„Eine Stadt ist keine Firma!“

Bericht vom zweiten Sozialen Frauenkongress in Posen, welcher u.a. von unserer polnischen Schwestergewerkschaft »Inicjatywa Pracownicza« initiiert worden ist. Dieser Artikel wurde zuerst veröffentlicht in der Graswurzelrevolution am 30. Januar 2019. Wir haben ihn von der Homepage der Basisgewerkschaft Gesundheit, Technik, Dienstleistung (GTD), Mitglied der Lokalföderation FAU Münsterland

Am 3. März 2018 fand unter dem Slogan „Für höhere Löhne und niedrigere Mieten“ der erste „Soziale Frauenkongress“ (Socjalny Kongres Kobiet/SKK) im westpolnischen Poznań (Posen) statt. Angesichts des Erfolgs und der medialen Aufmerksamkeit, die damit erreicht werden konnte (siehe GWR 429), wurde am 13. Oktober 2018 im Theater des Achten Tages in Posen ein zweiter Kongress organisiert. Initiiert von der polnischen Basisgewerkschaft „Inicjatywa Pracownicza“ (IP/Arbeiter*innen-Initiative), dem Warschauer Mieter*innen-Verein und dem Wielkopolska Mieter*innen-Verein gab es ein Ziel: die Frauen zusammenbringen, um ihnen den Austausch über ihre Probleme und Kämpfe am Arbeitsplatz oder Wohnort, und die Erarbeitung neuer Strategien für soziale Bewegungen zu ermöglichen.

Die IP ist eine polnische Schwestergewerkschaft der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU). Neben der IP haben an dem zweiten „Sozialen Frauenkongress“ auchMieter*innen-Vereine u.a. aus Warschau, Posen und Lodz teilgenommen, sowie Frauenorganisationen, die unter anderem die Sexarbeiter*innen in Polen oder Arbeiter*innen aus der Ukraine unterstützen. Anwesend waren auch feministische Organisationen und Initiativen, die rund um den 8. März Ereignisse organisieren und u.a. für den freien Zugang zur Abtreibung kämpfen, aus Thorn, Breslau und Posen. Es gab andere Arbeiter*innen- und Frauen-Organisationen u.a. aus Krakau, Warschau, Breslau und Thorn. Der Kreis der teilnehmenden Organisationen hat sich seit dem ersten Treffen im März erhöht und diversifiziert. Am Kongress haben sich 100 Personen beteiligt, die 20 unterschiedliche Organisationen und Initiativen aus Polen repräsentierten.

Es ist kein Zufall, dass der zweite Frauenkongress im Oktober stattfand. „Wir haben beschlossen, uns dieses Jahr zum zweiten Mal zu treffen, weil die Kommunalwahlen bevorstehen und wir wollen, dass unsere Forderungen und Konflikte mit den Behörden zu dieser Zeit noch mehr zu hören sind“, sagte eine Kongressteilnehmerin. Zu Beginn des „Sozialen Frauenkongresses“ haben sich die Initiativen präsentiert und über ihre Aktivitäten berichtet. Ihr Engagement in den Graswurzel-Bewegungen – ob in der Basisgewerkschaft, im Mieter*innen-Verein oder bei der informellen Initiative – soll Druck auf die Behörden aufbauen. Dabei haben sie sich auf einen Teil der Forderungen bezogen, die sie während des ersten Kongresses erarbeitet haben. Die Forderungen sollten nun analysiert und mit den Erfahrungen der zahlreichen Organisationen und Initiativen aus unterschiedlichen Städten verglichen werden, „damit die Behörden uns nach den nächsten Wahlen nicht ignorieren können“, meinten die Teilnehmer*innen.

Der Kongress hat nach Möglichkeiten der Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen gesucht und beantwortete dabei die Frage, welche Prioritäten, Prinzipien und Ideen die Frauen haben, um soziale Bewegungen aufzubauen. Neben kleinen Erfolgen in ihren Kämpfen am Arbeits- und Wohnort wurden auch die noch bestehenden Probleme besprochen. Ziel war es anhand der aktuell geführten Arbeitskämpfe Strategien zu erarbeiten, als auch die zukünftige Zusammenarbeit und Verknüpfung von Kämpfen zu planen, die in den unterschiedlichen Städten laufen. Die Teilnehmer*innen haben sich dafür im zweiten Teil des Kongresses in drei Arbeitsgruppen zusammengefunden.

