Carl Windhoff (* 09.11.1872 – † 28.05.1941)

Es gab Zeiten, da wurden über sozialdemokratische
Provinzbürgermeister und Kleinfunktionäre
ganze Biographien geschrieben. Darüber, wie lieb
sie ihre Kinder hatten und darüber, was sie alles
erreichten für das Wohl der Arbeiterschaft – als
Sesselhelden. Ich möchte mich im Folgenden mit
einer kurzen Portraitierung eines tatsächlich bedeutenden
Mannes befassen. Gegen den Strom
schwimmend, persönliche Risiken und Nachteile
eingehend, erreichten er und seine Mitstreiter Au-
ßergewöhnliches. In der bisherigen Literatur zum
Thema syndikalistische Arbeiterbewegung war seine
Person nur am Rande von Bedeutung. Nicht einmal
seine Lebensdaten waren der Recherche wert
und wurden falsch angegeben. (1) Leider ist in den
mir vorliegenden Quellen nicht viel mehr als seine
gewerkschafts-politische Tätigkeit auffindbar, sein
Name omnipräsent, als Redner, Organisator, Agitator,
hoher Funktionär. Privates bleibt außen vor. Ist
die allgemeine Kritik an der Parole „Große Männer
machen Geschichte“ berechtigt, so ist dennoch die
Geschichte der revolutionären Arbeiterbewegung
des Rheinlandes ohne ihn nicht denkbar.
Sozialisierung zum Kampf
Carl Windhoffs Sozialisierung erfolgte in jungen
Jahren unter Einfluß des Sozialistengesetzes. Damit
wurde ihm im Klassenkampf der Einsatz seiner
ganzen Persönlichkeit praktisch in die Wiege gelegt.
Als das „Gesetz gegen die gemeingefährlichen
Bestrebungen der Sozialdemokratie“ 1878 in Kraft
trat, war er fünf Jahre alt. Als es nicht mehr verlängert
wurde, stand er im 17. Lebensjahre. Geboren
wurde Carl Windhoff am 09. November 1872
in Düsseldorf,(2) der Stadt, welcher er sein Leben
lang treu bleiben sollte. Sein Herz schlug seit seinem
14. Lebensjahr für die sozialdemokratische
Arbeiterbewegung, für ihre Zeitungen, Broschüren
und Bücher. Die Tatsache, dass er sich alles selber
erarbeiten musste, sollte sein ganzes Leben prägen.
Sein Bildungsbedürfnis war umfassend. Als junger
Erwachsener las er Edward Bellamy, Leo Tolstoi,
Emile Zola, die volkswirtschaftlichen Schriften von
Peter Kropotkin, aber auch naturwissenschaftliche
Literatur bis hin zu „süddeutschen Bauernromanen“.
Dieser Bildungshunger verhalf ihm zu den
Werten der „gegenseitigen Hilfe“ und der „allgemeinen
Solidarität“.

Organisationsaufbau (1900-1914)
Windhoffs erste gewerkschaftliche Tätigkeiten lassen
sich auf das Jahr 1900 zurückverfolgen, als er
versuchte, seine Fliesenlegerkollegen gegen die
heftigen Widerstände der Kapitalisten zu organisieren.
Fünf Jahre darauf konstituierte sich schließ-
lich die „Vereinigung der Fliesenleger Düsseldorfs
und Umgebung“. In dieser Berufssparte war der
Konkurrenzdruck durch die Zentralverbände der
Bauberufe noch unwesentlich, und das Organisationsvakuum
wurde redlich genutzt: Für die Region
sollte diese gewerkschaftliche Pionierarbeit für
Jahrzehnte große Bedeutung innerhalb der gesamten
Baubranche erlangen. Die Fliesenleger waren
äußerst fleißige und selbstdisziplinierte Arbeiter
mit guten Arbeitszeugnissen und vergleichsweise
hohen Erwartungen an andere und sich selbst, was
den Einsatz innerhalb und außerhalb der Betriebe
anbelangte. Windhoff wurde zur Zielscheibe der
Kapitalisten. Wurde er ausgesperrt, litt die Rentabilität
des Unternehmens. Doch wollte das hohe Maß
an Arbeitskraft auch teuer verkauft werden. Da er
lernte, sich durchzubeißen und – mit dem Ziel einer
freien und gerechten Gesellschaftsordnung – für die
Rechte der Arbeiterschaft zu kämpfen, war es ihm
trotz großer materieller Not in der eigenen Familie
unangenehm,(3) die Unterstützung seiner Kollegen
anzunehmen. Die Vereinigung der Fliesenleger erreichte
ihre Etappenziele:
„Wir waren die erste Organisation in Deutschland,
welche unseren Kollegen vom Jahre 1923 ab
6 Tage Ferien bei vollem Lohn sicherte, was dann
vielfach Nachahmung fand.“(4) Hierin lag der
Grundstein für die jahrzehntelange Treue ihrer
Mitglieder bis in die Zeit des Hitlerfaschismus
hinein. Reichsweit schlossen sie sich der „Freien
Vereinigung deutscher Gewerkschaften“ (FVDG)
an. Das war die lokalistische Strömung innerhalb
der sozialdemokratischen Gewerkschaftsbewegung,
welche sich nicht der zentralistisch aufgebauten
„Generalkommission der Gewerkschaften
Deutschlands“ unterordnen wollte und deshalb
im Jahre 1908 aus der sozialdemokratischen Partei
ausgeschlossen wurde, bzw. austrat. In den
Jahren zuvor widerstanden sie den zahlreichen
und lukrativen Abwerbungsversuchen seitens der
Funktionäre der nun mit ihnen konkurrierenden
zentralgewerkschaftlichen Verbände. Diese waren
zentralistisch aufgebaut und ihre Mitglieder in
autoritärem Geiste erzogen. Sie schlossen schnell
ihren Frieden mit dem Klassengegner und militaristisch
gesinnt im Hurrapatriotismus angekommen
zum 1. Weltkrieg ihren Burgfrieden mit dem Kaiserreich.
In den lokalorganisierten Gewerkschaften
der FVDG hingegen verblieben bis 1914 reichsweit
nur etwa 8.000 Mitglieder, die einen konsequenten
Antimilitarismus vertraten und den diktatorischen
Verhältnissen der Kriegszeit ausgesetzt blieben.
Für sie wurde der Begriff „Syndikalisten“ gefunden,
da der französische Syndikalismus mit seinem
Modell der „Arbeiterbörsen“ großen Einfluß hatte.
Daneben wirkten auch anarchistische Ideengänge
impulsgebend auf die Bewegung ein, sodaß sich
für die 1920er Jahre der Begriff „Anarcho-Syndikalismus“
etablieren sollte. Zusammen mit Fritz Kater
und Karl Roche nahm Windhoff im Jahre 1913
am Ersten internationalen Syndikalistenkongreß in
London teil.(5)
Weltkrieg und Revolution (1914-1919)
In der Kriegszeit lag die Bewegung weitgehend
brach, beschränkte sich auf die Aufrechterhaltung
der Organisation und auf die Unterstützung Versehrter
und Hinterbliebener. Nach dem Verbot ihrer
Organe zu Kriegsbegin brachte die FVDG zwei
interne Periodika heraus, deren Erscheinen in den
Jahren 1915 und 1917 ebenfalls polizeilich untersagt
wurde. Zu einem nicht geringen Teil bestanden diese
aus Todesanzeigen. Nach Kriegsende wandten
sich die Syndikalisten gegen den politischen und
putschistischen Charakter der deutschen Revolution
von 1918/19 und erinnerten daran, „sich mehr
um die wirtschaftliche Macht zu bemühen und die
Fabriken unter die Herrschaft der Arbeiterschaft zu
bringen.“ (6)
Aufstieg zur Massenbewegung (1919)
Die Repression beschränkte sich keinesfalls auf die
Zeiten diktatorischer Verhältnisse. Der Terror gegen
die Lokalorganisierten bestand auch nach 1918/19
weiter und ging wesentlich von den reaktionären
Zentralverbänden aus, welche im Verein mit Kapitalisten
und der Staatsmacht die Syndikalisten aus
den Betrieben drängten: Wenn der Unternehmer
nicht wollte, sogar mittels Streiks gegen die eigenen
Kollegen! Dagegen waren nur sehr gefestigte
Vereinigungen der Syndikalisten gefeit, die aus
den besten Kämpfern der alten Arbeiterbewegung
bestanden. Die Fliesenleger Düsseldorfs wehrten
sich nicht nur erfolgreich. Es gelang ihnen, durch
enorme Fleißarbeit und diplomatische Fähigkeiten,
große Teile der von den Zentralverbänden enttäuschten
revolutionären Arbeiterschaft des Rheinlandes
und Ruhrgebietes zu sammeln und ab September
1919 zu Zehntausenden, nämlich aus der
„Allgemeinen Bergarbeiter Union“ (Gelsenkirchen),
sowie der Essener und Düsseldorfer „Allgemeinen
Arbeiter-Union“, organisatorisch als „Freie ArbeiterUnion
Deutschlands“ (FAUD) zusammenzufassen.
Damit füllten sie ein Organisationsvakuum, bevor
als weitere Konkurrenz bei diesen Organisationen
die Kommunisten zum Zuge kamen. (7)
Rudolf Rocker erinnerte sich: „In ihren Interessen
standen uns die Organisationen sehr nah, obgleich
sie mit unseren Grundsätzen nur oberflächlich bekannt
waren. Es lohnte sich daher schon, mit ihnen
eine Einigung zu erzielen. Das war allerdings keine
leichte Aufgabe. (…) Unter den Wortführern gab es
manche, mit denen die Verhandlungen schwerer
waren; die meisten von ihnen (…) verfügten hauptsächlich
nur über eine Vielzahl leerer Schlagworte,
die sie meist bei den Kommunisten aufgelesen
hatten. Dass es trotzdem möglich war, mit jenen
Organisationen zu einem Einverständnis zu gelangen,
war hauptsächlich das Verdienst des Genossen
Carl Windhoff in Düsseldorf gewesen, dessen unverdrossene
Arbeit schließlich ein Werk zustande
brachte, das anderen wohl kaum gelungen wäre.
(…) Obgleich er den Führern der Zentralverbände
im großen Industriegebiet stets ein Dorn im Auge
war, erfreute er sich unter den Arbeitern eines
ausgezeichneten Rufes. Die makellose Ehrlichkeit
seiner Gesinnung und seine Bereitschaft, sich für
die Rechte anderer mit seiner ganzen Person einzusetzen,
nötigten sogar seinen bittersten Gegnern
Achtung ab. (…) Seine zähe Beharrlichkeit erzielte
denn auch einen vollständigen Erfolg. Am 15. und
16. September 1919 fand in Düsseldorf eine ge-

meinsame Konferenz statt, die von 105 Delegierten
besucht war. (…) nach langen Verhandlungen
kam die Verschmelzung zustande, und zwar auf
Grund der Richtlinien, welche die FVDG auf ihren
Kongressen 1906 und 1910 angenommen hatte. Die
Konferenz faßte auch den Beschluß, den beteiligten
Organisationen vorzuschlagen, ihre bisherigen Namen
aufzugeben und sich fortan als „Freie ArbeiterUnion
Deutschlands“ (Syndikalisten) zu betätigen.
Dieser Beschluß wurde auch auf dem 12. Kongress
der FVDG in Berlin im Dezember desselben Jahres
mit großer Mehrheit angenommen. Dadurch hatte
sich die syndikalistische Bewegung Deutschlands
mit einem Schlage verdoppelt und erreichte einen
Mitgliederbestand von 120.000.“(8)
Allein in Düsseldorf waren im Jahre 1919 organisiert:

