um ihre verbrieften Arbeitsrechte gebracht. Rechte, die einzig und allein Mindeststandards setzen! Schlimmer noch als das, wiegt aber die Tatsache, dass sie mit solchen Taktiken ganz konkret sowohl um ihren kargen Lohn als auch um ihre Lebenszeit gebracht werden.
Zu dem Zeitpunkt da wir diesen Artikel schreiben, dürfen wir noch nichts über unsere lokalen Bemühungen verraten. Wir holen dies schnellstmöglich nach. Bis dahin verweisen wir auf die Homepage der FAU München (fau-m.de) und darauf, dass die FAU Düsseldorf die Werkstudent:innen, die sich unter #NotMyKönig zusammengeschlossen haben, im Kampf für ihre Arbeitsrechte und ihre Würde tatkräftig unterstützt. Gleichzeitig sind wir in engem Kontakt mit den Syndikaten in NRW, um alle Arbeiter:innen, die sich gegen das System „König“ zur Wehr setzen wollen, schnell und effektiv zu unterstützen. Mit allen Mitteln die nötig sein werden, um diesen Kampf zu gewinnen.

Übrigens

Ihr könnt auch aktiv werden! Auf unserer Homepage 
(duesseldorf.fau.org) findet ihr einen Musterprotestbrief, den ihr gerne per Briefpost, E-Mail oder Kommentar in den sozialen Medien (u. a. bei Instagram und Facebook) dem König und seinem Reichsverweser zukommen lassen könnt. Darüber hinaus hat sich eine Initiative gegründet, die schon erste Onlinekonferenzen mit dem programmatischen Titel „Wie Künstler:innen mit Gewerkschaften zusammenarbeiten können“ abgehalten haben. Einen Kontakt stellt die FAU gerne her.

(1) „Werkstudentenprivileg“ – es entfallen außerdem die Beiträge zur Pflege- und Krankenversicherung.
(2) 2020 lag der gesetzliche Mindestlohn bei 9,35€. Seit 01.01.2021 liegt er bei 9,50 € und steigt ab 01. Juli 2021 auf 9,60 € die Stunde
(3) „Kalte Entlassung“ bedeutet in diesem Fall einfach der Verzicht darauf den Arbeitsvertrag zu verlängern und/oder einen neuen Arbeitsvertrag ab zu schließen.
(4) Diese Bezeichnung ist nur der Metapher des Kampfes „König vs. Republik“, also Willkür vs. Arbeitsrecht geschuldet und kein politisches Bekenntnis.
(5) Franz König, der Sohn von Firmengründer Walther König, übernahm die Geschäfte 2014. WK kümmert sich seither nur noch um das Antiquariat. Geschäftsführer ist Udo Milz.
(6) Unvollständige Liste aller Forderungen.
(7) Heimat des Autors

Dies ist ein Beitrag aus der aktuellen Druckausgabe der GWR. Schnupperabos zum Kennenlernen gibt es hier.

„Gewerkschaft braucht Versammlungsfreiheit“ – Ein subjektiver Demo-Bericht

| Regionalkoordination West – Orga

FAU bei der Demo gegen das Versammlungsgesetz NRW in Düsseldorf. Foto: Herbert Sauerwein

Am 26. Juni 2021 fand in Düsseldorf eine als „Großdemonstration“ angekündigte Versammlung gegen das geplante neue Versammlungsgesetz für Nordrhein-Westfalen (NRW) statt. Ursprünglich sollte diese am DGB-Haus (Nähe Hauptbahnhof) starten. Wenige Tage vorher wurde die Auftaktveranstaltung von den Organisator*innen allerdings auf die Rheinwiesen in Oberkassel (gegenüber der Altstadt) verlegt. Es zeichnete sich nämlich ab, dass mehr Leute kommen würden als ursprünglich erwartet…

Trotz der massiven und dominierenden Beteiligung autoritärer Gruppen und Organisationen waren auch zahlreiche Syndikate der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter*innen Union (FAU) an diesem Tag mit dabei. Sehr kurzfristig hatten wir angefangen, für einen eigenen „anarchistischen und syndikalistischen“ Block zu mobilisieren. Außerdem musste geklärt werden, wo sich unser Block in der Demonstration einreihen sollte. Es gab eigentlich nur zwei Möglichkeiten: entweder direkt hinter dem „Nationalismus ist keine Alternative (NIKA)“-Block (vorderes Drittel der Demo) oder ganz am Ende der Demo. Freundlicherweise konnten wir uns direkt hinter dem NIKA-Block einreihen. Mit uns zusammen liefen noch einige Anarcho-Kommunist*innen der Plattform, Mitglieder der Föderation deutschsprachiger Anarchist*innen (FdA) und zahlreiche weitere Anarchist*innen, die mit ihren Bezugsgruppen gekommen waren. Die Mitglieder der FAU waren deutlich erkennbar. Zum einen an den FAU-Fahnen (die es nicht nur im klassischen schwarz-rot gibt, sondern auch in schwarz-lila und seit Neuestem auch schwarz-grün), zum anderen an den gelben Streikwesten mit Aufdruck „FAU – Gewerkschaft in Aktion“. Zusammen mit den anderen Anarchist*innen war dies sicherlich eine der größten anarchistischen/syndikalistischen Beteiligungen an einer Demonstration in NRW seit langer Zeit. Dies belegen auch die Reaktionen von einigen Teil-nehmer*innen, die uns immer wieder sagten, dass sie „einen solch großen Block der FAU in Düsseldorf noch nie gesehen“ hätten.

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„Bei Stress mit dem Chef nicht alleine zu sein, ist unbezahlbar“ – Interview mit der FAU Düsseldorf

 | Interview: Eva Lasting

Die FAU Düsseldorf ist ein lokales Syndikat der Freien Arbeiter*innen-Union (FAU). Als Nachfolgerin der Freien Arbeiter-Union Deutschlands (FAUD) hält die Düsseldorfer Basisgewerkschaft an den Prinzipien des Anarcho-Syndikalismus nicht nur in der Theorie fest. Wie sieht also die gewerkschaftliche Praxis der FAU-D aus? Und welche Rolle spielen dabei die Betriebsgruppen? Über Strukturen, Aktivitäten und Herausforderungen der kämpferischen Basisgewerkschaft hat Eva Lasting mit den Mitgliedern der FAU-D gesprochen. (GWR-Red.)
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Terz: Speerspitze der Bewegung? – Die GDL verfestigt den Trend für Berufstarifverträge

Speerspitze der Bewegung? – Die GDL verfestigt den Trend für Berufstarifverträge

Der Konflikt zwischen Deutscher Bahn und der „Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer“ (GDL) scheint mit der Einigung vom 13.01.08 beigelegt zu sein. Bis Ende Januar soll ein Tarifvertrag unterschrieben sein.