Recht auf Wohnung

Die erste Gruppe hat sich mit den Forderungen bezüglich der Wohnsituation und Problemen der Mieter*innen beschäftigt. Die Aktivist*innen der Mieter*innen-Vereine aus Warschau, Lodz und Posen haben keinen Zweifel, dass der Kampf um bessere Wohnverhältnisse ein Teil des Kampfes um bessere Lebensbedingungen von Frauen ist. Es wurde die Frage gestellt, weshalb es meistens Frauen sind, die sich aktiv an der Mieter*innen-Bewegung beteiligen. Diese Frage diskutierend betonten sie, dass „Frauen zu Hause nicht nur nach der Arbeit ruhen, sondern auch unbezahlte Pflegearbeit leisten. Für Frauen ist ein Zuhause ein zweiter Arbeitsplatz, für den sie auch noch Miete zahlen müssen (die oft den größten Teil des Lohnes frisst). Meistens sind Frauen fürs Putzen verantwortlich (aber auch für das Waschen, Bügeln usw.), was bedeutet, dass sie in kommunalen Wohnungen ohne Zentralheizung giftige Schimmelpilze von den Wänden entfernen, weshalb sie häufiger gefährlichen Krankheiten ausgesetzt sind. Außerdem kümmern sich Frauen häufiger als Männer um die Wohnungsverwaltung, sie beschäftigen sich häufiger mit dem Haushaltsbudget und bezahlen die Rechnungen. […] Daher ist es nicht verwunderlich, dass Frauen gegen schlechte Wohnbedingungen und überhöhte Mieten und Nebenkosten protestieren.“

Die Teilnehmer*innen haben auch festgestellt, dass Frauen häufiger als Männer mit ihren Nachbarn in Kontakt stehen, daher ist es für sie einfacher, im gemeinsamen Kampf um ein Dach über dem Kopf Solidarität aufzubauen. Die aktuellen Konflikte sind nicht vereinzelt, da Frauen in ganz Polen mit ähnlichen Problemen konfrontiert sind. Laut dem Warschauer Mieter*innen-Verein ist die Zahl der bezahlbaren kommunalen Wohnungen dort um 20.000 gesunken. Über zwei Drittel der in Warschau von der Stadt verwalteten Gebäude haben keinen Zugang zu einer Zentralheizung, und die Anschlussrate dieser Häuser beträgt einen Prozent pro Jahr. Durch (Re-)Privatisierung oder Abriss des kommunalen Wohnungsbestands wurden rund 50.000 Menschen gezwungen in kalten, feuchten und pilzbefallenen Wohnungen zu leben mit dem Risiko zu frieren oder zu erkranken.

Eine solche Politik hat Tausende von Haushalten in die Verschuldung geführt, die sich aus den hohen Kosten für elektrisches Heizen ergibt. Darüber hinaus breitet sich die Tuberkulose unter den Bewohner*innen von schlecht geheizten Gebäuden aus. Die Behörden sagen, dass sie keine besseren Wohnungen haben, um die Menschen zu evakuieren. In solchen Bezirken wie dem Süden Prags [Stadtteil von Warschau – M.K.] sind weniger als zwei von hundert Gebäuden im guten Zustand, und die Stadtverwaltung hat seit zehn Jahren keine einzige neue Wohnung mehr gebaut. Die Elite verurteilt uns zu einer Krise, für die wir mit unserer eigenen Gesundheit bezahlen“, betonten die Aktivist*innen aus Warschau. Statt sich auf Wahlen zu konzentrieren, sollte man sich deshalb besser gemeinsam an Arbeitsplätzen und in Stadtteilen organisieren um „wieder Einfluss auf unser Leben, das von Politik und Wirtschaft immer noch zerstört wird, zu gewinnen“.