Alle Berufe und Bauberufe: 800 Mitglieder
Kommunalarbeiter: 4.000
Metallarbeiter: 11.400
• Zusammen: 16.200 (9)
Erfolge (die 1920er Jahre)
Als eine der wenigen syndikalistischen Vereinigungen
gelang es den Fliesenlegern, eigene Tarifverträge
abzuschließen und einflussreiche Betriebsräte
zu stellen.(10) In einer Rede auf dem 18.
Kongress der FAUD im Jahre 1930 konnte Windhoff
berichten:
„Wir haben in verschiedenen rheinischen Orten
Löhne erreicht, die um 30 bis 35 % höher sind als
in den übrigen Orten. (…) Wir haben erreicht, dass
wir darüber bestimmen, wer eingestellt und wer
entlassen wird. (…) Wir haben die Zentralgewerkschaft
genötigt, unsere Abmachungen mit zu unterschreiben.
Wir haben die staatlichen Schlichter
ausgeschaltet. Wir haben die schriftliche Bestimmung
durchgesetzt: ‚Für alle Streitigkeiten sind
die amtlichen und staatlichen Schlichtungsstellen
auszuschalten, soweit dazu nicht ein gesetzlicher
Zwang besteht.’ (…) Wir haben in verschiedenen
Verträgen durchgesetzt, dass nur Mitglieder unserer
Fliesenleger-Organisation eingestellt werden.
Wir arbeiten täglich nur 7 ½ Stunden [1906
waren in der Baubranche noch 10 Stunden üblich]
(11) und am Sonnabend Nachmittag gar nicht. Bei
schlechter Konjunktur bestimmen wir, dass die Arbeitszeit
weiter so verkürzt wird, dass keiner entlassen
zu werden braucht. In der Zeit der jetzigen
Massenarbeitslosigkeit ist die radikale Verkürzung
der Arbeitszeit eine Notwendigkeit, für die alle Arbeiter
und auch viele kleinbürgerliche Schichten
Verständnis haben. Wir arbeiten jetzt an der Durchsetzung
der fünftägigen Arbeitswoche.“(12)
Carl Windhoff war der Motor der Bewegung, vertreten
auf zahlreichen Treffen, versehen mit vielen
Funktionen und Verfasser vieler Artikel in der breit
gefächerten Arbeiterpresse. Der FAUD auf Reichsebene
war er eine unverzichtbare Stütze. Nicht
zuletzt wehrte sich Carl Windhoff mit Vehemenz
gegen interne Angriffe zersetzender Protagonisten
(Rudolf Östreich und Carl Langer) auf die syndikalistische
Organisation ab.(13)
Die Fliesenlegervereinigung führte in den 1920er
Jahren mehrere erfolgreiche Streiks durch und
konnte dem Unternehmertum deutlich mehr Zugeständnisse
abtrotzen als die Bauarbeiter außerhalb
Düsseldorfs. Zwar gehörten die Fliesenleger damit
zu den am besten bezahlten Bauarbeitergruppen.
Dennoch drückte sich Windhoff dahingehend aus,
dass sie nicht eher ruhen würden, bis nicht alle Kollegen
soviel Lohn erhielten, wie die Minister. (14)
Neben den Streiks kam es zu Sabotageaktionen,
wie sie der Kollege E. Wüsthoff als Zeitzeuge kurz
beschrieb: „Wir hatten immer so einen kleinen Fäustel
dabei, den musste man immer am Schnittpunkt
von vier Fliesen treffen, dann waren mit einem
Schlag gleich vier kaputt.“ (15)
Der regionale Einfluß der syndikalistischen Fliesenleger,
welche sogar ein eigenes Mitteilungsblatt
herausgaben, war so groß, dass es im Jahre 1925
zur Gründung einer „Interessengemeinschaft aller
organisierten Fliesenleger in Rheinland und Westfalen“
kam, welcher auch Mitglieder der Christlichen-
und Zentralgewerkschaften angehörten.
Diese Interessengemeinschaft war nötig, um gegen
das Anwerben kostengünstigerer Arbeiter von
auswärts geschlossen vorgehen zu können und effektiver
gegen Streikbrecher vorzugehen.(16) Aufgrund
seiner starken Stellung überstand Windhoff
die Jahre bis 1930 offenbar ohne lange Phasen der
Arbeitslosigkeit. (17)
Eine eigene Düsseldorfer Fliesenlegerjugend
wurde gegründet, und diese trug im Wesentlichen
zur Stabilisierung der syndikalistischen Jugendbewegung
in der Region bei. (18) Nirgendwo anders
in Deutschland ist die Gründung einer nach
Beruf organisierten syndikalistischen Jugendorganisation
bekannt geworden, das schafften nur die
Fliesenleger:
„In zünftiger Tradition wurden hier die Jungen
von den älteren Arbeitern (meist den Vätern) selbst
eingearbeitet und angelernt. Die erwachsenen Arbeiter
kontrollierten damit streng die Einstellung
künftiger Gesellen, im doppelten Sinn: Sowohl die
Zahl, als auch die Gesinnung. Die Bauunternehmer
waren dabei ganz ausgeschaltet, was für die
Jugendlichen hieß, dass ihr Gegenüber zunächst
vor allem die proletarischen – Alten – selbst waren.“
(19)
Zäher Kampf (1930-1933)
Im Jahre 1930 bestanden in Düsseldorf noch Ortsvereine
der:
Bauarbeiter: 80 Mitglieder
Fliesenleger: 85
(von insgesamt etwa 120 in der Stadt)(20)
Metallarbeiter: 69
• Zusammen: 234 Mitglieder(21)
Mit der Weltwirtschaftskrise im Jahre 1929 verschärfte
sich die Arbeitslosigkeit und nahm in den
Reihen der Syndikalisten hohe Ausmaße an. Nach
Angaben Carl Windhoffs lag das zum großen Teil
auch daran, dass die von den Syndikalisten nach
verbindlichem Reichskongressbeschluß aufgegebenen
lokalen Betriebsratsposten nun von Zentralgewerkschaftern
übernommen wurden, welche
keine Zustimmung zur Einstellung von Syndikalisten
gaben.
Nach siebenjähriger Tätigkeit bei der Firma „Osterather
Plattenlager“ wurde Carl Windhoff im
Jahre 1930 entlassen und klagte dagegen vor dem
Arbeitsgericht Düsseldorf auf Entschädigung. Den
Grund der Entlassung sah er darin, dass er in allen
Jahren Mitglied der Lohn- und Schlichtungskommission
und „an allen Verhandlungen beteiligt“ gewesen ist, welche sich in solidarischer Weise
um alle Kollegen kümmerte, sie vor Entlassungen
schützen wollte.(22) Vom Präsidium des Landesarbeitsamtes
Köln erhielt er im November 1932 die
Drohung mit sechs Monaten Gefängnis, sollte er
sich weiterhin für das „Krümpersystem“ einsetzen,
welches vorsah, die Erwerbslosen abwechselnd zu
beschäftigen. (23)
Dennoch waren die Syndikalisten nicht kleinzukriegen:
Unter ihrem Druck und ihrer Führung traten
mit ihnen in Düsseldorf noch im Oktober 1932
der Baugewerksbund und die „Christliche Baugewerkschaft“
in den Streik. (24)
Nazizeit (1933-1937)
Den Aussagen Windhoffs beim Polizeiverhör von
1937 zufolge beschloss die Vereinigung der Fliesenleger
ihre Auflösung bereits im Dezember 1932, um
der „neu aufzubauenden nationalsozialistischen
Bauarbeiter-Organisation beizutreten.“ Die Auflö-
sung zum 1. April 1933 sei schon im Januar desselben
Jahres beschlossen und Windhoff mit der
geschäftlichen und formalen Liquidierung beauftragt
worden. Damit wandte er sich gegen die polizeiliche
Ansicht, dass die Fliesenlegerorganisation
durch die Staatsmacht aufgelöst worden sei, um
ihrer Einschätzung als „gefährlich“ entgegenzutreten.
(25) Mit dieser Aussage wollte er die Kollegen
schützen, und wahrscheinlich dachten die Fliesenleger
in vollem Vertrauen auf ihre eigene Überzeugung
und Leistungsfähigkeit (!) tatsächlich daran,
ihren betrieblichen Einfluß in die Nazizeit herüberzuretten,
sich illegal zu organisieren.
Windhoff zahlte die restlichen Gelder für die
Fliesenleger Düsseldorfs an die FAUD und wurde
zu Beginn des Jahres 1933 wegen „Beleidigung“ gerichtlich
verurteilt. (26) Im Sommer 1933 kam es bei
ihm in der Grafenberger Allee 257 zur ersten Hausdurchsuchung
und Verhaftung durch die Polizei.
Er solle Gelder der „Deutschen Arbeitsfront“ unterschlagen
haben. Im Oktober 1934 stand die SA bei
ihm in der Wohnung – über sieben Stunden lang.
Noch im gleichen Jahr folgten eine weitere Durchsuchung
und eine Woche später seine Verhaftung.
Bis März 1937 fanden insgesamt sieben Haussuchungen
bei Windhoff statt. Die gesuchten illegalen
Schriften wurden jedoch nicht gefunden. Am
23. Februar 1937 erfolgte eine erneute Verhaftung
des nunmehr 64-jährigen und seiner Frau durch
die Gestapo. Er sei „geistiger Kopf der Fliesenleger
von Rheinland und Westfalen“ und wurde wegen
„Vorbereitung zum Hochverrat“ angeklagt. Er solle
die Fliesenlegerorganisation „im geheimen“ weitergeführt,
Versammlungen durchgeführt, Gelder
weitergeleitet, an „den Baustellen zu Gewaltakten
gegen die Unternehmer aufgefordert“ und schließ-
lich einen Streik in Lippstadt inszeniert haben. (27)
Dafür wurde Carl Windhoff zu drei Jahren Zuchthaus
verurteilt.
Tod
Der Mitangeklagte Ernst Binder erinnerte sich
im Jahre 1948: „Windhoff war noch während der
Dauer des Prozesses im Vollbesitz seiner geistigen
Kräfte und führte seine Verteidigung selbst. In der
Strafanstalt Lüttringhausen setzte, wahrscheinlich
schon als Folge der langen Untersuchungshaft,
ein schneller gesundheitlicher Verfall ein. Meines
Wissens erlitt er mehrmals einen Gehirnschlag und
wurde zur Beobachtung in das Lazarett der Strafanstalt
Klingelpütz in Köln überführt. Als er von
dort aus wieder nach Lüttringhausen überführt
wurde, war W[indhoff] in einem körperlichen und
geistigen Verfallszustand, dass er alsbald, noch vor
Beendigung seiner Haftzeit, entlassen wurde. Carl
Windhoff hat sich auch zuhause nicht mehr erholt
und starb, offensichtlich an den Folgen der Haft,
am 28. Mai 1941.“ (28)
International
Carl Windhoff war aktiv in der „Internationalen
syndikalistischen Bauarbeiter-Föderation“, dem
branchenspezifischen Pendant zur „Internationalen
Arbeiter-Assoziation“ (IAA). Als Funktionär und
Delegierter referierte er im Jahre 1931 auf dem 4.
IAA-Kongress in Madrid. (29) Diese Internationale
Bauarbeiter-Föderation blieb die einzige in Ansätzen
funktionierende syndikalistische Brancheninternationale
und gab in den Jahren 1931/32 mit dem
„Presse-Dienst“ ein eigenes Organ heraus. (30)
Schlußwort
Aufgrund seiner Biographie war Carl Windhoff so
überzeugt von der gerechten Sache seiner Tätigkeit
und seiner eigenen Überzeugungskraft, dass er sogar
mit seinen Aussagen in den Verhören durch die
Nazis, „auf Verständnis für seine gewerkschaftliche
Tätigkeit rechnete, wo er sich nach Lage der Dinge
sagen musste, dass hier absolut kein Verständnis
zu erwarten war,“ so Ernst Binder im Jahre 1947.
(31) Carl Windhoff gehörte zu den bedeutendsten
Syndikalisten der 1920/30er Jahre in Deutschland.
Seine Persönlichkeit ist beispielgebend für die heutige
Zeit.
• Helge Döhring
(Institut für Syndikalismusforschung, Bremen)

Carl Windhoff zum 60. Geburtstage.

Unser Genosse Carl Windhoff-Düsseldorf wird am
9. November 60 Jahre alt. Sein Name und sein
Wirken sind mit der Geschichte der deutschen
anarcho-syndikalistischen Bewegung untrennbar
verknüpft. Ein großer Teil seines Lebens war dem
Kampfe gegen Staat und Kapital, gegen Vorurteile
und Feigheit seiner Klassengenossen gewidmet.
Auch heute wieder zu seinem 60. Geburtstage
steht er inmitten eines Streikes. Seine Arbeit
und seine Treue zur Sache des revolutionären
Anarcho-Syndikalismus sollen uns Jüngeren ein
Beispiel sein. Die FAUD übermittelt ihrem alten,
aber innerlich jungen Genossen Carl Windhoff
die besten Grüße und Wünsche für die Zukunft
und für weiteres Wirken im Sinne des AnarchoSyndikalismus.
• Die Geschäftskommission. Reinhold Busch“ (25)

Anmerkungen:

(1) Demnach habe er von 1882 bis 1940 gelebt.
(2) Vgl.: Bundesarchiv, R 58-318, Bl. 163.
(3) Seit 1917 lebte er in zweiter Ehe mit Käthe Windhoff zusammen.
(4) Alle Angaben nach: IISG, Rocker Papers, Nr. 606.
(5) Vgl.: „Der Syndikalist”, Nr. 2/1931. Vor dem Krieg wohnte Windhoff in der Bruchstrasse 95 in Grafenberg, vgl.: Protokoll
Fliesenlegerkongress 1906.
(6) Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses der Freien
Arbeiter-Union Deutschlands, S. 64.
(7) Vgl.: IISG, Rocker Papers, Nr. 606.
(8) Rudolf Rocker: Aus den Memoiren eines deutschen Anarchisten, S. 300 f.
(9) Vgl.: Protokoll über die Verhandlungen vom 12. Kongress der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften, Präsenzliste.
(10) Die Tarifverträge waren gekennzeichnet durch eine kurze Laufzeit, während der Revolutionszeit um 1918/19 hatten sie
teilweise eine Kündigungsfrist von nur 24 Stunden, vgl.: Ulrich Klan/Dieter Nelles: „Es lebt noch eine Flamme“…, S. 144.
(11) Vgl.: Vereinigung der Fliesenleger Deutschlands: Protokoll über die Verhandlungen der V. Konferenz.

(12) Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses der Freien
Arbeiter-Union Deutschlands, S. 65.
(13) Vgl.: „Der Syndikalist“, Nr. 52/1921.
(14) Vgl.: „Der syndikalistische Bauarbeiter“, Nr. 3/1929, zit.n. Ulrich Klan/ Dieter Nelles: „Es lebt noch eine Flamme“…, S. 168.
(15) Ulrich Klan/Dieter Nelles: „Es lebt noch eine Flamme“…, S. 146.
(16) Das Regulativ der Interessengemeinschaft findet sich neu abgedruckt in: Ulrich Klan/Dieter Nelles: „Es lebt noch eine
Flamme“…, S. 144 f.
(17) Vgl.: IISG, Rocker Papers, Nr. 606.
(18) Vgl.: IISG, Rocker Papers, Nr. 606.
(19) Ulrich Klan/Dieter Nelles: „Es lebt noch eine Flamme“…, S. 201.
(20) Vgl.: Ebd., S. 145.
(21) Protokoll über die Verhandlungen des 18. Kongresses der Freien
Arbeiter-Union Deutschlands, Präsenzliste.
(22) Vgl.: „Der Syndikalist“, Nr. 15/1932.
(23) Vgl.: IISG, Rocker Papers, Nr. 606.
(24) Vgl.: „Der Syndikalist“, Nr. 47/1932. Siehe auch: „Presse-Dienst“ der „Internationalen Syndikalistischen Bauarbeiter Föderation“, November 1932

Quelle: https://muckracker.files.wordpress.com/2012/06/barrikade-5.pdf (Stand: 21.01.2020)

Deutschland: Streik der syndikalistischen Fliesenleger in Düsseldorf

Vorgeschichte des Kampfes:
Nachdem seit Oktober 1931 der tariflose Zusatnd
für das Fliesengewerbe in Düsseldorf u. Umgebung
Wirklichkeit wurde und zwar deswegen weil es die
Unternehmer ablehnten, die von den Kollegen geforderte
Tarifsicherheiten und Granatien anzuerkennen,
machten sich innerhalb des Tarifgebietes
Düsseldorf Zustände breit und nahmen diese Zustände
Formen an, die man kurz betitelt mit –Unhaltbar-.
All die Errungenschaften seit Bestehen der
syndikalistischen Fliesenlegerorganisation 1901,
schienen beseitigt. Niemals und wenn die Arbeitslosigkeit
noch so scharfe Formen angenommen hätte,
wäre es den Unternehmern gelungen, die Kollegenschaft
solche Anerbieten zu machen, wenn nicht
hier wiederum die Bürokraten der reformistischen
und der christlichen Bauarbeiter-Organisation,
helfend im trauten Verein mit dem Syndikus der
Arbeitgeber-Verbände, die Düsseldorfer-PlattenFirmen
helfend beigesprungen wären. Was schert
diese Arbeiter-Vertreter, wenn dadurch auch ihre
eigne Mitgliedschaft, von deren Beitragsgroschen
sie ihr Drohnen-Dasein fristen, auf den Hund kommen.
Gerade diese Bürokraten waren es, welche den
tariflosen Zustand herbeiführten, indem sie die
Erklärung abgaben – einen solchen Tarif- wie ihn
die Düsseldorfer syndikalistischen Fliesenleger forderten
ablehnen zu müssen. Durch diese Erklärung
nahmen dann im Oktober 1931 die Arbeitgeber
ihre schon erfolgte Zusage zurück und da die Kollegen
erkannt hatten, das ohne diese geforderten
Sicherheiten, ein Tarifabschluß nur ein Mittel zur
Korruption sein kann, blieb man lieber tariflos. Die
Unternehmer ermutigt durch diesen erfolg, nutzten
nun die zum Dauerzustand gewordene Notlage
der Arbeiter aus und drückten durch systematische
Aussperrung aller unbequemen Geister, den Lohn
derart, das Löhne zur Auszahlung gelangten, welche
um das Jahr 1905 gezahlt wurden. Die Spaltung
der Kollegen in drei Organisationen Syndikalisten,
Reformisten und Christen, trug viel zur Schaffung
dieses Zustandes bei. Nur so ist es zu verstehen,
das die Düsseldorfer Fliesenleger, welche bis dahin
unter Führung der syndikalistischen Organisation
eine Spitzen-Position eingenommen hatten, auf
solchen Tiefstand gelangen konnten. Unsere Ka-meraden setzten sofort als die Lage immer unhaltbarer
wurde ihre besten Kräfte zur Schaffung einer
gemeinsamen Abwehrfront ein. Vorerst mit wenig
Erfolg, bis es endlich gelang im September des Jahres
1932 alle in Düsseldorf befindlichen Fliesenleger
ganz gleich welcher Organisationszugehörigkeit
zusammen zu bringen. In dieser Versammlung
wurde nach einem Referat unseres Kollegen C.
Windhoff die alte Forderung, Schaffung der tariflichen
Sicherheiten, Verteilung der vorhandenen
Arbeiten für alle in Düsseldorf sesshaften Kollegen
einstimmig gutgeheißen und neu aufgestellt. Die
Unternehmer wurden danach aufgefordert Stellung
zu diesen Forderungen zu nehmen u.s.w.
Um diese Forderungen der Düsseldorfer Kameraden
mehr Kraft zu versetzen, wurde die Verbindung
mit den umliegenden Städten, wie Cöln und
andere mehr aufgenommen, da dort dieselben
wenn nicht noch weit schlimmere Verhältnisse
eingerissen waren. Doch wieder waren es die Angestellten
des Deutschen Baugewerksbundes und
die Vertreter des Christentums aus den christlichen
Gewerkschaften, die ihren Kollegen die Erklärung
abgaben, für die syndikalistischen-Windhoff-Forderungen
setzen sie sich nicht ein und erzielten dadurch
tatsächlich in Cöln/Rhein, das Unterbleiben
einer Kampfstellung.
Ungeachtet dessen, benutzten die Düsseldorfer
Kameraden, die in ihrem Bereich hergestellte
Einheit der Arbeiterschaft und traten, da die Unternehmer
gestützt auf die Haltung der genannten
Arbeitervertreter es ablehnten die Forderungen
der Kollegen anzuerkennen mit dem 1.10. in den
Streik.
Die Streiklage:
Einmütig traten am 3.10.32 die Kollegen soweit sie
in Arbeit standen in den Kampf. Durch zwei größere
Bauplätze-Krankenhausum- und –anbau, sowie
bei den Persil-Werken, konnte die Forderung der
Fliesenleger größerer Nachdruck verliehen werden.
Denn von den insgesamt 36 streikenden waren
auf diesen genannten Baustellen allein 26 Mann in
Arbeit. Der Schlag war gelungen, die Arbeitslosen,
die zum Teil schon mehr wie ein Jahr aus dem Produktionsprozeß
ausgeschaltet waren, unterstützten
einmütig die Forderungen der streikenden Kollegen.
Die Hoffnung der Unternehmer und der Verbandsangestellten,
das diese arbeitslosen Kollegen
ihre streikenden Brüder in den Rücken fallen werden,
ist fehlgeschlagen. In dieser Einmütigkeit lag
ein beachtenswerter Erfolg, der um so höher eingeschätzt
werden muß, wenn man die ungeheuere
Notlage der deutschen Arbeiterschaft durch die
Wirtschaftskrise bedingt kennt. Der Kampfgeist ist
gut und schon vielen die Herzen der Unternehmer
in die Hosen, doch der Syndikus, diese besondere
Menschenart von Juristen springt ein, nachdem bereits
nach anderthalb Wochen die erste Plattenfirma,
die größte in Düsseldorf, durch die kurze Dauer
des Kampfes in Konkurs ging. Die Unternehmer
wandten sich nun jammernd an die Architekten
und Bauherren von Düsseldorf und Umgebung
und verlangten deren Hilfe bei dem Kampf gegen
die dreimal verfluchten Fliesenleger. Doch unsere
Kameraden nahmen geschickt diesen Schlag auf
und wandten sich nun ihrerseits an die Architekten
und Bauherren mit einer Flugschrift folgenden Inhaltes:

An die Herren Architekten.
Bauunternehmer und Bauherren!
Nach uns zugegangenen Informationen sind die Plattengeschäfte in Düsseldorf und Neuß an die Bauherren und Architekten mit der Bitte herangetreten, keinerlei Plattenarbeiten durch erwerbslose oder streikende Fliesenleger ausführen zu lassen. Hierzu gestatten wir uns folgendes zu sagen:
1) Wir lehnen jede Schwarzarbeit grundsätzlich ab.
2) Solange die hiesigen Plattengeschäfte unsere grundsätzlichen Forderungen – Tarifsicherung und Arbeitsteilung – respektiv abwechselnde Beschäftigung unserer erwerbslosen Kollegen – ablehnen, solange lehnen wir jede Arbeitsleistung für solche Plattengeschäfte strikt ab.
3) Wir sind bereit, von Fall zu Fall nach erfolgter
Prüfung jeden uns von Bauherren, Architekten,
Privaten und Behöreden erteilten Arbeitsauftrag
auszuführen, wenn man unsere grundsätzlichen
Forderungen anerkennt.
4) Bei allen von uns übernommenen Arbeiten werden
die dabei tätigen Fliesenleger ordnungsgemäß zur Kranken-Invaliden- und Unfall-Versicherungangemeldet, um jede Schwarzarbeit zu bekämpfen.
5) Als Facharbeiter sind wir weit besser in der Lage, für korrekte Ausführung und Haltbarkeit zu garantieren,
als wie die Inhaber der Plattengeschäfte. Die doch zu 9 Zehntel gelernte Kaufleute sind. Zudem ist ja jede zugesagte Garantie hinfällig, sobald das Plattengeschäft Pleite macht.

Düsseldorf, den 12. Oktober 32.
Die gemeinsame Lohnkommission der Fliesenleger

Die damit bedingte Festlegung der Streikführung
und die damit geschaffene Gewähr einer weiteren
Einheitsfront, ließ nun die Bürokraten der Reformisten
und des Christentums nicht mehr ruhig
schlafen und ihrer Anschauung getreu schritten sie
zum Verrat.
Die Arbeit der Verräter:
Um die Einheit des Kampfes zu beseitigen schufen
die Angestellten des sogenannten freien Baugewerks-Bundes
und der Christen einen Pakt mit
dem Syndikus der Arbeitgeber und dem Arbeitgeber-Bund,
um mit allen Mitteln den Streik abzuwürgen.
Hinter dem Rücken der Streikenden, ohne
jede Fühlungnahme mit ihren Mitgliedern – welche
gemeinsam die Streikleitung stellten, schlossen sie
mit dem Arbeitgeberbund und Anrufung des amtlichen
Schlichters einen Tarif ab, welcher nicht im
mindesten die Forderungen der Belegschaften und
Kollegen Rechnung trägt.
Danach forderten sie ihre Mitglieder auf, den
Kampf einzustellen, da sie sonst nicht mehr den
Streik durch die Gewerkschaften finanzieren, auch
würden sie Mithilfe des Arbeitsamtes die Sperre
über die nicht gehorchenden Kollegen verhängen.
Was gleichbedeutend ist, das diejenigen Fliesenleger,
welche arbeitslos sind, während der Dauer des
Streiks keine Arbeitslosenunterstützung erhalten.
Durch diesen Verrat glaubten sie den Willen der
Streikenden gebrochen zu haben. Doch die Fliesenleger
ließen sich durch die Erfahrungen des nun
schon 4 Wochen andauernden Kampfes nicht einschüchtern.
In einer gemeinsamen Versammlung forderten sie von den Angestellten ihrer Organisationen
Rechenschaft über ihren Verrat. Tatsächlich
besaß der Angestellte des deutschen Baugewerksbundes
Schorgel-Düsseldorf die Unverfrorenheit,
in die Versammlung zu kommen und verlangte
dort, von den Kollegen die dem D.B.B. als Mitglieder
angehören, das sie den Streik abbrechen
und sich im Verlauf einer sich dadurch notwendig
machenden Abstimmung über die Weiterführung
des Streikes nicht mitzustimmen.
Es erübrigt sich darauf hinzuweisen, dass sich dieser
Mann eine eklatante Abfuhr holte. Das solche
jämmerlichen Figuren überhaupt den Mut besitzen,
ihren Verrat offen vor einem Forum Streikender zu
verteidigen, dürfte am besten beleuchten, wie wenig
eigne Courage sie ihrer Mitgliedschaft zutrauen.
Doch hier hatte sich der Mann verrechnet. Die
Mehrheit der Streikenden stimmte für Weiterführung
des Kampfes. Lediglich 5 Mann enthielten
sich der Stimme. Unsere Kameraden erkannten
sofort die Gefahr die kommen musste, wenn jetzt
nicht mit allen Mitteln vorgegangen wird. Denn es
ist schon immer ein Teil Wahrheit an alten Sprichwörtern,
die da besagen, „Wie der Herr, so das Gescherr“.
So zeigte sich auch hier, das Menschen mit
wenig Ehrgefühl und Rückgrat genug auf der Welt
herum laufen, noch dazu wo von Seiten einer korrumpierten
Sorte, die sich Arbeiter-Vertreter nennen,
diese jämmerliche Haltung Streikbrecher zu
werden, belohnt wird mit der Anerkennung brave
Genossen zu sein. Genug davon, die Kameraden in
Düsseldorf, die nun in der 4. Woche streiken, bleiben
zusammen. In einem Flugblatt an „Alle Bauarbeiter“
schilderten sie den Verrat, der Bezirksleiter
Chr. Ahrens-Cöln und des Angestellten, Vorsitzenden
des D.B.B. Düsseldorf K. Schorgel, sowie
des christlichen Angestellten C. Sauer. Sie sagten
in diesem Flugblatt der Öffentlichkeit, das diese
„Herren“ durch die Drohung der finanziellen Sperre
in der Unterstützung wie beim Arbeitsamt sich
9 Fliesenleger des D.B.B. und zwei der Christen
als Streikbrecher in den Dienst der Unternehmer
gestellt haben. Durch besonderen Hinweis, das in
diesem und jenem Hause Streikbrecher mit Namen
genannt arbeiten, erhoffen sie durch die Solidarität
der übrigen Bauarbeiterschaft diese feigen Gesinnungslumpen
zu beseitigen. Der Kampf wurde
trotz dieser Infamie weiter geführt. Dadurch
gedemütigt und sich um ihren Erfolg betrogen
sehend, wandten sich die „Vereinigten“ Bundesgenossen
an das „Landesarbeitsamt“, um ja nichts
unversucht zu lassen, den Kampf der nach wie vor
unter Führung der Syndikalisten liegt, das Genick
zu brechen. In der 6. Streikwoche erhielten dann
auch einige Kollegen unserer Organisation eine
Drohung durch das Landesarbeitsamt zugesandt,
mit dem Vermerk, einer größeren Geldstrafe oder
6 Wochen Gefängnis bestraft zu werden, wenn die
Freie Vereinigung der Fliesenleger auch fernerhin
Arbeitskräfte vermittelt, ohne dazu das Landesarbeitsamt
zu benutzen. Nun unsere Kollegen ließen
sich nicht einschüchtern und hatten sehr schnell
herausgefunden, wer diese Kampfesart zur Erledigung
des Streiks ausgetipt hat. In einer Beschwerde
über die Strafandrohung wird um Klarstellung
dieser Angelegenheit ersucht. Eine Antwort darauf
ist noch nicht eingetroffen. Der Kampf geht ungebrochen
weiter.

Streik in Essen:

Durch den Streik der Düsseldorfer ermutigt, haben auch die Kameraden in Essen, sich zum Streik ermutigen lassen. Da hier unsere Kollegen als Syndikalisten in der Minderheit sind, schufen sie eine „Treugemeinschaft“ mit den Kollegen des D.B.B. und der Christen. Wie die Nachricht verlautet, stehen hier die Angestellten zur Zeit noch auf der Seite der Streikenden.
Der Kampf in Düsseldorf, der nun bereits 8 Wochen andauert, hat die vollste Unterstützung aller syndikalistischen Genossen und hoffen wir mit den Streikenden, das der Kampf mit Erfolg gekrönt
werde. Über den weiteren Verlauf wird das Sekretariat die Länder auf dem laufenden halten.
– W.M. –

Nachtrag zum Düsseldorfer FliesenlegerStreik:

Bereits bei Fertigstellen des Pressedienstes erhalten wir die Nachricht, das der Streik trotz seiner hoffnungsvollen Ansätze nach fast 8 wöchiger Dauer, durch der Verrat der vereinigten Reformisten, Christen und Unternehmer, sowie mit Hilfe des Staatsapparates aufgehoben werden musste. Damit ist aber, wie die Meldung besagt, der Kampf nicht beendet, sondern wird mit anderen Mitteln weiter geführt. Der Pressedienst wird in der nächsten Nummer näher darauf eingehen. –K–
• Presse-Dienst des ISBF, Jahrgang II, November 1932,
Nummer 7 [6 hektografierte A 4 Seiten]

In der Kampflinie – Warum haben die Fliesenleger in Düsseldorf die Arbeit eingestellt?

