Ach, trans Leute gehen arbeiten?!

Mit der Situation von trans[1] Leuten im Allgemeinen haben sich schon viele (trans) Anarchist*innen beschäftigt. Schließlich ist queerer[3] Anarchismus eine anarchistische Strömung. Aus syndikalistischer Perspektive auf die Lohnarbeit hat das Thema bisher nicht viel Aufmerksamkeit erhalten. An Beispielen erklären wir, wie sich die Diskriminierung in der Lohnabhängigkeit äußert, wie sich das mit anderen Diskriminierungsformen überschneidet und überlegen uns, was wir dagegen tun könnten.

Einer von uns zwei Autoren lernte Mikela auf einer Party in Berlin kennen. Wir lagen uns in der Morgendämmerung noch lange in den Armen. Mikela hatte ihre Lohnarbeitsstelle verloren, weil sie mit dem Beginn der Hormontherapie anfing, sich “weiblich” zu kleiden und einen anderen Namen zu verwenden. Sie arbeitet in der Pflege. Während der Rückfahrt wurde mir langsam klar, was das womöglich für mein Leben bedeuten würde, würde ich mich outen[2]. Ich arbeite im Bereich Maschinenbau und habe es dort als weiblich wahrnehmbare Person schon nicht besonders leicht.

Ja, trans Leute gehen arbeiten!

Wie steht es also um die Situation von trans Leuten in der Lohnarbeit?

Die Idee, dass trans Leute einer Lohnarbeit nachgehen, scheint immer noch so absurd, dass die Berliner Senatsverwaltung für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung 2015 sogar eine Ausstellung darüber geschaffen hat. Zu sehen sind darin Bilder von trans Leuten auf ihrem “ganz normalen” Arbeitsplatz im Büro oder auf dem Gemüsemarkt[4]. Tatsächlich ist das Durchschnittseinkommen für trans Leute geringer, und sie sind auch häufiger von Arbeitslosengeld abhängig. Viele trans Leute arbeiten unter ihrer Qualifikation[5].

Für Mikela war es auch sehr schwierig, nach der Kündigung einen neuen Job zu finden. Das liegt daran, dass cis[6] Menschen keine nicht geschlechtskonformen Leute beschäftigen wollen. Mikela ist auch ziemlich deutlich als nicht geschlechtskonform erkennbar: sie wird meistens mit “Herr” angesprochen, aber ihre deutlich weiblich konnotierte Kleidung outet sie unter allen fremden Blicken als trans. Ungünstig ist, dass sie durch ihre Armut das Passing[7] auch nicht verbessern kann.

Die von der Krankenkasse bezahlte Hormontherapie wird nämlich nicht allein dafür sorgen, dass sie irgendwann umstandslos als Frau wahrgenommen wird. So können Kosten für die Laserepilation zur Haarentfernung anfallen und die offizielle Namens- und Personenstandsänderung kann bis zu 5000€ kosten. Ohne Lohn also kein Passing, aber das Passing war doch anfangs der Grund für die Erwerbslosigkeit! Die Zeugnisse, die ohne Namensänderung immer noch unter dem falschen Namen vorliegen, verschlechtern ihre Chancen noch einmal zusätzlich. Der Antrag zur Hormontherapie ist übrigens ein Beispiel dafür, dass cis Personen darüber entscheiden dürfen, wer trans genug für Hormone ist und wer nicht: die dazu notwendigen Gutachter*innengespräche werden häufig als entwürdigend wahrgenommen.

Die Zeiten, in denen trans Frauen[8] (in Deutschland) nichts blieb außer Sexarbeit[9] sind vorbei, aber ähnlich wie Mikela geht es vielen trans Leuten.

Statistische Zahlen zur Lohnabhängigkeitssituation von trans Leuten

Die Agentur der europäischen Union für Grundrechte hat dazu ein paar Zahlen erhoben[10]. Für das Jahr 2014 gaben 37% der befragten trans Leute in Deutschland an, bei der Jobsuche diskriminiert worden zu sein, weil sie trans sind. Das bedeutet letztendlich, einen Job deswegen nicht zu erhalten oder ihn “freiwillig” nicht annehmen zu wollen. Häufig geht es aber schon mit verletzender Behandlung während des Vorstellungsgesprächs, beim Jobcenter oder am Telefon einher. Etwas weniger (27%) gaben an, während der Lohnarbeit diskriminiert worden zu sein.