GDL

Der Vorläufer der GDL wurde 1867 gegründet. 1919 trat sie zum ersten mal unter dem Namen „Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer“ auf. Mit Berufung auf das Jahr 1867 reklamiert die GDL die älteste deutsche Gewerkschaft zu sein. Sie organisiert die überwiegende Mehrheit aller Lokomotivführer bei der Deutsche Bahn AG und den Privatbahnen. Seit 2002 können alle Berufsgruppen des Fahrpersonals Mitglied werden. Bis 2002 befand sich die GDL unter anderem mit der sozialdemokratischen Gewerkschaft Transnet in einer Tarifgemeinschaft.

Ende Mai 2007 waren von 19.611 Triebfahrzeugführern der Deutschen Bahn 15.500 (79 Prozent) in der GDL organisiert, von 11.844 Mitarbeitern im Zugbegleitdienst der DB 3900 (33 Prozent). Insgesamt 62 Prozent des Zugpersonals (19.450 von 31.455 Mitarbeitern) waren Mitte 2007 in der GDL organisiert. An der Spitze der GDL steht seit fast zwei Jahrzehnten Manfred Schell. Während andere sich mit Ende 20 noch in den Nachwehen der 68er-Bewegung austobten, trat Schell 1971 in die CDU[1] ein. Ein Jahr darauf wurde er Mitglied der CDA, der Sozialausschüsse der CDU. International ist die GDL der „Autonome Lokomotivführer-Gewerkschaften Europas“ (ALE) angeschlossen. Laut Selbstbeschreibung ist die ALE  „den europäischen Eisenbahnverkehrsunternehmen sowie den Politikern auf der EU-Ebene ein kompetenter Ansprechpartner und zuverlässiger Mitgestalter in arbeits- und sozialpolitischen Themen.“

Der Streik

Ausgelöst wurde der Streik der GDL unter anderem dadurch das das Einkommen der Lokführer 2005 um 7,22 % und 2006 um 9,77 % gefallen ist, die Wochenarbeitszeit auf 41 Stunden erhöht wurde, die Ruhezeiten unzureichend waren und die ununterbrochenen Fahrtzeiten zu lang. Dies alles waren Ergebnisse der Tarifeinheit, welche die GDL mit der Transnet und weiteren Gewerkschaften bis 2002 eingegangen war. Seit 2002 strebt die GDL nach einem eigenen Tarifabschluss. 2007 war es dann endlich soweit – die Streikkassen waren voll und der letzte Tarifabschluss der Transnet für die Fahrer nicht annehmbar. Typisch für Gewerkschaften in Deutschland, wurde der Streik nur als letztes Mittel begriffen. Der Schwerpunkt lag auf dem Wunsch nach „Verhandlungen“ und „Einigung“ mit dem Management. Die „Tarifeinheit“ ist für die sozialpartnerschaftlichen/reformistischen Gewerkschaften und die Arbeitgeber eine Art „heilige Kuh“, die nicht geschlachtet werden darf. Das zu verstehen, hilft zu verstehen warum der Vorstand der Bahn AG in Person von Hartmut Mehdorn vehement jeden Dialog zurück gewiesen hat. Nur diese permanente Zurückweisung führte dazu das die GDL bereit war sehr verhalten zum Mittel des Streiks zu greifen.

Eine weitere Deutsche Besonderheit ist das schielen auf eine „höhere Macht“. In diesem Fall waren dies die Arbeitsgerichte. Die Bahn AG bemühte sich immer wieder die angekündigten Streiks für „illegal“ erklären zu lassen. In Deutschland gibt es kein gesetzlich geregeltes Streikrecht. Vielmehr gibt es nur einen Passus in der Verfassung, welche die „Koalitionsfreiheit“[2] garantiert. Alles andere, das Recht eine Gewerkschaft zu bilden, einen Streik zu führen usw. wird von diesem Passus abgeleitet. Erstinstanzlich wurde so mancher Streik durch die Gerichte untersagt. Glücklicherweise wurden aber alle diese Urteile in der nächst höheren Instanz wieder auf gehoben. In diesem Sinne wurde das Streikrecht in Deutschland juristisch sogar etwas gestärkt.

Auswirkungen des Streiks:

Die Tatsache, das sich kleine Gewerkschaften aus den Tarifgemeinschaft mit den Einzelgewerkschaften des DGB[3] verabschieden, beunruhigt nicht nur den DGB. Dieser sieht in den ausscherenden Gewerkschaften Konkurrenten um die eigene Klientel. Außerdem verliert er so gegenüber den Bossen ein starkes Unterpfand, nämlich die Garantie in einem Betrieb für Ruhe und Ordnung sorgen zu können. Auch die Bosse beobachten diese Tendenz mit zunehmender Nervosität. Bisher gibt es nur wenige kleine Gewerkschaften wie zum Beispiel Cockpit für die Flugzeugpiloten, der Marburger Bund für die Krankenhausärzte oder Ufo für die Flugbegleiter die schon erfolgreich eigene Tarifverträge erkämpft haben. Die Bahn hat Angst davor, dass sich nach dem Muster dieser Gewerkschaften demnächst auch Fahrdienstleiter eigenständig organisieren oder die Mitarbeiter in den Ausbesserungswerken. Im Prinzip kann fast jede Beschäftigtengruppe der Bahn ihre Bedingungen diktieren, weil es ohne sie nicht ginge. Mit der GDL und ihrem eigenen Tarifvertrag droht ein Dammbruch. Und wieso sollte der auf die Bahn beschränkt bleiben?[4]

Das letzte Kapitel ist noch nicht geschrieben

Die anderen Gewerkschaften bei der Bahn hatten wohlweislich eine „Nachverhandlungsklausel“ in den Tarifvertrag aufgenommen. Sollte es einer anderen Gewerkschaft (eben der GDL) gelingen bessere Konditionen zu erlangen, so müsste der Tarifvertrag nachgebessert, sprich angepasst werden.

Keine 24 Stunden nach der verkündeten Einigung mit der GDL, droht Hartmut Mehdorn mit Fahrpreiserhöhungen und Personalabbau. Beides ist nicht neu und der GDL-Tarifvertrag ist nur der Vorwand zur Umsetzung seiner Pläne. Neben Transnet hat auch die GDBA[5] angekündigt den Stellenabbau nicht hin zu nehmen, „notfalls“ würde man auch streiken…..