Die Lage bei den Fliesenlegern
Seit rund 30 Jahren sind die Fliesenleger eine der
bestorganisierten Gruppen im Baugewerbe und haben
es verstanden, sich im Laufe der langen Jahre,
besonders im Tarifbezirk Düsseldorf-Neuß, einigermaßen
annehmbare Lohn- und Arbeits-bedingungen
zu erkämpfen.
Abgesehen von einzelnen Ausnahmen waren
die Unternehmer immer bestrebt, die Tarifsätze zu
drücken.
So lange eine halbwegs gute Baukonjunktur bestand,
haben die Fliesenleger sich immer energisch
und mit Erfolg gegen die geplanten Lohnherabsetzungen
gewehrt.
Als aber dann die Baukonjunktur in den Jahren
1929 bis 1931 immer schlechter wurde, als es zur
Massenerwerbslosigkeit kam, da nutzten die Unternehmer
ihre wirtschaftliche Macht gegenüber
den Arbeitern rücksichtslos aus.
Entgegen den klaren Bestimmungen des gültigen
Arbeitsvertrages vom 5. September 1928 ließen die
Unternehmer dann zunächst diejenigen Leger, die
immer für die Durchführung des Tarifs eingetreten
waren, wochenlang feiern, mit der Begründung, es
sei keine Arbeit da.
Darin tat sich besondere die Firma OsterratherPlattenlager,
Inhaber Gustav Compes und Josef
Peck (damals Harkortstraße, jetzt Höherweg) hervor.
Im Jahre 1931 gingen die Unternehmer mehr und
mehr dazu über, die ihnen verhaßten, tariftreuen
Leger hinauszudrücken zum Stempelamt.
Rücksichtsloser Lohnabbau
Die bei den einzelnen Firmen verbliebenen Leger
wurden dann von den Unternehmern dahin
beeinflußt, doch billiger zu arbeiten, da man sonst
keine Aufträge hereinholen könne. Bald hier, bald
dort gaben charakterschwache Leger den zwar moralisch
verwerflichen, aber vielfach diktatorischen
Einflüsterungen der Unternehmer nach, trotzdem
der Tarif noch bis zum 1. September 1932 zu Recht
bestand.
Ein zügelloser, wilder Konkurrenzkampf wurde
von den Unternehmern inszeniert, mit dem Erfolg,
daß die Preise für fertige Arbeiten per Quadratmeter
zunnächst um 20 bis 30 Prozent, und dann, als
der Tarif nicht mehr bestand, um 50 bis 60 Prozent
herabgedrückt wurden.
In diesem Jahre ging dieser, jeder Vernunft hohnsprechende
idiotische Konkurrenzkampf lustig
weiter.
Dieselben Unternehmer, die noch vor zwei und
drei Jahren den Quadratmeter fertige weiße Wandplatten
für 18 bis 21 RM offerierten, bieten heute
dieselben Arbeiten für 7 bis 8 RM an.
Bei Majolikaplatten, früher 30 bis 40 RM per Quadratmeter,
heute 8 bis 15 RM.
Alles dies geschieht zunächst auf Kosten der Fliesenleger,
dann aber auch auf Kosten der Unternehmergewinne
und nicht zuletzt auch auf Kosten der
Lieferanten, der Plattenfabrikanten.
Die einzelnen Fabriken klagen in ihren Berichten immer wieder über die Schleuderpreise und über
die großen Ausfälle, die alle durch die Zahlungsunfähigkeit
der Abnehmer erleiden. Nicht nur daß
die Fabriken hundert­tausende Reichsmark Einbuße
erleiden, sondern auch die Tatsache, daß alte, seit
Jahrzehnten bestehende Plattenfabriken in Konkurs
geraten sind, sollte zu denken geben.
Alles dies sind die Folgen der wahnsinnigen
Lohnabbaupolitik, die seit Jahren von den Unternehmern
verlangt und durchgeführt wurde.
Damit wurde die Kaufkraft der Masse den Volkes
und die Volkswirtschaft zerschlagen.
Die Löhne der Fliesenleger wurden durch Diktat
der Unternehmer willkürlich um 60 bis 75 Prozent
herabgesetzt. Bei einzelnen Firmen (B. Sch. und O.
Pl.) wurde die mit den Fliesenlegern vereinbarten
Akkordlöhne durch einseitiges Diktat nicht gezahlt.
Vielfach haben unsere Kollegen bei intensiver
Arbeit nur noch das Stempelgeld verdient.
Schon monatelang wußten die Unternehmer, daß
die Fliesenleger-Organisation eingreifen wollte
oder würde. Trotzdem ließen sich Unternehmer
sich auf Verhandlungen nicht ein und kehrten den
„Herrn-im-Hausstandpunkt“ hervor.
Eingreifen der Organisationen
Anfang September traten die Organisationen der
Fliesenleger wie folgt an den Arbeitgeber-Verein
heran:
An die Vereinigung der Arbeitgeber im Plattengewerbe,
z. Hdn. des Vorsitzenden Herrn Paul Dietz jr.
Düsseldorf, Düsselthaler Straße.
Höflichst bezugnehmend auf die Besprechung die unsere
Kollegen Wagner und Windhoff am 12. August mit Ihnen,
Herr Dietz, hatten fragen wir hiermit an, wann die angeregte
unverbindliche Besprechung zwischen den Arbeitgebern und
ans stattfinden kann. Angesichts der immer tiefer sinkenden
Preise für den Quadratmeter fertige Arbeit und des damit Hand
in Hand gehenden Drucks auf die Löhne liegt es doch wohl im
beiderseitigen Interesse, die diesbezüglichen Besprechungen
baldigst aufzunehmen.
gez.: C. Windhoff, P. Schneck für die
Vereinigung der Fliesenleger.
gez.: Andreas Cohnen, Albert Terhorst
für den Baugewerksbund.
gez.: Johann May für die Christl. Baugewerkschaft
Ihre gefl. Antwort bis Dienstag, den 13. d. M. an die Adresse
C. Windhoff erbeten.
Dazu lief folgende Antwort ein:
„Herrn C. Windhoff. Düsseldorf,
Grafenberger Allee 257.
Ihr Schreiben vom 6. September kam in den Besitz des Unterzeichneten
und haben wir dasselbe unserem vorgelagerten
rheinischen Verband zur Stellungnahme übergeben.
Arbeitgeberseits werden dieser Tage Besprechungen stattfinden
und kommen wir alsdann auf Ihr Schreiben, zurück.“
Aus diesem Schreiben ersehen wir, daß die
Herren gewillt waren, die Sache hinauszuschieben.
Um nun Dampf dahinter zu setzen, beschlossen
die im DBB, sowie die christlich und syndikalistisch
organisierten Fliesenleger am 13. September, daß
ab 1. Oktober 1932 zu den bisherigen Schundlöhnen
nicht mehr gearbeitet werden solle. Die in Ar-beit stehenden Leger teilten dann den einzelnen
Firmen schriftlich diesen Beschluß mit.
Alle Unternehmer verhielten sich ablehnend.
Dann endlich am 90. September, als am Ablauf des
gestellten Termins, schrieb der Arbeitgeberverband
uns, daß er eventuell bereit sei, mit uns zu verhandeln,
aber nur dann, wenn
1. die für den 1. Oktober, vormittags angesetzte
Versammlung der Fliesenleger ausfalle und
2. wenn wir als Organisation schriftlich erklären
würden, zu den bisherigen Löhnen weiter zu arbeiten.
Die Versammlung der Fliesenleger am 1. Oktober
lehnte diese Zumutungen einstimmig ab
und beauftragte die Lohnkommission, den Unternehmern
nachstehende Antwort zuzustellen:
„Die am Samstag, dem 1. Oktober 1932 stattgefundene
Fliesenleger-Versammlung der drei beteiligten Organisationen
hat zu den aufgestellten Schriften der Arbeitgeber-Vereinigung
vom 30. September und 1. Oktober Stellung genommen. Wir,
die Unterzeichnenden, wurden beauftragt, der Arbeitgeber-Vereinigung
über die Stellungnahme Fliesenleger-Organisationen
folgenden Bericht zu übersenden:
l. Der Versammlung ist nicht bekannt, wo und wann zwischen
einreißen Firmen und Legern rechtsverbindliche Arbeitsabmachungen
(Wochenarbeitszeit) abgeschlossen sind und damit
nicht in der Lage, eine diesbezügliche schriftliche Erklärung
abzugeben.
Soweit gilt 53 Abmachungen Kollegen, wird eine Verständigung
leicht zu erreichen
2. Falls in Verhandlungen über Abschlag eines Arbeits-,
Lohn- und Akkordtarifvertrages eingetreten wird, muß zunächst
die gegenseitige Tarifsicherung einwandfrei festgelegt
werden.
3. Soll die Arbeitsverteilung auf paritätischer Grundlage und
Arbeitsvertrag eingefügt und anerkannt, — und in der Praxis
streng durchgeführt werden.
4. Die Vorsammlung der drei Fliesenleger-Organisationen
hält die Durchführung dieser grundsätzlichen Forderungen (2
u. 3) für wichtiger, als die Festlegung hoher Tarifabschlüsse.
5. Die in Arbeit stehenden Fliesenleger erklären, daß sie nicht
mehr gewillt sind, zu den bisherigen von den Arbeitgebern einseitig
diktierten Schund- und Schandlöhnen die Arbeiten auszuführen.
6. Auf Antrag Windhoff beschließt die Versammlung:
Die in Arbeit stehenden Kollegen sollen allein durch Abstimmung
kundtun, ob sie Arbeit Montag, den 3. Oktober,
aufgenehmen oder so lange ruhen soll, bis die grundsätzlichen
Forderungen anerkannt sind.
Resultat ist:
„Die in Arbeit stehenden Kollegen beschließen einstimmig,
die Arbeit vorläufig ruhen zu lassen. Dann beschließen die Erwerbslosen
ebenfalls einstimmig allseitig weitgehende Solidarität
auszurufen.“
Soweit zur Information. — Von Herrn Diebs erbitten wir
nun Bescheid, ob die Herren bereit sind, sich auf Grundlage der
Punkte 2 und 3 mit uns zu verständigen.
Antwort erbitten wir nur an unsere gemeinsame Lohnkommission
z. Hd. C. Windhoff, täglich von 9 Uhr vormittags ab in
Haus Kroll, Am Wehrhahn Nr. 70, Fernruf 26966.
Für die Vereinigung der Fliesenleger gez.: Windhoff,
Schnock, G. Wagner.
Für den Baugewerksbund gez.: Terhorst, Albert, Andr. Kohnen
Für die christl. Baugewerkschaft gez.: Johann May.
Am 5. Oktober teilte der Arbeitgeberbund uns
dann schriftlich mit, daß er die von uns verlangte
Position 3 einstimmig abgelehnt habe.
Daraus ist ersichtlich, daß die Herren die
ihnen unbequemen tariftreuen Fliesenleger
auch in Zukunft von jeder Mitarbeit ausschalten
und dem Hunger ausliefern wollen.
Hinter dieser sozial rückständigen Einstellungder
Herren Unternehmer steckt als Treiber der Syndikus der Unternehmer, Dr. Frohn-Köln.
Wir kommen zum Schluß und stellen fest:
Während Regierung, Behörden und alle Gewerkschaften
kategorisch die Einstellung von Erwerbslosen
fordern, lehnen die Unternehmer im Fliesengewerbe
jede Mitbeschäftigung von Erwerbslosen
mittelst des Krümpersystems (x) radikal ab.
Die Unterzeichneten waren gewillt, sich auf gütlichem
Wege zu verständigen, die Unternehmer
aber wollten den Kampf.
Düsseldorf, den 10. Oktober 1932.
Für die gemeinsame Lohnkommission:
Vereinigung der Fliesenleger: C. Windhoff,
G. Wagner.
Deutscher Baugewerksbund: A, Terhorst,
A. Kohnen.
Christl. Baugewerkschaft: Johann May.
Streik!
Das bis hier Gesagte wurde als Flugblatt in einigen
Tausend Exemplaren im Streikgebiet verbreitet
und von den Bauarbeitern sympathisch begrüßt.
Die Unternehmen waren sich klar darüber und
haben eingestanden, daß es ihnen ohne Hilfe der
Gewerkschafts-Bürokratie unmöglich wäre, den
Streik siegreich zu bestehen.
Genau so wie bei dem Streik der Köl –
n e r F l i e s e n l e g e r i m J a h r e 1 9 2 5 wandten
sich die Herren in ihrer Not um Hilfe bittend an
die angestellten Kommandeure des Baugewerksbundes
und der christlichen Baugewerkschaft in
Köln und Düsseldorf und fanden dort bereitwilligst
Gehör und Verständnis.
Hinter dem Rücken und gegen den Willen
ihrer Mitglieder kamen diese Bonzen
und Schmarotzer mit den Unternehmern
und deren Syndikus Dr. Frohn dreimal im
Bahnhofs-Hotel und im feudalen Café Bittner
in Düsseldorf zusammen und beschlossen:
1. Die wichtigsten Forderungen der Fliesenleger
betr. Tarifsicherung und Arbeitsverteilung nach
dem Krümpersystem werden abgelohnt.
2. Der Streik wird abgewürgt.
3. Der staatliche Schlichter wird angerufen und mit
dessen Hilfe ein neuer Tarif – aber nur mit dem Baugewerksbund
und den Christen – abgeschlossen.
4. Die Syndikalisten, die den Streik inszeniert haben
und insbesondere deren Wortführer C. Windhoff,
werden von allen Verhandlungen ausgeschlossen.
5. Der Baugewerksbund und die Christen liefern
den Unternehmern die erfoderliche Anzahl Arbeitswillige.
6. Falls die Fliesenleger sich weigern sollten, die Arbeit
aufzunehmen, wird ihnen seitens der beiden
Verbände die Streikunterstützung entzogen.
7. Dem Arbeistamt wird mitgeteilt, der Streik sei
beigelegt und nunmehr sollen die nicht am Streik
beteiligten erwerbslosen Fliesenleger den bestreikten
Unternehmern vermittelt werden.
An diesem hinterlistigen verrackten Plan,
an diesem schmutzigen Arbeiterverrat
haben folgende Gewerkschaftsbürokraten mitgewirkt:
a) vom Baugewerksbund: Bezirksleiter Christian
Ahrens-Köln, Angestellter H. Jäger-Köln, Angestellter
und Vorsitzender Konrad Schergel, Düsseldorf,
Fliesenleger Albert Terhorst-Düssel-dorf;
b) von der christl. Baugewerkschaft; Bezirksleiter
Hausgen-Köln, Angestellter C. Sauer-Düsseldorf.

In treuer Waffenbrüderschaft mit dem Arbeitgeberbund
und Hand in Hand mit dessen Syndikus Dr.
Frohn haben dann die oben genannten Herren ihre
Beschlüsse durchgeführt, wohl haben sich zwölf
Arbeitswillige dank der Treiberei der beiden Verbände
gefunden, aber die Abwürgung des Streiks
ist nicht gelungen.
Am 31. Oktober und am 3. November nahmen
zwei stark besuchte Versammlungen der Fliesenleger
zu dem schmutzigen Sklavenhandel der Bü-
rokraten Stellung und beschlossen einmütig und
ohne Widerspruch:
Der Streik wird in verschärfter Form weiter
geführt gegen die Unternehmer und gegen
die als Knochen- und Sklavenhändler auftretenden
sozialdemokratischen und christlichen
Gewerkschaftshäuptlinge.
Arbeiter! Klassengenossen!
In der Presse und in ihren Verhandlungen, wo es
keine freie Diskussion gibt, da predigen die christlichen,
freigewerkschaftlichen und sozialdemokratischen
Volksbeglücker das einheitliche Vorgehen
der Arbeiterschaft und den Kampf gegen die den
Lohnabbau machenden Unternehmer, – und buhlen
um die Stimmen der Arbeiter,
aber in der täglichen Praxis zerschlagen sie
überall das einheitliche Vorgehen der verschiedenartig
organisierten Arbeiter und helfen
den Unternehmern, die Kämpfe der hungernden
Arbeiter niederzuschlagen.
Zum Schluß sei noch gesagt, daß wir bereits
am 4. November an die Schriftleitung der SPD-

“Volkszeitung“ und die KPD-“Freiheit“ in Düsseldorf
einen ähnlichen Bericht einsandten. Ich
erklärte mich bereit, für denselben die volle, auch
pressegesetzliche, Verantwortung zu übernehmen.
Die „Freiheit“ sagte die Veröffentlichung sofort zu,
hat den Berict aber noch nicht gebracht Hoffen wir
das Beste. Die SPD-Zeitung rührte sich überhaupt
nicht, das Manuskript bekamen wir erst durch Drohung
mit Zwangsmaßnahmen zurück, natürlich
ohne ein Wort der Entschuldigung. Acht Tage lang
hatten die Volks-Zeitungs-Redakteure über unseren
Streikbericht nachgegrübelt und ihre konservativen
Gehirne angestrengt, wie sie die erhaltene Prügel
wohl am besten parieren könnten.
Schließlich brachte die „Volkszeitung“ am 14.
November einen Bericht mit der Überschrift „Syndikalistische
Lügen über die Lohnbewegung der
Fliesenleger“, der zur Düpierung der Leser berechnet
war. Darin wird wiederum versucht, mit plumpem
Schwindel die Gewerkschaftsbürokratie rein
zu waschen. Wir werden schon dafür sorgen, daß
dies nicht gelingt und die Heldentaten der Gewerkschaftshäuptlinge
und deren untertäniger Diener,
der Volkszeitungsmänner, öffentlich anprangern,
mögen sie noch so sehr geifern und quietschen.
Düsseldorf, den 15. November 1932.
Die gemeinsame Lohnkommission der Fliesenleger
and deren Streikleitung, an der beteiligt sind:
Vereinigung der Fliesenleger (Syndikalisten),
Deutscher Baugewerksbund, Christl. Baugewerkschaft,

I. A.: Carl Windhoff.
• Der Syndikalist, Nr. 47 – 1932 [26. November 1932]

Hartz IV: Hungertod durch Leistungsentzug (3)

http://media.de.indymedia.org/images/2007/06/186459.jpgRund zwei Monate nach dem Tod eines Jugendlichen in Speyer, der verhungern musste, weil ihm die Behörden durch Sanktionen sämtliche Sozialleistungen versagt hatten (WCN berichtete), hat die Bundesregierung in einer Antwort auf eine Anfrage der Bundestagsfraktion der Partei Die Linke eingeräumt, die Streichmaßnahmen der örtlichen GfA wären „rechtsfehlerhaft“ gewesen. Konsequenzen, um etwaige zukünftige Todesfälle zu vermeiden, will man aber offenbar nicht daraus ziehen.

Das rheinland-pfälzische Sozialministerium hatte zuvor ein Verschulden der örtlichen Behörden ausgeschlossen. Die Bundesregierung sieht auch keinen Anlass, der ebenfalls durch Unterernährung betroffenen Mutter des Verstorbenen mit Entschädigungsleistungen für den rechtswidrigen Verwaltungsakt entgegenzukommen.

Während auf dem Friedhof von Speyer, Parzelle 8, ein sogenanntes „Armengrab“ wo der 20-jährige André Kirsch seine letzte Ruhe gefunden hat, ein niedergelegter Kranz verspricht: „Wir werden Dich nie vergessen„, nehmen die Medien längst keine Notiz mehr von der skandalösen Tragödie. Nur dem regionalen SWR war das parlamentarische Nachspiel noch ein paar pflichtgemäße Zeilen wert, in den Internetforen von Arbeitsloseninitiativen wird das Thema dagegen heftig diskutiert, die Klagen über ungerechtfertigte Behördenentscheidungen nehmen sprunghaft zu.

Im vorliegenden Fall hatte offenbar ein Sachbearbeiter entweder durch Unkenntnis der Gesetzeslage oder durch Willkür die verhängnisvolle Katastrophe ausgelöst: Bei den festgestellten drei Meldeversäumnissen hätte die Kürzung der Leistung gleich welchen Alters nur jeweils 10% pro Aufforderung betragen dürfen, eine Streichung war somit ungerechtfertigt, den Betroffenen hätten weiterhin ca. 200 Euro pro Monat zugestanden.

Der komplette Leistungsentzug ist jedoch bei „schwereren Vergehen“ wie z. B. Nichtannahme einer zumutbaren Arbeit oder die Verweigerung einer Fortbildungsmaßnahme gängige Praxis und wird von den ARGEN meist auch gnadenlos durchgezogen. Schon bei einer erstmaligen Pflichtverletzung dieser Art erhalten unter 25jährige Erwachsene für mindestens 3 Monate keine Geldleistungen mehr und werden die Leistungen des ALG II auf die Übernahme der Unterkunfts- und Heizkosten beschränkt.

Kommt noch eine zweite Pflichtverletzung hinzu, fallen alle Leistungen vollständig weg. Im ersten Fall kann der Leistungsträger Lebensmittelgutscheine in Höhe von 39% der Regelleistung ausgeben, muss es aber nicht, wenn der Betreffende kein Wohlverhalten an den Tag legt.

Treffen andauernder Behördendruck und eine zunehmend beobachtbare Lethargie bei Langzeitarbeitslosen zusammen, haben Menschen, die zu Depressionen neigen und über keine nennenswerte sozialen Kontakte mehr verfügen, schnell ein erhöhtes Mortalitätsrisiko. Der bürokratische Verwaltungsapparat ist nicht in der Lage zu erkennen, ob nun ein gesunder Trotz zur Verweigerung führt oder eine mögliche Arbeitsunfähigkeit wegen einer psychischen Erkrankung vorliegt.

Gerade auch von linker Seite kommt des öfteren der Einwand: Muss der Staat sich denn um alles kümmern, ist das nicht vielmehr eine Tragödie die sich nun mal nicht verhindern lässt ? Nun, die „Fürsorgepflicht“ des Staates geht bei Verdachtsfällen von Leistungsmißbrauch immerhin so weit, dass Nachbarn ausgefragt werden und sogar in der Schmutzwäsche von Betroffenen nach Spuren eines eheähnlichen Zusammenlebens gesucht wird. Auf der anderen Seite, wenn Leistungen gekürzt oder eingestellt werden, kümmert sich die verantwortliche Behörde nicht weiter um die Folgen solcher Zwangsrationierungen.

Würde der Gesetzgeber hingegen auf die Umsetzung besonders harter Sanktionsmaßnahmen (sanctus = heilig, fromm, vollkommen !?) verzichten, wäre der Burgfrieden in diesem „Sozialstaat“ zwar auch noch nicht wiederhergestellt, trotzdem – wie auch der Sozialexperte der Partei DIE LINKE, Ulrich Maurer feststellte – unter der alten gesetzlichen Regelung wäre dieser Mensch wahrscheinlich nicht zu Tode gekommen.