Während des Treffens wurde beschlossen einige Aktivitäten auf Städte-Ebene zu koordinieren. Die Mieter*innen-Vereine aus Warschau und Posen/Wielkopolska kooperieren bereits miteinander und wollen eine engere Verbindung zwischen den Mieter*innen und ihren Vereinen, insbesondere aus Lodz, Breslau und Lublin aufbauen. Durch Entwicklung gemeinsamer Forderungen streben sie die Stärkung der Aktivitäten an. Sie fordern einen allgemeinen Zugang zu kommunalen Wohnungen durch Erweiterung des Wohnungsbestandes und eine Änderung der Einkommens- und Größenkriterien bei der Wohnungsvergabe. Diese Wohnungen sollen bezahlbar, mit Zentralheizung und den Bedürfnissen der Menschen, z.B. mit Behinderungen, angepasst sein.

Die Wohnungen sollen für alle Bedürftigen zugänglich gemacht werden, so dass sie „unser Recht wäre, und kein Privileg oder ‚Wahlversprechen‘. Spekulationen auf dem Immobilien- und Baumarkt führten zusammen mit dem Druck des Bankensektors zu einem starken Anstieg der Baupreise und der Mietpreise von Wohnungen. Tausende Haushalte müssen sich mit Mietverschuldung, Aussiedlungen, Zwangsräumungen usw. auseinandersetzen. Wir sind daher für eine bessere Zugänglichkeit des kommunalen Wohnbestands, für die Entwicklung des kommunalen (einschließlich sozialen) Wohnungsbaus, für die Abschaffung der Mietverschuldung und für die Änderung der Kriterien für die Zuweisung von kommunalen Wohnungen. […] Wir setzen uns auch gegen die Privatisierung des kommunalen Wohnungsbestands ein.“ Darüber hinaus kämpfen die Aktivist*innen um Heizungssubventionen, bis sie alle an das Zentralheizungssystem angeschlossen sind, das die günstigste Heizmethode ist. Dadurch könnten die Verschuldungen und die Krankheiten vermieden werden.

Um die Koordination auf der städtischen Ebene durchzuführen, soll eine gemeinsame Broschüre veröffentlicht werden. Inhalt soll u.a. die Entwicklung des kommunalen/sozialen Wohnungsbestandes in einer bestimmten Stadt (Anzahl und Zustand der Wohnungen, Hauptprobleme) sein. Dazu soll der Schwerpunkt der Broschüre auf dem Kampf um bessere Wohnungen als Grundlage der Verbesserung des Lebens von Frauen liegen. Dabei war auch die Rede von der Erstellung eines Modellprojekts zur gesetzlichen Änderung der Wohnungspolitik auf städtischer Ebene. Das Projekt würde vor allem die Umsetzung der Forderung über den allgemeinen Wohnungszugang auf der juristischen Ebene ermöglichen. Der Beschlussentwurf sollte auch rechtliche Grundlage für die Einführung eines städtischen Wohnschutzsystems für Frauen enthalten, die Opfer von Gewalt sind. In gewalttätigen Beziehungen ist es oft die Frau, die gezwungen ist, ihre Wohnung mit ihren Kindern zu verlassen. In solchen Situationen würde es diese Möglichkeit erlauben, eine Wohnung günstig zu mieten, um unabhängig zu leben.

Sozial unnütz?

In der zweiten Gruppe wurden die Forderungen von Arbeiter*innen im öffentlichen Dienst besprochen. Dabei wurden die Besonderheiten des öffentlichen Sektors und die daraus resultierenden Konsequenzen für die Selbstorganisierungsversuche besprochen. Die Teilnehmer*innen sagten, dass „die Lohnhöhe im öffentlichen Sektor entweder von der Leitung der Einrichtungen oder den Zentral- und Kommunalverwaltungen abhängt […] Trotz der Tatsache, dass sich die wirtschaftliche Situation verbessert hat, rechtfertigen seit zehn Jahren die lokalen und zentralen Behörden die Einschränkungen und die Marginalisierung im öffentlichen Sektor mit der Finanzkrise. Die feminisierten Berufe im Bereich Pflege, Krankenhaus, Bildung, Kultur usw. werden von Politiker*innen ausnahmslos als unnötiger Ballast behandelt. Wir müssen uns weiterhin gegen die konservativ-liberale Politik stellen, die unsere Arbeit nur als Kosten anerkennt. Andererseits erlaubt die gleiche Politik Steuerbefreiungen für Unternehmen und definiert sie dabei als Investitionen, was aus unserer Sicht das Abfangen öffentlicher Gelder durch Unternehmen bedeutet.“