Rudolf Mühland

KASTEN:

Einkommensvergleich von Lokführern

Beispiel 1
25 Jahre alt, keine Kinder, 2 Jahre Berufserfahrung

–    Deutschland: 1.438 bis 1.588 €
–    Frankreich: 2.770 €

Beispiel 2
40 Jahre alt, zwei Kinder, 17 Jahre Berufserfahrung

–    Deutschland: 1.778 bis 1.928 €
–    Frankreich: 2.770 €

jeweils Nettogehalt im Schnitt (einschl. Zulagen) 


[1] Christlich Demokratische Union Deutschlands (Konservative Partei)

[2] Artikel 9 Absatz 3

[3] Deutscher Gewerkschaftsbund (Sozialdemokratisch/Refomistisch)

[4] Und warum sollte dies auf reformistische Gewerkschaften beschränkt beleiben? Es beliebt zu hoffen das sich die Gewerkschaften radikalisieren und  langfristig den Weg in die FAU-IAA finden werden.

[5] Verkehrsgewerkschaft im Deutschen Beamtenbund

Terz: Mit dem Rad zur Revolution? – Bewegt sich der Arbeiter wieder? In Nordhausen probten FahrradwerkerInnen die Produktion ohne Chef.

Mit dem Rad zur Revolution? – Bewegt sich der Arbeiter wieder? In Nordhausen probten FahrradwerkerInnen die Produktion ohne Chef.

In dem kleinen Ort Nordhausen im Harz, kämpfen 125 ArbeiterInnen um ihren Job. Im Dezember 2005 wurde ihre Fabrik, „Bike Systems“ von dem Finanzinvestor Lone Star aufgekauft. Schon kurz darauf verkaufte Lone Star „Bike Systems“ für eine 25%ige Beteiligung an die „Mifa“1, dem größten Konkurrenten. Nachdem im Juni 2007 der Belegschaft mitgeteilt wurde, dass das Werk geschlossen werden soll, regte sich spontan Widerstand.2

Mit Hilfe einer „Dauerbetriebsversammlung“ wurde das Gelände im Dreischichtsystem besetzt. Von Anfang an bemühten sich die KollegInnen um Unterstützung aus Gewerkschaften und Parteien, jedoch ohne ihre Autonomie dabei aufzugeben. Nach über 100 Tagen „Werksbesetzung“ und Perspektivlosigkeit ließen sich die ArbeiterInnen durch KollegInnen des selbstverwalteten Betriebs „Cafe Libertad“ inspirieren. Sie erzählten den KollegInnen von vergangenen Zeiten und fernen Ländern: von der Besetzung der Uhrenfabrik LIP 1973 in Besançon (Frankreich) und von den Betriebsübernahmen in Argentinien seit 2001. Nach gründlicher Diskussion wurde beschlossen, eine Woche lang in Selbstverwaltung ein „Strike Bike“ zu produzieren3. Allerdings: Ziel dieses Plans war nicht die Übernahme des Betriebes durch die ArbeiterInnen. Vielmehr wollten sie so auf sich aufmerksam machen, um potentielle Investoren an zu locken.

Solidarität und Heuschrecken

Trotz eines extrem schmalen Zeitfensters von knapp 21 Tagen wurden mehr als die benötigten 1.500 Fahrräder bestellt und in Vorkasse bezahlt.4 Intensive Pressearbeit und das Bemühen internationaler Kontakte zu kämpferischen ArbeiterInnen auf der ganzen Welt führten dazu, dass binnen kurzem Bestellungen aus Deutschland, Europa, Nordamerika, Australien, Israel und Afrika bei der Belegschaft eintrafen. Diese direkte Hilfe imponierte nicht nur den KollegInnen in Nordhausen. Auch die NPD, die zwischenzeitlich versucht hatte, sich „des Themas anzunehmen“, entblödete sich nicht, trotzdem zu „nationaler Solidarität gegen die Heuschrecke“ aufzurufen. Ein Aufruf, der übrigens von der Belegschaft scharf zurückgewiesen wurde. Das Bild „Heuschrecke“, wurde leider nicht nur von der NPD gebraucht.
Auch die IG-Metall und so manch freier Journalist bemühte diese Metapher immer wieder. Der extra gegründete Verein „Bikes in Nordhausen e.V.“ machte in seinen Presserklärungen jedoch immer wieder deutlich, dass sie nicht zwischen „bösem ausländischen“ Kapital und „gutem“, weil „deutschem“ Kapital unterscheiden!

Die Rolle der Gewerkschaften

Zu Beginn des Konfliktes stand die IG-Metall beratend zur Seite und gab wichtige Tipps bezüglich der Legalisierung der „Werksbesetzung“. Die Gewerkschaftslinke hat ihrerseits über den Konflikt berichtet und sich bemüht, innerhalb des DGB Öffentlichkeit herzustellen. In dem Moment, als die KollegInnen etwas andere Wege einschlugen, zogen sich beide erst einmal zurück. Die IGM versuchte sogar, die ArbeiterInnen von dem Vorhaben, nur eine Woche selbstverwaltet und ohne Chef bei gleicher Bezahlung für alle zu arbeiten, abzubringen.
Erst nachdem die „Tagesthemen“ einen Bericht über die Werksbesetzung gesendet hatte, sprangen sie wieder auf den Zug auf. Allerdings bestellte die IG-Metall keine Fahrräder oder organisierte Solidarität. Vielmehr versuchte sie wieder verstärkt, Mitglieder zu werben. Unter anderem versprachen sie ein zinsloses Darlehen, „Übergangsgeld“ genannt. Anstatt dieses Darlehen möglichst schnell an die neuen Mitglieder auszuzahlen, wurden nur die Mitgliedsbeiträge abgebucht, Wimpel und IG-Metall-Girlanden und Fahnen aufgehängt.

Zukunft

Ein Investor wurde zwar gefunden, jedoch stand bei Redaktionsschluß noch nicht fest, ob und zu welchen Bedingungen er „Bike Systems“ übernehmen würde. Darum wurde zeitgleich weiter über eine „Übergangsgesellschaft“ verhandelt. Zu guter Letzt spielen auch einige KollegInnen immer noch mit der Idee, eine Produktivgenossenschaft zu gründen.

Düsseldorf

Wenn ihr die Terz in den Händen haltet, werden die Fahrräder bereits produziert und verschickt sein. Verschiedene Gruppen, Organisationen und
Initiativen aus Düsseldorf haben „Strike-Bikes“ gekauft. So werden zum Beispiel Cable Street Beat Düsseldorf und die FAUD am 1.12.2007 im Hinterhof zwei Räder verlosen. Außerdem ist wohl auch noch eine „amerikanische Versteigerung“ angedacht. Achtet also auf Ankündigungen in der Terz und auf den Hompages der „üblichen Verdächtigen“.

NIK TOPARK, FAUD

Anmerkungen & Randspalte:

http://www.strike-bike.de
Kontakt zu den BesetzerInnen: fahrradwerk [at] gmx.de

1 Mitteldeutsche Fahrradwerke AG.
2 detaillierte Hintergrundinfos demnächst in einer extra Broschüre der Freien ArbeiterInnen Union.
3 die Terz berichtete (10/2007).
4 Die Kampagne hatte nur drei Wochen Zeit und fand außerhalb der Fahrradsaison statt.