Besonders nicht binäre Leute berichteten, dass sie ihr Arbeitsumfeld als LGBTI[11]-unfreundlich wahrnehmen; trans Männer sahen hier am wenigsten Probleme. Kein Wunder also, dass EU-weit 84% angaben, sich auf Arbeit gar nicht oder nur selten zu outen. Letzteres trifft auf trans Frauen und ältere Leute weniger zu, wahrscheinlich, weil sie häufig schlechter passen und deshalb keine andere Wahl haben, als sich zu outen. Die Hormontherapie erzielt bei trans Frauen nämlich nicht so offensichtliche Ergebnisse wie Bartwuchs oder eine tiefere Stimme[12],[13]. Das ist vermutlich auch der Grund dafür, dass trans Frauen von mehr Diskriminierung in der Jobsuche oder am Arbeitsplatz berichten. Eine Hormontherapie erzielt mit höherem Alter auch schlechtere Ergebnisse. Nicht binäre Leute outen sich sogar nur zu 5% auf Arbeit. Leute sind eher out auf Arbeit, wenn sie eine leitende Position innehaben[14].

Was Studien nicht erfassen

Studien, die mehrere Diskriminierungsformen in ihrem Zusammenspiel analysieren, sind sehr selten. Häufig wird nicht erfasst, dass trans Leute nicht nur trans sind, sondern auch lesbisch, von Misogynie betroffen, schwul, bisexuell, migrantisch, Schwarz, arm, schlecht gebildet, Arbeiter*in, behindert oder psychisch erkrankt[15] sein oder keine (deutsche) Staatsbürgerschaft haben können. So sind ermordete trans Leute besonders häufig (sofern der Beruf bekannt war) Sexarbeiter*innen oder migrantisch[16].

Leuten mit psychischen Störungen oder Behinderungen wird häufig abgesprochen, dass sie einschätzen könnten, ob sie trans sind oder nicht. Im Fall der psychischen Störung führt das manchmal dazu, dass sie aus der Angst, keine Hormone zu bekommen, ihre psychische Störung nicht behandeln lassen, da Psycholog*innen selten beides gleichzeitig “behandeln”. Über das Zusammenspiel von verschiedenen Diskriminierungsformen bei trans Menschen könnten wir ein Buch schreiben, aber das hier ist ein Zeitungsartikel. Vielleicht fragt sich die*der Leser*in hier gerade, was das mit der Lohnarbeit zu tun hat. Neben der Diskriminierung im Erwerbsleben werden die Betroffenen weiter benachteiligt und belastet. Das kann zu Stress führen, welcher insgesamt zu weniger Ruhe für z. B. eine sinnvolle Jobsuche führt. Möglicherweise führt es sogar zu Arbeitsunfähigkeit.

Begehrt auf, das Leben ist es wert!

Insgesamt sorgt transfeindliche Diskriminierung also dafür, dass trans Leute arm werden oder arm bleiben. Diese Abwertung macht leider jede emanzipatorische Perspektive schwierig: Welcher trans Person bleibt neben den täglichen Diskriminierungserfahrungen und ärztlichen Gutachten Zeit für einen Arbeitskampf, um ihre Rechte geltend zu machen? Auch der Ansatz der Betriebsgruppe schlägt wohl meistens fehl, weil keine Unterstützung in der Belegschaft besteht und Erwerbslose häufig vereinzelt agieren. Innerhalb der radikalen Linken sind trans Leute allgemein stark unterrepräsentiert oder gar ausgeschlossen, das liegt auch daran, dass cis Leute ihre Privilegien nicht reflektieren und dadurch Kämpfe häufig ausschließlich aus cis Perspektive gedacht werden. Das zeigt sich zum Beispiel darin, dass Menstruation und Schwangerschaft oft ausschließlich als Frauenthemen behandelt werden, obwohl sie auch trans Männer und nicht binäre Leute betreffen können. Das lässt eine Atmosphäre entstehen, in der sich trans Leute nicht sicher und wohl fühlen können, um politisch aktiv zu werden. Trans Leute, die bei der Geburt männlich zugewiesen wurden (zum Beispiel trans Frauen) sind davon besonders betroffen. Was können wir also tun?

Wir können einander zuhören, Nachfragen stellen und Sorgen ernst nehmen, auch, wenn wir die Erfahrung nicht teilen oder nicht mal annähernd verstehen. Wir können dennoch versuchen, unvoreingenommen Anteil zu nehmen. Wir können uns über das Recht informieren und erfahren, bei welcher Diskriminierung bei der Lohnarbeit trans Leute rechtlich nichts in der Hand haben oder worauf sie achten müssen. Leider haben trans Leute rechtlich sehr wenig gegen Arbeitgeber*innen in der Hand. Allerdings können wir bei der Bewerbung, bei der Beantragung alter Zeugnisse auf den neuen Namen, bei Anträgen oder beim Gang zum Jobcenter, unterstützen. Wir können Diskriminierung unter Kolleg*innen ansprechen, transfeindliche Arbeitgeber*innen konfrontieren, Netzwerke bilden und uns über Länder- und Stadtgrenzen hinweg kennenlernen. Wir können Arbeitsgruppen bilden, die bei Problemen angesprochen werden können. Möglichkeiten gibt es also genug, es liegt an uns, diesen Zustand zu ändern!

Der Artikel ist in Kooperation der bundesweiten AG fem*fau mit der AG trans_arbeit der FAU Dresden entstanden. 
***
[ssba]