Interview zur 1. Libertären Medienmesse

ImageVom 3. bis 5. September 2010 wird wird in Oberhausen, im Westen des Ruhrgebiets die 1. Libertäre Medienmesse (Limesse) stattfinden. Mehr als 40 Verlage, Radios, Web-Projekte und andere MedienproduzentInnen aus der BRD, Österreich, der Schweiz, Spanien und Großbritannien haben sich bereits zur Messe angemeldet. Im Rahmen der Messe werden mehrere Dutzend Lesungen und Projektvorstellungen, sowie ein Konzert von „Anarchist Academy“ stattfinden. Wir haben Anna, Paula und Kalle aus der Vorbereitungsgruppe gebeten, uns in einem Interview mehr über die 1. Libertäre Medienmesse zu erzählen.

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(Otto ?) Hartwig (* – † )

Halle, KAPD/AAUD; später um 1926-1932 FAUD?

Quelle: Clemens Klockner (Hrsg.), Protokoll des außerordentlichen Parteitages der Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands vom 11. bis 14.9.1921 in Berlin, Verlag für wissenschaftliche Publikationen, Darmstadt 1986, Anmerkung 214, S. 70; Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus, Libertad Verlag, Berlin/Köln, 1994, S. 297.

Wilhelm Buchholz (* 1887 – † 1984)

Bremen, SPD, Nov. 1918 IKD, Mitglied des Arbeiter- und
Soldatenrats in Bremen, Dez. 1918; KPD, KAPD/AAU; später FAUD Agitations-kommission, 1924.

Quellen: Peter Kuckuk, Revolution und Räterepublik in Bremen, Suhrkamp Verlag, Frankfurt/Main, 1969; Helge Döhring: Frei die Stadt! Bremens syndikalistischer Stadfürher : https://syndikalismusforschung.files.wordpress.com/2012/05/syfo-guide-bremen.pdf.

Rudolf Zimmer (* ? – † ?)

Berlin, AAU, danach AAUE, FAUD, Hauptkassierer der Gemeinschaft proletarischer Freidenker (GpF). Zur 2. Reichskonferenz der Allgemeinen Arbeiter-Union definiert er die AAU, „Kampforganisation des Proletariats“, „antiautoritären Charakters“, als „eine Abkehr von allen überlieferten Organisationsformen“. Das Wesen der AAU wäre „eine durchgreifende Revolutionierung der Gehirne“ auf jedem Schritt der Weltrevolution:
„Da die AAU der beginnenden Selbstbewusstseinsentwicklung ihre Existenz verdankt, kann sich ihr Kampf nur auf das proletarische, antikapitalistische und antinationale Klasseninteresse der Arbeiter der Welt einstellen und muss mit aller Schärfe gegen alle ganz gleich wie gearteten Tendenzen opportunistischer und reformistischer Färbung vorgehen… Ist in der AAU verkörpert die proletarische
Organisationsform, die ihren Niederschlag findet im Rätesystem“.
In 1924, AAUE-Mitglied geworden, beklagt er den Misserfolg einer „Einheitsfront wenigstens zwischen der FKAD (Föderation Kommunistischer Anarchisten Deutschlands) und den syndikalistischen Unionen der FAUD und AAUE“.

Quellen: Bundes-Archiv Lichterfelde, RY 1/ I/5/4/1; R.Z.: „Kongress-Bericht: Zur 2. Reichskonferenz der Allgemeinen Arbeiter-Union“, Die
Aktion , Berlin 1920, S. 297-299; „Die Rolle der Organisation in der proletarischen Revolution“, Die Aktion Nr. 33/34, 20. August 1921; S.
478-480; „Drei Jahre AAUE“, Die Aktion Nr. 11, 15. Juni 1924, S. 314-318; „Das Gebot der Stunde“, Der freie Arbeiter Nr. XVII, Berlin 1924;
Hartmut Rübner, Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus, Libertad
Verlag, Berlin/Köln, 1994, S. 247, 251

Hermann Rüggebrecht (* 1904 – † ?)

Berlin, Gießereiarbeiter, seit 1919 Freidenkerbewegung;
um 1922-1933 FAUD; nach 1945, KPD/SED, GIS/SWV; Ende der 50. Jahre Mitglied der Anarchistischen Vereinigung um Rudolf Oestreich; Anfang der 60. Jahre kurzeitig Herausgeber der Befreiung, Mühlheim.

Quelle: Michael Kubina, Von Utopie, Widerstand und Kaltem Krieg. Das unzeitgemäße Leben des Berliner Rätekommunisten Alfred Weiland
(1906-1978), LIT Verlag, 2000, S. 207.

Karl Roche alias Diogenes (* 31. Oktober 1862 – † 1. Januar 1931)

1887 SPD. Roches erste größere Publikation für die AAU ist Anfang 1920 die Schrift Demokratie oder Proletarische Diktatur! Ein Weckruf der Allgemeinen Arbeiter-Union, Ortsgruppe Hamburg, [Hamburg] 1920. Er publiziert regelmäßig in der Tageszeitung der Hamburger KPD (seit April 1920 der KAPD), der Kommunistischen
Arbeiter-Zeitung, und ist als Referent bei Veranstaltungen für Partei und Union vor allem im norddeutschen Raum aktiv. Seit März ist er Redakteur der KAZ-Rubrik „Arbeiter-Union“.
Roche tritt auf der 1. Reichskonferenz der AAU im Februar 1920 erfolgreich den Versuchen der Bremer KPD-Opposition (Karl Becker) entgegen, die Union zu einer wirtschaftlichen Hilfsorganisation der Partei zu machen. Das erste, sehr föderalistische Programm der AAU, angenommen auf der 2. Reichskonferenz im Mai 1920, trägt wesentlich Roches Handschrift.
Da die Bremer Opposition um Becker und Paul Frölich sich nicht an der Gründung der KAPD beteiligt, verlagert sich das Zentrum der Unionisten nach Hamburg.
Als Vorsitzender der Pressekommission ist Roche Herausgeber der seit 1920 in Hamburg erscheinenden AAU-Zeitung des „Wirtschaftsbezirkes Wasserkante“, Der Unionist, und einer
der Redakteure.
In der zweiten Hälfte des Jahres 1920 nimmt in der AAU der Einfluß der KAPD zu. Die Richtung, die den Dualismus von Partei und Union zugunsten der Union überwinden will und die ökonomisch-politische Einheitsorganisation vertritt, gerät in die Defensive. Auf der 3. Reichskonferenz der AAU im Dezember 1920 in Berlin (an der Roche teilnimmt) zeichnet sich ab, daß es keine Mehrheit für das Konzept der Einheitsorganisation gibt. Noch im selben Monat schließen die ostsächsischen Unionisten die KAPD-Mitglieder aus, Hamburg folgt Ende Mai 1921.
Roche faßt die Position der Opposition noch einmal in der Schrift Die Allgemeine Arbeiter Union, Hamburg [1921]; Pressekommission der AAU Groß-Hamburg) zusammen. Nach März 1921 („Märzaktion“) wird Roche als Vorsitzender der Pressekommission des Unionist im April 1921 zu einem Jahr Festungshaft verurteilt, der Drucker des Unionist zu 15 Monaten. Roche kommt allerdings spätestens im November des Jahres wieder frei. Aber kann er deshalb nicht an der 4. Reichskonferenz der AAU (wiederum in Berlin) teilnehmen, auf der das von der KAPD favorisierte dualistische Modell Union (als ‚Massenorganisation‘) und Partei (als theoretisch führender Kader) die Mehrheit gewinnt. Außerdem wird der föderalistische Aufbau der Union zugunsten eines zentralistischen Modells aufgegeben. Die Opposition innerhalb der AAU gründet darauf im Oktober 1921 die »Allgemeine Arbeiter-Union Deutschlands (Einheitsorganisation)«.
Die AAUE in Hamburg bricht während der Illegalität (1923) faktisch zusammen. Roche wechselt zur Föderation Kommunistischer Anarchisten Deutschlands, um spätestens im Juli 1924 in der FAUD aktiv zu werden.
Roche gehört zu den Initiatoren vom Block antiautoritärer Revolutionäre in Norddeutschland.
Er schreibt regelmäßig für das FAUD-Organ Der Syndikalist, außerdem für die seit 1927 erscheinende theoretische Zeitschrift Die Internationale und andere syndikalistische Publikationen. In seiner letzten größeren Veröffentlichung, dem 1929 als Artikelserie in Der
Syndikalist erschienenen „Handbuch des Syndikalismus“ faßt er nochmal sein politisches Credo zusammen.
Er starb am 1. Januar 1931

Quellen: Hartmut Rübner, Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus,
Libertad Verlag, Berlin/Köln, 1994, S. 35; Folkert Mohrhof & Jonnie Schlichting, Archiv Roche– Regionales Archiv zur Dokumentation des
antiautoritären Sozialismus (RADAS), Hamburg, Okt. 2012: https://archivkarlroche.wordpress.com/

 

 

Wer war Karl Roche? Eine politisch-biographische Skizze zu seinem 150. Geburtstag

31. Oktober 1862 – 1. Januar 1931

Vorbemerkung

Wir legen mit diesem Text eine erweiterte und überarbeitete Fassung unserer bisherigen Forschungen zur Biographie Karl Roches vor. Er hat immer noch den Charakter einer vorläufigen Skizze. Obwohl bei weitem nicht vollständig, konnten wir doch wieder Lücken schließen und wohl jetzt definitiv Fehlinformationen korrigieren, die sich vor allem in der älteren Literatur finden und meist die Zeit bis zum Ende des Ersten Weltkrieges im Jahre 1918 betreffen. [1]

Als ‘Barfuß-Historiker’, ohne akademische Institutionen (und deren finanzielle Mittel) in der Hinterhand, sind wir selbstverständlich immer etwas eingeschränkt in unseren Forschungen, da wir beispielsweise alle Recherchen aus der eigenen Tasche finanzieren müssen (von dem Zeitaufwand ganz zu schweigen). Deshalb sind wir den uns nahestehenden Personen und Einrichtungen, die in der Regel wie wir ihre Forschungen für ‘Gottes Lohn’ betreiben, für ihre Unterstützung, ihr großzügig geteiltes Wissen – und ihren nicht minder großzügig geteilten Materialfundus – besonders verbunden. Nennen möchten wir vor allem Frank Potts (Berlin und Amsterdam), der mit seinen Archivrecherchen manches Loch zu schließen half; weiter das Institut für Syndikalismus-Forschung, und dort besonders Helge Döhring, der mit Material, Rat und Tat und konstruktiver Kritik nicht geizte. Schließlich geht unser Dank an die Kolleginnen und Kollegen in den Stadt- und Staatsarchiven und Universitäts-Bibliotheken in Bochum, Hamburg, Bremen, der Ernst-Thälmann-Gedenkstätte Hamburg, der Forschungsstelle für Zeitgeschichte Hamburg und, last but not least, dem Internationaal Instituut voor Sociale Geschiedenis (IISG) in Amsterdam.

Folkert Mohrhof, Jonnie Schlichting

Archiv Karl Roche – Regionales Archiv zur Dokumentation des antiautoritären Sozialismus (RADAS) – Hamburg im Oktober 2012

Karl Roche

Johann Friedrich Carl [2] Roche: Geboren am 31. 10. 1862 in Königsberg/Ostpreußen – gestorben am 1. 1. 1931 in Hamburg. Er war verheiratet mit Emma Auguste, geb. Lange, geboren am 22. 8. 1864 in Thorn/Ostpreußen. Sie hatten miteinander wenigstens 2 Kinder [3]. Seine Eltern sind Christian Roche und Dorotea, geb. Böhm [4].