DA: Da rennt der Schweiß: Die brasilianische COB befindet sich im Konflikt mit einem Sportbekleidungshersteller

Da rennt der Schweiß: Die brasilianische COB befindet sich im Konflikt mit einem Sportbekleidungshersteller

Die globale Textil- und Bekleidungsindustrie ist berüchtigt für ihre Arbeitsbedingungen. Die Sparte für Sportbekleidung ist da keine Ausnahme. Bereits 1998 organisierte die Clean-Clothes-Campaign ein internationales Tribunal gegen die (Sport-)Bekleidungsindustrie, in der 80% der Belegschaften Frauen sind, denen oft selbst der unzureichende Mindestlohn vorenthalten wird. Diverse Konzerne wurden damals exemplarisch wegen andauernder Arbeitsrechtsverletzungen, der Unterdrückung von Gewerkschaften, schlechter Arbeitsbedingungen, unzureichender Löhne und sexueller Belästigungen von Frauen verurteilt.
Auch zehn Jahre später, anlässlich der Euro 2008 und der Olympischen Spiele, berichtete die Kampagne „Fair Play“ über „Hungerlöhne und menschenverachtende Arbeitsbedingungen“ sowie über gewerkschaftsfeindliches Verhalten in der Branche. Letzteres drücke sich laut „Fair Play“ nicht nur in Entlassungen aktiver ArbeiterInnen aus, sondern auch in Form von „Verhaftung oder sogar Gewalt“. In dieser Zeit hat sich die Zusammensetzung der Beschäftigten nicht verändert. Weiterhin sind 80% der ArbeiterInnen Frauen. Auch die von diversen Konzernen eingeführten „Verhaltenskodizes“ haben die Arbeitsbedingungen nicht verbessert. Mit der Fußball-WM der Frauen gibt es dieses Jahr erneut einen Anlass, über die Zustände in der Sportbekleidungsindustrie zu sprechen. So organisiert etwa die christliche Initiative „Romero“ bundesweit Veranstaltungen über den dortigen „Arbeitsalltag und Arbeitsrechtsverletzungen“. Ihre zentrale Forderung dabei: ein „existenzsichernder Lohn für die Näherinnen in den Produktionsländern!“ Auch die anarchosyndikalistische IAA befasst sich derzeit mit dieser Branche. Denn Ende März diesen Jahres wurde Icaro Poletto, Mitglied der brasilianischen Sektion (COB-IAA), bei FF Mercantil entlassen, wo u.a. Trikots, Kleidung und Zubehör für die Marken Lotto und Finta hergestellt werden. Poletto hatte zuvor begonnen, sich mit seinen KollegInnen gegen die schlechten Arbeitsbedingungen (hohe Arbeitszeiten, starke Hitze, Lösungsmitteldämpfe und niedriges Gehalt) zu wehren. Seiner ihn unterstützenden Gewerkschaft wurde letztlich sogar mit „Pistoleros“ gedroht, jenen Todesschwadronen, die in Lateinamerika eine traurige Tradition haben und bekannt dafür sind, aktive ArbeiterInnen zu ermorden. Die COB hat darauf mit einem globalen Boykottaufruf gegen die beiden Marken Lotto und Finta reagiert. Wenn ihr diesen Kampf unterstützen wollt, könnt ihr euch an der E-Mail-Kampagne der ZSP beteiligen (siehe www.lotto.zsp.net.pl). Ihr könnt euch auch an den Fußballverein Borussia Mönchengladbach wenden, der Lotto zu seinen Sponsoren zählt.
Rudolf Mühland

DA: Zeitung gegen Ausbeutung – Des letzten Rätsels Lösung: Direkte Aktion

Zeitung gegen Ausbeutung – Des letzten Rätsels Lösung: Direkte Aktion

„Setz’ drei AnarchistInnen zusammen und sie fangen an, eine Zeitung herauszugeben …“ Die Ereignisse, die zur Geburt der „Direkten Aktion“ (DA) führten, sind vielschichtig und aufs Engste mit der internationalen Entwicklung des Anarcho-Syndikalismus verbunden. Im März 1977 nahmen über 25.000 Menschen an einer Versammlung der CNT in San Sebastian d. l. Reyes teil. Die CNT und damit der Anarcho-Syndikalismus waren wie Phönix aus der Asche zurückgekehrt. In Deutschland meinte der Kommunistische Bund (KB), diesen Phönix schon früh bekämpfen zu müssen, bevor aus diesem Küken ein stolzer Vogel werden würde. Im Juni 1977 erschien in ihrer Zeitung „Arbeiterkampf“ (heute „Analyse und Kritik“) eine Abrechnung mit dem Anarcho-Syndikalismus. Nur einen Monat später, im Juli 1977, folgte die Antwort des „Komitees Freies Spanien“ in einer Sondernummer der „Iberien-Nachrichten“. Die Beteiligten hatten nach eigenen Angaben „Blut geleckt“ und wollten eine klar anarcho-syndikalistische Zeitung herausbringen.

Die Nummer 1 der „DA“ wurde im November 1977 als lokales Blatt der I-FAU Hamburg herausgegeben. Das Jahr 1977 hatte bis dahin schon die Entführung von Hans-Martin Schleyer (damals Arbeitgeberpräsident, früher Nazi-Funktionär) durch die RAF, die Entführung der Lufthansa-Maschine „Landshut“ und den Tod von vier RAF-Gefangenen in Stammheim und Stadelheim gesehen. Auf Seite eins der ersten Ausgabe war dann auch ein Transparent zu sehen, das bei der Beerdigung von Ensslin, Raspe und Baader zu sehen war. Darauf stand: „Gegen Morde im Knast! Aber auch: Gegen Flugzeugentführungen!“
Ab Juni 1978 ist die in Hamburg geborene „DA“ die offizielle Zeitung der FAU-IAA. Von Anfang an war sie einerseits ein Mitgliederblatt, das den Zusammenhalt der Syndikate und Gruppen untereinander fördern, und andererseits ein Agitationsblatt, das die Ideen und die Praxis des Anarcho-Syndikalismus bekannt machen sollte. Dem ursprünglichen Selbstverständnis nach wollte die „DA“ keine anarchistischen Theorien oder Philosophien ausbreiten, sondern stattdessen ein klassenkämpferisches und libertäres Gewerkschaftsverständnis propagieren.
Dem eigenen syndikalistischen Anspruch entsprechend, wonach die FAU und damit auch ihr offizielles Organ immer eine „Schule des Proletariats“ ist – die es den Mitgliedern ermöglichen soll, möglichst alles zu erlernen, was zur Herstellung einer regelmäßig erscheinenden Zeitung notwendig ist –, wurden von den Kongressen alle Bestrebungen abgelehnt, bezahlte Stellen für die „DA“ einzurichten. Gleichzeitig gab und gibt es einen stetigen Prozess der „Professionalisierung“. Im Sommer 1989 wurde die Produktion von DIN A4 auf Zeitungsformat umgestellt. Das führte zu einer Verdreifachung der Auflage bei gleichzeitiger Reduzierung des Verkaufspreises! In der Folgezeit wurde die Auflage weiter deutlich erhöht und in die damalige DDR gebracht. Dort war das Bedürfnis nach anti-staatlichen Sozialismusvorstellungen sehr groß und die „DA“ fand einen für ihre Verhältnisse reißenden Absatz. In den Jahren danach wurde versucht, die Auflage dauerhaft auf 10.000 Exemplare zu erhöhen … was jedoch leider nicht gelang.
Neben dem „laufenden Geschäft“ hat die „DA“ immer wieder Sonderausgaben herausgebracht. Zum Beispiel zur „National-Bolschewistischen Konterrevolution“ (1994), zu „20 Jahre EZLN“ (2003) oder auch zur Agenda 2010 (im Jahr 2004).
Wir können mit Gelassenheit und Neugier auf die Zukunft der „DA“ schauen!