Aber wie die verhärteten Fronten in unserer Gesellschaft nun mal so sind: Die Stadtverwaltung von Speyer will ein geplantes Mahnmal für den Toten nicht zulassen. Begründung: Dadurch würde das Stadtbild beeinträchtigt und öffentliche Anpflanzungen beschädigt.

Quellen:
Verhungerter hätte Hartz IV bekommen müssen (SWR, 15.06.2007)
Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE: Hungertod eines Hartz-IV-Empfängers und Verantwortung des Gesetzgebers (Drucksache 16/5393, 06.06.2007)
Mann verhungert: Amt räumt Fehler ein
(Pressemitteilung DIE LINKE im Bundestag, Ulrich Maurer, 15.06.2007)
Kein Kranz, kein Blumenstrauß …
(speyer-aktuell.de, mit Forum, April 2007)
Hunger! – Eine hausgemachte Tragödie deutscher Sozialpolitik
(Linke Zeitung, 24.06.2007)
Hungertod: Chronologische Artikelübersicht
(Bürgerinitiative „MALZ für ein soziales Minden“)
Sanktionskatalog ALG II
(ausführlich, mit Beispielen, tacheles-sozialhilfe.de, März 2007)
Tacheles – TV : GfA diskriminiert kranke Mitmenschen (Videos, toky.it,)

Eigene Berichte:
Hartz IV: Hungertod durch Leistungsentzug (1) (WCN, 19.04.2007)
Hartz IV: Hungertod durch Leistungsentzug (2) (WCN, 27.04.2007)

Hartz IV: Hungertod durch Leistungsentzug (2)

Rund eine Woche, nachdem bekannt wurde, dass in Speyer ein 20-jähriger Hartz IV-Empfänger an Unterernährung starb, weil ihm von den Behörden alle Sozialleistungen gestrichen wurden (World.Content.News berichtete), fanden letzten Donnerstag Mahnwachen und eine Kundgebung statt. Die örtliche Staatsanwaltschaft hat inzwischen ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, nicht etwa gegen die Behörden – sondern gegen die Mutter des Toten, die immer noch im Krankenhaus liegt. Es wird gegen sie wegen unterlassener Hilfeleistung ermittelt. Das Grundgesetz mit der Garantie der Menschenwürde und das darin verankerte Sozialstaatsprinzip bleiben derweil rechts liegen.

Hierzu der Wortlaut des bisher einzigen Presseberichtes:

Mannheimer Morgen vom 27.04.07

Staatsanwälte ermitteln gegen Mutter des Verhungerten

Mahnwache für den toten Speyerer in Ludwigshafen / Behörde untersucht Verdacht der „Tötung durch Unterlassung“

Von Andreas Dauth und Martin Geiger

Ludwigshafen/Speyer. Wut, Trauer und Protest bestimmen die Stimmung. Laute Buhrufe und gellende Pfiffe verleihen ihr Ausdruck: Vor der Gesellschaft für Arbeitsmarktintegration (GfA) in der Ludwigshafener Kaiser-Wilhelm-Straße kam es gestern zu einer Mahnwache mit anschließender Kundgebung. Dazu aufgerufen hatte der Verein Soziales Netzwerk Deutschland. Der Anlass war der Tod des 20-jährigen Arbeitslosen, der vor zwei Wochen in seiner Wohnung in Speyer verhungerte. Gegen dessen Mutter läuft derweil ein Ermittlungsverfahren.

Rund 30 Betroffene und Aktive der Montagsdemonstrationen Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen beteiligen sich an der Mahnwache, die ebenso wie die Kundgebung friedlich verläuft. Jobsuchende auf dem Weg zur GfA bleiben immer wieder an den Ständen stehen und hören den Rednern zu. Diese bekräftigen ihre Entschlossenheit, Hartz IV zu bekämpfen und erklären sich zur Solidarität mit den Gewerkschaften bereit. Einig ist man sich darin, dass in einem der reichsten Staaten der Welt kein Mensch verhungern dürfe: Ein Vorwurf, der in Richtung GfA geht, die dem Speyerer und seiner Mutter die Fördergelder strich, nachdem beide mehrere Termine platzen ließen.

Von Seiten der Staatsanwaltschaft wird der Behörde indes nichts vorgeworfen. Es wird nur gegen eine Person ermittelt, erklären die zuständigen Beamten in Frankenthal, und das sei die 48-jährige Mutter des Verstorbenen. „Tötung durch Unterlassung“ lautet der Verdacht, erläutert der Leitende Oberstaatsanwalt Lothar Liebig und fügt hinzu: „Der Frau kann allerdings nur ein Vorwurf gemacht werden, wenn sie selbst in der Lage gewesen wäre, lebensrettend einzugreifen, und zwar in dem Moment, in dem der Sohn nicht mehr Herr seiner Entscheidungen war.“

Ob die selbst stark unterernährte Frau dazu noch in der Lage war, muss ein ärztliches Gutachten über ihre Verfassung klären. „Das ist die entscheidende Weichenstellung“, so Liebig. Sollten die Mediziner zu der Einschätzung kommen, dass die 48-Jährige nicht fähig war, ihrem Sohn zu helfen, könnte es zu einer Einstellung des Verfahrens kommen. Im anderen Fall droht ihr eine Anklageerhebung wegen fahrlässiger oder vorsätzlicher Tötung. Für Ersteres sieht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren oder eine Geldstrafe vor. Ein Vorsatz würde das Höchststrafmaß auf 15 Jahre erhöhen.

Entscheiden wird sich dies allerdings erst in mehreren Wochen nach Ende der Ermittlungen und nach „sorgfältiger Überprüfung der Gesamtsituation“, wie Liebig betont. Derzeit könne die Betroffene selbst nicht vernommen werden, weil ihr Gesundheitszustand dies nicht zulasse. Frühestens in zwei Wochen sei damit zu rechnen.

Derweil befindet sich die Frau nach wie vor in einer Klinik. „Sie ist noch nicht in der Lage zurückzukehren“, berichtet eine Sprecherin der Stadt Speyer. Man stünde jedoch mit den Ärzten in Kontakt, um das gegebene Versprechen erfüllen zu können: Nach ihrer Entlassung dafür zu sorgen, dass sie eine neue Wohnung bekommt.

Related News:
Kritik an Behörden nach Hungertod in Speyer
(Evangelischer Pressedienst, 27.04.2007)
Von Arbeit muss man leben können und ohne Arbeit auch
(PR-SOZIAL, 25.04.2007)
Montagsdemos: „Hier stimmt was nicht mit dem ganzen System!“
(Rote Fahne News, 24.04.2007)
Hartz IV – Die hungernden Kinder der Koalitionspolitik
(Sozialticker, 24.04.2007)

Siehe auch :
Hartz IV: Hungertod durch Leistungsentzug (1) (WCN, 19.04.2007)
Hartz IV: Hungertod durch Leistungsentzug (2) (WCN, 27.04.2007)
Hartz IV: Hungertod durch Leistungsentzug (3) (WCN, 27.06.2007)

Hartz IV: Hungertod durch Leistungsentzug

Wer arbeitet, soll etwas zu essen haben, wer nicht arbeitet, braucht nichts zu essen.“ Dieses furchtbare Zitat von Franz Müntefering, gefallen im Mai letzen Jahres auf einer SPD-Fraktionssitzung im Zusammenhang mit dem Hartz-IV-Fortentwicklungsgesetz, hat jetzt offiziell ein erstes Todesopfer nach sich gezogen: Ein 20-jähriger Jugendlicher aus dem pfälzischen Speyer starb an Unterernährung, weil ihm die Behörden wegen „Pflichtverletzungen“ sämtliche sozialen Leistungen entzogen hatten.

Der junge Mann hatte sein Leben noch vor sich, doch die Behördenbürokratie hat mit ihren brutalen Sanktionsmaßnahmen erreicht, was laut Grundgesetz und allen zivilisatorischen Einsichten gar nicht sein dürfte: Verhungern durch unterlassene Hilfeleistung.

Die dortige ARGE (in diesem Fall namentlich GfA – Gesellschaft für Arbeitsmarktintegration) weist jegliche Schuld von sich: Sie argumentiert, in Speyer gäbe es doch kirchliche Einrichtungen, bei der sich der Jugendliche sein Essen hätte besorgen können. Hätte Könnte. Darf der Staat seine Fürsorgepflicht an private Einrichtungen einfach so abschieben?

Tatsächlich sind bei Hartz IV keinerlei Regelungen vorgesehen, die bei einer Leistungskürzung oder dem vollständigen Entzug die möglichen Folgen einer solchen Maßnahme im Auge behält. Hier werden Menschen quasi einfach auf den Müll geschmissen und müssen selbst zusehen, wie sie über die Runden kommen, wenn sie sich „Fehlverhalten“ zuschulden kommen haben lassen. Und wer das aus psychischen oder körperlichen Gründen nicht kann, etwa weil er zu stolz zum Betteln ist?

Was viele nicht wissen (wollen?): Der Hungertod in unseren „sozialen“ Marktwirtschaften ist nicht unbedingt eine Ausnahmeerscheinung. Meistens sind es ältere Menschen, die wegen eines zu geringen Lebensunterhaltes an den Folgen einer Mangelernährung sterben. Dies wird jedoch in den seltensten Fällen publik. Aus Scham, ergänzende Sozialleistungen beantragen zu müssen, durchsuchen sie Nächtens lieber die Mülltonnen nach Pfandflaschen und Essbarem. Nicht nur Politiker schauen gerne weg.

Mit Langzeitarbeitslosen, die sich den oft schikanierenden und manchmal auch menschenunwürdigen Behördenhandeln widersetzen oder meist nur passiv Versäumnisse verschulden, wird nach §31 SGB kurzer Prozess gemacht: Dreimal verkehrt reagiert (Kürzungen: 30-60-100 Prozent, bei unter 25-jährigen reichen bereits zwei Verstöße) und der Hilfsbedürftige findet sich auf der Straße wieder. Das Sozialgesetzbuch verkommt zum Strafgesetzbuch, die Würde des Menschen wird außer Kraft gesetzt. Nach einem Bericht der Bundeagentur für Arbeit müssen inzwischen knapp 20.000 Langzeitarbeitslose mit zwei und mehr Sanktionen leben.

Der jetzt unter noch nicht ganz geklärten Umständen verhungerte junge Mann (seine Mutter wurde mit ernährungsbedingten Mangelerscheinungen ins Krankenhaus eingewiesen) ist wohl der erste einfach so Verhungerte, aber längst nicht das erste Opfer, das diese unsoziale Gesetzgebung hervorgebracht hat. Bereits im November 2004 nahm sich ein Mann in Ludwigsburg das Leben, indem er mit seinem Auto in den Haupteingang der regionalen Arbeitsagentur raste. Die Zahl der Selbstmorde von Arbeitslosen, die sich wegen einer finanziell ausweglosen Situation umbringen, steigt von Jahr zu Jahr kontinuierlich.

Aber auch die Zahl derer wächst, die sich den Androhungen und Zwangsanordnungen verbal entgegenstellen. Fast täglich kommt es auf den Fluren der meist spartanisch eingerichteten ARGEn zu lautstarken Auseinandersetzungen, aus Angst vor Handgreiflichkeiten hält sich in den meisten größeren Städten zusätzliches Sicherheitspersonal zum Eingreifen bereit. Die angestellten Sachbearbeiter, denen oft keine andere Wahl bleibt und die aus Angst vor Entlassung die Vorschriften ohne einen eigenen Ermessungsspielraum buchstabengetreu umsetzen müssen, sind völlig überfordert, der Krankenstand in diesem Bereich zählt zu den höchsten in dieser Republik.

Inzwischen gibt es auch eine erste Reaktion von Speyrer Arbeitsloseninitiativen. Mit einer Mahnwache und Kundgebungen wollen sie am 26. April auf dieses unfassbare tragische Ereignis aufmerksam machen. Es ist davon auszugehen dass es nicht dabei bleibt und sich bundesweit auch andere Organisationen mit entsprechenden Aktionen anschließen.

Damit Hartz IV und dumme Sprüche von sogenannten Sozialdemokraten endgültig der Vergangenheit angehören werden.

Quellen:
Hungertod eines Arbeitslosen – Tödliche Gesetzes-Logik
(stern.de, 19.04.2007)
Behörde sieht keine Schuld am Tod eines Arbeitslosen (N 24, 18.04.2007)
Ludwigshafen: Betreiber von HARTZ IV verwalten den Hunger und übersehen den Tod (stattweb.de, 18.04.2007)
Aktuelles vom Alg2-Hartz4-Forum (alg2-hartz4.de, 19.04.2007)
Arbeiten fürs Essen (Die Zeit, 10.5.2006)
Arbeitsloser tötet sich vor Arbeitsagentur (soned.at, 10.11.2004)

UPDATE: 20.04.: News und Reviews

Protest:
Ort und Rahmen des lokalen Gedenkens stehen inzwischen fest:
Donnerstag den 26.04.07 von 10.00 – 17.00 Uhr Mahnwache und Kundgebung vor der GfA -Vorderpfalz in Ludwigshafen!
Abschlusskundgebung von 15.30- 16.30 am Theaterplatz vor dem Pfalzbau
Mehr dazu…

Der Hungertod hat bisher (20.4., 16:00) in der Presse eine eher verhaltene Resonanz gefunden. Größere Tageszeitungen (Süddeutsche, FR, FAZ, Welt) waren sachlich, Berichte von Stern de und des Kölner Stadtanzeigers vermitteln Betroffenheit. ARD, ZDF, Spegel Online und Bild haben davon überhaupt keine Notiz genommen, hier steht stattdessen das Wohlergehen des Eisbären Knut im Vordergrund. Auffallend ist, dass in den Artikeln eine depressive Erkrankung des Opfers zentral herausgehoben wird, als wäre dies bei Langzeitarbeitslosen etwas Besonderes. Dass dem 20jährigen kein einziger Euro mehr überwiesen wurde (was seine Mutter erhielt ist noch unklar…) geht in der Berichterstattung eher unter. Ein Blogger will wissen, der 20jährige hätte beim Auffinden nur noch 35 kg gewogen.

Kölner Stadtanzeiger: Arbeitsloser qualvoll verhungert
… Die Verhältnisse in der Sozialwohnung, in der Sascha K. und seine 48-jährige Mutter Elisabeth wohnten, beide Hartz-IV-Empfänger, waren aber alles andere als normal. Vermutlich haben die beiden monatelang ohne ausreichende Nahrung und ohne Kontakte dahinvegetiert. „Leben“, sagt Nachbar …, „kann man das ja nicht nennen.“ … Im Polizeiprotokoll ist vermerkt, es seien keinerlei Lebensmittelvorräte gefunden worden. … Zum Artikel …

Juraforum: „Das Sozialstaatsprinzip verpflichtet zur Hilfe!“
… Im Grundgesetz heißt es: „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt“, Art. 1 Abs. 1 GG. Außerdem sind Gesetzgebung, vollziehende Gewalt und Rechtsprechung an die nachfolgenden Grundrechte „als unmittelbar geltendes Recht“ ausdrücklich gebunden, Art. 1 Abs. 3 GG. Für den 20-jährigen Mann aus Speyer müssen die Garantie der Menschenwürde und das Sozialstaatsprinzip nur leere Worthülsen und nicht sättigende Absichtserklärungen gewesen sein. Der arbeitslose Mann verhungerte im April 2007 in Deutschland, weil das Geld für Lebensmittel fehlte. … Wer Sanktionen verhängt, darf nicht die Augen vor den Folgen verschließen! … Zum Artikel …

und soeben frisch aus dem Ticker geflossen:
Hungertod durch Hartz IV. Caritas fordert mehr ALG

In der Debatte um Mindestlohn und Freibetragsregelung bei ALG2 gibt es neue Äußerungen von Münterfering:

Der Sozialticker: Hartz IV Empfänger verdienen wohl noch zu viel
… So ist laut Müntefering zufolge – der Mindestlohn und die Zuverdienstmöglichkeiten der Bezieher von Arbeitslosengeld II noch strittig. Er halte eine Verständigung für möglich, den Freibetrag von 100 Euro bei Zuverdiensten auf einen Sockelbetrag von 35 bis 40 Euro zu verringern. Dadurch soll der Anreiz steigen, dass sich Arbeitslose nicht mit einem geringen Zuverdienst und staatlichen Zahlungen einrichten. Quelle: Reuters. Damit folgt ein weiterer Schritt in die Ausgrenzung von sozial Schwachen in Richtung Armut trotz Arbeit. Wie auch sein letzter Coup: “Wer nicht arbeitet – soll auch nicht essen”, hatte der SPD Politiker schon einen messbaren Erfolg erzielen können, denn wie den Medien bekannt, gibt es bereits ein erstes Hartz IV Todesopfer, welcher den qualvollsten Tod unterlegen ist – dem Verhungern. … Zum Artikel …