Nach Absolvierung der Volksschule [5] schlägt sich Roche mehrere Jahre als Wanderarbeiter (wohl hauptsächlich in der Landwirtschaft [6] durch. In diesem Zusammenhang wird er mehrfach »wegen Landstreichens und Bettelns« zu Gefängnis und Zwangsarbeit in kommunalen Arbeitshäusern (»Überweisung«) verurteilt.[7]

Im Jahre 1887 oder 1888 – noch während des »Sozialisten-Gesetzes« – tritt Roche der illegalen sozialdemokratischen Partei bei [8]. Roche muß keinen Militärdienst leisten, da er sein linkes Auge verloren hat [9]. 1891 wird er in der von der »Generalkommission der Gewerkschaften Deutschlands« geführten Gewerkschaftsbewegung aktiv [10], zuerst im »Verband der Fabrik-, Land- und gewerblichen Hülfsarbeiter Deutschlands« [11], für den er als Agitator hauptsächlich im Hamburger Umland tätig ist. In dieser Zeit wird Roche zweimal zu mehrmonatigen Haftstrafen wegen »Beleidigung« bzw. »Majestätsbeleidigung« verurteilt [12]. Im Jahre 1897 erfolgt der Übertritt zum »Verband der Bau-, Erd- und gewerblichen Hülfsarbeiter Deutschlands« [13], auch hier ist er bis Anfang 1902 vor allem im Bereich Groß-Hamburg und in Schleswig-Holstein als Agitator sowie literarisch (Artikel im Verbandsorgan Der Arbeiter) aktiv [14] – was ihm wegen »öffentlicher Beleidigung« eine vierzehntägige Haftstrafe einbringt [15].

Im April 1902 geht Roche nach Elberfeld-Barmen (Wuppertal)[16], wo er 1905 vom »Verband« als Gauleiter für Rheinland-Westfalen angestellt wird [17]. Anfang 1906 übersiedelt er nach Bochum/Westfalen, wo er als »Lokalangestellter« (Zweigstellenleiter) tätig ist [18], bis er ab dem 2. Mai 1907 wieder nach Hamburg kommt, um als »Bürohilfsarbeiter« beim Hauptvorstand des »Verbandes« zu arbeiten.[19] Anläßlich seines Umzugs nach Hamburg 1907 stellt die Polizeiverwaltung der Stadt Bochum Roche das Qualitätszeugnis aus, er sei »in der sozialdemokratischen Partei wie in der freigewerkschaftlichen Arbeiter-Bewegung in schärfster und gehässigster Weise tätig« gewesen [20], was sich u. a. in zwei Geldstrafen »wegen öffentlicher Beleidigung eines Polizeibeamten« niederschlug.

Für den Hauptvorstand verfaßt Roche drei größere Untersuchungen, ohne daß seine Autorenschaft gewürdigt, geschweige denn genannt wird [21]. Die ausgesprochen schlechte Behandlung der angestellten ‘niederen Chargen’ durch die Vorstandsmitglieder und der ungehobelte Umgangston mit ihnen erinnert an ostpreußische Gutsbesitzer, nicht an Kollegen und Genossen, die die Befreiung der arbeitenden Klassen auf ihre Fahnen geschrieben haben. Roche kommen erste Zweifel: »Als ich drei Monate im Büro war, wusste ich, diese Menschen predigten öffentlich das lautere Wasser der Nächstenliebe, Selbstlosigkeit und Solidarität und berauschten sich heimlich am toll machenden Wein niedrigster Herrschsucht.« [22] Eine weitere Merkwürdigkeit sind die Geschäfte des Genossen Albert Töpfer [23], der als stellvertretender Verbands-Vorsitzender und Redakteur des Bauhilfsarbeiters ein Jahresgehalt von 2.600 Mark erhält (und insgesamt ein Jahreseinkommen von 5.000 Mark versteuert), Besitzer von mehreren Mietshäusern mit insgesamt 60 Wohnungen ist, die mit 270.000 Mark Hypotheken belastet sind [24]. (Einer von Töpfers Mietern ist übrigens Karl Roche samt Familie.)

Am 19. 4. 1909 wird Roche wegen seiner verbandsöffentlich geäußerten Kritik am Hauptvorstand (darunter Unterschlagungen von Mitgliedsbeiträgen durch den Hauptkassierer) schließlich fristlos gefeuert [25]; der Hauptvorstandskollege und Redakteur des Verbandsorgans Albert Töpfer kündigt ihm zum 1. Mai 1909 die Wohnung26. Roche zieht mit seiner Familie in das Hamburger Umland, ins ländliche Osdorf27 im Kreis Pinneberg in der preußischen Provinz Schleswig-Holstein.

Da die Hamburger SPD Roche die Gelegenheit verweigert, im Parteiorgan Hamburger Echo zum Rausschmiß Stellung nehmen zu können, verläßt er nach 22 Jahren die Partei [28] und tritt zur lokalistischen »Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften« [29] über. Im Verlag der FVdG erscheint noch im selben Jahr der Bericht über seine ‘Abenteuer’ beim Hauptvorstand des »Zentralverband der Bauhülfsarbeiter Deutschlands« unter dem Titel »Aus dem roten Sumpf«. [30]

Diese Veröffentlichung schlägt in die heile Welt der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung wie eine Bombe ein – und entfesselt entsprechende Reaktionen. Töpfer bezeichnet Roche im Bau-Hilfsarbeiter als jemanden, der »krankhafter Natur« und ein »Demagoge im schlimmsten Sinne des Wortes« sei [31]. Das Hamburger Echo wirft Roche am 15.8.1909 vor, der »kapitalistischen Presse« ein gefundenes Fressen vorgesetzt zu haben, weil er dem Rat, seine Vorwürfe auf den Instanzenweg der Arbeiterbewegung zu geben, nicht folgte, um seinem »gepreßtem Herzen« Luft zu machen: »Daß Roche diesem Rat nicht folgte, sondern sich als Richter in seiner eigenen Angelegenheit aufspielt und obendrein die schlimmsten Gegner der Arbeiterbewegung als Publikum herbeirief, beweist am besten, daß es ihm nicht auf Beseitigung wirklicher oder vermeintlicher Uebelstände, sondern eben nur auf Befriedigung seines persönlichen Rachedurstes ankam.« [32]

Ende August 1909 veröffentlicht schließlich der Vorstand des Bauhilfsarbeiter-Verbandes eine Erklärung, daß »sich R. als individueller Anarchist entpuppt« habe und seine Maßregelung von der Mehrzahl der Mitglieder gebilligt werde, weil er »wenig vorteilhafte Seiten« habe und »wiederholt bewiesen [hat], daß er völlig unwürdig war, eine Stelle zu bekleiden, nach der er sich jahrelang gedrängt hat«. Das zeige sich auch daran, wie »skrupellos R. bei dem Zusammenschmieren seiner Schmähschrift zu Werke gegangen ist.« [33]

Roche erwidert in der Einigkeit (die sozialdemokratische und Gewerkschafts-Presse ist ihm verschlossenen): »Jetzt habe ich Euch in die weite Arena der Öffentlichkeit gezerrt und jetzt müßt Ihr tanzen. Also noch einmal: Heraus mit dem Flederwisch! Euch bleibt nur zweierlei übrig: Entweder Ihr bringt mich vor den Strafrichter wegen Beleidigung usw. oder Ihr stellt den Mitgliedern Eure Mandate zur Verfügung. Ein Drum und Rum gibt es nun nicht mehr. Und darum noch einmal: Heraus mit Eurem Flederwisch! Meine Patronen sind noch nicht alle!« [34]

Nun – es gibt keine Rücktritte, sondern einen Prozeß. Die Verbandsvorständler Gustav Behrendt, Sjurt Wrede und Albert Töpfer verklagen Roche als Verfasser des »Sumpf« und seinen Verleger Fritz Kater. Da einige Zeugen Roches abgesprungen sind, werden am 7. Mai 1910 Roche zu 200 Mark oder 20 Tagen Gefängnis und Kater zu 50 Mark oder 5 Tagen Gefängnis vom Hamburger Schöffengericht verurteilt; die Berufungsverhandlung vom 10. September 1910 bestätigt das Urteil [35]. Allerdings muß sich der Arbeiterführer und »Hausagrarier« Albert Töpfer von dem Gericht ins Stammbuch schreiben lassen: »Wohl ist aber dem Angeklagten [Karl Roche] darin zu folgen, daß ein solches ohne Mittel erworbenes Hausbesitzertum sich mit den Grundsätzen der Sozialdemokratie nicht verträgt. Es ist ein Mangel an Überzeugungstreue, wenn ein Mann, der sich zur Bekämpfung des Kapitalismus anstellen und bezahlen läßt und dabei selbst sich durch die Inanspruchnahme dieses Kapitalismus zu bereichern sucht.« [36]

Ein Kuriosum noch am Rande: Die sozialdemokratische Schleswig-Holsteinische Volks-Zeitung behauptete, daß Roche vom »Reichsverband gegen die Sozialdemokratie« [37] für den »Sumpf« bezahlt worden wäre – was der Zeitung eine erfolgreiche Klage des »Reichsverbandes« wegen Beleidigung einbrachte. Der sozialdemokratische Lübecker Volksbote brachte es fertig, daraus zu machen: »Sogar der Reichsverband schüttelt ihn ab, nämlich den ehemaligen Hilfsarbeiter im Zentralverband der Bauarbeiter, Karl Roche.« [38]

Roche, der sich als Hausierer [39] und Fischhändler [40] durchschlagen muß, wird neben Paul Schreyer und Ernst Schneider zu einem der wichtigsten Protagonisten des Syndikalismus in Hamburg. Außerdem ist er im Verein föderierter Anarchisten Hamburg, die zur Anarchistischen Föderation für Hamburg und Umgebung gehört, tätig. Seit 1912 arbeitet er an der von der Anarchistischen Föderation Hamburg-Altona herausgegebenen Monatszeitung Kampf [41].

Norddeutsches Zentrum der Lokalisten war vor 1914 Hamburg. Ihre Basis war vor allem im Bereich der Transport-, Hafen und Werftarbeiter, außerdem die Berufe des Bauhandwerks und Dienstleistungssektors, die sich zur »Freien Vereinigung aller Berufe« (seit 1913 »Syndikalistische Vereinigung aller Berufe«) zusammengeschlossen hatten. Sie bildeten mit einigen Fachverbänden und der »Föderation der Metallarbeiter« ein Gewerkschaftskartell. Dem Kartell, das eine Vorläuferorganisation der »Arbeiterbörsen« der FAUD war [42], schloß sich der 1913 entstandene »Syndikalistische Industrie-Verband« an, der von Hafenarbeitern und Seeleuten gegründet worden war. [43] Hier wurde erstmals das Konzept der »Einheitsorganisation« zur Diskussion gestellt [44], (das dann in größerem Maßstab ab 1919 die Arbeiter-Unionen umsetzten) und in Hamburg durch die von Karl Roche geleitete Syndikalistische Vereinigung aller Berufe schon entgegen den Statuten der FVdG praktiziert wurde [45]. »Die im Vergleich zur gebräuchlichen Praxis der FVdG in Bremen und Hamburg betriebene Aufgabe des Berufsverbandsprinzips zugunsten eines vereinheitlichten Aufbauschemas diktierte dabei mindestens ebenso der Zwang zu Konzentration wie der Wille zur Beseitigung einer verankerten Berufsideologie.« [46]. Das waren also ganz pragmatische Gründe – nämlich die Wahrung der Handlungsfähigkeit als minoritäre Gewerkschaft, die es sich nicht leisten konnte, berufsständische Ressentiments über die Gebühr zu berücksichtigen. Der 1. Weltkrieg unterbrach diese Diskussion, wie so manches andere.

Er wird Vorsitzender der »Syndikalistischen Vereinigung aller Berufe« und Kartelldelegierter und Schriftführer des im Juni 1913 gegründeten »Syndikalistischen Industrieverbandes«. Neben einer umfangreichen Tätigkeit als Referent veröffentlicht Roche in den beiden Organen der Lokalisten, Die Einigkeit und Der Pionier. Außerdem ist er Verfasser der unter dem Pseudonym Diogenes erschienenen Schrift »Die Ohnmacht der Sozialdemokratie im Deutschen Reichstag« [47].

Zusammen mit Fritz Kater und Karl Windhoff wählt die FVdG Roche zum Delegierten für den ersten internationalen Syndikalistenkongreß, der vom 27. September bis zum 2. Oktober 1913 in London tagt [48]. Die Reise der drei Delegierten wird von der preußischen Polizei fürsorglich observiert [49]. Auf dem 11. Kongreß der FVdG im Mai 1914 ist Roche einer der Delegierten für Hamburg und Referent zum Thema »Genossenschaften und Syndikalismus« [50].