Rudolf Mühland

DA: Mehr als nur Streik und Aussperrung – Des letzten Rätsels Lösung: Arbeitskampf. Die kollektive Auseinandersetzung hat viele Facetten

Mehr als nur Streik und Aussperrung – Des letzten Rätsels Lösung: Arbeitskampf. Die kollektive Auseinandersetzung hat viele Facetten

In Deutschland wird der Arbeitskampf traditionell als Tarifauseinandersetzung gedacht. In diesem Rahmen treten die gewerkschaftlichen Vertreter des Arbeitskampfes einerseits extrem verbalradikal auf, indem sie zum Beispiel behaupten, nicht unter bestimmte Forderungen zu gehen, oder dadurch dass sie mit „französischen Zuständen“ drohen. Andererseits wird selbst der klassische Streik, das „Rausgehen“ bis zum letzten Moment hinausgezögert und wenn möglich gar ganz vermieden. Das Ganze ist der Ideologie geschuldet, wonach ein offener Arbeitskampf nur die „ultima ratio“ und eben nicht das naheliegendste Mittel der Arbeiterschaft wäre. Auf der anderen Seite können auch die Bosse und ihre Verbände einen Arbeitskampf führen. In den „heißen Phasen“ ist ihr gerichtlich anerkanntes Instrument die sogenannte Aussperrung.

Jenseits von Verhandlung, Schlichtung, Streik und Aussperrung gibt es jedoch zahlreiche weitere Methoden des Arbeitskampfes. So verstehen sich die Bosse sehr gut darauf, das Kampfterrain kurzerhand zu verlegen: raus aus dem Betrieb, hinein in die Gerichte. Oftmals hagelt es förmlich Klagen vor den verschiedensten Gerichten und auch einstweilige Verfügungen mit den wahnwitzigsten Inhalten sind ihr Begehr. Den kämpfenden Belegschaften und ihren Organisationen soll und wird so nur allzu oft eine langwierige und kräftezehrende Spiegelfechterei vor angeblich neutralen Gerichten und auf Grundlage ebensolcher Gesetze aufgezwungen. Weitere Mittel, um klassische Arbeitskampfmaßnahmen der ArbeiterInnen zu sabotieren, sind zum Beispiel die Befristung von Verträgen, mit der Gefahr, dass diese vor, während oder nach einem Arbeitskampf einfach nicht verlängert werden, oder auch die Gestaltung des Dienstplanes und die (Nicht-)Zuweisung von Schichten.

Zum Glück ist die Arbeiterschaft aber nicht machtlos. So können sowohl die in Gewerkschaften organisierten als auch die sog. unorganisierten Beschäftigten auf einen weit größeren Fundus an Maßnahmen zurückgreifen, als gemeinhin angenommen wird. Einige dieser Maßnahmen sind so spektakulär, dass sie es bis in die Mainstream-Medien schaffen. Dazu gehört zum Beispiel das sog. „Bossnapping“, das wir aus Frankreich kennen. Andere Maßnahmen scheinen weniger spektakulär, sind in Zeiten sich verschärfender Auseinandersetzungen aber vielleicht insgesamt richtungsweisend. In diese Kategorie fallen zum Beispiel eine Reihe von Betriebsbesetzungen, die es in den letzten Jahren wieder verstärkt in Europa und sogar Deutschland gegeben hat. Betriebsbesetzungen verhindern zum Beispiel den Einsatz von Streikbrechern, und sie bieten sogar die Perspektive einer selbstorganisierten Produktion. Kämpferische Gewerkschaften setzen auch schon mal auf Boykott. „Dienst nach Vorschrift“ und „Bummeln“ sind ebenfalls Taktiken sowohl des alltäglichen betrieblichen Guerillakampfes als auch im „heißen Arbeitskampf“. All diese Maßnahmen werden besonders dann ergriffen, einzeln oder in Kombination, wenn ein offener Streik nur wenig Aussichten auf Erfolg hat. So kann das gezielte Bummeln, kollektiv angewendet, einen erheblichen Druck auf den Boss ausüben, ohne dass er dabei Einzelnen etwas vorwerfen könnte.

In den 1980/90er Jahren rieten die „glücklichen Arbeitslosen“ ihren lohnarbeitenden KollegInnen in einer Broschüre, dass sie „Lieber krank feiern als gesund schuften“ sollten. Leider wurde dieser Rat in Deutschland wohl noch nie kollektiv und systematisch eingesetzt. Nicht nur, dass die Gewerkschaft damit von der Zahlung des Streikgeldes befreit wäre, da ja der Boss im Krankheitsfall die Löhne weiterzahlen muss; damit entstehen dem Boss sogar zusätzliche Kosten, da er ja für die Zeit neue Leute als Vertretung einstellen muss.

In diesem Sinne: „Wenn sie nur so tun als würden sie uns bezahlen, tun wir nur so als würden wir arbeiten!“

Rudolf Mühland

DA: Belgrade 6 vorläufig frei! – Der erste Prozesstag endet mit einem Teilerfolg.

Belgrade 6 vorläufig frei! – Der erste Prozesstag endet mit einem Teilerfolg.