In Posen hat sich nach den Protesten der letzten Jahren die Situation der Arbeiter*innen der städtischen Kinderkrippen, Krankenhäuser und kulturellen Einrichtungen wie dem Theater nicht geändert – sie haben die versprochenen Lohnerhöhungen immer noch nicht bekommen. „Der amtierende Bürgermeister von Posen versprach im vorangegangenen Wahlkampf Lohnerhöhungen für Kinderkrippen und andere städtische Einrichtungen. Nachdem er an die Macht gekommen ist, kämpfte er zwei Jahre mit den Gewerkschaften, um diese Lohnerhöhungen auf ein Minimum zu begrenzen. Schließlich erklärte er eine Erhöhung von brutto 700 PLN [ca. 175 Euro – M.K.] innerhalb von drei Jahren. Er hat sein Versprechen nicht gehalten. In diesem Jahr werden die städtischen Behörden das Problem der Mindestlöhne in Kinderkrippen unter den Teppich kehren. Im Gegensatz zu seinen Äußerungen über die Notwendigkeit der Gleichstellung von Frauen unternimmt Jacek Jaśkowiak [der Bürgermeister von Posen – M.K.] viel, um sicherzustellen, dass die Angestellten der Kinderkrippen in Posen niemals wirtschaftlich gleichberechtigt sind“, betonten die Erzieher*innen aus den städtischen Kinderkrippen in Posen.

Das Budget der Stadt sei nicht nur eine Gewinn- und Verlustrechnung und es sei von politischen Entscheidungen abhängig. „Die derzeitigen Behörden haben in den letzten vier Jahren nichts unternommen, um die Situation von feminisierten und niedrig bezahlten Berufen, durch die öffentliche Einrichtungen funktionieren können, zu verbessern. Das tatsächliche Problem ist nicht das zu geringe Stadtbudget, sondern die ungleiche Verteilung der Mittel – die hohen Gehälter und Prämien für Beamte, niedrige Löhne und Kürzungen für die öffentlichen Angestellten. Ohne die Änderung von Regeln zur Aufteilung der öffentlichen Finanzen, werden die Politiker*innen uns immer marginalisieren.“ Als Beispiele wurden hier die Situation der Kindergartenarbeiter*innen aus Belchatow und die Angestellten der Krankenhäuser aus Posen genannt. Seit 2009 wurden die nichtmedizinischen Fachkräfte im Krankenhaus der „Verklärung des Herrn“ in Posen bei systemischen Lohnerhöhungen ausgelassen. Aus diesem Grund sinken ihre Reallöhne.

Ein weiteres wichtiges Problem besteht darin, dass die Personen, die im öffentlichen Dienst eingestellt sind, systematisch unterteilt werden, in Gruppen, die höhere Löhne erhalten, und solche, die Hungerlöhne bekommen. In Krankenhäusern „ist das Lohngefälle zwischen der Stationshilfe, dem Verwaltungsangestellten, der Krankenschwester und dem Arzt enorm und nimmt ständig zu. Während einige im Monat Zehntausende von Zloty verdienen, müssen andere eine Ausgleichszulage ausbezahlt bekommen, da sie das Mindestlohnniveau nicht erreichen“ betonten die Arbeiter*innen des Krankenhauses. Solche Lohnunterschiede werden durch Gesetze, beispielsweise durch das kürzlich eingeführte Gesetz über medizinische Angestellte, formalisiert. Auf diese Weise wird die Solidarität zwischen den einzelnen Berufsgruppen durchgebrochen und die Hierarchien zwischen ihnen aufrechterhalten. Anstatt sich nur auf die Lohndifferenz zwischen Frauen und Männern zu konzentrieren, sollten insbesondere Ungleichheiten zwischen den einzelnen Berufsgruppen beseitigt werden. Innerhalb der sogenannten feminisierten Berufe sind die Lohnunterschiede gering, während sie zwischen den Branchen selbst häufig bedeutende Ausmaße annehmen.