Zu Beginn des 1. Weltkrieges 1914 werden die Zeitungen der FVdG, der Pionier und die Einigkeit, wegen ihrer konsequenten antimilitaristischen und den Krieg ablehnenden Haltung verboten [51], und die Arbeit der FVdG muß sich auf ein Minimum beschränken. Als Ersatz gibt die Geschäftskommission ab dem 15. August 1914 ein wöchentlich erscheinendes organisationsinternes Mitteilungsblatt heraus. Nach dessen Verbot am 5. Juni 1915 [52] erscheint ein Rundschreiben, das schließlich am 28. 4. 1917 verboten wird [53].

Laut den Überwachungsakten der Preußischen Polizei hat sich Roche nach Ausbruch des Krieges nicht mehr politisch betätigt. Der Königliche Landrat des Kreises Pinneberg meldet am 19. 4. 1915 nach Berlin, »daß die fortgesetzten Beobachtungen des Roche nichts belastendes ergeben haben. Roche verhält sich ruhig, ist nicht auf Reisen gewesen und scheint seine schriftstellerische Tätigkeit für die anarchistische Partei eingestellt zu haben.« Und im Bericht vom 6. 11. 1915 heißt es, »dass nach den bisherigen Beobachtungen Roche kein ernsthafter Anhänger des Anarchismus zu sein scheint. Der Gemeindevorsteher [von Osdorf] hegt zwar die Vermutung, dass Roche nach Beendigung des Krieges seine schriftliche Tätigkeit für anarchistische Blätter, wie er sie vor dem Kriege ausgeübt hat, wieder aufnehmen wird.

Im übrigen lebt Roche ruhig, nüchtern und zurückgezogen; er betrieb früher einen Hausiererhandel, hat diesen aber seit einigen Jahren eingestellt, und arbeitet, angeblich krankheitshalber, nur sehr selten. Seine Ehefrau geht auf Arbeit; von ihrem Arbeitsverdienste sowie von Unterstützungen der Kinder und seitens der Gemeinde lebt er. Er ist faul und will nicht arbeiten, und auch unzuverlässig.« [54]

Am 21. 9. 1916 meldet die Hamburger Polizei ihren Preußischen Kollegen, daß Roche am 11. 9. 1916 nach Hamburg, Lindenallee 25. IV, gezogen ist. »Roche ist wieder unter Beobachtung gestellt worden.« [55] Die Pinneberger Überwacher wissen da allerdings noch nicht, daß Roche umgezogen ist: in ihrem Bericht vom 28. 9. 1916 heißt es, daß Roche »sich durchaus ruhig und unauffällig verhält, er unterhält überhaupt keinen Verkehr und lebt vollständig zurückgezogen.« [56] Kein Wunder, wenn der Überwachte 17 Tage zuvor ausgezogen ist.

Die insgesamt besser informierte Politische Polizei in Hamburg berichtet am 20. 7. 1917 nach Berlin, Roche (er wohnt mittlerweile Amandastr. 61, Haus 2) »ist seit Ende v.J. im hiesigen Friedhofsbureau als Hilfsschreiber beschäftigt. Roche ist öffentlich nicht hervorgetreten; er hat jedoch in den ersten Monaten nach seinem Zuzuge mit mehreren hiesigen Anarchisten verkehrt, insbesondere war er eng befreundet mit dem Tischler Albert Fricke [57]. Auch hat Roche wiederholt gesprächsweise in Kreisen seiner Bekannten zu erkennen gegeben, daß er noch anarchistische Gesinnungen hegt. Er ist nach wie vor ein Anhänger der anarchistischen Bewegung, hält sich aber seit einigen Monaten – anscheinend infolge seiner jetzigen Stellung – von den übrigen Anarchisten fern. Roche wird weiter beobachtet.« [58]

Im letzten Kriegsjahr, seit dem 20. Juni 1918, wird Roche, der aufgrund seines Alters (und seines fehlenden Auges) nicht zum Militär muß, auf der Vulcan-Werft als Nietenschreiber zwangsverpflichtet [59] – eine strategisch günstige Stelle in der Revolutionszeit 1918/19 …

Erstaunlicherweise berichtet die Hamburger Polizei noch am 19. Juni 1918 an das Königlich Preußische Polizei-Präsidium zu Berlin: »Der Händler Carl Roche ist seit langer Zeit krank und ohne Arbeit …« [60] – übrigens der letzte Eintrag in der Berliner Akte.

Mit dem Zusammenbruch des Deutschen Kaiserreiches treten auch die Syndikalisten wieder an die Öffentlichkeit und erhalten einen unerwartet großen Zustrom an neuen Mitgliedern. Die Einigkeit wird in Der Syndikalist umbenannt [61]. Die erste Ausgabe erscheint am 18. Dezember 1918.

Roche ist einer der führenden Propagandisten der wiedererstandenen FVdG. Schon im Januar 1919 unternimmt er zusammen mit Fritz Kater eine erste Agitationsreise durch Norddeutschland [62]. Roche ist jetzt Geschäftsführer der »Syndikalistischen Föderation Hamburg« [63]. Neben einer umfangreichen Vortragstätigkeit vor allem im norddeutschen Raum [64] und Artikeln im Syndikalist veröffentlicht Roche vier der wichtigsten programmatischen Texte der FVdG im ersten Revolutionsjahr:

  • Was wollen die Syndikalisten? Programm, Ziel und Wege der Freien Vereinigung deutscher Gewerkschaften, Berlin 1919 (Verlag »Der Syndikalist«)
  • Einheitslohn und Arbeitersolidarität [Vortrag, gehalten am 20. April 1919], Berlin 1919 (Verlag »Der Syndikalist«)
  • Zwei Sozialisierungsfragen. 1. Wer soll sozialisieren? [Vortrag, gehalten am 1. Mai 1919 in Hamburg] 2. Ist die zusammengebrochene Wirtschaft für die Sozialisierung reif? [Vortrag, gehalten im Mai 1919], Hamburg 1919 (Verlag der Syndikalistischen Föderation Hamburg)
  • Organisierte direkte Aktion, Berlin 1919 (Verlag »Der Syndikalist« Fritz Kater).[65]

Seit dem Sommer des Jahres publiziert er auch in der Tageszeitung der Hamburger KPD, der Kommunistischen Arbeiter-Zeitung, zu gewerkschaftlichen Themen.

Am 29. November 1919 wird Roche von der Hamburger »Vulcan-Werft AG« gefeuert. In dem Kündigungsschreiben werden ausdrücklich seine führende Rolle in der Syndikalistischen Föderation Hamburg und die Propagierung der »passiven Resistenz« als Kündigungsgrund genannt: »Seine Führung und Leistung haben uns voll befriedigt, bis R. nach der politischen Umwälzung nach und nach Führer einer Richtung wurde, die durch Wort und Schrift in Betriebsversammlungen der Werft zur passiven Resistenz aufforderte. Diese Einwirkung war derart, daß wir uns von R. trennen mußten.« [66] Ein Spitzelbericht der Politischen Polizei hatte schon im Oktober des Jahres notiert: »Der Haupthetzer auf der Vulcanwerft ist der Syndikalist Roche. Sein Einfluss auf die Arbeiterschaft ist ungeheuer und mit Recht wird behauptet, daß er die Seele des verderblichen Widerstandes gegen Vernunft und Ordnung eines großen Teils der Arbeiterschaft ist.« [67]

Im Dezember 1919, noch vor Gründung der »Freien Arbeiter-Union Deutschlands (Syndikalisten)«, verlassen Roche und Ernst Schneider die FVdG und wechseln zur »Arbeiter-Union« [68]; sie sind auch in der oppositionellen Hamburger KPD [69] aktiv. Mit ihnen geht offenbar die große Mehrheit der Syndikalisten Hamburgs. Anlaß für diesen Schritt mögen einerseits die von Rudolf Rocker in der »Prinzipienerklärung des Syndikalismus« begründete Ablehnung der Diktatur des Proletariats und des bewaffneten Aufstandes, andererseits die – in der FAUD nicht unumstrittene – Umstellung von den traditionellen Fachverbänden auf das Industrieverbandsprinzip sein, während Roche das Konzept der betrieblichen Einheitsorganisation (»Betriebsorgani­sation«) favorisiert.

Seit Anfang 1920 ist Roche einer der führenden Köpfe der unionistischen Bewegung in Hamburg, neben Fritz Wolffheim und Heinrich Laufenberg, die zu diesem Zeitpunkt die unbestrittenen Sprecher der gesamten linken Opposition in der KPD gegen die Berliner Zentrale um Paul Levi sind (bevor die beiden sich bis August 1920 mit ihrem sogenannten ‘Nationalbolschewismus’ innerhalb der Linken mehr und mehr isolieren).

Roches erste größere Publikation für die AAU ist Anfang 1920 die Schrift Demokratie oder Proletarische Diktatur! Ein Weckruf der Allgemeinen Arbeiter-Union, Ortsgruppe Hamburg, [Hamburg] 1920. Er publiziert regelmäßig in der Tageszeitung der Hamburger KPD (seit April 1920 der KAPD), der Kommunistischen Arbeiter-Zeitung, und ist als Referent bei Veranstaltungen für Partei und Union vor allem im norddeutschen Raum aktiv. Seit März ist er Redakteur der KAZ-Rubrik »Arbeiter-Union«.

Roche tritt auf der 1. Reichskonferenz der AAU im Februar 1920 erfolgreich den Versuchen der Bremer KPD-Opposition (Karl Becker) entgegen, die Union zu einer wirtschaftlichen Hilfs­organisation der Partei zu machen [70]. Das erste, sehr föderalistische Programm der AAU, angenommen auf der 2. Reichskonferenz im Mai 1920, trägt wesentlich Roches Handschrift. Da die Bremer Opposition um Becker und Paul Frölich sich nicht an der Gründung der »Kommunistischen Arbeiter-Partei Deutschlands« beteiligt71 und zur KPD-Zentrale zurückkehrt, verlagert sich das Zentrum der Unionisten nach Hamburg [72].

Roches Kontakte zur FAUD scheinen trotzdem weiter bestanden zu haben, Er versucht in den nächsten Jahren mehrfach, wenn auch vergeblich, zumindest für Hamburg eine Kartellierung oder sogar organisatorische Vereinigung von Unionisten, Syndikalisten und Anarchisten herbeizuführen.

Als Vorsitzender der Pressekommission ist Roche Herausgeber der seit 1920 in Hamburg erscheinenden AAU-Zeitung des »Wirtschaftsbezirkes Wasserkante«, Der Unionist, und einer der Redakteure.

In der zweiten Hälfte des Jahres 1920 nimmt in der AAU der Einfluß der KAPD zu. Die Richtung, die den Dualismus von Partei und Union zugunsten der Union überwinden will und die ökonomisch-politische Einheitsorganisation vertritt, gerät in die Defensive. Ihre Schwerpunkte liegen in Hamburg und Ostsachsen [73]. Auf der 3. Reichskonferenz der AAU im Dezember 1920 in Berlin (an der Roche teilnimmt) zeichnet sich ab, daß es keine Mehrheit für das Konzept der Einheitsorganisation gibt [74]. Noch im selben Monat schließen die ostsächsischen Unionisten die KAPD-Mitglieder aus, Hamburg folgt Ende Mai 1921 [75].

Roche faßt die Position der Opposition noch einmal in der Schrift Die Allgemeine Arbeiter-Union, (Hamburg [1921]; Herausgegeben von der Pressekommission der A.A.U. Groß-Hamburg) zusammen, die wahrscheinlich Anfang 1921 erscheint.

Nach dem Mitteldeutschen Aufstand im März 1921 (der sogenannten »Märzaktion«) [76] wird Roche als Vorsitzender der Pressekommission des Unionist im April 1921 zu einem Jahr Festungshaft verurteilt, der Drucker des Unionist zu 15 Monaten [77]. Roche kommt allerdings spätestens im November des Jahres wieder frei [78].