Am 17. Februar fand in Belgrad der Auftakt des Prozesses gegen die Belgrade 6 statt. Fünf der sechs Angeklagten sind Mitglieder der Anarchosyndikalistischen Initiative (ASI-IAA). Ihnen wird vorgeworfen, im August 2009 einen Brandsatz auf die griechische Botschaft in Belgrad geworfen zu haben. Die Anklage lautete auf „Internationalen Terrorismus“, worauf bis zu 15 Jahre Haft stehen. Zum Prozess angereist waren auch zahlreiche internationale BeobachterInnen aus Mitgliedssektionen der IAA wie der CNT (Spanien), der SolFed (Großbritanien), der ZSP (Polen) und der FAU sowie aus libertären Zusammenhängen außerhalb der IAA, so zum Beispiel aus dem Umfeld der osteuropäischen, libertären Zeitschrift „Abolishing the borders from below“.
Belgrade 6 vorläufig frei! - Der erste Prozesstag endet mit einem Teilerfolg.

Zunächst die positive Nachricht: Am Ende des Verhandlungstages konnten alle sechs Inhaftierten das Gefängnis verlassen. Auch wurde die Anklage wegen internationalem Terrorismus fallen gelassen. Bis zum Redaktionsschluss war noch nicht bekannt, wegen welchem Delikt nun gegen die sechs verhandelt werden soll.

Viel Interesse, wenig Plätze (Bild: Carlos Martin)

Viel Interesse, wenig Plätze
(Bild: Carlos Martin)

Geprägt war der Prozessauftakt von einer massiven Polizeipräsenz. Es gab keinen ausreichenden Platz in dem viel zu kleinen Verhandlungssaal, so dass die meisten der angereisten Beobachter vor dem Saal warten mussten.

Drei internationale BeobachterInnen, die versucht hatten, ein kleines Plakat mit der Aufschrift „Anarchismus ist kein Terrorismus“ an der Tür zum Gerichtssaal mit Klebestreifen zu befestigen, wurden festgenommen. Ihnen wird „Störung des Gerichts“ vorgeworfen. Um eine „Flucht“ zu verhindern, wurden ihre Reisepässe eingezogen und ihnen untersagt, Serbien zu verlassen.

Während des Prozesses erklärten die Anwälte der Gefangenen, dass diese massiv psychisch und physisch unter Druck gesetzt worden seien. Mindestens ein Gefangener wurde gefoltert und dadurch gezwungen, ein Geständnis zu unterschreiben. Dieser Genosse erlitt in den knapp sechs Monaten Haft mehr als dreißig epileptische Anfälle – mehr als in seinem gesamten vorherigen Leben.

Die Staatsanwaltschaft wird ihre Beweisführung voraussichtlich über die durch physische und psychische Folter erzwungenen Aussagen konstruieren. Nach derzeitigen Informationsstand haben bisher zwei der Betroffenen solche Aussagen gegenüber der Polizei, der Staatsanwaltschaft oder dem Richter gemacht. Die Angaben scheinen sich jedoch erheblich zu widersprechen. Der nächste Prozesstag ist der 23. März. Es bleibt abzuwarten, ob die serbische Justiz mit ihrer Strategie der Kriminalisierung von libertären AktivistInnen schlussendlich Erfolg haben wird. Auch wenn die Freilassung der Belgrade 6 ein Erfolg der internationalen Kampagne darstellt, darf nicht vergessen werden, dass ihnen der serbische Staat schon zum jetzigen Zeitpunkt über fünf Monate die Freiheit genommen hat.

Rudolf Mühland

Unsere Leser und Leserinnen fordern wir an dieser Stelle noch einmal auf, sich an den derzeit laufenden Protestmöglichkeiten und an den anstehenden Aktionen zu beteiligen. Aktuelle Informationen finden sich wie immer auf fau.org, oder auf den Seiten derAnarchosyndikalistischen Jugend.

Es wird nach wie vor dringend Geld benötigt, um die Anwaltskosten und die Solidaritätskampagne finanzieren zu können.

Spendet bitte an:

Freie ArbeiterInnen-Union
Konto-Nr.: 961 522 01
Postbank Hamburg (BLZ 200 100 20)
Stichwort: BELGRAD 6

Vorlage für einen englischen Protestbrief auf der Seite der polnischen ZSP-IAA
http://asi.zsp.net.pl/free-the-anarchists/emailpage/


Die beiden vorherigen Artikel zum Thema finden sich unter:

Erschienen in: Direkte Aktion 198 – März/April 2010

DA: …dem Teufel der Anarchie! Des letzten Rätsels Lösung: Die Internationalistin und Feministin André Léo

…dem Teufel der Anarchie! Des letzten Rätsels Lösung: Die Internationalistin und Feministin André Léo

Die am 18. August 1824 in Lusignan, Départment Vienne geborene Victorine-Léodile Béra, verheiratete Champseix, nutzte das Pseudonym, welches sie aus den Vornamen ihrer Zwillingssöhne zusammensetzte, seit Anfang der 1860’er Jahre. Nach dem Tode ihres Mannes, baute André Léo ihre schriftstellerische und journalistische Tätigkeit zum Gelderwerb aus. Sie starb, bis zu ihrem Tode als Schriftstellerin und Journalistin arbeitend, 1900 und wurde auf dem Friedhof von Auteuil in Paris beigesetzt .
Andrè LèoMitte der sechziger Jahre gründete sie in ihrer Wohnung die „Société pour la Revendication du Droit des Femmes“. Diese Société wurde nicht nur ein Sammelbecken führender Feministinnen in Paris (u.a. Paule Minck, Louise Michel, Elie und Noémie Reclus) , sondern sie sie stellte überdies eine Neuausrichtung des zeitgenössischen Feminismus dar. Als Reaktion auf die antifeministischen Kampagnen ihrer Zeit, z.B. von Proudhon, stellten André Léo und die Frauen und Männer (!) der Société nicht die Geschlechterdifferenz in den Vordergrund. Sie argumentierten nicht mit den „besonderen Fähigkeiten und Interessen der Frauen“. Vielmehr betonten sie die Gleichheit der Geschlechter. Vorhandene Unterschiede führten sie weitgehend auf die Sozialisation zurück. Allerdings reichen André Léo die Versprechungen bürgerlicher und sozialistischer rechtlicher Gleichstellung nicht aus. Für sie können sowohl die bürgerlich-kapitalistische wie die sozialistische Gesellschaft auf der Basis der Familie existieren. Aufklärung alleine reiche nicht, vielmehr müsse eine materielle Basis und gesellschaftliche Bedingungen geschaffen werden, die es Frauen en masse gestattet sich nicht nur theoretisch, sondern auch ganz konkret an der Gestaltung der Gesellschaft zu Beteiligen. Entscheidend hierfür sei unter anderem eine sozialistische Umgestaltung der Wirtschaftsordnung, incl. der Erwerbsarbeit für Frauen.