Während der Diskussion wurde beschlossen die Erfahrungen der an der Diskussion teilnehmenden Arbeiter*innen-Gruppen ebenfalls in einer gemeinsamen Broschüre zu veröffentlichen.

Wie kann man also um bessere Arbeits- und Lebensbedingungen kämpfen? Um diese Frage zu beantworten wurden Beispiele der erfolgreichen Öffentlichkeitsarbeit gegeben. Dabei wurde die Wirkung von Informationskampagnen, Protesten und Streiks besprochen, die dem Image der öffentlichen Einrichtungen schaden können und dadurch Druck ausüben. Im Laufe der Proteste, Kampagnen und Streiks lohnt es sich auch Maßnahmen zu ergreifen, um die Unterstützung der lokalen Einwohner*innen z.B. des Stadtteils zu erhalten. Letztendlich sind sie es, die unter schlechten Arbeitsbedingungen, einem Leben in Armut und der Überforderung der Beschäftigten im öffentlichen Sektor leiden.

Schlechte Arbeitsbedingungen im öffentlichen Sektor bedeuten schlechte Lebensbedingungen in der Stadt, und die Verantwortung für diese Situation liegt bei der Geschäftsleitung und den Behörden. Darüber hinaus möchten wir uns bei der Erstellung unserer Forderungen nicht von deren Nützlichkeit für die Unternehmen leiten lassen und davon, ob ihre Umsetzung die Produktivität steigern wird. Wir kämpfen darum, unser Leben für uns und unsere Angehörigen zurückzugewinnen, Zeit für unsere eigenen Leidenschaften, Freunde und Familie zu haben. Unsere Aufgabe besteht nicht darin, die Geschäftstätigkeit zu verbessern und den Gewinn zu steigern. […] Was wir als sozial nützlich erachten, muss dem Geschäft keinen Gewinn bringen.“

Im Kampf für bessere Arbeitsbedingungen und Entlohnung darf man nicht vergessen, dass kein Unternehmen ohne Arbeiter*innen funktionieren kann. Es wurden mehrere Beispiele für die Verlangsamung und Verweigerung der Arbeit gegeben, die das Management zwang einige Probleme zu lösen. Dazu gehörte die Verweigerung von Arbeit, die außerhalb des Aufgabenbereichs liegt; oder Arbeit unter Einhaltung von Gesundheits- und Sicherheitsvorschriften, also Arbeit nach Vorschrift. Diese Aktivitäten lenken einerseits die Aufmerksamkeit auf den Personalmangel und die Überlastung der Arbeitskräfte und andererseits zwingen sie die Arbeiter*innen nicht dazu, erniedrigende Gespräche mit der Geschäftsleitung zu führen.

Während des Treffens wurden auch die Strategien diskutiert, die zur Tarifauseinandersetzung führen sollen.

In eigener Sache

In der dritten Gruppe wurden Forderungen im Zusammenhang mit der Arbeitsorganisation besprochen. An der Diskussion nahmen Mitglieder der Arbeiter*innen-Initiative teil, die u.a. bei Amazon, Volkswagen oder Nichtregierungsorganisationen (NGO) arbeiten. Dabei war auch eine Vertreterin der Koalition, die Sexarbeiter*innen vereint, sowie die Personen, die Pflegekräfte in Altenheimen unterstützen.

Am Anfang wurde über die Verknüpfung der Lohn-, Vollzeit- oder prekären Arbeit mit Reproduktionsarbeit geredet. Viele Forderungen, die sich scheinbar nur auf die Lohnarbeit beziehen, wie Gehaltsabrechnung (Gehaltserhöhung) oder die Arbeitsorganisation (Recht auf Pause und Erholung, Einfluss auf das Arbeitstempo), hängen jedoch direkt mit der Reproduktionsarbeit, die meist Frauen verrichten, zusammen. Zum Beispiel fordern sie höhere Löhne, um keine Überstunden leisten zu müssen, und stattdessen diese Zeit mit der Familie verbringen zu können. Sie fordern Pausen, Erholung am Arbeitsplatz, freie Wochenenden und ein geringeres Arbeitstempo, damit sie sich nach der Arbeit um ihre Angehörigen kümmern können – und um sich selbst außerhalb des Lohnarbeitsregimes verwirklichen zu können.