Wiesbadener Kurier: „Hartz IV plus X“
… Müntefering betont stattdessen, dass er einen generellen Mindestlohn favorisiert. Differenzierungen seien möglich, etwa nach Ost und West sowie nach „ungelernten und grundqualifizierten“ Mitarbeitern. … Einig sind sich Union und SPD bisher über Kombilöhne bei jüngeren Arbeitslosen und besonders schwer Vermittelbaren. Auch die Zuverdienstmöglichkeiten bei Hartz IV sollen strenger gefasst werden. Bisher dürfen die ersten 100 Euro, die neben dem Arbeitslosengeld II verdient werden, komplett behalten werden. Dies soll nach Münteferings Vorstellungen auf „35 oder 40 Euro“ abgesenkt werden. Ziel ist es, die Langzeitarbeitslosen zu animieren, möglichst Vollzeitstellen zu suchen, statt sich mit Mini-Verdiensten neben Hartz IV zufrieden zu geben. … Zum Artikel 

Siehe auch :
Hartz IV: Hungertod durch Leistungsentzug (1) (WCN, 19.04.2007)
Hartz IV: Hungertod durch Leistungsentzug (2) (WCN, 27.04.2007)
Hartz IV: Hungertod durch Leistungsentzug (3) (WCN, 27.06.2007)

3.2 Anarcho-SyndikalistInnen und die Siedlung ‘Freie Erde’ 1921-23

3.2 Anarcho-SyndikalistInnen und die Siedlung ‘Freie Erde’ 1921-23
Quelle: 3.2 Anarcho-SyndikalistInnen und die Siedlung ‘Freie Erde’ 1921-23 (medienflut.de)


Am 6. Juli 1921 besetzen rund 25 AnarchistInnen und Anarcho-SyndikalistInnen, durchweg ArbeiterInnen und Arbeitslose, ein Gelände des staatlichen Forstes im Bezirk der Bürgermeisterei Erkrath, angrenzend zu Hilden, Erkrath, Benrath und Düsseldorf – die sogenannten ‘Hildener Banden’. Alle Mitglieder gehören ausnahmslos der ‘Freien Arbeiter Union Deutschlands’ (FAUD [S] [271]) an [272].
Düsseldorf, das ist heute weitgehend unbekannt, war eine Hochburg der anarcho-syndikalistischen Bewegung. Die FAUD hatte hier zeitweise bis zu 20.000 Mitglieder, und zwar “überwiegend Metall und Stahlarbeiter, Bauarbeiter und Fliesenleger, und sogar einzelne (kaufmännische und technische) Angestellte ”.[273] In Düsseldorf wurde auch – von 1921 bis 1923 – die einzige anarcho-syndikalistische Tageszeitung herausgegeben, die den programmatischen Titel trug: ‘Die Schöpfung – sozialrevolutionäres Organ für ein sozialistisches Neuland’. Arbeitskämpfe von in der FAUD organisierten ArbeiterInnen – wie zum Beispiel die Auseinandersetzungen um die 5-Tage-Woche, die 1929 gewonnen wurden – liefen nicht selten militant ab: StreikbrecherInnen wurden konsequent am Betreten des bestreikten Betriebes gehindert, revolutionäre Fliesenleger schlugen die bereits verlegten Fliesen nachts wieder ab [274]. Weiter lesen „3.2 Anarcho-SyndikalistInnen und die Siedlung ‘Freie Erde’ 1921-23“

Henriette Wörndl (SFB Düsseldorf)

Delegierte für Düsseldorf (50 Mitglieder) auf SFB-Reichskonferenz am 15. Oktober 1921 in Düsseldorf.

Die Düsseldorfer Delegierte Henriette Wörndl berichtete auf der Reichskonferenz von großen Schwierigkeiten des örtlichen Frauenbundes und „beklagte sich besonders darüber, dass sie von der Arbeiterbörse keine genügende Unterstützung erhalten.

Quelle: digitalresist.blogspot.com (Stand20.01.2020)

Adresse: Krahestr. 20, Düsseldorf
Quellen: Der Frauenbund, I.Jg., Nr. 1, 1921, S. 2.

 

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Fünf Berichte aus der Praxis und ein kleines Resümee:

Das „Tigges“ – die FAUD – die Arbeitskämpfe

 

The first Tale – oder wie wir ohne Sorgen Krank sein wollten

Zu dem zeitpunkt unserer „Geschichte“ arbeiten im „TIGGES“, außer in der Küche, ausschließlich sogenannte „Aushilfen“. 90% dieser Aushilfen waren „Hauptberuflich“ Studierende. Das „TIGGES“ selbst ist eine stadtbekannte linke studentische Szenekneipe in Düsseldorf. Che an der Wand und Friedenstaube über dem Klo. Nachdem ich die JobberInnenbroschüre (Dein Recht als JobberIn) [1] geschrieben hatte, dachte ich mir, dass mein Anarchosyndikalismus auch mal praktisch werden müsste.
Also luden eine weitere Genossin der FAUD, welche im „TIGGES“ damals auch meine Kollegin war, und ich im April 2000 unsere KollegInen zu einer „kleinen“ Betriebtsversammlung ein. Diese fand ein paar Tage vor der offiziellen Betriebsversammlung staat. Wir stellten dort die Broschüre vor und diskutierten sowohl über Lohnfortzahlung im Krankheitsfall als auch über bezahlten Urlaub und Kündigungsfristen. Natürlich diskutierten wir auch über die Methoden, die wir ggf anwenden müssen, um unser (juristisches) Recht auch durchsetzen zu können. Dabei zeichnete sich schon ab, dass ein Konflikt vermieden werden sollte. Gemeinsam beschlossen wir vorerst nur die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall ein zu fordern. Der Grund dafür lag in der Tatsache, dass der Chef auf Antrag bei der Krankenkasse bis zu 80% der gezahlten Löhne „zurück“ bekommen kann, und genau damit sollte es dem Chef auch schmackhaft gemacht werden. Die Reaktion des Chefs war ein leichtes Schulterzucken und die Bemerkung „das haben wir früher nie gemacht“, „das können wir machen“ und „ich frag mal meinen Steuerberater“. In den sieben Monaten danach waren zwar einige Leute krank, eine Kollegin war sogar im Krankenhaus (wo sie der Chef auch einmal kurz besuchte), aber eine Lohnfortzahlung erhielt niemand. Das lag aber noch nicht mal am Chef selbst, sondern auch an den KollegInnen, die sich partout nicht dazu durchringen konnten, einen „Gelben“ ein zu reichen. Sieben Monate später (18.11.2000) – Wieder eine Betriebsversammlung. Dieses Mal organisierten wir vorher kein Treffen. Stattdessen wurde diesmal von der FAUD ein Info-Blatt vorbereitet, das in Kürze JobberInnenrechte wie Mutterschutz, Lohnvortzahlung im Krankheitsfall, Kündigungsfristen, Urlaubsansprüche, Aushilfdarbeitsverhältnisse etc beschrieb.
Die Betriebsversammlung fing erwartungsgemäß mit der Erstellung einer Tagesordnung an. Wir wollten die Top’s „Lohnfortzahlung im Krankheitsfall“ und „bezahlter Urlaub“ besprechen und forderten diese auf die Tagesordnung zu setzten. Dies geschah auch ohne weiteres. Aufgenommen wurden, wie üblich, auch so „interessante“ Top’s wie „die Gestaltung des Tigges-Tellers“ (ein Gericht, welches wir seit einigen Jahren auf der Karte hatten) und ähnliches.Die eingebrachten Tagesordnungspunkte wurden noch einmal kurz erläutert und das Info-Blatt der FAUD an alle (auch an den Chef) verteilt. Noch bevor der Chef auch nur ein Wort sagen konnte, war klar, dass ein Teil der Belegschaft eine Antihaltung gegenüber den genannten Forderungen hatte. Den Rücken mental gestärkt, entfachte der Chef eine nicht nur persönlich beleidigende, sondern auch eine im höchsten Maß unsachliche „Unterhaltung“ mit mir. Neben Sätzen wie „ich habe mich schon immer für Arbeiterrechte eingesetzt und werde das auch immer tun“, „das haben wir bisher nie gemacht, nicht um Leute zu benachteiligen, sondern weil das nie jemand wollte“ kamen auch Sätze wie, „wenn du hier eine Gewerkschaft grpnden willst, dann brauchst du morgen nicht zur Arbeit zu erscheinen“, „wenn du auf dein Recht bestehst, dann bist du fristlos entlassen“. Alles in allem wurde sehr schnell von ihm mit fristloser Entlassung gedroht. Immer wieder kam auch der Hinweis, dass es da erst seinen Steuerberater fragen müsste. Als er gefragt wurde, wann er sich beim Steuerberater erkundigen wolle und wann er dann schließlich uns informieren wolle, sagte er nur „Ich werde dir keinen Termin sagen. Ich möchte mich da nicht festlegen!“ Dies und die üblichen beleidigungen („du scheinst kleine Gehirnzellen zu habe“) hatte ich schon für mich eingeplant. Schlussendlich brachte ich ihn soweit (und das hat nicht lange gedauert), seine wahre Haltung preis zu geben. Die lässt sich auf folgende Punkte reduzieren:
1: alles bleibt vorerst wie es ist
2: in Zukunft wird sich daran nichts ändern
3: wenn du auf deine Rechte bestehen möchtest, bist du fristlos entlassen
4: wenn du hier eine Gewekschaft gründen willst, bist du fristlos entlassen
Damit waren die kollektiven Versuche, unsere Rechte im „TIGGES“ durch zu setzten, vorerst gescheitert. Leider muss ich festhalten, dass sie nicht nur am Chef, sondern auch an den KollegInnen gescheitert sind. Einige sagten später zwar, dass sie die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall sehr gut fänden, leider haben sie es aber nicht geschafft, in den sieben Monaten zwischen den beiden Betriebsversammlungen Tatsachen zu schaffen. Sie haben es auch nicht geschafft, bei der zweiten Versammlung sich dem Chef gegenüber dahingehend DEUTLICH zuäußern. Einige haben sogar ganz klar Arbeitgeberpositionen vertreten. Über die Gründe dafür kann ich nur spekulieren.

The second Tale – oder wie ich „alleine“ versuchte weiter zu machen

Knapp zehn Tage nach der letzten und so katastrophal verlaufenen Betriebsversammlung ging ich mit der Forderung nach bezahltem Urlaub (ab dem 01.12.2000) und einem FAU-Gewerkschaftsbrett ins „TIGGES“. Begleitet von ein paar GenossInnen der fAUD und weiteren FreundInnen stellte ich den Chef zur Rede. Genauer gesagt, ich versuchte es, denn der Chef ignorierte mich konsequent. Daraufhin befestigte ich das mitgebrachte FAUD-Brett und hing auch gleich ein paar Gewerkschaftsinfos daran auf (eine kurze Rechtsbelehrung zu den im Infoblatt oben genannten Themen). Auf weiter Nachfrage sagte der Chef, dass er „jetzt keine Zeit“ hätte und dass wir das „später“ besprechen würden. Natürlich habe ich weiter nachgehakt und schließlich einen Termin (30.11.2000) mit ihm ausgemacht, um die Frage mit dem bezahlten Urlaub für mich zu klären. Zu diesem termin begleiteten mich wieder GenosInnen der FAUD und der Anarchistischen Studierenden Initiative (A.St.I.). Im Vorfeld hatten wir in der FAUD viel darüber diskutiert, was wohl passieren könnte. Eine fristlose Entlassung war von uns mehr oder weniger fest „eingeplant“ worden. Stattdessen überraschte uns der Chef mit einer Hinhaltetaktik. Hatte der Chef noch auf der Betriebsversammlung gesagt, er wolle seinen Steuerberater fragen (ohne sich auf einen Termin festzulegen!), machte er mir nun weis, er müsse erst seinen Anwalt (!), seinen Steuerberater (!) und den Gaststättenverband (!) zu dem Thema befragen. Besonders „lustig“ war in diesem Zusammenhang, dass er angeblich in der nächsten Woche einen Termin bei seinem Anwalt hat. Den Aussagen seines Anwaltes will er aber nicht alleine vertrauen und bestand darauf, auch die anderen beiden Institutionen zu befragen. Daraufhin empfahlen wir ihm den Anwalt zu wechseln, da dieser sehr schlecht sein muss, wenn er meint, dass dieser sich im Arbeitsrecht schlechter auskennt als zum Beispiel sein Steuerberater. Aber zurück zur Sache. Obwohl ich ihn mehrfach aufforderte, mir einen Termin zu nennen an dem er mir mitteilt, was er mit meinem Urlaub zu tun gedenkt, konnte ich ihn nicht zu einer konkreten Aussage bewegen. Er wiederholte immer nur, dass er mir Bescheid geben würde, sobald er mit allen drei Institutionen geredet, bzw. sich dort informiert hätte. Auf meinen Hinweis, dass ich meinen Urlaub noch in diesem Jahr nehmen müsste, da er sonnst verfiele, sagte er mir, dass ich den auch noch 2001 nehmen könnte (eine Tatsache die nur sehr eingeschränkt richtig ist und die wir kannten). Zur Gewerkschaftsarbeit sagte er diesmal, das ich diese ruhig in seinem Betrieb machen könne, damit hätte er nichts zu schaffen. Wenn die Gewerkschaftsarbeit jedoch geschäftsschädigend sei, dann „könne“ es sein, dass er mich fristlos entlässt. Im Laufe der Diskussion wies er auch auf die „Betriebsinternen Absprachen“ hin. Wonach wir nicht nur unseren Lohn bekommen (welche Großzügigkeit!), sondern auch noch Trinkgeld (Wow – wer hätte das gedacht!) und Speis und Trank (DANKE!). Dem Tonfall nach war die Drohung unmissverständlich – wer seine Rechte haben will, muss auf Speis und Trank verzichten! Ohne weitere Ergebnisse zogen wir wieder ab. Nach Rücksprache mit einem Anwalt stellten wir dem Chef schließlich ein Ultimatum. Bis zum 02.01.2001 sollte er sich klar äußern und verbindlich festlegen, andernfalls würden wir weitere Maßnahmen (zum Beispiel Fleyer an die Gäste verteilen) ergreifen. Am 31.12.2000 bat mich der chef zu einem Gepräch unter vier Augen. Nachdem er eine ganze Weile über die guten alten Zeiten und was wir nicht alles gemeinsam erlebt hätten gesprochen hatte, kam er endlich doch noch zum Punkt und bot mir 400 DM an (was 230 DM weniger war als mir zustand). Ich überlegte kurz und willigte ein.

The third Tale – oder wie die ArbeiterInnen im „TIGGES“ mehr Geld verdienen wollten

Diese Geschichte ist kurz und schnell erzählt. Die Genossin der FAUD, welche noch immer im TIGGES arbeitet, traf sich mit den KolegInnen des TIGGES, um mit ihnen gemeinsam über die Möglichkeiten einer Lohnerhöhung zu diskutieren. Seit ca: 8 Jahren zahlt der Chef den KellnerInnen (abends) 12.-/pro Stunde. Die Versammlung beschloss auf der nächsten „offiziellen“ Betriebsversammlung die Forderung nach 15.-/pro Stunde zu stellen. Der Chef reagierte mit einem Schulterzucken und der Mitteilung das er das selbst auch schon vorhatte und das es o.k. sei! Doch schon am nächsten Tag sprach er alle ArbeiterInnen einzeln an und teilte ihnen mit das er sich das mit den 15.- noc überlegen müsse. Überhaupt – es wäre nie die Rede davon gewesen das „ab sofort“ mehr gezahlt würde. Es käme darauf an wie der Sommer läuft, dann gäbe es im Sommer mehr (im Winter dan wieder 12.-). Fakt ist: Niemand bekam auch nur eine Mark mehr. In persönlichen Gesprächen wurde klar das zwar einerseits die Lohnerhöung gewollt ist, das aber (um des lieben Friedens willen) keine Bereitschaft zum Arbeitskampf da ist.