Aber kann er deshalb nicht an der 4. Reichskonferenz der AAU (wiederum in Berlin) teilnehmen, auf der das von der KAPD favorisierte dualistische Modell Union (als ‘Massenorganisation’) und Partei (als theoretisch führender Kader) die Mehrheit gewinnt. Außerdem wird der föderalistische Aufbau der Union zugunsten eines zentralistischen Modells aufgegeben [79]. Die Opposition innerhalb der AAU gründet darauf im Oktober 1921 die »Allgemeine Arbeiter-Union Deutschlands (Einheitsorganisation)«. [80]

Das Jahr 1923 stürzt die Weimarer Republik in einen existenzielle Krise. Die Besetzung des Ruhrgebiets durch französische und belgische Truppen und der von der Reichsregierung unter dem Kanzler Wilhelm Cuno propagierte passive Widerstand dagegen, der mittels der Notenpresse finanziert werden soll und aus der schon galoppierenden Inflation eine Hyperinflation macht, ruiniert die Reichsfinanzen endgültig. Nach dem Sturz Cunos im Sommer übernimmt ein Koalitionskabinett unter Gustav Stresemann (DVP), bestehend aus SPD, Zentrum, DDP und DVP, die Regierung.

Die Bildung von SPD-KPD-Koalitionsregierungen in Sachsen und Thüringen im Herbst geht parallel mit der Weigerung Bayerns, die antirepublikanischen Umtriebe von rechts zu unterbinden. Zwar hat die KPD unter dem Druck der KomIntern mit dem bewaffneten Aufstand geliebäugelt, aber keinen Rückhalt in den vielbeschworenen »Massen« gefunden. Die Reichsregierung (mit dem Reichspräsidenten Friedrich Ebert (SPD) abgesprochen) löst das Problem wie üblich – sie verhängt die Reichsexekution über Sachsen und Thüringen, um die gegen rechts unzuverlässigen Reichswehrverbände nicht gegen Bayern schicken zu müssen.

Die KPD-Führung um Brandler und Thalheimer nimmt – in realistischer Einschätzung der Kräfteverhältnisse – relativ kampflos die Entmachtung der sächsischen und thüringischen Koalitionsregierungen durch die Reichsexekutive hin. Wahrscheinlich durch einen Kommunikationsfehler erreicht diese Entscheidung die KPD in Hamburg nicht [81]. Der gescheiterte Hamburger Aufstand der KPD vom 22. – 24. Oktober 1923 führt am 23. November zum reichsweiten Verbot nicht nur der KPD, sondern auch aller linksradikalen Organisationen einschließlich der FAUD, das bis zum 1. März 1924 andauert.[82]

In dieser Zeit gelingt es der Reichsregierung mit der Einführung der Rentenmark [83] (15. November), die bis in schwindelnde Höhen angestiegene Inflation in den Griff zu bekommen und der Weimarer Republik eine kurze ökonomische und politische Stabilitätsphase zu bescheren, die mit dem New Yorker Börsenkrach 1929 endet.

Die AAUE in Hamburg bricht während der Illegalität faktisch zusammen. Dies dürfte einer der Gründe sein, warum Roche zur Föderation Kommunistischer Anarchisten Deutschlands wechselt, um spätestens im Juli 1924 (wieder) in der FAUD aktiv zu werden.[84] Im FAUD-Verlag erscheint im selben Jahr seine Broschüre Der Proletarische Ideenmensch.[85]

Roche gehört zu den Initiatoren vom Block antiautoritärer Revolutionäre in Norddeutschland, der seit 1924 versucht, die radikale nichtbolschewistische Linke in Norddeutschland zumindest zu einer Aktionseinheit zusammenzufassen. In diesem Sinne ist auch die Konferenz des Bezirkes Nord-West der FAUD(S) vom 27. – 28. Dezember 1924 in Bremen gestaltet. Roche ist Referent der FAUD zum zentralen Thema: »Die Aufgaben der anti-autoritären Organisationen im Bezirk Nord-West«. An dieser Konferenz nehmen auch Vertreter der SAJD, AAUE, der IWW und der Hamburger Anarchisten teil [86].

1925 erscheint von Roche die Broschüre Arbeiterjugend und natürliche Ordnung [87]. Er schreibt regelmäßig für das FAUD-Organ Der Syndikalist, außerdem für die seit 1927 erscheinende theoretische Zeitschrift Die Internationale und andere syndikalistische Publikationen.

In seiner letzten größeren Veröffentlichung, dem 1929 als Artikelserie in Der Syndikalist erschienenen »Handbuch des Syndikalismus« [88] faßt er nochmal sein politisches Credo zusammen.

Seine letzten Lebensjahre ist Roche ein schwer kranker Mann. Er stirbt am 1. Januar 1931, wenige Monate nach seinem 68. Geburtstag. »Sein letzter Gruß, den er uns unmittelbar vor seinem Tode schrieb, enthielt ein Versprechen weiterer schriftstellerischer Mitarbeit, der seine letzte Sorge galt.«, heißt es in dem Nachruf, der im Syndikalist [89] erscheint. Und in der von Erich Mühsam herausgegebenen Zeitschrift Fanal schreibt Rudolf Rocker: »Seine rastlose Arbeit hat ihm nie Reichtum eingebracht; er ist als bitterarmer Proletarier gestorben, wie er immer gelebt hat.« [90]