Es geht ihnen nicht nur um die körperliche Erschöpfung, die am Beispiel von Amazon oder Volkswagen ausführlich erörtert wurde, sondern auch um den psychischen Druck, der durch ständige Kontrolle der Arbeitsnormen ausgeübt wird. Dazu kommen Mobbing und die daraus resultierenden psychologische Gesundheitsprobleme, so wurden z.B. der Einsatz von Gewalt in Stiftungen und Organisationen beschrieben. Es wird von den Arbeiter*innen in NGOs verlangt sich für die Mission „zum Opfer zu bringen“, da ein hohes Arbeitstempo besteht, das durch Fristen bei Projekten durch finanzielle Zuschüsse verursacht wird. Eine Antwort könnte der Aufbau einer Gewerkschaft als Unterstützungsnetzwerk sein, um die Arbeitsbedingungen zu beeinflussen. Auch kam die Idee auf, die Gewerkschaftsmitglieder als Kontrollinstanz in die Stiftungsräte aufzunehmen.

Im Dienstleistungssektor, d.h. in der NGO, in der Pflege- oder in der Sexarbeit, besteht das Hauptproblem darin, dass fehlende Arbeitsverträge durch Werkverträge oder Schwarzarbeit ersetzt werden. Die öffentliche Skandalisierung der Ersetzung von Arbeitsverträgen durch Werkverträge kann Erfolge erzielen. Es hat sich schon u.a. in Warschau bewiesen, wo sich mehr und mehr Organisationen von den Werkverträgen zurückziehen.

Im Bereich der Sexarbeit besteht der erste Schritt darin, sie als Lohnarbeit anzuerkennen und nicht zu kriminalisieren, wodurch die Anerkennung des Rechts auf Gesundheitsfürsorge erfolgen würde.

Auch die Arbeiter*innen der Altenheime haben Probleme mit Arbeitsverträgen: manchmal haben mehr als die Hälfte der Pfleger*innen einen Werkvertrag, aber sie möchten keine festen Arbeitsverträge annehmen, weil sie sonst keine Überstunden machen können, da ihr Gehalt nicht für den Lebensunterhalt reicht. Infolgedessen arbeiten sie mit den Werkverträgen 200 bis 230 Stunden pro Monat in 24- oder sogar 32-Stunden-Schichten, was zu gesundheitlichen Problemen führt. Einige schlafen am Arbeitsplatz, um zu sparen. Ihre Arbeit wird streng kontrolliert, die Erbringung jeder Pflegeaktivität muss mit einem Barcodeleser bestätigt werden.

Die Teilnehmer*innen sprachen auch über die Instrumente ihres Handelns, des Widerstands und ihrer Selbstorganisation. Das Spektrum reicht von informellen, etwa der Weigerung, sich an die arbeiterfeindlichen Arbeitsanforderungen anzupassen (gemeinsame Pausen, Arbeitsverlangsamung), bis hin zu formellen Methoden: Tarifauseinandersetzung, Gerichtsverfahren, Zusammenarbeit mit den Institutionen zur Verteidigung der Arbeitnehmer*innenrechte (Arbeitsaufsichtsbehörde, Bauaufsicht usw.) und Rechtsberatung.

Im Pflegebereich besteht eine gute Strategie darin, Solidarität mit den Leistungsempfänger*innen (z.B. Patient*innen und deren Angehörigen) aufzubauen, um die Geschäftsleitung unter Druck zu setzen. Dabei wurde die Einbeziehung von Medien diskutiert. Einerseits ist es aufgrund der Imagepflege von Unternehmen oft von Vorteil, Medienkampagnen durchzuführen, andererseits führte die Medienarbeit im Fall der Pfleger*innen zu Beschwerden seitens der Angehörigen von Patient*innen über die Pfleger*innen.