The fourth Tale – oder Lohnraub im „TIGGES“

Die Einführung des Euro benutzte der Chef des „TIGGES“ zur Lohnkürzung. So rechnete er weder den Lohn (12 DM/Stunde) korrekt um, noch zahlte er, wie Ende des Jahres 2002 auf einer Betriebsversammlung offiziell angekündigt, ab dem 01.01.2003 7 €/Stunde. Stattdessen gab es plötzlich nur noch 6 €/Stunde. Die Reaktion war Wut. Die Belegschaft des „TIGGES“ traf sich mit der FAUD und besprach die Situation. Es wurde beschlossen, dem Chef eine Frist zu setzten. Wenn er bis zu dieser nicht 7 €/Stunde zahlen würde, dann würde die Belegschaft sich (unterstützt durch die FAUD) weitere Maßnahmen vorbehalten. Dies wurde dem Chef in unzweifelhaftem Ton mitgeteilt. Der Effekt war, dass er fristgerecht anfing, den versprochenen Lohn zu zahlen.

The fifth Tale – Fristlose Kündigung im „TIGGES“

Anfang 2003 feuerte der Chef zwei Koleginnen (die Sonntagabendschicht). Wie üblich gab er weder eine Begründung noch hielt er sich an irgendwelche Fristen. Ihm passten einfach die zwei Nasen nicht mehr. Glücklicherweise holten die beiden direkt Rat bei der FAU-Düsseldorf ein (eine Genossin arbeitete immer noch dort). Nach einem kurzen Gespräch über unsere Möglichkeiten und die Bereitschaft der beiden Kolleginnen, sich einer Auseinandersetzung mit dem Chef zu stellen, beschlossen wir, wenigstens je einen Monatslohn für beide zu bekommen. Beide wollten nicht mehr im „TIGGES“ arbeiten, waren aber von dem Geld abhängig und wären den Monat auch noch arbeiten gegangen (die Kündigungsfrist hätte bei beiden je einen Monat betragen). Wir beschlossen, dass beide zur nächsten Schicht gehen sollten, so als wäre nichts geschehen. Die FAUD war mit zwei GenossInnen anwesend, um die Situation wie besprochen zu beobachten. Wie erwartet forderte der Chef sie mehrfach auf zu gehen, da sie nicht mehr im „TIGGES“ arbeiten würden. Daraufhin gaben die beiden zu verstehen, dass sie zum Arbeitsgericht gehen würden und sich ggf. auch noch andere Maßnahmen vorbehalten. Nachdem die beiden gegangen waren, wurde der Chef von der FAUD noch einmal darauf hingewiesen, dass die KollegInnen Recht hätten und auch vor Gericht Recht bekämen. 24 Stunden später meldete sich der Chef bei der FAUD (!) und teilte mit, dass er die beiden gerne treffen wollte, er würde ihnen den Lohn für vier Wochen auszahlen und arbeiten sollten sie auch nicht mehr kommen. Zwei Tage später war es soweit, gegen eine Empfangsbestätigung bekamen die KollegInnen, was sie wollten.

Resümee

Anarchosyndikalismus im „eigenen“ Betrieb zu praktizieren ist durchaus eine belastende und anstrengende Sache. ABER: Angefangen beim ersten Konflikt bis hin zum letzten ist eine Entwicklung zu erkennen. Zum einen wird die FAUD im „TIGGES“ sowohl von den KollegInnen als auch vom Chef als Gewerkschaft wahrgenommen. Zum anderen wurden einige wenige Dinge auch durchgesetzt. Auch die Solidarität der („älteren“) KollegInnen untereinander ist stärker geworden. Was noch fehlt ist ein „öffentlichkeitswirksamer“ Arbeitskampf. Dieser könnte evtl. helfen, KollegInnen in anderen betrieben zu mobilisieren und zu organisieren. Ein „Höhepunkt“ in der Entwicklung könnte ein kämpferisches Gastronomie/Service-Syndikat sein.

Anarchie in Düsseldorf? Zum zweiten Mal organisiert die anarchosyndikalistische Freie Arbeiter*innen Union ein Schwarz-Rotes-Wochenende.

Der Termin im November ist mit Bedacht gewählt, haben wir doch 2014[1] im November – das erste Mal seit 1933 – einen eigenen Laden in Düsseldorf eröffnet. Damit haben wir es geschafft, der lokalen anarchistischen und syndikalistischen Bewegung, die in den Jahren nach 1945 immer vorhanden war[2], eine stabile, wahrnehm- und erreichbare Basis zu verleihen. Die Pandemie hat natürlich auch bei uns zu einer enormen Einschränkung unserer öffentlichen Aktivitäten geführt. Unsere gewerkschaftliche Erstberatung haben wir aber ebenso aufrecht erhalten, wie unsere generelle gewerkschaftliche Tätigkeit, was auch 2021 zu mehr Militanten[3] in unseren Reihen führte. So waren wir nicht nur am 1. Mai auf der Straße, sondern auch mehrmals präsent vor den Düsseldorfer Gorilla-Stores, um die kämpfende Belegschaft in Berlin symbolisch zu unterstützen. Von den „Stores“ aus leifern die Kurierfahrer*innen Lebensmittel aus. Eindrucksvoll war der kleine anarchistische/syndikalistische Block auf den beiden Demonstrationen gegen das neue NRW-Versammlungsgesetz. Sehr gefreut hat uns auch der Besuch der Zapatistas, den wir einen ganzen Tag lang begleitet haben (siehe Seite 10).

Das Schwarz-Rote Wochenende

Weiter lesen „Anarchie in Düsseldorf? Zum zweiten Mal organisiert die anarchosyndikalistische Freie Arbeiter*innen Union ein Schwarz-Rotes-Wochenende.“

„GRANATROTE FLUT“ UND G.A.S.

„GRANATROTE FLUT“ UND G.A.S.

Mit Beginn der aktuellen Wirtschaftskrise entstanden weltweit neue soziale Bewegungen. Zahlreiche anarchistische Prinzipien wurden spontan und oft auch ohne Wissen um die lange Tradition anarchistischer und syndikalistischer Bewegungen „neu erfunden“ und angewandt. Zwei dieser neuen Bewegungen sind die Marea Granate und die Grupo de Acción Sindical (G.A.S.). Interessanterweise halten sich diese nicht mehr an nationale oder geographische Grenzen. Stattdessen breiten sie sich weltweit aus. Dabei verstehen sie einerseits ihre Migration als erzwungen und andererseits wollen sie mit anderen gemeinsam gegen die Auswirkungen der Krise kämpfen, ohne Rücksicht auf die sogenannte „Herkunft“. Dies darf aber nicht so verstanden werden, dass es ihnen nur um kosmetische Veränderungen ginge. In ihrem Manifest schreiben sie unter anderem: „Wir rufen zur Analyse auf und verurteilen die zerstörerischen Folgen des aktuellen Wirtschaftssystems. Einerseits durch die Identifizierung der Ursachen, die uns dazu brachten unsere Heimatorte, unsere Familien und unsere Freunde zu verlassen. Andererseits durch das Hervorheben der schwierigen Lebensbedingungen der Migranten und Migrantinnen. Wir sind uns bewusst, dass wir keinen isolierten Kampf führen, und dass die Ursachen, die dazu geführt haben, Spanien zu verlassen anderen Ländern auch nicht fremd sind. Deswegen wollen wir Brücken zu lokalen Gruppen um uns herum bauen. Darüber hinaus gibt es andere Einwanderer- und Einwanderinnen-Gruppen in unseren Gastländern, mit denen wir zusammenarbeiten, um ein gegenseitiges Support-Netzwerk für Neuankömmlinge zu schaffen.“Für die Direkte Aktion sprachen Frank Tenkterer von der FAU Düsseldorf und Rita von der FAU Duisburg mit Nuria und Manel von den Gruppen Marea Granate NRW und G.A.S. NRW. (Redaktion Hintergrund)

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Frank: Was ist Marea Granate? Wo kommt ihr her, und was ist die Basis eures Zusammenschlusses?

Nuria: Wir sind die Kinder der Krise. Ursprünglich haben wir in Spanien gegen die Krise gekämpft. Wir waren Teil der Bewegung 15M, die 2011 erstmals öffentlich aufgetreten ist. Damals haben wir gegen die Privatisierung des Gesundheitssystems, den Sozialabbau, die Wohnungsnot, die Ausweitung der prekären Arbeitsverhältnisse, die Arbeitslosigkeit und vieles mehr gekämpft. Allerdings zwang uns die Krise – und zwingt uns noch immer – ins Ausland zu gehen und dort nach Arbeit zu suchen. In diesem Sinne sind wir nicht gegangen, sondern rausgeworfen worden aus Spanien. Allerdings wollen wir den Widerstand gegen die Zerstörung des Sozialsystems und die permanenten Angriffe des Kapitals nicht aufgeben, nur weil wir dazu gezwungen wurden auszuwandern. Als Aktivist*innen tun wir uns auch weiterhin zusammen. Dabei bauen wir auf unseren Erfahrungen in Spanien auf. Die Basis unseres Zusammenschlusses ist die „Paella-Versammlung“. Marea Granate heißt übrigens „granatapfelrot“ und ist die Farbe unserer Reisepässe.

 

Frank: Gibt es Marea Granate nur in Deutschland?

Nuria: Als Marea Granate sind wir sozusagen der globale Arm der Bewegung 15M im Exil. Es existieren Gruppen auf fast allen Kontinenten, neben Europa vor allem in den Amerikas (Nord, Mittel und Süd) und in Australien. Einmal im Monat haben wir eine weltweite Vollversammlung im Internet, wo wir alles besprechen und uns über die aktuellen Entwicklungen in Spanien austauschen. Natürlich tauschen wir uns auch über die Situation in den jeweiligen Ländern aus, in denen wir im Exil leben müssen.

 

Frank: Wie organisiert ihr euch? Und wer kann bei euch mitmachen?

Neben der schon erwähnten „Paella-Versammlung“, zu der wir immer zum zweiten Sonntag im Monat in das FAUD-Lokal V6 in Düsseldorf einladen, organisieren wir uns vor allem über das Web und soziale Medien. Neben der Möglichkeit, unsere Homepage zu besuchen, kann man uns auf Twitter folgen oder via Facebook Kontakt mit uns aufnehmen. Untereinander nutzen wir Whatsapp und oft telefonieren wir auch ganz klassisch miteinander. Die Basis unserer Organisation ist aber die Versammlung. Dort besprechen wir alles, planen unsere Aktivitäten und integrieren neue Aktivist*innen.

Mitmachen darf bei uns eigentlich jede/r, der/die unsere Ziele teilt und unsere Art der Organisation akzeptiert. Du musst also keine Spanierin sein um bei uns mitmachen zu können. Allerdings ist unsere Verkehrssprache Spanisch.

 

Frank: Was sind eure Ziele? Und was sind eure konkreten Aktivitäten?

Nuria: Wir haben vier Ziele formuliert, die wir durchsetzen wollen:

Rückkehr zu einem Wahlrecht auf dem Stand von vor 2011. Das aktuelle Wahlrecht führt dazu, dass nur knapp 3 Prozent der im Exil lebenden Spanier*innen überhaupt an den Wahlen in Spanien teilnehmen. Seit der Krise sind viele Kritiker*innen der Regierung und speziell der konservativen ins Exil gegangen. Durch das neue Wahlrecht, das es schwieriger macht sich an den Wahlen zu beteiligen, werden zehntausende Stimmen erst gar nicht abgegeben und die Wahlen so ganz legal gefälscht.Gleicher und kostenloser Zugang zum Gesundheitssystem für alle. Nicht nur für Spanier*innen, sondern tatsächlich für alle. Nach einer sogenannten Gesundheitsreform ist es aktuell so, das Spanier*innen, die länger als drei Monate im Ausland sind, nicht mehr in Spanien versichert sind.Abschaffung der prekären Arbeitsverhältnisse. Es muss Schluss sein mit schlecht bezahlten und unsicheren Arbeitsverhältnissen. Arbeit auf ein paar Monate oder ein Jahr zu befristen oder nur noch über Sklavenhändler zu erhalten ist ein unannehmbarer Zustand, gegen den wir uns richten.Für die tatsächliche, bedingungslose innereuropäische Freizügigkeit. Bisher kann sich nur das Kapital in Europa wirklich frei bewegen. Uns, die wir nichts außer uns selbst haben, wird diese Freiheit faktisch verwehrt. Aber als Europäer*innen müssen wir das uneingeschränkte Recht haben, uns überall in Europa vollkommen frei bewegen zu können.

Diese vier Ziele wollen wir aber nicht nur in Bezug auf Spanien durchsetzen. Vielmehr wollen wir diese auch dort durchsetzen, wo wir gezwungenermaßen leben müssen. Und wir wollen das nicht nur für uns – sondern für alle! Für Marea Granate NRW macht es keinen Unterschied ob jemand aus Afrika, Asien oder Europa gekommen ist. Wir denken, dass es niemandem zuzumuten ist, unter prekären Bedingungen zu arbeiten, von politischer Mitwirkung ausgeschlossen zu sein, keinen oder nur einen auf Basis des Einkommens beschränkten Zugang zum Gesundheitssystem zu haben oder sich in Europa nicht frei bewegen zu dürfen.

Neben einer Kundgebung im Mai vor dem Spanischen Konsulat, die leider wegen einer Unwetterwarnung kurzfristig ausfallen musste, entwickeln sich unsere Aktivitäten vor allem um das Online-Büro, das oficina precaria. Mit der Kundgebung wollten wir eigentlich gegen das neue „Sicherheitsgesetz“ demonstrieren. Mittlerweile ist es in Kraft und es gibt schon erste Opfer des Gesetzes. Uns erinnert diese Politik stark an das Frankistische Regime, das nach 40 Jahren wieder immer offener zu Tage tritt. Im Oktober werden wir anfangen, weitere Aktivitäten zu entwickeln. Unter anderem wollen wir eine Soli-Party organisieren. Wir brauchen natürlich Geld für Veranstaltungen und Publikationen. Mit der Party wollen wir aber auch auf uns aufmerksam machen und uns in Düsseldorf bekannt machen.

 

Frank: Du sprichst von Wahlrecht und politischer Mitwirkung. Ist Marea Granate so etwas wie eine neue Partei?

Nuria: Nein – Wie schon gesagt sind wir ein Teil der 15M Bewegung, der Indignados (der Empörten). Das bedeutet, dass wir wie Millionen andere Spanier*innen jedes Vertrauen in die Parteien und Politiker*innen verloren haben. Trotzdem haben wir aber eine politische Meinung. Diese drückt sich in unseren Zielen aus. Wir glauben aber nicht, dass wir diese als Partei durchsetzen könnten. Stattdessen müssen wir als reale soziale Bewegung, die sich selbst organisiert, die politische Kaste dazu zwingen, unsere Ziele umzusetzen.

 

Frank: Zurück zu euren Aktivitäten. Was ist das Online-Büro? Und welche Aktivitäten entwickeln sich daraus?

Nuria: Das oficina precaria ist unser Online-Büro, das heißt wir bieten den Menschen die Möglichkeit, sich mit all ihren Problemen und Fragen via E-Mail oder „privater Nachricht“ über Facebook bei uns zu melden. Bei vielen Problem können wir selbst helfen. Bei Problemen mit der Arbeit leiten wir die Leute an die FAU Düsseldorf weiter. Diese berät und unterstützt die Arbeiter*innen bei ihren Problemen. Ende Oktober laden wir ins FAUD-Lokal V6 zu einer Versammlung ein. Ziel ist es, eine Grupo de Acción Syndical zu gründen. Wir laden dazu extra Kolleg*innen der G.A.S. aus Berlin ein, die kurz vorher auf einem Treffen mit G.A.S. Paris gewesen sein werden. Die FAU Düsseldorf hat uns hier schon Unterstützung zugesagt. Wenn G.A.S. in Düsseldorf aktiv und handlungsfähig werden soll, dann werden wir nicht darum herumkommen, etwas über die Arbeitsgesetze in Deutschland zu lernen. Die FAU Düsseldorf wird im Winter also Seminare zum kollektiven und individuellen Arbeitsrecht organisieren und auch ein Organizing-Seminar. Die Seminare sind natürlich nicht nur für G.A.S., sondern für alle Interessierten offen. G.A.S.-Gruppen entstehen gerade weltweit. Dieser Prozess wird nötig, da wir den ständigen Angriffen von oben einen Klassenkampf von unten entgegenstellen müssen. Die Paella-Versammlungen und G.A.S. sind die zwei Seiten der Münze unseres Widerstandes.

 

Rita: Manel, du bist Aktivist bei G.A.S. Kannst du uns noch etwas genauer erklären was G.A.S. ist?