Während der Pariser Kommune traten die Differenzen zwischen bürgerlichem Feminismus und antifeministischem Sozialismus besonders deutlich zu Tage. Einerseits verließen viele Feministinnen Paris und wandten sich gegen die Kommune, andererseits wurde der erklärte Antifeminist Jaroslav Dombrowski zum Oberbefehlshaber der Kommunetruppen erklärt. Dombrowski versuchte sogar den Krankenschwestern und den Marketenderinnen, welche die Soldaten mit Lebensmitteln versorgten, den Zugang zu den Schlachtfeldern zu verweigern.

Im Gegensatz zu Louise Michel gelang Léo nach der Niederschlagung der Kommune die Flucht in die Schweiz. Dort wollte sie 1871 auf dem Kongress der Friedens- und Freiheitsliga die bürgerliche Öffentlichkeit über die wahren Ziele der Kommune aufklären und die von den Versailler begangenen Massaker brandmarken. Dazu kam es jedoch nicht, da sie durch Zwischenrufe und aufkommenden Tumult dazu gezwungen wurde ihre Rede vorzeitig ab zu brechen. Wie viele Kommuneflüchtlinge, wandte sie sich nun endgültig der sozialistisch-anarchistischen Bewegung zu. Antizentralistische und libertäre Positionen bei vielen der KommunardInnen waren vor und während der Kommune vor allem in der Auseinandersetzung mit blanquistischen und jakobinischen Strömungen entstanden.
Im Oktober 1871 sah André Léo sich gezwungen in der „Révolution Sociale“ die Beschlüsse der Londoner Konferenz der Internationalen, welchen von Karl Marx einberufen, geplant und minutiös durchgeführt wurde, zu kommentieren:

„Dass die Göttin Freiheit uns zu Hilfe komme! Denn wir haben gegen die jüngste päpstliche Bulle verstoßen, … indem wir die Unfehlbarkeit des obersten Rates zur Diskussion stellen. Nun sind also auch wir von der Exkommunizierung bedroht, und es bleibt uns nichts anderes übrig, als unsere Seele dem Teufel der Anarchie zu verschreiben“

Durch die Agitation von André Léo und die Verbreitung eines Zirkulars der anarchistischen Sektionen, das die Kompetenzen des Generalrats nun offen in Frage stellte, wurde der Konflikt nun auch in andere Länder getragen, und die Opposition gegen den Generalrat wuchs. 1872 fand die Marx’sche anti-Anarchisten Kampagne auf dem Kongress in Den Haag mit der Spaltung der Internationalen ihren traurigen Höhepunkt.

Mehr Info’s: www.antjeschrupp.de

DA: Des letzten Rätsels Lösung: Milly Witkop (1877-1955), jüdische Feministin und Anarchosyndikalistin

Des letzten Rätsels Lösung: Milly Witkop (1877-1955), jüdische Feministin und Anarchosyndikalistin

Geboren am 1. März 1877 im Örtchen Slotopol, im sogenannten „Ansiedlungsrayon“, gehörte Milly Witkop zur jüdischen Minderheit in der Ukraine. Siebzehnjährig reiste sie nach London und ließ sich, wie fast alle jüdischen EinwanderInnen, im proletarischen East End nieder, wo sie vor allem in der Bekleidungsindustrie und im Schuhhandwerk in sogenannten „Sweatshops“ Arbeit fanden. Ihren Weg zur organisierten Arbeiterschaft fand sie über die beeindruckenden Streikversammlungen der jüdischen Bäcker und die in den USA herausgegebene, auf jiddisch erscheinende „Tsukunft“. Sie begann für die jiddisch-anarchistische Presse zu schreiben und wurde aktives Mitglied der anarchistischen-syndikalistischen Bewegung.

Nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs gab Witkop ihre grundsätzlichen Positionen nicht auf und gehörte weiterhin zu den maßgebenden AktivistInnen gegen den Krieg. So engagierte sie sich zum Beispiel gegen die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht. Diese Tätigkeit und ihre Beziehung zu Rudolf Rocker brachten ihr 1916 eine zweieinhalbjährige Strafe wegen Kontakten zu „feindlichen Ausländern“ und Antikriegspropaganda ein.

Am Ende des Krieges wurde ihr langjähriger Freund, Genosse und Vater ihres Kindes, Rudolf Rocker, aus England ausgewiesen. Sie ging mit ihm und landete im Winter 1918 in Berlin. Dort wurde sie schnell wieder ein aktiver Teil der anarchistischen-syndikalistischen Bewegung. Von ihr stammt die programmatische Schrift „Was will der Syndikalistische Frauenbund?“. Erstmals gab es in Deutschland eine Frauenbewegung, die revolutionären Syndikalismus, Anarchismus und Feminismus verband, die Hausarbeit als echte Arbeit anerkannte, Teil einer männerdominierten Bewegung war und dabei auf eine organisatorische Autonomie pochte. Witkop war ihre bekannteste Vertreterin.

Anfang der 1920er Jahre wurde der Kampf gegen den Faschismus auch in Deutschland notwendig. Immer wieder wird aus den Reihen der Anarcho-SyndikalistInnen auf die allgemeine Gefahr des Faschismus, der als globales Phänomen begriffen wird, hingewiesen. Dabei wird schon sehr früh erkannt, dass der deutsche Faschismus eine Besonderheit aufweist, nämlich einen ausgesprochenen „Pogrom-Antisemitismus“. Dieser sei nicht ökonomisch zu erklären, sondern stelle eine ganz besondere, eigene Strömung dar. Die deutsche Arbeiterbewegung, soviel war schnell klar, würde dem deutschen Faschismus nichts entgegen zu setzten haben, trotz der zahlenmäßigen Überlegenheit. Aber auch die anarcho-syndikalistische Bewegung würde einen offenen Kampf nur verlieren können, da sich sowohl die pure Anzahl der Mitgliederschaft nach 1925 rapide verringert hatte als auch – und das ist viel bedauerlicher – ihr Einfluss auf die Gesellschaft im Allgemeinen und die Arbeiterschaft im Speziellen geschwunden war.

Milly blieb nichts anderes übrig, als Anfang der 1930er Jahre erneut ins Exil zu gehen, diesmal in die USA. Von dort unterstützte sie den Kampf gegen den Nationalsozialismus ebenso wie die Revolution in Spanien. Wenn sie auch nach dem Krieg ein gewisses Verständnis für die Gründung Israels hatte, so ließ ihr grundsätzlicher Anti-Nationalismus sie auch eine kritische Haltung gegenüber dem Zionismus behalten. Mit viel Energie war sie an der Gründung eines Komitees zur Unterstützung deutscher Anarcho-SyndikalistInnen, welche das NS-Regime überlebt hatten, beteiligt. 90% der gesamten materiellen Hilfe für deutsche Anarcho-SyndikalistInnen kam von der jiddischen Bewegung in den USA.