Die Arbeiter*innen bei Volkswagen, die bei der IP organisiert sind, haben den Fragebogen ausgewertet, den sie bei der Belegschaft verteilt hatten. Er wird als ein Werkzeug betrachtet, um Forderungen zu formulieren und damit Druck auszuüben, z.B. im Fall der Einführung einer zusätzlichen Wochenendschicht (siehe GWR 424). Die Umfrage führte zur Sichtbarkeit der Gewerkschaft, gab den Arbeiter*innen eine Stimme in eigener Sache und die Möglichkeit Verbesserungen am Arbeitsplatz zu fordern.

Berichte beim „Sozialen Frauenkongress“ zeigen, dass sich teilweise etwas ändert, obwohl es eher Einzelfälle sind, als das Zeichen einer systemischen Änderung. So verbessern die lokalen Behörden immer noch nicht die Situation von Frauen. Das Problem sei nicht der Mangel an Geldern, sondern die Art, wie diese verteilt würden. Zu niedrige Löhne in den städtischen Einrichtungen würden aus der Festlegung spezifischer politischer Prioritäten und nicht aus einem vorgeschobenen „knappen Budget“ resultieren. Die Ausgaben für soziale Wohlfahrt, kommunale Dienstleistungen oder Kultur brächten der Wirtschaft keine große Gewinne, in der Regel würden sie als Verlust betrachtet und ihre Unterdeckung sei die Norm. Andererseits ermögliche der Bau von Prestige-Projekten die Überweisung von Millionenbeträgen in private Taschen. Daher würden diese Ausgaben als „Entwicklungsinvestitionen“ bezeichnet. Um die Transparenz der Finanzen der Stadt zu ermöglichen, wird die Erhöhung der sozialen Kontrolle über die Finanzen und Aktivitäten der lokalen Regierung gefordert.

Die Teilnehmer*innen des Kongresses fassen die Lage so zusammen, dass „seit den ersten freien Wahlen 1989 keine politische Macht in Polen die Interessen der Arbeiter*innen vertreten hat, ganz zu schweigen von den Interessen der arbeitenden Frauen. Politische Parteien auf nationaler und lokaler Regierungsebene dienen der Wirtschaft. Auf diese Weise wird einem bedeutenden Teil der Gesellschaft der Einfluss auf die Bedingungen seiner Arbeit und seines Lebens entzogen.

Die Stadtbehörden verhalten sich so, als würden sie private Unternehmen führen. Sie streben nach maximalem Gewinn durch Kostensenkung. Diese Kosten sind die Bedürfnisse von Arbeiter*innen. Sie werden begrenzt durch niedrige Löhne, schwierige Arbeitsbedingungen und eine Verringerung der sozialen Sicherheit. Niedrige Löhne zwingen uns, im öffentlichen Dienst oder in privaten Unternehmen hart zu arbeiten, und die mangelnde soziale Sicherheit zwingt uns, im Haushalt für umsonst zu arbeiten.

Der Gewinn sind alles Güter, die außerhalb unserer Kontrolle liegen: hohe Löhne von Politikern und Managern, Banketts und Limousinen für die Wenigen, Infrastruktur hauptsächlich für Unternehmen, Stadien statt Wohnungen, Denkmäler statt pränatale Untersuchungen. Die Höhe der Löhne entspricht nicht dem Wert unserer Arbeit, und die Minderheit, die von unseren schlecht bezahlten Jobs profitiert, sagt uns, dass dies der freie Markt und die Demokratie sind. Solange die Demokratie die Zunahme sozialer Ungleichheiten und Ungleichheiten zwischen Frauen und Männern zulässt, wird keine Wahl die Situation der Arbeiter*innen verbessern. Ein anschauliches Beispiel dafür ist die Bürgermeisterin von Warschau. Trotz der Tatsache, dass diese Millionenstadt von einer Frau regiert wird, raubt ihre Reprivatisierungspolitik Tausenden Mieter*innen das Dach über dem Kopf. Die Zunahme von Frauen an der Macht wird unsere Probleme nicht lösen, wenn diese von unserer Realität an den Arbeitsplätzen oder in den mit Schimmelpilz befallenen Wohnungen entfernt sind. Frauen, die täglich um höhere Löhne und niedrigere Mieten kämpfen, brauchen nicht noch solche Politikerinnen, die unsere Interessen nicht vertreten können.“

[ssba]