Manel: Die „Grupo de Acción Sindical“ (Gewerkschaftliche Aktionsgruppe) 15M-G.A.S. ist eine Arbeitsgruppe der spanischen 15M-Bewegung (die Empörten), deren Aufgabe darin besteht, Arbeiter*innen zu helfen, sich an ihrem Arbeitsplatz zu organisieren.

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Rita: Was sind eure Ziele?

Manel: Eines unserer ersten Ziele ist es, die Einwander*innen zu unterstützen, um letztendlich ihre Integration in das deutschen Arbeitssystem und die Gesellschaft zu erreichen. Eigentlich spielen wir eine wichtige Bindungsrolle. Wir versuchen, nicht einfach als Service-Büro zu arbeiten. Wir wollen, dass die kämpfenden Beschäftigten die konkrete Form der angewandten Aktion für jede Auseinandersetzung selbst wählen und dass der Arbeitskampf mit unserer Hilfe selbstverwaltet stattfindet. Wir arbeiten grundsätzlich mit Arbeiter*innen-Gruppen. Individuelle Fälle leiten wir an eine andere Gruppe weiter, nämlich an das oficina precaria von Marea Granate. In der Praxis sieht es aber so aus, dass wir zur Zeit keinen kollektiven Fall haben (wir sind eine gerade neu entstandene Gruppe) und darum sind alle Mitglieder der G.A.S. momentan bei individuellen Fällen des oficina precaria voll involviert.

 

Rita: Wie organisiert ihr euch?

Manel: Alle wesentlichen Entscheidungen werden in Vollversammlungen getroffen. Funktionsträger*innen sind weisungsgebunden und können keine Beschlüsse fassen. Die Ämter sollen rotieren und sind natürlich unbezahlt. Wir haben keine Hierarchie und wir lehnen diese ab. Unsere Tätigkeiten basieren auf der Grundlage von Solidarität und gegenseitiger Unterstützung. Wir stehen keiner politischen Partei nahe. Wir sind unabhängig von anderen politischen und gewerkschaftlichen Organisationen. Das heißt nicht, dass unsere Leute nicht Mitglieder anderer Organisationen sein dürfen.

 

Rita: Wo kommt ihr her?

Manel: Die Gruppe gewerkschaftliche Aktion (G.A.S.) Nordrhein Westfalen kommt aus der Bewegung „15M Berlin“ und sie hat das Ziel, die ausgewanderten Arbeiter*innen zu unterstützen, um gemeinsam ihre Interessen an ihren Arbeitsplätzen zu vertreten und ihre Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dabei haben wir nicht nur die Unterstützung vieler deutschen Arbeiter*innen, sondern auch von deutschen Gewerkschaften. Wir kämpfen gegen Lohn-Dumping, Ausbeutung und Diskriminierung. In NRW bekommen wir gerade sehr viel Hilfe beim Aufbau durch die FAU.

 

Rita: Wer kann bei euch mitmachen?

Manel: Hauptsächlich arbeiten wir mit Migrant*innen, die Spanisch sprechen können, weil Spanisch unsere Verkehrssprache ist. Natürlich sind wir offen für alle Einwander*innen. Die meisten von uns können auch Englisch und wir werden uns sehr freuen, wenn Leute aus der ganzen Welt bei uns mitmachen wollen.

 

Rita: Wo gibt es G.A.S.?

Manel: In Moment nur in Deutschland. Es gibt aktuell drei aktive Gruppen: Berlin, Hamburg und NRW (Treffpunkt Düsseldorf). Außerdem gibt es Aktivist*innen in anderen Orten in Deutschland und Europa (z. B. Straßburg, Frankreich), die Interesse haben.

 

Rita: Was sind eure konkreten Aktivitäten in NRW?

Manel: Die neue Gruppe in NRW ist immer noch zu klein und wir haben uns bis jetzt nur mit individuellen Fällen beschäftigt. Darüber hinaus setzen wir unsere Kräfte in die Verbreitung der Gruppe, um uns sichtbarer zu machen und neue Mitstreiter*innen zu gewinnen.

 

Frank: Noch mal zurück zu Marea Granate. Nuria, du hast jetzt schon mehrfach die „Paella-Versammlung“ erwähnt. Was hat es damit auf sich?

Nuria: Unsere Treffen finden am Mittagstisch statt. Auf deutsch sagt man glaub ich „Ohne Mampf kein Kampf“. So ist es bei uns auch. Weil viele von uns Valencianos sind, also aus Valencia stammen, dem Ursprung der Paella, gibt es eben eine Paella. Wären wir aus Navarra, wäre es wohl eine Tortilla-Versammlung. Beim gemeinsamen Essen lernen wir uns gegenseitig kennen. Wir diskutieren nicht nur politisch, sondern tauschen uns über alle Aspekte unseres Lebens aus. Durch das Essen wird das Treffen auch weniger „formell“ und so nehmen auch ganze Familien an der Versammlung teil. Essen integriert. Vielleicht kann man es ein wenig mit dem sozialrevolutionären Abendbrot der FAU Düsseldorf vergleichen?

 

Frank: Ja, vielleicht kann man das. Gibt es noch etwas, was ihr unbedingt sagen wollt, was wir aber bisher noch nicht gefragt haben?

Nuria: Ja sicher (lacht). Wir wollen uns bei der FAU Düsseldorf und der FAU Duisburg für ihre selbstlose und herzliche Unterstützung bedanken. Und dann möchten wir natürlich alle Freund*innen des Widerstands, die ähnliche Ziele haben wie wir, einladen mit uns gemeinsam zu kämpfen. Uns geht es um gleiche Arbeit, gleiche Rechte und gleiche Möglichkeiten für alle Menschen. Egal aus welchem Land der Welt sie kommen. Wir sind überzeugt, dass wir das nur gemeinsam schaffen und dass wir dies nur auf den neuen Wegen schaffen können, die seit dem Ausbruch der Krise weltweit entstanden sind.Manel: Genau, wir möchten alle Interessierten herzlich einladen zu unseren Treffen zu kommen. Dabei spielt es keine Rolle ob ihr uns nur mal kennen lernen wollt, einen individuellen Fall habt, bei der G.A.S. mitmachen wollt oder Lust habt mit uns zusammen irgendeine Veranstaltung zu organisieren. Und vielleicht kommt ihr ja aus einer Stadt wo es bisher weder eine Gruppe der Marea Granate noch eine der G.A.S. gibt, dann helfen wir euch gerne beim Aufbau einer Gruppe und der Organisation von ersten Veranstaltungen.

Frank und Rita: Wir bedanken uns für das Interview.

MEHR ALS NUR ANTI-FASCHISMUS

Des letzten Rätsels Lösung: Schwarze Schar

Obwohl die Gründung der „Schwarzen Schar“ eine direkte Reaktion vorwiegend junger Mitglieder der Freien Arbeiter Union Deutschlands (FAUD) und der Syndikalistischen-Anarchistischen Jugend Deutschlands (SAJD) auf das Erstarken der faschistischen Bewegung in Deutschland war, so hat sie sich nie einzig und allein als antifaschistischen Kampfbund verstanden. Vielmehr wollte sie dem zahlenmäßigen Niedergang der anarcho-syndikalistischen Bewegung entgegenwirken und die Isolation der Bewegung aufheben.

Im Oktober 1929 kommt es im heutigen Racibórz zur ersten Gründung einer Schwarzen Schar. Entgegen allen Gepflogenheiten der FAUD tragen ihre Mitglieder Einheitskleidung: „Zu ihrer Uniform gehören schwarze Bluse, schwarze Baskenmütze, Koppel und Schulterriemen. Das anarchistische Symbol der Gegnerschaft gegen Rechtsordnung und Staatsgewalt, die Darstellung eines zerbrochenen Gewehrs, findet sich auf den Koppelschlössern sowie auf den Mützenkokarden der ‘Schwarzen Schar’.”

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Noch im Laufe desselben Jahres gründen sich in weiteren Orten in Oberschlesien (Beuthen, Rosenberg, Katscher, Gleiwitz und Bobrek-Karf) Schwarze Scharen. Im Sommer 1930 entsteht dann auch eine Schar in Berlin und ab 1931 folgten weitere Gruppen in anderen Orten der Republik (Wuppertal, Kassel, Suhl und Darmstadt). Denn Übergriffe der Nazis, aber auch Anfeindungen der KPD, machten es immer häufiger nötig, Veranstaltungen der FAUD zu schützen. Letztere kritisierte die „Schwarzen Scharen“ zwar ob ihrer Uniformierung und ihres gewalttätigen Auftretens, griff aber immer wieder auf die jungen GenossInnen zurück.

Die Gesamtstärke der Organisation kann leider nicht mehr genau festgestellt werden. Bis zur Machtübergabe an die Nazis lässt sich ihre Mitgliederzahl aber mit 250 bis 500 AktivistInnen veranschlagen. Um die Basis der anarcho-syndikalistischen Bewegung wieder zu vergrößern, gingen diese Gewerkschaftsmitglieder neue Wege in der Agitation. Einerseits scheuten sie sich nicht, offensiv aufzutreten (Musikzüge, motorisierte Demonstrationszüge, Theatergruppen usw.). Andererseits gingen sie mit ihren Agitationstouren speziell in die Kleinstädte und das umliegende Land. Ziel ihrer Agitation waren dort vor allem das Landproletariat und die Kleinbauern. Auch wenn sie ihrem selbstgesteckten Ziel nicht gerecht wurden, die FAUD wieder für die Masse der ArbeiterInnen attraktiv zu machen, so blieb ihre Agitationstätigkeit doch nicht ohne Wirkung.

Die Wuppertaler Gruppe der „Schwarzen Schar“ besaß mehrere Revolver und einen Karabiner. Um im Kampf gegen den Faschismus erfolgreich zu sein, gingen sie breite Bündnisse ein. So bildeten die Wuppertaler mit der „Sozialistischen Arbeiter-Partei Deutschlands“ (SAPD), der „Kommunistischen Partei-Opposition“ (KPO) und den „Partisanen“ eine überparteiliche „Kampfgemeinschaft gegen Faschismus und Reaktion“.

Bekanntlich ist es den „Schwarzen Scharen“ nicht gelungen, die Nazi-Diktatur zu verhindern. Trotzdem leisteten nicht wenige Mitglieder in Deutschland bis zum Untergang des 1000-jährigen Reiches Widerstand. Andere gingen ins Exil und waren an der Gruppe „Deutsche Anarchosyndikalisten im Ausland“ (DAS) beteiligt. Dazu gehören neben vielen anderen die ehemaligen Mitglieder der „Schwarzen Schar“ Johannes Noll, Paul Brunn, Karl Liereck und Ernst Petri (Berlin), Willy Paul und Fritz Schröder (Kassel), Gustav Doster und Helmut Thomas (Darmstadt) sowie Fritz Benner, Arnold Engels und Helmut Kirschey (Wuppertal).

FAUD CON GAS …oder wie die „Granatrote Flut“ an Düsseldorfs Ufer schlug

Seit Sommer 2015
bietet die FAU Düsseldorf zusammen mit der Grupo de Acción Sindical NRW eine
kostenlose gewerkschaftliche Erstberatung an. Die meisten spanischsprechenden
Arbeiter*innen, die seitdem zu uns gekommen sind, haben den Weg über das Oficina
Precaria
 von Marea Granate NRW genommen. Die Probleme der Kolleg*innen
sind bisher sehr ähnlich – wenn es auch einige Ausreißer gegeben hat, die wir
nur an Rechtsanwält*innen weiterleiten konnten. Fast immer geht es um
Unregelmäßigkeiten mit dem Lohn, Fragen zum Urlaub, zu Arbeitszeiten und
natürlich auch immer wieder um Kündigungen. Zwei Konflikte möchten wir euch
etwas näher vorstellen, da sie unserer Meinung nach nicht nur exemplarisch
sind, sondern auch über reine Abwehrkämpfe hinausgehen.

GAS_NRW.jpgMARIA UND DAS HOTEL

Maria hat eine Berufsausbildung in Spanien gemacht, in der
Tourismusbranche. Im März 2015 fing sie als Putzfrau in einem Hotel in der
Düsseldorfer Altstadt an. Noch in der vertraglichen Probezeit von sechs Monaten
wurde sie aufgrund eines Arbeitsunfalls entlassen. Als sie zu uns kam, hatte
sie natürlich erst einmal eine ganze Reihe von Fragen, zum Beispiel, ob es in
Deutschland üblich ist, dass Arbeiter*innen Arbeitsunfälle selbst bei der
Berufsgenossenschaft melden müssen. Doch die wichtigste Frage:

Was tun?

Wir haben ihr dann die grundsätzlichen rechtlichen Rahmenbedingungen
erklärt und, nachdem sie sich dazu entschlossen hatte, ihr auch geholfen beim
Arbeitsgericht zu klagen. Die Bosse hielten es nicht für nötig zum Gütetermin
zu erscheinen. Uns war es recht, bekam Maria so doch einen vollstreckbaren
Titel in Form eines Versäumnisurteils. Das bedeutet, dass sie ihre Forderungen durch einen Gerichtsvollzieher pfänden lassen kann. Damit war die Frage „Was tun?“ noch
lange nicht beantwortet. Also haben wir uns danach noch einmal getroffen und
gemeinsam überlegt, was wir noch tun könnten. Das Ergebnis unseres gemeinsamen
Nachdenkens war:

Eine Demo für unsere Würde

Bei dieser Demo ging es nicht darum, vor einer juristischen
Entscheidung Druck auf die Bosse auszuüben. Juristisch war der Fisch gegessen –
nein, es ging Maria und uns einzig und alleine darum, zu zeigen, dass wir als
Arbeiter*innen uns die Frechheiten der Bosse in Düsseldorf nicht länger
widerspruchslos gefallen lassen. Marias Aufruf, sie bei der Behauptung ihrer
Würde als Arbeiterin zu unterstützen, kamen gut 20 Menschen nach. Neben
Mitgliedern der FAU Düsseldorf kamen vor allem Unterstützer*innen aus den
Reihen von Marea Granate NRW, GAS NRW und der FAU Duisburg, die uns von Anfang
an tatkräftig unterstützt hat. Am Samstag, den 5. März versammelten wir uns
direkt am Hotel. Knapp zwei Stunden riefen wir zusammen Slogans in unseren
verschiedenen Muttersprachen:

Spanisch: No hay pan – para
tanto chorizo

Französisch: Qui sème la
misère, récolte la colère

Englisch: an injury to
one – an injury to all

An dieser Stelle müssen wir uns auch bei den zahlreichen
Menschen bedanken, die uns spontan ihr Interesse und ihre Solidarität bekundet
haben. Ganz besonders bedanken wir uns bei dem Bäcker der es sich nicht nehmen
ließ, seine Pause dafür zu nutzen, uns mit einem neuen Slogan zu versorgen:
„Helau! Helau! Hier arbeitet man für lau!“. Besonderes Erstaunen erregte die Tatsache,
dass wir „den ganzen Aufriss“ (was ganz offensichtlich positiv gemeint war) für
eine einzige Kollegin veranstalteten. Die Aktion zeigte noch am gleichen Abend
eine unerwartete Wirkung: beide Hotelchefs meldeten sich reuig aus dem Urlaub
mit der Ansage, alles schnellstens richtigstellen zu wollen (Was sie dann
erwartungsgemäß nicht taten).

KHADIJA UND DIE
REINIGUNGSFIRMA

Khadija ist ausgebildete Altenpflegerin. Ohne
Deutschkenntnisse bekommt sie in diesem Bereich keine Arbeit. Also hat sie erst
einmal angefangen zu putzen. Als sie krank wurde, wurde sie entlassen.
Allerdings war ihre Probezeit schon vorbei, eine Kündigung also nicht einfach
so möglich. Auch sie entschloss sich, mit unserer Hilfe zum Arbeitsgericht zu
gehen. Sie hat zum einen gegen ihre Entlassung geklagt und zum anderen
ausstehende Löhne eingeklagt. Gegen das Versäumnisurteil wegen der Kündigung
hat der Boss Berufung eingelegt. In dieser Sache werden wir ihn also noch
einmal zum Arbeitsgericht müssen. Aber auch Khadija wollte von Anfang an mehr
als nur ihr juristisches Recht.

Und jetzt kommt Ihr ins Spiel:

Achtet auf Ankündigungen, denn ab Mai werden wir je nach
Bedarf kurzfristig zu mindestens einer Kundgebung aufrufen. Schaut auf
… unsere Homepage fau-duesseldorf.org
… und unseren Blog vsechs.blogsport.eu
… oder folgt uns auf Twitter: twitter.com/faudsseldorf

Eines ist
klar: This is not the end – only the beginning.

F.T. und
B.R., FAU Düsseldorf