Milly Witkop starb am 23. November 1955 in Peekskill am Hudson River in der Nähe von New York

Rudolf Mühland

DA: Flucht nach vorne – Hintergründe zur Unternehmenspolitik von Starbucks

Flucht nach vorne – Hintergründe zur Unternehmenspolitik von Starbucks

Der erfolgsverwöhnte Kaffeegigant steckt in der Krise. Starbucks, das 2007 insgesamt 160 Mio. Kilo Kaffee eingekaufte, davon sechs Prozent „fairtrade“, beschäftigt ca. 172.000 ArbeiterInnen. In den letzten fünf Jahren hatte sich die Anzahl der Starbucks-Filialen weltweit nahezu verfünffacht. Bei der Wahl der Standorte ging und geht man nach der sogenannten „Cluster“-Methode vor. Überall wo ein neuer Starbucks eröffnet wurde, folgten bald weitere Läden. Das führte in den USA irgendwann dazu, dass die Filialen begannen, sich gegenseitig Konkurrenz zu machen; Umsatzeinbußen von 20-30 Prozent waren die Folge. Diese Situation wird zudem durch die Immobilienkrise weiter verschärft, da sich viele Standorte nicht so dynamisch entwickelten, wie von den Starbucks-Analysten prophezeit. Hinzu kommt die stetig wachsende Konkurrenz durch Fastfood-Ketten, wie z.B. McDonalds, Subway oder Dunkin‘ Donuts, die sich zum Teil auf ein bedeutend umfangreicheres Filialnetz stützen können, und nicht zu vergessen: die mittlerweile entstandene Konsumzurückhaltung im Starbucks-Vaterland.

Konkurrenz erwächst aber auch aus ganz unvermuteter Richtung. So berichtete die Financial Times Deutschland schon im April des Jahres, dass kolumbianische Kaffeebauern Starbucks auf dem europäischen und US-amerikanischen Markt „angreifen“ wollen. Die Vereinigung der Kaffeeproduzenten der Federación Nacional de Cafeteros de Colombia (FNC), mit der verbandseigenen Kaffeehauskette „Juan Valdez“, betreiben schon über 120 Filialen, unter anderem in den USA und Spanien. Bis zum Ende des Jahrzehnts sollen es schon 300 Filialen sein. Konkret geplant sind bereits 50 neue Läden in Schweden, und natürlich ist eine Expansion nach Deutschland nicht ausgeschlossen.

Rosskur

Dass Starbucks in diesem Quartal, seit 16 Jahren das erste Mal, einen Verlust melden musste, ganze 6,7 Mio. Dollar, liegt unter anderem an der Rosskur, die vom Anfang des Jahres zurückgekehrten Firmengründer Howard Schultz verordnet wurde. Allein in den USA werden 600 als unrentabel qualifizierte Filialen geschlossen – 12.000 Angestellte (rund sieben Prozent der Belegschaft), im Firmenjargon beschönigend „Partner“ genannt, müssen die Sachen packen. 200 von diesen Filialen sollten noch bis September im laufenden Geschäftsjahr geschlossen werden, die übrigen 2009. In Australien macht Starbucks 61 von rund 84 Standorten dicht. Gut 70 Prozent der Filialen, die zur Schließung bestimmt wurden, sind eigentlich gerade erst eröffnet worden. Die Kosten, des im Managerjargon verschleiernd genannten „Konzernumbaus“, sollen alleine in den USA bis zu 348 Mio. Dollar betragen.
Berichten zufolge sollen auch in der Essener Deutschland-Zentrale bis Ende des Jahres 22 der insgesamt rund 70 Stellen wegfallen. Dabei hatte Starbucks in Deutschland in den letzten fünf Jahren zweistellige Wachstumsraten hingelegt und ist weiterhin Expansionsziel.

Expansion in Europa und Asien

Von den 15.500 Filialen in 43 Ländern, befinden sich nur rund 4.500 außerhalb der USA. Dieses Zahlenverhältnis wird sich jedoch schon bald auffallend verändert haben. Weltweit sollen dieses Jahr, im Kontrast zu den Schließungen in den USA, insgesamt über 800 neue Läden eröffnet werden. Für das nächste Jahr werden sogar 900 neue Läden anvisiert. Laut dem Wall Street Journal (WSJ) sei bisher in Europa „zu wenig aggressiv“ auf den Markt vorgedrungen worden. Besonders ins Visier der Expansion gekommen sind laut WSJ in Westeuropa Frankreich, England und Deutschland. In Osteuropa sind Polen, Tschechien und die Türkei im Zentrum der Aufmerksamkeit. In China gibt es bereits 600 Starbucks-Coffeeshops.

Ausblick

Neben der wirtschaftlichen Situation, der Immobilienkrise in den USA und der verschärften Konkurrenz durch den Eintritt von Fastfood-Ketten in den Kaffeemarkt usw., ist sicherlich auch noch ein weiter Aspekt entscheidend für die Krise bei Starbucks. Wenn es früher einmal „cool“ war, bei Starbucks seinen Kaffee zu kaufen, dann ist es das jetzt nicht mehr. Das Bild vom freundlichen Arbeitgeber, der seine ArbeiterInnen „Partner“ nennt, hat schon länger einen nicht unwesentlichen Riss bekommen. Die Löhne sind in den USA nicht besonders hoch, die Arbeitsbedingungen dagegen sehr schlecht. Erst im März dieses Jahres verurteilte ein kalifornisches Gericht den Konzern dazu, über 100 Mio. Dollar an einbehaltenen Trinkgeldern auszuzahlen. Flexibilität ist eine Einbahnstrasse und wird von den ArbeiterInnen in einem so hohen Maße verlangt, dass ein irgendwie geregeltes Leben jenseits der Theke kaum mehr möglich ist.
Jeder Versuch der ArbeiterInnen, sich in Gewerkschaften zu organisieren, wird von der Zentrale rabiat bekämpft. Bisher ist es nur den IWW und der CNT-IAA in Spanien gelungen, sogenannte „Baristas“ zu organisieren. Aber das alles geht an den DurchschnittskonsumentInnen womöglich vorbei, zumal es kaum in den Massenmedien berichtet wird. Anders, wenn es um den Umgang des Konzerns mit „seinen“ Kaffeebauern geht oder um die Frage, ob der Kaffee wirklich „fairtrade“ ist. Auch diese beiden einstmals positiv besetzten Bilder haben mittlerweile tiefe Risse bekommen. Ob Starbucks in Zukunft weiter expandieren und den AktionärInnen Gewinne bescheren wird, liegt nicht zuletzt daran, ob es dem Global-Player gelingen wird, sich wieder ein verkaufsförderndes Image zu geben oder nicht.

Rudolf Mühland