Fußnoten:
1) Dies betrifft vor allem die – immer mal wieder reproduzierten – biographischen Angaben bei Hans Manfred Bock, demzufolge Roche »um die Jahrhundertwende als junger Seemann zur ‘Freien Vereinigung’ gekommen war« , und die auf einer Mitteilung von Augustin Souchys an Bock basieren (Bock 1969/1993a, S. 104; ebenso der Artikel Karl Roche auf der englischen Wikipedia ). Souchy hat ganz offensichtlich Roche mit Ernst Schneider (‘Icarus’) verwechselt.
2) Die Schreibweise – Carl oder Karl – variiert, vor allem in den Akten der diversen mit der Überwachung ‘subversiver Elemente’ betrauten Dienststellen. Roche selbst schreibt seit den 1890er Jahren in seinen Publikationen seinen Vornamen mit ‘K’.
3) Roche 1909b, S. 31; LaB, Apr. Br. Rep. 030 Nr. 16490, Bl. 31; genaueres zu den Kindern konnten wir bisher nicht ermitteln.
4) LaB A Pr. Br. Rep. 030 Nr. 16490, Bl. 3
5) Roche 1909, S. 12 – er verließ die Schule wahrscheinlich mit 14 Jahren, möglicherweise als Waise oder Halbwaise; so läßt sich zumindest eine Bemerkung in Roche 1919c, S. 7, deuten: »Der junge Arbeiter, der mit 14 Jahren sich selbst überlassen und auf den Arbeitsmarkt geworfen wird … «
6) darauf weisen die Verurteilungen zwischen 1881 und 1886 sowie Bemerkungen in Einheitslohn, S. [7] und Zwei Sozialisierungsfragen, S. [6] hin.
7) StAHH PP 331-3 S 7762; LaB A Pr. Br. Rep. 030 Nr. 16490, Bl. 3
8) Roche 1909b, S. 7
9) LaB A Pr. Br. Rep. 030 Nr. 16490, Bl. 3 – ob der Verlust seines Auges krankheitsbedingt oder aufgrund einer Verletzung geschah, war bisher nicht zu ermitteln.
10) Roche 1909b, S. 7
11) Gegründet 1890, seit 1894: »Verband der Fabrik-, Land-, Hülfsarbeiter und Arbeiterinnen Deutschlands« – siehe hierzu Festschrift 1913 und Schuster 2000;
12) StAHH PP 331-3 S 7762
13) Gegründet 1891 als »Verband der Bauhilfsarbeiter und verwandter Berufsgenossen« seit 1905: »Verband der baugewerblichen Hülfsarbeiter Deutschlands«; seit 1908: »Zentralverband der Bauhülfsarbeiter Deutschlands«; 1910 mit dem »Zentralverband der Maurer Deutschlands« zum »Deutschen Bauarbeiterverband« zusammengeschlossen – siehe Schuster 2000; s.a. Rütters – Zimmermann 2005, S. 44; 116 ff
14) siehe z.B. die auf der Internet-Seite des Archiv Karl Roche aufgeführten Versammlungshinweise und Artikel aus dem Verbands­organ Der Arbeiter
15) StAHH PP 331-3 S 7762
16) siehe StAHH PP 331-3 S 7762: »Roche war bereits vom 1/10. 01 bis 1/2. 02 hier [Luruperweg 58] gemeldet und hat sich am 11/2. 02 auf Wanderschaft und am 4./4. 02 nach Barmen abgemeldet.«
17) Albert Töpfer, Mitglied des Hauptvorstandes und Redakteur des Arbeiter, schrieb Roche am 21. 3. 1905: »Auf dem Verbandstag (in Leipzig, K.R.) wird man um die Anstellung von zwei oder drei Gauleitern nicht umhin können. Ebenso bedarf es noch einer tüchtigen Kraft im Hauptvorstand und wenn man das Blatt achtseitig schafft, (wozu nicht geringe Luft vorhanden ist), auch einen tüchtigen Redakteur. Da tritt wieder die Frage auf: Wen? Ueberfluß an wirklich tüchtigen Leuten haben wir ganz gewiß nicht. Ich darf mir wohl die Frage erlauben, wie Du Dich zu irgend einem der angedeuteten Posten stellen würdest?« (mitgeteilt bei KR, Ich bin des trockenen Tons nun satt; in: Einigkeit, Nr. 36, 4. 9. 1909)
18) Roche wohnte zu dieser Zeit in der Wiemelhauserstr.38a (heute: Universitätsstraße); im Vorderhaus (Wiemelhauserstr.38) wohnte Paul Runge, Parteisekretär des Sozialdemokratischen Volksvereins für den Wahlkreis Bochum-Gelsenkirchen-Hattingen-Witten (Adreßbuch der Stadt Bochum 1907)
19) Roche 1909, S. 7; StAHH PP 331-3 S 7762
20) StAHH PP 331-3 S 7762 [Schreiben der Polizeiverwaltung des Oberbürgermeisters von Bochum an die Polizeibehörde Hamburg, 20. 5. 1907]
21) Lebenshaltung und Arbeitsverhältnisse der Deutschen Bauhülfsarbeiter. Herausgegeben vom Hauptvorstand des Zentralverbandes der baugewerblichen Hülfsarbeiter Deutschlands, Hamburg 1908 – 76 S. (Verlag: Verband der Baugewerblichen Hülfsarbeiter Deutschlands Gustav Behrendt); Die Tarifverträge der baugewerblichen Hülfsarbeiter bis zum Jahre 1907. Verband der Baugewerblichen Hilfsarbeiter Deutschlands, Hamburg 1908. – 483 S. (Verlag: Verband der Baugewerblichen Hülfsarbeiter Deutschlands Gustav Behrendt); Zur Entwicklungsgeschichte des Verbandes der baugewerblichen Hilfsarbeiter Deutschlands. Mit einem Anhang über die bis Ende 1907 vom Verband abgeschlossenen Tarifverträge. Herausgegeben vom Zentralvorstand, Hamburg, 1909. – 76 S.; für die Autorenschaft und die Umstände der Entstehung siehe Roche 1909b, S. 11 – 14
22) Roche 1909, S. 11
23) einige biographische Angaben bei Schmit 1932, S. 1695 – allerdings eine völlig unkritische Eloge des amtierenden Grundstein-Redakteurs auf Töpfer.
24) Roche 1909, S. 10; Urteil des Schöffengerichts Hamburg vom 7. Mai 1910 gegen Fritz Kater und Karl Roche, in Auszügen mitgeteilt bei Karl Roche, Eine Nachlese; in: Einigkeit, Nr. 42, 15. 10. 1910
25) Roche 1909, S. 14 ff
26) Roche 1909, S. 29f.
27) Osdorf wurde 1927 nach Altona eingemeindet, das wiederum 1937 mit dem »Gesetz über Groß-Hamburg und andere Gebietsbereinigungen«, kurz »Groß-Hamburg-Gesetz«, zu Hamburg geschlagen wurde; siehe wikipedia Hamburg-Osdorf; wikipedia Groß-Hamburg-Gesetz
28) Roche 1909, S. 3
29) Die FVdG ging aus der lokalistischen Opposition innerhalb der sozialdemokratischen Freien Gewerkschaften hervor. Ursprünglich aus revolutionären Sozialdemokraten bestehend, die den reformistischen Kurs der Zentralverbände der Generalkommission ablehnten, wurde den Lokalisten 1907 von der Partei das Ultimatum gestellt, innerhalb eines Jahres sich den Zentralverbänden anzuschließen oder aus der SPD rauszufliegen. Die eine Hälfte (etwa 8000 Mitglieder) unterwarf sich, während die andere Hälfte mit den Sozialdemokraten brach und sich rasch dem revolutionären Syndikalismus annäherte. Nach dem 1. Weltkrieg entstand aus ihr die »Freie Arbeiter-Union Deutschlands«. (siehe Aigte 1930/1931; Bock 1969 und 1993a; Kater 1912; Klan/Nelles 1990; Kulemann 1908; Rübner 1994; Vogel 1977; einen schnellen Überblick und reichen Materialfundus bietet zudem die Internet-Seite des Instituts für Syndikalismusforschung)
30) Roche 1909; die Broschüre wurde erstmals in der Einigkeit, Nr. 31/ 31. 7. 1909, angekündigt, ist also spätestens im Anfang August erschienen.
31) Der Bau-Hilfsarbeiter, Nr. 32, 7. 8. 1909
32) Hamburger Echo, Nr. 189, 15. 8. 1909
33) Der Bau-Hilfsarbeiter, Nr 35, 28. 8. 1909
34) Karl Roche, Heraus mit dem Flederwisch!; in: Einigkeit, Nr. 33, 14. 8. 1909
35) Karl Roche, Eine Nachlese; in: Einigkeit, Nr. 42, 15. 10. 1910; Hamburger Echo, Nr. 106, 8. 5. 1910; Hamburger Echo, Nr. 213, 11. 9. 1910
36) Urteil des Schöffengerichts Hamburg vom 7. Mai 1910 gegen Fritz Kater und Karl Roche, in Auszügen mitgeteilt bei Karl Roche, Eine Nachlese; in: Einigkeit, Nr. 42, 15. 10. 1910
37) zum »Reichsverband« siehe Fricke 1970
38) Lübecker Volksbote, Nr. 177, 1. 8. 1910
39) LaB, A Pr. Br. Rep. 030 Nr. 16490, Bl. 31
40) Der Bau-Hilfsarbeiter, Nr. 2, 8. 1. 1910
41) Kampf. (Unabhängiges) Organ für Anarchismus und Syndikalismus; erschien von 1912 bis 1914 in Hamburg; mit Sicherheit stammt der mit »K. R.« gezeichnete Artikel »Evolution rückwärts« (Jg. 1, Nr. 2, August 1912, Beiblatt, [S. 7 – 8]) von Roche; der mit »R.« gezeichnete Artikel »Aus der journalistischen Düngergrube am Speersort« (ebd., [S. 8] ist nicht sicher Roche zuzuordnen, sein Sprachstil macht es aber wahrscheinlich).
42) zum Konzept der Arbeiterbörsen siehe Barwich [1923]
43) Rübner 1996, S. 75; zu den Aktivitäten der syndikalistischen Seeleute kurz vor dem 1. Weltkrieg siehe Mohrhof 2008
44) offiziell vom Bremer Delegierten Franz Martin auf dem 11. Kongreß der FVdG im Mai 1914 vorgeschlagen; siehe Rübner 1996, Anm. 35
45) Rübner 1996, Anm. 35
46) Rübner 1996, S. 77
47) Diogenes, »Die Ohnmacht der Sozialdemokratie im Deutschen Reichstag, eine Wanderung durch die Berichte der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion« (Berlin 1912; Verlag Fritz Kater); wir halten die von Angela Vogel vermutete Auflösung des Pseudonyms (siehe Vogel 1977, S. 252, Anm. 26) nach Durchsicht der unter dem Namen Diogenes publizierten Artikel in der Einigkeit und im Pionier für überzeugend. Roche benutzte dieses Pseudonym später auch noch im Syndikalist.
48) Thorpe 1978, S. 57; Thorpe 1989, S. 69 ff – Roche verfaßte auch den Kongreßbericht für die FVdG, der in derEinigkeit(11. und 18. Oktober 1913) und im Pionier (15 Oktober 1913) erschien. – Zusammenfassend zum Kongreß: Thorpe 1978, Thorpe 1989
49) LaB, A Pr. Br. Rep. 030 Nr. 16490, Bl. 19 & 20
50) siehe die Dokumentation Den Kapitalismus muß man nicht totglauben, den Kapitalismus muß man totkämpfen. Karl Roche und die Genossenschaftsfrage 1911 – 1914; in: barrikade, Nr. 7/April 2012, S. 26 – 29.
51) Bock 1969; Rübner 1994; Aigte 1930/1931
52) Das Weitererscheinen des »Mitteilungsblatt« verboten!; in: Rundschreiben, Nr. 1, 15. 6. 1915
53) Rundschreiben, Nr. 47, 15. Mai 1917
54) LaB, A Pr. Br. Rep. 030 Nr. 16490, Bl. 29; Bl. 31
55) LaB, A Pr. Br. Rep. 030 Nr. 16490, Bl. 29; Bl. 32
56) LaB, A Pr. Br. Rep. 030 Nr. 16490, Bl. 29; Bl. 33
57) Fricke war vor dem Krieg Verleger und verantwortlicher Redakteur des Kampf bis Nr. 10
58) Hat Roche, wie wir in der ersten Fassung dieser biographischen Skizze noch ziemlich überzeugt behauptet haben, zum Untergrundnetz der FVdG gehört, das den Zusammenhalt der Syndikalisten für die Zeit nach dem Kriege erfolgreich sicherte? Den oben zitierten Überwachungsakten zufolge hat er sich bis zu seinem Umzug nach Hamburg von der Bewegung ferngehalten. Roche hatte sich während der Zeit beim Hautvorstand des »Verbandes« Rheumatismus in den Beinen zugezogen und demzufolge in seiner Mobilität eingeschränkt (siehe Roche 1909, S. 8f.); eine der wenigen Versammlungen der Hamburger FVdG fand am 8. Juli 1917 statt, an der 56 Personen, überwiegend Werftarbeiter, teilnahmen; Fritz Kater, der ursprünglich dort sprechen sollte, konnte nicht kommen; siehe Ullrich 1976 (Band 2), S. 153, Anm. 34.
Ob Roche Kontakt zur linken Opposition in der Hamburger SPD um Laufenberg und Wolffheim hatte, die später an der Gründung der KPD wie der KAPD führend beteiligt waren, konnte bisher nicht ermittelt werden.
59) Zeugnis der Vulcan Werke, vollständig zitiert in Isegrim (d. i. Karl Roche), An der Unterweser; in: Syndikalist, Jg. 6, Nr. 30, 26. Juli 1924, Beilage;
60) LaB, A Pr. Br. Rep. 030 Nr. 16490, Bl. 37
61) Die Umbenennung hatte der 11. Kongreß der FVdG im Mai 1914 beschlossen, seine Umsetzung wurde allerdings durch den Kriegsausbruch und das Verbot verhindert; siehe Rübner 1996, S. 82, Anm. 58
62) Syndikalist, 1. Jg. 1918/19, Nr. 7
63) Syndikalist, 1. Jg., 1918/19, Nr. 14
64) siehe etwa Kuckuk 1996, S. 22
65) alle vier Broschüren sind nachgedruckt in Roche 2009
66) vollständig zitiert in Isegrim (d. i. Karl Roche), An der Unterweser; in: Der Syndikalist, Jg. 6, Nr. 30 (26. Juli 1924), Beilage
67) Politische Polizei Hamburg – Wochenbericht Nr. 9 vom 13. 10. 1919; zitiert auf der Webseite des AKR: http://archivkarlroche.wordpress.com/2009/05/03/der-hetzer-roche/
68) Die unionistische Bewegung entstand spontan in der ersten revolutionären Nachkriegsphase. Sie orientierte sich theoretisch mehrheitlich am revolutionären Marxismus, organisatorische Grundlage war die berufsübergreifende Betriebsorganisation (im Bergbau die Schachtorganisation); aufgebaut war sie in der Regel nach dem Räteprinzip. Ein kleinerer Teil der Unionisten schloß sich im Dezember 1919 mit der FVdG zur FAUD zusammen, die Mehrheit beteiligte sich am Gründungsprozeß der AAUD, während eine weitere Strömung (»Union der Hand- und Kopfarbeiter«) sich zeitweilig der KPD annäherte (die darüber nicht immer sehr glücklich war). Aus dieser Strömung entstanden nach 1925 die »Revolutionären Industrie-Verbände«. (Bock 1969; Bock 1993a; Bötcher 1922; Hermberg 1922; Langels 1989; siehe auch Bärhausen u.a. 1986, S. 8)
69) Die Hamburger KPD gehörte fast vollständig zur antiparlamentarisch-antigewerkschaftlichen Opposition gegen die Berliner Zentrale; siehe KPD, 3. Parteitag
70) Bock, Böttcher
71) Der Gründungsparteitag der KAPD fand am 4. und 5. April 1920 in Berlin statt.
72) siehe Bock 1969 und Bock 1993a, S. 188ff; Siegfried 2004, S. 128f.
73) Bekannte Vertreter sind, neben Roche (Hamburg), der Herausgeber der Berliner Aktion, Franz Pfempfert, und Otto Rühle (Dresden).
74) siehe Die 3. Reichskonferenz der AAUD, 12. – 14. Juni 1920 in Leipzig. Eingeleitet und bearbeitet von Jonnie Schlichting; in: barrikade Nr. 7/April 2012, S. 34 – 39.
75) siehe Bock 1969 und Bock 1994a, S. 214f; zu Hamburg siehe auch: Partei oder Gewerkschaft; in: Alarm, Jg. 3/1921, Nr. 19
76) Angress 1972, S. 139ff; Bock 1969/1993a, S. 295ff
77) Zeitdokument; in: Alarm, Jg. 3/1921, Nr. 17
78) so spricht Roche am 27. 11. 1921 auf einer Veranstaltung der FAUD zur Ermordung des spanischen Ministerpräsidenten Dato durch zwei CNT-Genossen über die Leiden der Festungsgefangenen in Gefängnis Hamburg-Fuhlsbüttel; siehe: ZPSt. – Bericht # 105 – 29.11.1921
79) siehe Siegfried 2004, S. 129
80) siehe Bock 1969 und Bock 1993a, S. 214f
81) siehe Voß 1981
82) siehe Voß u.a. 1981
83) Eine Rentenmark = 1 Billion Papiermark; 1 US$ = 4,20 Rentenmark
84) Der erste von Roche signierte Artikel im Syndikalist erschien schon in der Ausgabe 43/44 (4. November) 1923 – gleich nach den KPD-Putsch vom 23. Oktober in Hamburg: »Die Opfer einer politischen Narrheit«.
85) Roche 1924
86) Die Konferenz des Bezirks Nordwest der FAUD und der Block antautoritärer Revolutionäre.Bremen am 27. und 28. Dezember 1924 – Eine Dokumentation. Eingeleitet und bearbeitet von Jonnie Schlichting; in: barrikade Nr. 4/Dezember 2010, S. 15 – 22.
87) Roche 1925
88) Roche 1929; in: Syndikalist, Nr. 15, 15. 4. 1929 ff
89) Karl Roche [Nachruf]; in: Syndikalist, Jg. 11, Nr. 2, 10. 1. 1931 [http://www.syndikalismusforschung.info/rochetod.htm]
90) R [Rudolf Rocker?], Karl Roche; in: Fanal, Jg. 5 (1930/1931), Nr. 5, Februar 1931, S. 119 [http://archivkarlroche.wordpress.com/archiv-karl-roche/nachruf-aus-fanal/]

Originaltext: http://archivkarlroche.wordpress.com/2012/10/29/wer-war-karl-roche-2/

Otto Rieger (1879-?)

