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Mehr Selbstbestimmung, Gleichberechtigung und eine Abkehr vom Militarismus. Das sind zentrale Thesen von Gustav Landauer. Er forderte die Übernahme der Macht durch die Arbeiterklasse und eine Auflösung des Eigentums von Grund und Boden. Klingt radikal, war es auch. „Anarcho-Syndikalismus“ nannte man diese Strömung, die sich nach dem Ersten Weltkrieg einer wachsenden Anhängerschaft erfreute. Auch hier gab es viele Sympathisanten. Der Zusammenschluss aller Synidkalisten zählte um 1920 im Großraum Düsseldorf bis zu 18.000 Personen. Eine Gruppe einfacher Düsseldorfer Arbeiter, ihre Familien und Freunde, nahmen die Thesen von Landauer jedenfalls wortwörtlich – und besetzten 1921 ein kleines Stück scheinbar unfruchtbares Ödland zwischen Sumpf und Eller Forst in unmittelbarer Nähe des Unterbacher Sees, um dort ihre Vorstellung von Leben umzusetzen.
Gaby und Peter Schulenberg haben für die Festschrift „60 Jahre Unterbacher See“ die Geschehnisse von damals zusammengefasst und beschrieben, wie die Anarchisten dort kurzerhand ein festes Steinhaus bauten, Acker- und Gartenland herrichteten und natürlich auch die Aufmerksamkeit der Gesetzeshüter erregten, die am Unterbacher See eine Verschwörung witterten. Das störte die Bewohner nur bedingt, die sich ganz im Geiste Landauers vollkommen im Recht sahen und ihr Heim in den Benden „Freie Erde“ tauften. Ersonnen hatte diesen Namen Waldemar Kutschke, einer der federführenden Initiatoren der Okkupierung.
Sie scheuten auch nicht davor zurück, in Zeitungsannoncen um Geld- und Sachspenden zu bitten. Das Haus, das Stück Land und ihre Bewohner wurden zu einem Sinnbild des „revolutionären Düsseldorf“ und fast so etwas wie eine Touristenattraktion. Da sich die Behörden nicht über eine Zuständigkeit einigen konnten – das Stück Land lag auf der Grenze von Düsseldorf und der Bürgermeisterei Erkrath – blieben die Siedler weitgehend unbehelligt. Es wurde sogar trotz einer zwischenzeitlichen Räumungsanordnung eine nachträgliche Baugenehmigung erteilt. Dieses Glück setzte sich in der Zeit nach 1933 fort, die „Freie Erde“ war einfach zu abgelegen. Erst nach Tod und Auszug der letzten
Rosinke-Enkel versteckt sich in der „Freien Erde“
Stolperstein Für Anton Rosinke, ebenfalls „Anarcho-Syndikalist“, wurde im Juli vor seinem Haus in der Siedlung Freiheit auf Initiative von Hans Bernd Ashauer-Jerzimbeck ein Stolperstein verlegt. Unterschlupf Der Enkel von Anton Rosinke, Gerd Binder, fand in der „Freien Erde“ in den letzten Kriegstagen 1945 Unterschlupf.
Bewohner wurde das Haus aufgegeben, 1972 abgebrochen, als Jugendliche aus Eller und Vennhausen sich dort breitmachten. Die Natur nahm sich der Überreste an.
Eine weit ausführlichere Aufarbeitung des anarchistischen Wohnbauprojekts in all seinen Entwicklungsstufen wurde 1998 im Rahmen einer Ausstellung im Bahnhof Eller geboten. Georg Beck hat sich diesem Kapitel der Zeitgeschichte angenommen und in einem Katalog seine Recherchen zusammengetragen. Eine große Hilfe waren ihm dabei neben dem erhalten gebliebenen Schriftverkehr die Aufzeichnungen von Josefine Müller, der Tochter von Waldemar Kutschke.
„Hach, Waldemar, hier möcht‘ ich wohnen“, hat ihre Mutter Anne Kutschke im Sommer 1920 bei einem Ausflug in den Eller Wald ausgerufen, und der Vater stimmte ihr euphorisch zu. Aus diesem Traum wurde ein Plan, der erste Schritt zum Siedlerkollektiv „Freien Erde“ war getan. Schnell wurde gerodet, abgesteckt, ein Architekt steuerte kostenlos Pläne bei. Gesinnungsgenossen, Intellektuelle, Künstler kamen hinzu, aufgerufen durch die Berichterstattung in der sozialistischen Zeitung „Die Schöpfung“. Vom „Sonnenland“ war schon die Rede, aber auch die (noch) primitiven Verhältnisse wurden erkannt. Dennoch: Sogar Mutter Ey und Gustav Gründgens schauten vorbei, ein rauschendes Fest wurde gefeiert.
Aber es gab interne Streiterein. Ein Verein wurde gegründet, ein Zaun gezogen, Kommunarden wurde
mit Hilfe der Polizei des Hauses verwiesen. Die „wahren Anarchisten“ warfen den Bodenpionieren vor, das gutbürgerliche Familienmodell, das man doch hinter sich lassen wollte, zu kopieren. Und dennoch überlebte die „Freie Erde“, die später in Wolfplatz umbenannt wurde, sogar die Zeit nach 1933. Waldemar und Anne Kutschke gaben Juden Asyl, sie blieben bis zum Kriegsende unentdeckt. Anne Kutschke starb 1968, ihr Mann zwei Jahre später, Tochter Josefine zog in die heutige Siedlung Freiheit in Vennhausen. Es gab zuvor noch einmal einen kurzen Moment, in dem der freie Geist Einzug hielt: 1969 wurde in dem Haus der antiautoritäre Kindergarten „Kinder des Olymps“ eröffnet, aber dieses Experiment hielt sich nur ein Jahr lang. Den Augenblick des Abrisses beschrieb Josefine Müller wie folgt: „Der Bagger hat ein Loch ausgehoben, worin das Haus beerdigt wurde.“ Nur der Kamin wollte einfach nicht fallen. Die „Freie Erde“ blieb eben unbeugsam bis zum Schluss.