Danzig, Stettin, Seemaschinist, trat vor 1914 dem syndikalistischen
Industrieverband bei; 1917-1919 USPD; danach, sowie Hermann Knüfken*, Seemannsbund (DSB), Redakteur des Seemannsbundes, setzte sich für eine Zusammenarbeit mit der AAUD.
1920 als „lästiger Ausländer“ aus Danzig ausgewiesen, gelangte über Bremerhaven nach Stettin; 1921 internationaler Sekretär des DSB (Deutscher Schiffahrtsbund), der in Hamburg Die Schiffahrtswarte veröffentlichte. Im Mai 1922 unter seiner Führung Abspaltung als Seemannsunion und Anschluss an der FAUD, sowie im Herbst 1923 als deutsche Sektion der IWW, „im Namen von 1.000 Hafenarbeitern und Seeleuten“. 1926 Propagandatour für die IWW in Norddeutschland.
Um die Jahreswende 1923/1924 fand in Stettin ein langer Streik statt, bei dem bis zum 8. Februar 1924 genau 124 Schiffe mit einer Mannschaftsstärke von insgesamt 2.000 Seeleuten festgesetzt werden konnten. Die deutsche Sektion der IWW in Stettin bestand bis zu ihrer Auflösung 1933 durch die Nazis. In den Jahren um 1930-1932 erschien dort die Zeitung Der Marine-Arbeiter – Organ der deutschen Sektion der IWW.

Quelle: „Proletarier Deutschlands! Tretet ein in die ‚Allgemeine Arbeiter-Union‘, die deutsche Organisation des ‚Verbandes der
Industriearbeiter der Welt‘“, KAZ Hamburg, Nr. 104, 1919; Hartmut Rübner, Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus, Libertad Verlag, Berlin/Köln 1994; Reiner Tosstorff, Profintern: Die Rote
Gewerkschaftsinternationale 1920-1937, Ferdinand Schöningh, Paderborn 2004; Peter Kuckuk/Ulrich Schröder, Bremen in der deutschen Revolution 1918/1919, Edition Falkenberg, Bremen 2017.

Ernst Rieger (* 10.6.1875 – † 1947)

Berlin, Bürovorsteher, geboren in Lautenburg (Westpreußen); 1895-1914 SPD; nach 1903, Mitglied der syndikalistischen Freie Vereinigung deutscher Gewerkschaften (FVdG); 1915 Spartakusbund, 1917 USPD; Delegierter von Berlin Hohenschönhausen auf dem Gründungsparteitag der KPD (30.-31. Dezember 1918/1. Januar 1919), bekämpft jegliche bürgerlich-demokratische Phraseologie sowie jeglichen Wahlkampf:
„Wir müssen uns frei machen von der Phrase der Demokratie im althergebrachten vergifteten Sinne. Es ist nicht Demokratie, wenn wir zwar gleiches Wahlrecht haben, aber im Übrigen kein gleiches soziales Recht… Wir müssen Mut haben, zu bekennen, welchen reaktionären Zwecken die Nationalversammlung dienen soll, nämlich, die Arbeiterräte illusorisch zu machen“.
Er stellt auch der Reichskonferenz den wichtigen linksradikalen Antrag vor:
„Die Tarifvertragspolitik der gewerkschaftlichen Zentralverbände, die Abwürgung der Streiks und die systematische Unterbindung des sozialen Befreiungskampfes des Proletariats durch die
Gewerkschaftsbürokratie, sowie die ablehnende, ja feindliche Haltung der Verbandsführer gegen die sofortige Inangriffnahme der Sozialisierung der Produktionsmittel sind in ihrer Wirkung staatserhaltend und darum revolutionsfeindlich. Die Zugehörigkeit zu solchen Gewerkschaftsverbänden ist deshalb unvereinbar mit den Zielen und den Aufgaben der Kommunistischen Partei Deutschlands. Für die Führung der wirtschaftlichen Kämpfe und zur Übernahme der Produktion nach dem Sieg der sozialen Revolution ist vielmehr die Bildung revolutionärer, örtlich begrenzter Arbeiterorganisationen (Einheitsorganisation) notwendig. Diese Kampforganisationen haben ihre Tätigkeit im besten Einvernehmen mit der Kommunistischen Partei und den zentralen Streikkommissionen auszuüben, und die kommunistische Produktion vorzubereiten und durchführen zu helfen“.
1919 AAU und April 1920 KAPD. Er fordert im Juni 1920 den Zusammenschluss der Linkskommunisten mit den Syndikalisten (FAUD). Ab 1924-1925 in der FAUD tätig. 1933-1945 nicht verfolgt, trat er 1945 der KPD, danach 1946 der SED bei.

Quellen: Hermann Weber, Die Gründung der KPD. Protokoll u. Materialien des Gründungsparteitag der KPD 1918/1919, Dietz Verlag, Berlin,
1993, S. 159, 338-339; Biographische Datenbanken: https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de; Hartmut Rübner, Freiheit und Brot. Die
Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus, Libertad Verlag, Berlin/Köln, 1994, S. 241.

Otto Reimers (* 17.9.1902 – † 22.10.1984)

Hamburg, Bauarbeiter, Bauleiter, geboren in Grambek bei Mölln (Schleswig-Holstein), AAU, ab 1922 AAUE um die Zeitschrift
Proletarischer Zeitgeist, 1930 Anarchist, 1933 illegale Arbeit; 1945 Herausgeber anarchistischer Zeitungen, mit Alfred Weiland* Herausgeber von Neues Beginnen.
Als ältester von fünf Geschwistern musste Reimers nach Beendigung der Schule bereits anfangen zu arbeiten; er tat dies bei Waldarbeitern und Bauern um die finanzielle Situation der Familie zu erleichtern. In den 1920er Jahren wurde Reimers in der antiautoritären Arbeiterbewegung aktiv. 1920-1921 hatten die Hamburger Unionisten den Beitritt bei der KAPD und der Komintern abgelehnt und schlossen sich der AAU-E Otto Rühles* und Franz Pfemferts* an. 1923/24 suchte die AAU-E verstärkt die Zusammenarbeit mit der anarcho-syndikalistischen FAUD und
der IAA. Im Jahre 1926 gründete er mit Karl Matzen*, Karl Roche* und Ernst Fiering* in Hamburg den Block antiautoritärer Revolutionäre, bestehend aus Anarchosyndikalisten, Anarchisten, Unionisten und Individualanarchisten. Sprecher bei den Treffen waren u.a. Pierre Ramus, Ernst Friedrich, Helmut Rüdiger und Rudolf Rocker. Zusammen mit Paul Schöß* übernahm er 1926 den Vertrieb der Zeitschrift Proletarischer Zeitgeist (1922–1933) von der Allgemeinen Arbeiter-Union (AAU) und arbeitete an der Zeitschrift Die freie Gesellschaft mit.
Nach der Machtübernahme der Nazis musste Reimers gezwungenermaßen mit seiner Arbeit für Zeitschriften aufhören. In der Illegalität nach Februar 1933 konnte die Hamburger Gruppe fast monatlich bis Mitte 1934 die zwölfseitige Schrift Mahnruf herausgeben. Den II. Weltkrieg verbrachte Reimers hauptsächlich damit, die durch Bombenangriffe beschädigten U-Bahn-Schächte und -Tunnel, sowie die Hochbahn Hamburgs wiederaufzubauen, da sein Arbeitgeber immer wieder seine Freistellung vom Kriegsdienst
erreichen konnte.
Nach Kriegsende war Reimers aktiv als Herausgeber der ersten anarchistischen Zeitschrift in Deutschland, Mahnruf; publiziert einige Wochen nach Kriegsende (Mai bis Dezember 1945).
Reimers wollte mit dem Mahnruf zur Gründung einer neuen anarchistischen Bewegung beitragen. Die gehoffte Resonanz blieb allerdings aus. Außerdem war er Herausgeber der Zeitschriften Information, anarchistische Gedanken und Betrachtungen zur Geschichte, Literatur und Politik der Gegenwart; zusammen mit Heinrich Freitag und Walter Stöhr (1956–1961). In den Jahren 1955 bis 1959 war er auch Herausgeber des deutschsprachigen, internationalen anarchistischen Mitteilungsblattes C.R.I.A.
(Commission des Relations Internationales Anarchistes).
1959 wurde der Bund freier Sozialisten und Anarchisten auf einem Anarchistenkongress in Neviges gegründet wobei Reimers einer der Mitinitiatoren des Kongresses war. Er war Mitglied der Föderation freiheitlicher Sozialisten (FfS). Beiträge aus linksliberaler, demokratischer und freier sozialistischer Sichtweise brachte seine
Zeitschrift Neues Beginnen (1969–1971). Die von Reimers redigierte Publikation Zeitgeist – für sozialen Fortschritt, freien Sozialismus, Kultur und Zeitgeschehen erschien von 1971 bis 1974. Sie fusionierte später mit der von Heiner Koechlin herausgegebenen Zeitschrift Akratie, in der auch der Anarchosyndikalist Willi Paul veröffentlichte.
Neben seiner Tätigkeit als Herausgeber war er auch Autor zahlreicher Artikel. Wolfgang Haug veröffentlichte einen Nachruf auf Otto Reimers, Das politische Engagement war ihm Berufung und Verpflichtung, in der Zeitschrift Schwarzer Faden (Nr. 16, April 1984, S. 56). Im Verlag Walter Stöhr erschien von 1969 bis 1971 die anarchistische Zeitschrift neues beginnen, herausgegeben von Otto Reimers in Hamburg. Der Untertitel lautete: Beiträge zur
Zeitgeschichte, Kultur und Politik aus linksliberaler–demokratischer und freier sozialistischer Gesinnung; eine Publikation von antiautoritären Sozialisten. Vorgestellt wurde das Blatt mit
den Worten: „Vertritt den humanistischen–demokratischen Sozialismus. Wendet sich gegen die Verketzerung des Wortes und der Weltanschauung des Anarchismus“. Und: „Die Zukunft
darf nicht mehr der Gewalt gehören, sondern dem Mit- und Nebeneinander aller Menschen“.
Neues beginnen erschien zweimonatlich mit einer Auflage von 600 Exemplaren. Nachfolger war die Zeitschrift Zeitgeist. Bereits 1960 wurde die gleichnamige anarchistische Publikation neues beginnen herausgegeben von Karl Blauert in Iserlohn. Die Zeitschriften Information und Befreiung sollten zusammengelegt werden mit neues beginnen.
Wegen interner Meinungsverschiedenheiten auf dem Anarchistenkongress in Neviges wurde das Projekt eingestellt und realisiert von Reimers in 1969 indem er neues beginnen fortsetzte.
Otto Reimers ist 1984 in Laufenburg gestorben.

Quellen: Günter Bartsch, Anarchismus in Deutschland: 1945-1965, Band l, Fackelträger, Hannover 1972; Mahnruf: Widerstand im Dritten
Reich, Schwarzer Faden Nr. 3, 1981; Georg Hepp, Otto Reimers zum Gedenken (1900-1984), Die Freie Gesellschaft, Heft 13/14, 1985, S. 94-
96; Michael Kubina, Von Utopie, Widerstand und Kaltem Krieg. Das unzeitgemäße Leben des Berliner Rätekommunisten Alfred Weiland
(1906-1978), LIT Verlag, 2000, S. 258.

August Ernst Reinhold Merges alias Krummer August (* 3.3.1870 – † 6.3.1945)

Novemberrevolution in Braunschweig, 8. November 1918: die Delegation des Arbeiter- und Soldatenrates (v. l. n. r.: Friedrich Schubert, Henry Finke, August Merges, Paul Gmeiner, Hermann Schweiß und Hermann Meyer)

Expedient, Herausgeber und Redakteur, Sohn eines Fleischers, Schneider, Braunschweig, geboren in Malstatt-Burbach bei Saarbrücken. Während der Wanderschaft wurde er Mitglied der SPD und arbeitete später hauptamtlich als Ökonom des Gewerkschaftshauses in Alfeld.
1906 hörte er auf, in seinem Beruf zu arbeiten, und war als bezahlter Funktionär für die SPD in Hildesheim und Alfeld an der Leine tätig. Dort verwaltete er das Gewerkschaftshaus.
Merges wurde in Delligsen von 1908 bis 1910 für die SPD in den Gemeinderat gewählt und trat als erfolgreicher Agitationsredner auf.
1911 zog er mit seiner Familie nach Braunschweig, wo er zunächst eine Kunststopferei betrieb. Er arbeitete dann als Anzeigenwerber für den Braunschweiger Volksfreund und wurde Herausgeber und Redakteur dieser sozialdemokratischen Zeitung.
Er kämpfte energisch die Kapitulation der Sozial-Demokratie im August 1914. Anfang 1915 gründete August Merges, mit Sepp Oerter (1870-1928) und August Thalheimer (1884-1948) den „Braunschweiger Revolutionsclub“. Er stand den Spartakisten nahe. Über Thalheimer und Merges bestand Kontakt zur Berliner Spartakisten-Zentrale.
Dem „Revolutionsclub“ gehörten ca. 15 Personen an, die in Opposition zur Kriegsunterstützung des SPD-Vorstandes standen. Die Hälfte der Mitglieder waren Funktionäre der SPD und der Gewerkschaft, die andere Hälfte oppositionelle Jugendliche aus dem „Bildungsverein jugendlicher Arbeiter und Arbeiterinnen“.
Anfang 1916 nannte sich der „Revolutionsclub“ in „Spartakusgruppe Braunschweig“ um. Die Gruppe konnte ihre Leitsätze in den Versammlungen der SPD vortragen und diskutieren und wurde so schnell zum bestimmenden Faktor innerhalb der Partei. In fast allen Betrieben gelang es, Vertrauensleute des Spartakus zu etablieren. Im selben Jahr wurde Merges wegen „antimilitaristischer Aktivitäten gegen den Krieg“ in „Schutzhaft“ genommen.
1917 wurde Merges Mitglied der USPD (die in Braunschweig im Gegensatz zum Reich die Mehrheit stellte). Er war gleichzeitig Mitglied des Spartakusbundes und arbeitete aktiv bei den Internationalen Kommunisten Deutschlands (IKD) mit.
1917-1918 leitete Merges eine von den Spartakisten gegründete „Deserteurzentrale“, die Deserteuren Unterschlupf gewährte und sie mit gefälschten Pässen und Lebensmittelmarken versorgte. Am 3. November sprach er auf einer illegalen Protestkundgebung auf dem Leonhardtplatz in Braunschweig, mit ca. 1.000 Teilnehmern.
Merges hatte als geschickter Redner und Agitator massiven Einfluss auf das Proletariat im Freistaat Braunschweig. Er besetzte er am 8. November 1918 gegen 7 Uhr morgens mit einer Gruppe Bewaffneter das Volksfreund-Haus der SPD, wodurch sich die Linksradikalen ein eigenes Sprachrohr verschafften. Am Nachmittag desselben Tages erzwangen Merges und andere die Abdankung des letzten braunschweigischen Welfen-Herzogs Ernst-August, der die Stadt am folgenden Tage zusammen mit seiner Familie ins Exil verließ. Der Arbeiter- und Soldatenrat übernahm daraufhin die politische Führung in Braunschweig,
sein Vorsitzender war der „Husar Schütz“. Bereits zwei Tage später, am 10. November 1918, wurde eine Alleinregierung der USPD durch den Arbeiter- und Soldatenrat ausgerufen. Die „Sozialistische Republik Braunschweig“ wurde proklamiert, und August Merges wurde auf Vorschlag von Sepp Oerter zu ihrem Präsidenten ausgerufen. Der Sozialistischen Republik Braunschweig gehörten folgende acht „Volkskommissare“ an: Minna Faßhauer (Volksbildung, die einzige Frau), Karl Eckardt (Arbeit), Gustav Gerecke (Ernährung), August Junke (Justiz),
Michael Müller (Verkehr und Handel), Sepp Oerter (Inneres und Finanzen), Gustav Rosenthal (revolutionäre Verteidigung) und August Wesemeier (Stadt Braunschweig).
Am 23. November 1918 nahm Merges an der Reichskonferenz des Rates der Volksbeauftragten in Berlin teil. Zusammen mit dem Vertreter aus Gotha stimmte Merges als einziger gegen die Einberufung einer Nationalversammlung. Bei der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 wurden als Vertreter für Braunschweig Oberlandesgerichtsrat August Hampe, Rechtsanwalt Dr. Heinrich Jasper und August Merges bestimmt.
Bei der Konstituierung der Nationalversammlung in Weimar hielt er eine scharfe Rede gegen die Reichsregierung Ebert-Scheidemann. Bereits am 22. Februar 1919 legte er sein Mandat in der Nationalversammlung nieder und schied aus der Regierung in Braunschweig aus, weil er die „Revolution durch den Parlamentarismus verraten“ sah. Nach Einmarsch der Truppen des Generals Maercker Mitte April 1919 tauchte Merges unter und lebte eine Zeitlang illegal, flüchtend nach Berlin.
Er verließ die USPD und schloß sich der KPD an, stand aber nach dem II. Heidelberger Parteitag im Herbst 1919 in Opposition zur Zentrale unter Paul Levi, Clara Zetkin und Wilhelm Pieck.
1920 trat Merges aus der KPD aus und führte die Mehrheit der Braunschweiger KPD Mitte 1920 in die KAPD. Im Juli 1920 reiste er mit Otto Rühle zum II. Weltkongreß der Komintern nach Moskau.
Merges und Rühle lehnten die von Karl Radek entworfenen „Leitsätze über die Grundaufgaben der Kommunistischen Internationale“ ab, die auf dem Kongress beschlossen werden sollten und Bedingungen zur Aufnahme in die Komintern enthielten. Sie reisten deshalb schon vor Beginn des Kongresses wieder ab. Noch auf dem Rückweg erreichte sie eine erneute Einladung des Exekutivkomitees, mit der Zusicherung, dass die KAPD das volle Stimmrecht bekomme, ohne dass dafür Forderungen irgendeiner Art zu erfüllen seien. In einem Schreiben, das Merges aus Rußland von einem Kongreßteilnehmer erhalten und das er den Mitgliedern der KAPD bekanntgegeben hatte, wurde mitgeteilt: „Als Levi in Moskau erfahren hatte, Rühle und Merges seien mit beratender und beschließender Stimme zugelassen da stellte der Levi namens der deutschen Delegation das Ultimatum: die Levileute würden den Kongreß verlassen, falls Rühle und Merges auf dem Kongress erscheinen sollten!“.
Nach seinem Rückkehr nach Deutschland, erklärte Merges in mehreren Vorträgen in verschiedenen Städten: „Rußland ist zwar das Land, das als erstes die soziale Revolution durchgeführt hat, es wird aber das letzte Land sein, das den Sozialismus durchführt“.
Im Oktober 1920, war Rühle (und vielleicht auch Merges), aus der KAPD ausgeschlossen. August Merges machte doch während des Februar 1921 Parteitages der KAPD in Gotha eine günstige für Rühle Unterstützungsintervention (und eine zweite Intervention über die Frauenfrage).

In Braunschweig trat er nicht in die AAU, sondern die FAU, danach 1921 in die anti-autoritäre AAU-E ein. August Merges und Minna Faßhauer, näherten sich auch der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter-Union an und traten als Redner in deren Versammlungen auf. In den Jahren der Weimarer Republik war er mehrmals angeklagt u. a. auf Herausgabe der Abdankungsurkunde des Herzogs von Braunschweig und wegen illegaler Waffenverstecke.
Merges, der aktives Miglied der Roten Hilfe in Braunschweig war, leitete 1926 eine kleine Gruppe von ehemaligen KAPD-Genossen (Franz Pfemfert*, Oskar Kanehl*), die sich Spartakusbund Nr. 2 nannte und auch Kontakte zu Erich Mühsam hatte.
Zur Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 schrieb Merges ein Flugblatt mit dem Titel Hitler bedeutet Krieg und Untergang, welches sein Sohn Walter und Oswald Berger druckten und vor dem Arbeitsamt verteilten. Es wurden bei ihm zahlreiche Hausdurchsuchungen vorgenommen und viele seiner Bücher beschlagnahmt.
1934 nahmen August Merges und Minna Faßhauer* an der Kommunistische Räte-Union teil. Diese begann diverse Flugschriften herzustellen und zu verteilen (Kampfsignal, Der Rote Rebell, Die braune Pest…), an denen auch Merges mitgearbeitet hatte. Am 27. Mai 1935 wurde Merges verhaftet und am 7. Oktober 1935 durch das Oberlandesgericht Braunschweig zu drei Jahren Zuchthaus verurteilt, er war u. a. in Wolfenbüttel inhaftiert und schweren Mißhandlungen ausgesetzt. Am 20. Dezember 1937 entlassen, stand er bis zu seinem Lebensende unter Polizeiaufsicht.
Am Morgen des 6. März 1945 wurde August Merges in seinem Garten in Braunschweig tot aufgefunden.

Quellen: Kommunismus im Allgemeinen, insbes. KPD und Nebenorganisationen, Band 2, 6. Juni – 21. Oktober 1921 (BArch, R 1507/2053);
Hans Manfred Bock, Syndikalismus und Linksradikalismus. Von 1918 bis 1923. Zur Geschichte und Soziologie der Freien Arbeiter-Union
Deutschlands (Syndikalisten) der Allgemeinen Arbeiter-Union Deutschlands und der Kommunistischen Arbeiterpartei Deutschlands,
Meisenheim am Glan 1969; Peter Berger, Brunonia mit rotem Halstuch. Novemberrevolution 1918/19 in Braunschweig, Hannover 1979;
Olaf Gebhard: Die Räteherrschaft in Norddeutschland zwischen Kriegsende und Weimarer Republik, Masterarbeit, Braunschweig 2010/2011;
SAPMO Bundesarchiv Berlin-Lichterfelde, Lebenslauf Alfred Merges, Zittau, 30.3.1970, An das Institut für Marxismus-Leninismus, Berlin
(SgY 30/0623); Biographische Datenbanken: https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de; „August Merges“,
http://www.linkfang.de/wiki/August_Merges#cn-Bock-7

Heinrich Melzer alias Willi, Fritz Bielefeld (* 1890 – † 1967)

Kesselschmied, Tiefbauarbeiter;
1910-1913, Heizer in der Marine, 1914-1918, Marinesoldat; 1918 Teilnahme an der Hamburger Revolution, 1920 Kommandant der Roten Ruhr-Armee, 1920-1922 Sekretär des SDB (Deutscher Seemannsbund), die Union der deutschen Seeleute, Stettin; 1922-1929 Geschäftsführer der FAUD (Rheinland); 1930-1940 Rechtsvertreter eines Kriegs- und Arbeitsopfer-Verbandes; 1933-1945 Berufsverbot und Verhaftung.
1945 einer der Gründer des Freien Deutschen Gewerkschaftsbund (FDGB) für das Mülheimer Stadtgebiet. Als Vertreter der KPD gehörte er vom 3. August bis zum 21. Dezember 1945 dem ernannten Bürgerausschuss der Stadt Mülheim an. Melzer wurde zum Kreisvorsitzenden des DGB gewählt und blieb in diese Funktion bis 1954. Aus „Enttäuschung  über die politisch-gesellschaftliche Entwicklung der Bundesrepublik“, zog er sich nach seiner
Pensionierung 1954 aus dem politischen Leben zurück. Am 14. März 1972 wurde in Mülheim eine Straße in der Nähe des Rathauses nach ihm benannt (Heinrich-Melzer Str.).

Quellen: Hermann Knüfken, Von Kiel bis Leningrad, BasisDruck, Berlin, 2008, S. 460;

https://de.wikipedia.org/wiki/Heinrich_Melzer

Karl Matzen

AAUE Groß-Hamburg, danach FAUD. Im Jahre 1926 gründete er mit Otto Reimers*, Karl Roche* und Ernst Fiering* in Hamburg den „Block antiautoritärer Revolutionäre“, bestehend aus Anarchosyndikalisten, Anarchisten, Unionisten und
Individualanarchisten.
Quellen: Karl Matzen: „Ein gelungenes Experiment“, Die Aktion Nr. 4/6, 15. März 1925, S. 160-161;
https://muckracker.files.wordpress.com/2012/06/barrikade-4.pdf.

Zwei Tarifverträge!

Zwei Tarifverträge!

Es soll hier nicht etwa die Frage für oder gegen Tarifverträge zur Debatte gestellt werden, sondern wir wollen nur folgend dem Hinweis in No. 2 des „Pressedienstes“ handeln. Die Monopolvormachtstellung der reformistischen Zentralorganisationen in Deutschland bei Abschlüssen von Tarifverträgen, mit ihren Klasseneinteilungen und Ausschaltungen
der davon betroffenen Arbeiterschaft macht es notwendig, dass wir uns mit dieser Angelegenheit beschäftigen und gebe ich deshalb zur besseren Information, Auszüge aus dem Reichstarif für das Hoch- u. Tiefbaugewerbe in Deutschland und lasse mich dabei von dem Gedanken leiten, das diese Auszüge besser überzeugen, als wie dies mit einer einfachen Beschreibung geschehen kann.
Im Gegensatz zu dem reformistischen Vertrag gebe ich einige Auszüge aus dem Tarifvertrag einer Fachgruppe (syndikalistische Fliesenleger Düsseldorf), die der syndikalistischen Bauarbeiter Föderation Deutschlands angeschlossen ist. Aus der Gegenüberstellung beider Tarifverträge, zeigt sich bei dem letzteren ganz offen der Charakter der Klassenkampforganisation, wo trotz kollektiven Tarif jeder davon betroffene Arbeiter unmittelbarer Träger des Abkommens ist.

Reichstarifvertrag für Hoch-, Beton-, Tiefbauarbeiten
zwischen den Arbeitgeberverbänden des deutschen Reiches
und den Spitzenverbänden der Arbeitnehmer, dem deutschen Baugewerksbund, dem Zentralverband der Zimmerer u. verwandter Berufsgenossen, dem Zentralverband christlicher Bauarbeiter, dem Zentralverband der Maschinisten und Heizer sowie Berufsgenossen
Deutschlands.

Anmerkung zum Geltungsbereich:
In diesem Abschnitt des § 1. Absatz 5, zeigt sich die Monopolstellung der reformistischen Organisationen durch ihre staatliche Anerkennung, aber auch gleichzeitig die völlige Ausschaltung der
Arbeiterschaft selbst, bei der Regelung der Lohn u. Arbeitsbedingungen. Denn durch die staatliche Allgemein-verbindlichkeitserklärung des betreffenden Tarifvertrages, schalten individuell abgeschlossene Arbeitsverträge bei der Betrachtung der
Klagefähigkeit aus, sobald die gegenpartei also der Unternehmer Mitglied der tariftragenden Organisation ist. Der § 5, welcher den Arbeitslohn in Klassen einteilt, kann wegen seiner Länge nur teilweise gegeben werden. So sagt der Abschnitt 2 des § 5: Der Stundenlohn ist unterschiedlich festzusetzen für alle Arbeiter-Gruppen bis zum vollendeten 19. Lebensjahr und über 19 Jahre (Vollarbeiter). Dann staffelt man die Löhne der Facharbeiter vom 16-19. Lebensjahr, und setzt für Hilfsarbeiter in derselben Altersklasse den Lohn um 17% niedriger als wie in den jeweiligen Stufen der Facharbeiter. Die Hilfsarbeiter (Voll- wie jugendliche Arbeiter) teilt man dann wiederum in zwei Klassen und zwar für den Hoch u. Tiefbau, bei letzteren ergibt sich der Unterschied aus der Entlohnung, denn der Tiefbauarbeiter liegt 20-25 % tiefer als der Lohn des Bauarbeiters aus dem Hochbaugewerbe. Platzarbeiter, Wächter u.s.w. stehen in der Entlohnung wiederum unter dem Tiefbauarbeiter.
Der Lohn der Facharbeiter staffelt sich nach den einzeln erfassten Branchen des Hoch u. Tiefbaugewerbes deren Zahl ungefähr 30 beträgt. Diese Löhne staffeln sich wiederum in die meist 5 Ortsklassen der einzelnen Tarifgebiete, die sich in großer Zahl über das gesamte Reichsgebiet verteilen. So das sich eine Klassierung der einzelnen Berufe des Hoch u. Tiefbaugewerbes ergibt, wie sie das ganze Wesen des Reformismus mit sich bringt. Von besonderem
Interesse ist dann noch der § 10 der die Ferien regelt.
Der Abschnitt 1. behandelt die Ferienansprüche der Arbeiter von 3 Tagen im ersten Beschäftigungsjahr bis zu 5 Tagen nach 3-jähriger Tätigkeit bei ein und derselben Firma. Die Voraussetzung auf
Ferienanspruch im Jahre, besteht in einer ununterbrochenen
Zugehörigkeit zu ein und demselben Betrieb von 36 Wochen. Dazu kommen noch allerlei Ergänzungen doch wird auch der Unbefangene sagen, dass die Ferienfestsetzung nur Sand in den
Augen des größten Teils der bauarbeiterschaft ist.
(…)
Anmerkung:
Kameraden, soweit der Reichstarif für das Baugewerbe in Deutschland. Ich glaube treffender keinen Beweis über den wahren Charakter der reformistischen Zentralverbände bringen zu können,
als wie es mit der Übermittlung des Reichstarifvertrages geschehen ist. Das diesen Steigbügelhaltern des Kapitals, diese vortrefflichen Klauselierungen, gerade in der jetzigen Lohnabbauwelle zum Verhängnis geworden sind, trägt nur zur Erhärtung meiner Behauptungen bei.
Das es auch anders geht beweist der Tarif unserer Düsseldorfer Organisation und gewinnt dieser Vertrag doppelt an Bedeutung, da er sich auf den Klassenkampf aufbaut und auch gleichzeitig die
Tarifauffassung der anarcho-syndikalistischen Bauarbeiter
Deutschlands kennzeichnet.

Arbeits-Vertrag:
Lohn und Akkordtarif für das Fliesengewerbe Düsseldorf u. Umgebung.

§ 1 – Vertragsschließende:
Vorliegender vertrag ist abgeschlossen und gegenseitig anerkannt von der Arbeitgeber-Vereinigung angehörenden Plattierungsgeschäften in Düsseldorf u. Umgebung – inkl. Neuss einerseits und der Freien Vereinigung der Fliesenleger, angeschlossen der Freien Arbeiter-Union (Syndikalisten) sowie dem deutschen Baugewerksbund andererseits.
§ 2 – Geltungsbereich:
Dieser Vertrag gilt für alle Arbeitsstätten in Düsseldorf u. Umgebung einschließlich Neuss und für alle auswärtigen Arbeitsstätten, wo von Plattengeschäften oder Unternehmern obengenanter Orte
Plattenarbeiten ausgeführt werden. Der Sitz des Geschäftes ist für die Auslegung und Bezahlung des Tarifes und der Zulagen maßgebend.
§ 3 – Arbeitszeit:
Die Arbeitszeit beträgt 8 Stunden, jedoch ist Samstag um 1 Uhr Schluß. In Zeiten schlechter Konjunktur ist die vorhandene Arbeit, so einzustellen und die Arbeitszeit so zu kürzen, dass alle Leger gleichmäßig Beschäftigung und Verdienst haben. Sollte es dann noch nicht möglich sein, alle Leger zu beschäftigen, dann sind diejenigen Leger auszuschalten, in deren Familie mehrere Personen am Verdienen sind. Ab 1.11.1930 wurde die 5 Tagewoche eingeführt.
§ 4 – Überstunden, Nacht- und Sonntagsarbeit:
Überstunden sowie Nachts- und Sonntagsarbeit und Arbeit an den gesetzlichen Feiertagen sind in besonderen Fällen zu leisten und dürfen nur gefordert werden, wenn durch deren Unterlassung Menschenleben in Gefahr kommen; Verkehrsstörungen eintreten, wenn Schäden durch Naturereignisse zu verhindern oder zu beseitigen sind; ferner bei dringenden Reparatur- und Installationsarbeiten in Theatern, Fabriken und bei ähnlichen Arbeiten. Als Überstunden, Nacht- und Sonntagsarbeit und als Arbeiten an gesetzlichen Feiertagen gelten:

  1. als Nachtarbeit jede Arbeit von abends 8 Uhr bis
    morgens 6 Uhr.
  2. Als Überstunden jede Arbeit in der zeit, die zwischen der Nachtarbeit und der normalen Arbeitszeit liegt.
  3. Als Sonntagsarbeit und Arbeit an gesetzlichen Feiertagen jede Arbeit an diesen Tagen von morgens 5 Uhr bis abends 12 Uhr. Für Überstunden wird ein Zuschlag von 25% gezahlt. Für Arbeit an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen, sowie für Nachtarbeit wird ein Zuschlag von 100% auf die Akkordsatztarife gezahlt.

§ 5 – Lohnabrechnung:
Für die Berechnung des Lohnes ist der Akkordtarif massgebend. Alle Arbeiten, für die in diesem Vertrag Akkordpreise festgelegt sind, werden nur in Akkord ausgeführt. Alle in diesem Tarif nicht
aufgeführten Arbeiten oder neuen Formen, für welche unter Anrufung eine Einigung über den Akkordsatz nicht erzielt wird, werden zum Stundenlohn mit 20% Zuschlag bezahlt.
§ 6 – Lohnzahlung:
Die Lohnzahlung umfasst eine Woche. Die Lohnzahlung findet jeden Freitag vor Feierabend an der Baustelle und wenn dies nicht möglich ist, in den Geschäftsräumen des Arbeitgeber, oder sofern der Arbeitnehmer nicht Nachhause gehen kann, an der Arbeitsstelle, bzw. durch Postsendung Freitagabend statt. Die Lohnperiode schließt Mittwochs. Abschlagszahlungen auf Akkordarbeiten sind an
den Lohntagen in Höhe von ungefähr 90% des verdienten Akkordlohnes zu leisten. Die Anträge auf
Abschlagszahlungen müssen spätestens bis Donnerstag morgens bestellt werden. Das Warten auf Material wird in Stundenlohn gezahlt, wenn der Leger dieses einen halben Tag vorher bestellt hat.
§ 7:
Regelt die in Deutschland üblichen Fragen der Auflösung des Arbeitsverhältnisses.
§ 8 – Schlichtung und Streitigkeiten:
Streitigkeiten aus diesem Vertrag sind durch die örtlichen Schlichtungskommissionen, bestehend aus drei Arbeitgebern und drei Arbeitnehmern, schleunigst zu schlichten. Die beiderseitigen Vertragsschließenden wählen ihre Mitglieder. Der Vorsitzende wird in jeder Sitzung gewählt. Die Schlichtungskommission hat, wenn eben angängig, innerhalb 24 Stunden, spätestens aber 48 Stunden
zu tagen und sind vor dieser Tagung und während des Verfahrens, Streiks und Aussperrung oder ähnliche Maßnahmen irgendwelcher Art unter keinen Umständen zulässig. Anträge für die Schlichtungskommission sind schriftlich zu stellen an den Obmann
unter genauer Begründung des Streitfalles. Bei allen Streitigkeiten, sind die amtlichen und staatlichen Schlichtungsinstanzen auszuschalten, soweit hierzu kein Zwang besteht.
§ 9 – bringt örtliche Regelung.
§ 10 und 11 – Durchführung des Vertrages:
Alle im nachfolgenden Akkordtarif festgesetzten Preise sind Mindestpreise und dürfen unter keinen Umständen unterboten werden. Alle dem Tarif zuwiderlaufenden Abmachungen (billiger arbeiten sind nach dem Entscheid des Reichsarbeitsgerichtes
ungültig.) Der Stundenlohn beträgt 1,80 Mk. Soweit der Vertrag unserer Düsseldorfer Organisation.
Die Gegenüberstellung des § 8 dieses Vertrages, allein dürfte genügen um die von mir aufgestellte Behauptung gegenüber dem reformistischen vertrag zu rechtfertigen. Ein weiteres eingehen auf
die Gegensätze ist mir wegen des Platzmangels im „Pressedienst“ in dieser Nummer nicht möglich, doch werde ich in einer späteren Ausgabe darauf zurück greifen. Wie es ja auch den Antrag 3 der Madrider Konferenz entspricht. M.
Kasse:
An Beitrag ging von der norwegischen Landesföderation, für die Zeit von 1930-31, der Betrag von 88,37 Kr. ein.

• Presse-Dienst des ISBF, Jahrgang I, Dezember 1931,
Nummer 3 [8 hektografierte A 4 Seiten]

Quelle:https://muckracker.files.wordpress.com/2012/06/barrikade-4.pdf